Kapitel 11
Die Sonne war bereits untergegangen, als der Wald anfing sich langsam zu lichten. Wenn Liv den Kopf in den Nacken legte, konnte sie den vollen Mond und die vielen Sterne, die den Himmel säumten, deutlich zwischen den Blättern am Himmel scheinen sehen.
Seit ihrem kleinen Wortwechsel am Mittag, hatte Kilian kein einziges Wort mehr an sie verschwendet, doch auch sie hatte ihn so gut es ging ignoriert und hatte Abstand zu ihm gehalten. In ihr kämpften immer noch zwei Fronten gegeneinander, ob sie bei ihm bleiben sollte oder nicht, doch eine wirkliche Alternative zu ihm fiel ihr auch nicht ein, wenn sie genauer darüber nachdachte.
Als Liv bereits Rauch hinter den Bäumen in den nächtlichen Himmel steigen sah, blieb Kilian stehen und schaute ihr seit dem Mittag das erste Mal wieder in die Augen. „Am besten du veränderst ein wenig deine Gestalt. Ich weiß nicht wie weit sich die Nachricht von unserer Flucht bereits nach Süden verbreitet hat" ,sagte er ausdruckslos.
Sie nickte und kramte in ihren Erinnerungen nach einer Person, die auf sie möglichst wenig bedrohlich gewirkt hatte. Augenblicklich sah sie die Schönheit vor ihren Augen, die in der Kneipe in Vasilias auf Zayns Schoß gesessen hatte. Ihr untergebener, ängstlicher Blick.
Kaum hatte sie das Bild der Frau vor Augen blitzte weißes Licht um ihren Körper auf. Sie spürte wie sie kleiner wurde, die Rundungen ihres Körpers deutlicher hervortraten und ihr Haar wuchs. Dann war sie eine andere Person.
Zufrieden schaute sie erst an sich herab und dann Kilian an, der sie mit hochgezogenen Brauen musterte. „Das ist nicht dein Ernst?!" ,murmelte er leise. Sie grinste breit. Er wusste also, welche Person sie spielen wollte.
Während er sie immer noch spöttisch betrachtete, klopfte sie so gut es ging den Dreck von ihrer Tunika und ihrer Hose, kämmte sich mit den Fingern durch das jetzt lockige, blonde Haar und reichte Kilian ihr Schwert, dass er wortlos an seinen Gürtel steckte.
Als sie halbwegs zufrieden mit ihrem Anblick war, schaute sie ihn stirnrunzelnd an. Auch wenn er seine Gestalt nicht ändern konnte, konnte er so niemals ein Gasthaus betreten. Zumindest nicht an ihrer Seite. Das würde definitiv zu viel schlechte Aufmerksamkeit auf sie lenken.
Er hatte anscheinend das Gleiche gedacht, denn er nahm die schwarze Kapuze von seinem Kopf, verbarg die Schwerter gekonnt unter seinem Umhang und versuchte sogar seine braunen Haare ein wenig zu sortieren. Dann schaute er sie fragend an.
Er konnte zwar immer noch in seiner schwarzen Kleidung ein wenig furchteinflößend auf andere Menschen wirken, doch sein hübsches Gesicht lenkte zumindest einigermaßen von seinen steinharten Muskeln und den Schwertern, die unter dem Umhang hervor blitzten ab.
Also nickte sie knapp, bevor sie dicht nebeneinander den Wald verließen.
~
Es dauerte nicht lange bis Kilian zusammen mit Liv die ersten Häuser des Dorfes erreicht hatte. Laternen erhellten den steinigen Weg, den sie entlang schritten und von irgendwoher waren fröhliche Stimmen zu hören.
Kurz warf Kilian einen Blick auf Liv, die dicht neben ihm ging und die Häuser wachsam musterte. Ihr Blick war immer noch ihr eigener, doch ihr Aussehen hatte sich komplett verändert. Braune lockige Strähnen umrahmten ein wunderschönes, gebräuntes Gesicht und anstatt grauen, erwiderten nun blaue Augen seinen Blick.
Er wusste genau, wessen Gestalt das war und wenn er genauer darüber nachdachte, wunderte es ihn kein bisschen, dass Liv gerade dieses Aussehen gewählt hatte.
Ein lautes Grölen ließ ihn aufschauen. Eine Gruppe von Männern war auf dem Weg aufgetaucht und anhand ihres schwankenden Ganges war er sich absolut sicher, dass sie mehr als ein paar Biere zu viel gehabt hatten.
Erst als sie beinah neben ihnen standen, fiel Kilian der Blick auf, mit dem sie Liv, beziehungsweise ihre Gestalt, eingehend musterten. Besitzergreifend und ungeniert wanderten die Blicke der Männer über ihren Körper.
