Die Begegnung
Ich trat hinaus in die kühle Nachtluft. Der Himmel war teilweise bedeckt, nur hier und da funkelte ein Stern zwischen den Wolken hindurch. Ich fuhr mir mit der Hand über's Gesicht. Im Licht einer Straßenlaterne begutachtete ich meinen Oberkörper. Die Schwellung war tatsächlich durch die kühlenden Eiswürfel etwas zurück gegangen. Dafür war mein Hosenbund komplett durchnässt. Ein sanfter Wind glitt durch die nächtlichen Gassen und ich beschloss gemächlich zur Polizeistation zurückzukehren, um meine Messer zu beschaffen. Auch wenn die Straßen ruhig und friedlich vor mir lagen, hatte ich wieder dieses seltsame Gefühl beobachtet zu werden. Ich spähte in dunklen Ecken und Nieschen. Gelegentlich drehte ich mich unauffällig um, konnte allerdings nichts Verdächtiges entdecken. Ob Steve und Julius mir vielleicht einfach durch die Gassen folgten? Cesca war es bestimmt nicht. Sie hätte schon längst auf sich aufmerksam gemacht. Als ich an einem Schaufenster vorbei ging, hielt ich kurz inne um mich darin zu betrachten. Einerseits wollte ich mich wirklich anschauen, andererseits konnte ich dadurch gut die Umgebung hinter mir beobachten. Vereinzelt spiegelten sich Häuser und eine kleine Baumallee mit einem Trampelpfad entlang des Flusses in der Scheibe. Mir war als ob sich die Schatten bewegen würden, doch nach einem Blinzeln wirkte alles wieder normal. Vielleicht handelte es sich doch nur um eine Verzerrung im Glas, die mir einen Streich gespielt hatte. Also ließ ich den Blick auf mich fallen. So wie ich da stand, verlassen, ohne T-Shirt auf einer Straße bei Nacht, regte sich eine tiefe Traurigkeit in mir. Ich versuchte mich anzulächeln. Es half nichts. Um meine unteren Rippen besser zu begutachten, drehte ich mich etwas zur Seite, damit die Straßenlaternen mehr Licht spendeten. Die blau-gelben Flecken bedeckten wie graue Regenwolken einen beträchtlichen Teil meines Oberkörpers. Der blaue Schal, den ich von Cesca mitgenommen hatte, passte fast perfekt dazu. Ich wollte noch einen Blick auf meinen Rücken werfen, doch als ich aufschaute sah ich es. Eine Bewegung hinter mir, die ich mir nicht mehr eingebildet haben konnte. Oder? Ich fuhr zu abrupt herum. Der Schmerz meiner Rippen antwortete mit einem dumpfen Pochen auf meine hastige Bewegung, sodass ich ein Zusammenzucken nicht mehr rechtzeitig unterdrücken konnte. Wer auch immer hinter mir durch die Büsche schlich, wusste jetzt, dass ich verletzt war. Ein dummer Fehler. Wobei die blauen Flecken sowieso meinen Zustand verraten hätten. Konzentriert starrte ich auf die andere Straßenseite. Nichts zu sehen. »Ey Julius! Steve, kommt endlich raus! Ihr seid einfach schlecht im Verstecken und gebt mir gefälligst meine Messer zurück«, rief ich in die Schatten hinein. Keine Reaktion. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Wie eine Maus in der Falle sitzend, wusste ich, dass sobald ich mich bewegen würde etwas geschah. Also setze ich mich hin und zwar in den Schneidersitz. Würde ich vorwärts gehen, könnte es als Angriff verstanden werden. Würde ich mich seitlich entfernen, könnte es als Fluchtversuch gedeutet werden. Mit dem Schneidersitz gab ich meinem Verfolger genau das was er womöglich nicht wollte. Nämlich die Aufgabe den ersten Schritt zutun. Ich würde warten müssen. Im Schneidersitz würde ich nicht so schnell aufspringen können, egal ob für einen Gegenangriff oder eine schnelle Flucht. Aber das wäre in meinem körperlichen Zustand ohnehin beides ein heikles Unterfangen. Es vergingen einige lange Atemzüge und dann passierte tatsächlich etwas. Und zwar etwas, womit ich niemals gerechnet hätte. Die Schatten fingen sich wirklich an zu bewegen. Langsam löste ich meine Beine aus ihrer Position und richtete mich wieder auf. Es waren gar nicht die Schatten, die sich bewegten. Es war das Licht der Straßenlaternen! Ihre Lichtkegel veränderten ihre Form von kreisrund zu viereckig und waberten wellenförmig umher. Als ich wieder aufgestanden war und fasziniert einen Schritt nach vorn machte, vergaß ich all meine Vorsicht. Mit einem Mal wurden die Lichtkegel aber kleiner, zogen sich in ihrem Zentrum zusammen und eine Schattenflut ergoss sich über den gesamten Straßenzug. Mit einer kräftigen Windböe zerbarsten die Glühbirnen in Tausend Teile und es wurde stockfinster. Ich wagte es nicht zu sprechen. Das war auch nicht nötig, denn kaum bließ der Wind leise knirschend die Scherben über den Asphalt erklang die eine Stimme, die weder menschlich noch animalisch war.