Ein einziger Seitenblick zu Liv genügte, dass er genau wusste, dass das hier nicht gut ausgehen würde, wenn er nichts unternahm, denn ihre Gesichtszüge waren zwar unsicher und ein wenig ängstlich, doch ihre Augen erdolchten gerade jeden einzelnen dieser Männer.
Er brauchte nicht lange zu überlegen, um eine Lösung zu finden. Die Götter sollten ihm beistehen, wenn er das nächste Mal mit Liv alleine war!
Doch er legte instinktiv einen Arm um ihre Hüfte und zog sie näher an sich heran, während er jedem dieser Männer mit einem einzigen Blick klar machte, dass sie wenn sie auch nur in ihre Nähe kamen, es mit ihm zu tun bekommen würden. Wie zufällig rutschte sein Umhang ein Stück zur Seite, sodass eines der Schwerter aufblitzte, als sie mit schnellen Schritten an der Gruppe von Männern vorbei gingen. Erleichtert atmete er aus.
Erst als sie auf einen großen Platz einbogen, fiel Kilian auf, dass Liv sich unter seiner Berührung augenblicklich verspannt hatte und er brachte schnell wieder ein paar Zentimeter Abstand zwischen sie.
Ausdruckslos betrachtete er die kleinen Marktstände und Fachwerkhäuser, aus denen lachend Menschen hinein und hinaus strömten. Er wagte es nicht Liv auch nur anzusehen, denn eins hatte er in den letzten zwei Tagen gelernt: Sie wollte nicht, dass er ihr zu Nahe kam. Warum, wusste er nicht, doch er akzeptierte es.
Langsam schlenderte er neben Liv her, während sie den Platz überquerten und auf eines der Gasthäuser zuhielten, die neben einigen Kneipen den Platz säumten. Auf einem hölzernen Schild, das über der Tür angebracht war, prangte der Name: Das Gasthaus zur schwarzen Krähe.
Liv schnaubte neben ihm: „Wie passend!"
Kilians Mundwinkel zuckten leicht. Sie hatte nicht ganz unrecht. Im Gegensatz zu den anderen Häusern stach dieses hier mit seinen schwarzen morschen Brettern und zerschlagenen Scheiben deutlich hervor.
Einladend hielt Kilian Liv die quietschende Tür auf. Der Geruch von Bier und Schweiß wehte ihnen entgegen und lautes Gelächter war zu hören. Grinsend musterte er Liv, die angewidert die Nase rümpfte.
„Tut mir Leid, aber das hier ist nun mal das Günstigste" ,sagte er schulterzuckend. Sie verdrehte die Augen.
Ihm war komplett bewusst, dass sie nur einmal über den Platz laufen musste, um das Geld für eines der anderen Gasthäuser zusammen zu haben, doch wenn sie Pech hatten bemerkte sie jemand und dann hätten sie ein noch größeres Problem als sowieso schon.
Also folgte er ihr in das stinkende und heruntergekommene Haus hinein. Nur wenige Kerzen erhellten den vollen Schankraum und die Luft war so stickig, dass er am liebsten wieder hinaus gegangen wäre.
Stattdessen bahnte er sich an Livs Seite einen Weg in Richtung Theke, hinter der eine kleine rundliche Frau mit roten Locken ihnen freundlich entgegen lächelte.
„Was kann ich für euch zwei Hübschen denn tun?" ,fragte sie laut, um den Lärm zu übertönen, als sie vor der Theke stehen blieben.
Kilian erwiderte das Lächeln der Frau und sagte höflich: „Meine Verlobte und ich hätten gerne etwas zu Essen und ein Zimmer für die Nacht."
Er ignorierte Liv, die bei seinen Worten neben ihm scharf die Luft einzog. In seinem Hinterkopf erschien bereits ein Bild, wie sie ihm drohend einen Dolch an die Kehle hielt, doch er ignorierte auch das, während die Frau sie verträumt ansah.
„Ach! Solch junge Liebe. Das erinnert mich immer an meinen Mann und mich, als wir noch jung waren. Eine wundervolle Zeit war das!" ,lächelnd warf sie dem bärtigen Mann an der Bar einen verliebten Blick zu.
Zu Kilians Überraschung spürte er kurz darauf Livs Hand, die sich in seine schob, während sie mit einer Stimme, die so gar nicht zu ihr passte, ein wenig schüchtern sagte: „Das können sie laut sagen!"
Er hatte angefangen dieses Spiel zu spielen und sie spielte weiter.