»Deine Augen leuchten so schön in der Dunkelheit.«
Die Silhouette konnte das Licht zähmen.
Instinktiv entzog ich dem blauen Schal um meinen Hals seine Farbe. Es dauerte eine Sekunde zu lang bis ich seine Magie in mir spüren konnte, sodass ich kurz befürchtete, die Silhouette wäre schon wieder schneller gewesen und hätte alle Farben im Umkreis aufgesaugt. Doch dies war nicht der Fall. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte sie sehen. Das dunkle Gewand mit der Kapuze zeichnete sich langsam vom Hintergrund des Flusses ab und uns trennten kaum noch drei Meter. Ich machte einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken an die kalte Schaufensterscheibe. So ein Misst. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dir nichts tun«, fuhr die Gestalt fort. Mit trockenem Lachen antwortete ich: »Ja genau, so wie bei unserer ersten Begegnung. Guter Witz. Wenn ich silberne Haare hätte haben wollen, wär ich zum Friseur gegangen, herzlichen Dank auch.«
»Nun, da hast du dir jetzt wohl die Kosten gesparrt«, fügte die Silhouette schmunzelnd hinzu. Machte er oder sie sich etwa lustig über mich?! Na toll. Es fing an mich in den Fingern zu kribbeln. Ich hätte in Anbetracht dieses absurden Smalltalks noch warten sollen bis ich die Farbe aus meinem Schal gezogen hätte. Sie wollte genutzt werden, was mich vielleicht bald dazu zwingen würde den ersten Angriff zu starten. Als ob mein Gegenüber Gedanken lesen könnte, sprach die Kapuze: »Du brauchst deine Messer nicht. Du bist eine Waffe. Ich habe dich berührt und es gesehen.«
Ungläubig glotze ich in die schwarzen Tiefen zurück. Meinte sie, dass ich ein Farbmagier war? Das traf zwar nicht auf jeden Menschen zu, aber so besonders selten waren wir Farbmagier auch wiederum nicht auf der Welt vertreten.
»Ich sehe deine Schmerzen«, setzte die Gestalt wieder an. »Lass mich dir helfen. Die Polizei hatte mich beim letzten Mal dabei unterbrochen.«
»Alles klar, ich kann mich vielleicht nicht mehr an alles erinnern, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich mit deiner Magie umbringen wolltest. Also ich kann sehr gut auf deine sogenannte Hilfe verzichten«, betonte ich mit Nachdruck.
»Ich wollte deine Farben haben, das stimmt. Doch als ich angefangen habe sie deinem Körper zu entziehen und ich auf dein magisches Potenzial gestoßen bin, da hab ich direkt wieder aufgehört.« Die Silhouette streckte fast entschuldigend eine Hand nach mir aus.
»Wow wie toll, ganz ausgezeichnet. Ich brauche nur mein Spiegelbild zu betrachten, um zu sehen was du mit mir gemacht hast. Lass mich gefälligst in Ruhe!« Ich konnte meine Magie kaum noch halten. Wenn ich sie nicht sofort gegen die Silhouette einsetzten wollte, muss ich mir erstmal etwas anderes einfallen lassen. In einer halbwegs eleganten Bewegung tauchte ich unter dem, immer noch ausgesteckten Arm der schwarzen Gestalt hindurch und rannte Richtung Fluss. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und das Blut rauschte in meinen Ohren. Eigentlich war es doch mein Job die Silhouette ausfindig zu machen und nicht von ihr davon zu laufen. Doch ich würde es nicht noch einmal zulassen, dass sie mich berührte. Wer wusste schon was dabei alles passieren konnte. Ich war kaum eine halbe Minute gerannt, da fing sich der Boden an zu drehen. Doch dieses Mal war es keine Magie, es war der Schmerz von dem die Gestalt sprach. Mittlerweile war ich mir sicher, dass ein oder zwei meiner Rippen gebrochen waren. Schwer atmend musste ich anhalten. Ich war dem Pfad parallel zum Fluss zu einer kleinen Gruppe von Bäumen gefolgt. Der Mond schien nun doch leicht durch die milchige Wolkendecke und tauchte die Umgebung sanft in eine silberne Atmosphäre. Ich hastete unter die Bäume, um in den Schatten zu verschwinden. Dann spähte ich um einen Baum herum und beobachtete wie die Silhouette auf dem Pfad direkt auf meine Baumgruppe zu spazierte. Ja, sie spazierte wirklich. Wie ein schwarzer Wolf, der wusste, dass seine Beute nicht weit gekommen sein mochte. Ich umrundete den nächsten Baum, stolperte über eine Wurzel und fiel auf die Knie. Es war schon wieder zu dunkel zwischen den Bäumen. Ich konnte kaum etwas erkennen. »Nutz deine Magie«, waberte die Stimme fremdartig um mich herum. »Es tut mir ja schon fast weh zu sehen wie du sie vergeblich zurückzuhalten versuchst.«
Ich wünschte mir so sehr meine Messer herbei. Doch das half natürlich nichts. Schweißperlen setzten sich auf meiner Stirn ab. Das Pochen meiner Rippen erschien mir schon fast lauter als mein Herzschlag. Mit einer Hand ergriff ich einen nebenliegenden Ast, mit der anderen hielt ich mir die schmerzende Seite. »Lass deine Magie frei, sie länger zu halten verletzt dich nur noch mehr.«
»Verschwinde in die Schatten, aus denen du gekrochen bist sonst...«, meine Augen suchten vergeblich die Umgebung nach den Konturen der Kapuze ab. »Sonst was?«, fragte die Stimme fast neugierig.