Also schaute er bei ihren Worten lächelnd zu ihr herunter, in dieses schöne Gesicht, das nicht ihr eigenes war. Für einen kurzen Moment schauten sie sich beide eingehend an. Hinter dieser Gestalt konnte Kilian jedoch immer noch Liv erkennen, denn ihre blauen Augen sprachen das absolute Gegenteil zu dem Lächeln auf ihren Lippen. Die Götter mussten ihm mehr als beistehen, wenn er wieder mit ihr alleine war.
Die Stimme der Frau ließ sie beide wieder aufschauen: „Na dann, ihr Lieben. Essen gibt es dort an der Bar. Ihr habt Glück heute gibt es sogar meinen legendären Gemüseeintopf! Und euer Zimmer ist ganz oben direkt unterm Dach. Ein Bad können wir leider momentan nicht anbieten, aber ich wünsche euch trotzdem einen angenehmen Aufenthalt!"
Kilian nickte dankend und legte fünf Silbermünzen auf die Theke, bevor er Liv zwischen den Tischen zur Bar folgte, wo der bärtige Mann ihnen zwei Schüsseln reichte, die mit einer grün braunen Pampe gefüllt waren.
„Lasst's euch schmecken!" ,fügte er herzlich hinzu. Kilian nickte dankend und folgte Liv mit den heißen Schüsseln in der Hand auf einen kleinen Tisch in der Ecke des Schankraums zu, wo sie sich stöhnend auf einen der Holzstühle fallen ließ.
Sofort wanderte Kilians Blick zu ihrem Oberschenkel. Sie hatte ihm das Hemd kurz bevor sie das Dorf erreicht hatten wieder gegeben, um weniger aufzufallen und jetzt hielt nur noch ihre zerrissene Hose die Wunde einigermaßen zusammen. Er hoffte inständig, dass sie nicht wieder anfing zu bluten, denn dann hätten sie mehr als ein Problem.
Im Gegensatz zu Haut und Haarfarbe blieben die Wunden egal in welcher Gestalt immer irgendwie bestehen, genauso wie die Farbe ihres Blutes, die sie nicht ändern konnten.
Vorsichtig stellte Kilian die Schüsseln auf dem wackligen Tisch ab und ließ sich Liv gegenüber auf den Stuhl fallen. Diese hatte bereits eine der Schüsseln zu sich gezogen und der erste Löffel der braunen Pampe wanderte zu ihrem Mund hinauf.
Während Kilian grinsend beobachtete, wie sie den Löffel in den Mund steckte und kurz darauf angewidert das Gesicht verzog, nahm er sich die andere Schüssel und begann ebenfalls zu essen.
Der legendäre Gemüseeintopf der rothaarigen Frau schmeckte... Er hatte keine Worte für die Pampe, die er am liebsten sofort wieder über den Tisch hinweg von sich gegeben hätte. Stattdessen schluckte er möglichst ohne das Gesicht zu verziehen alles hinunter und war sogar so mutig sich einen weiteren Löffel in den Mund zu schieben. Im Gegensatz zu Liv, die bereits die Schüssel von sich geschoben hatte und ihn mit vor der Brust verschränkten Armen grinsend musterte.
„Das hier ist nun mal das Günstigste" ,wiederholte sie seine Worte von eben und er verdrehte die Augen.
„Du solltest trotzdem etwas essen" ,bemerkte er ernst und etwas leiser fügte er hinzu, „Je weiter wir nach Süden kommen, desto größer ist das Risiko in einem Gasthaus zu schlafen. Außerdem ist nicht gerade viel Geld übrig. Es sei denn du hast zufällig noch etwas dabei."
Ihre Brauen wanderten langsam nach oben, was in dieser Gestalt mehr als unpassend aussah, während sie spöttisch sagte: „Wenn ich Geld brauche, nehme ich mir es von denen, die genug davon haben."
Schnell schaute Kilian sich um, ob sie jemand gehört hatte, doch die Leute im Schankraum waren viel zu sehr mit dem Bier in ihren Händen oder den Karten auf dem Tisch beschäftig, um auf sie zu achten.
Dann schaute er Liv fragend an: „Du stiehlst nur von den Reichen?"
Liv schnaubte amüsiert. „Natürlich! Muss sich doch auch lohnen oder nicht?" ,sagte sie, als wäre es selbstverständlich Menschen ihr Geld zu nehmen, für dass sie hart gearbeitet hatten.
Kilian zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer. Ich möchte nicht auch noch unnötig provozieren, dass der König uns findet. Also iss etwas!" ,sagte er und deutete mit seinem Löffel auf die volle Schale auf dem Tisch vor ihr.
Genervt verdrehte sie die Augen. „Für so schlecht hältst du mich?" ,fragte sie kopfschüttelnd, doch sie tat was er von ihr verlangte und würgte die Suppe Löffel für Löffel hinunter.
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