»Sonst bringe ich dich um«, stieß ich keuchend und wenig überzeugend hervor. Ein leises Lachen flüsterte durch die Baumkronen. Wir wussten beide wie lächerlich unwahrscheinlich meine Drohung war. Mit meinen Messern und ohne gebrochene Rippen hätte ich vielleicht eine winzige Chance die Silhouette zu überwältigen. Doch hier und jetzt war es vergebens. Ich hatte keine Ahnung wie man magische Angriffe effektiv abwehren konnte. Die Silhouette konnte Licht zähmen und ich wurde innerlich gerade von der Magie eines blauen Schals aufgefressen. Doch Aufgeben kam natürlich nicht für mich in Frage. Das läge einfach nicht in meiner Natur. Meine Knie zitterten als ich wieder zum Stehen kam. Mit einem tiefen Atemzug sandte ich einen Teil der Magie in den Ast in meiner Hand und entzündete dessen Spitze. Warm erleuchtete die kleine Fackel meine Umgebung. Immerhin konnte ich jetzt wieder etwas mehr davon erkennen. Die Silhouette stand unweit des Flammenkegels entfernt und schaute mich unverwandt an. Meine Knie hörten auf zu zittern, doch einen Teil der Magie hielt ich nach wie vor für später zurück. »Ich bin gespannt für was du den Rest deiner Magie einsetzt«, säuselte die Gestalt. Ich erwiderte finster ihren Blick: »Du bekommst sie jedenfalls nicht.« Meine Fingerspitzen kribbelten immer noch leicht. Ich würde mir früher oder später etwas dafür einfallen lassen müssen. »Ich möchte deine Magie nicht. Ich möchte dir helfen. Ich kann dich heilen. Du musst es nur zulassen.« Ich schüttelte müde den Kopf: »Du willst nur meine Farben.«
»Denkst du nicht, ich hätte sie schon längst, wenn ich sie wirklich haben wollte?«
Das war ein Argument. Ich tat so, als ob ich nachdenken müsste und nutze die Zeit, um nach den Elementen um mich herum zu tasten. Luft war genügend vorhanden, doch kleinste Veränderungen würde die Silhouette sicherlich sofort alarmieren. Feuer hatte ich schon. Mit Erde wusste ich jetzt nichts anzufangen. Und der Fluss war für mich ein paar Meter zu weit entfernt. Das konnte nicht alles gewesen sein. Dann nahm ich noch Tautropfen auf dem Blätterdach der Bäume wahr und genau diese ließ ich an einer Stelle zusammenlaufen.
»Na schön«, antwortete ich. »Mach wieder gut was du angerichtet hast.«
»Ich kann deine Haarfarbe nicht wiederherstellen. Aber ich kann deinen Augen einen neuen Sinn geben.«
Das klang nicht gerade sehr beruhigend. Die Tautropfen sammelten sich noch im Blätterdach über meinem Kopf. Es dauerte einfach zu lang. Ich lehnte mich an den Baumstamm hinter mir. Meine Brust schmerzte mit jedem Atemzug. Die Gestalt trat näher in den Lichtkegel des brennenden Asts und lüftete die Schatten um ihre Augen Partie. Und ich war mehr schockiert als überrascht. Denn es war als schaute ich in meine eigenen silber leuchtenden Augen, nur das diese hier definitiv weiblich waren. Die Silhouette war eine Frau. Mit einer unglaublich schnellen Bewegung stand sie direkt vor mir und legte mir ihre zarte kalte Hand auf die Stirn. Ich erstarrte vor Angst und ließ die Fackel fallen. Einen halben Atemzug später war die Silhouette, die Frau, schon wieder zwei Schritte von mir entfernt. Langsam veränderte sich etwas in meinem Sichtfeld. Die Fackel auf dem Boden wurden unfassbar hell. Ich musste die Augen zusammenkneifen und mir den Arm schützend vor's Gesicht halten. »Was hast du gemacht?!«, stieß ich panisch hervor.
Mit einer Handbewegung löschte die Frau meine Fackel und ich konnte die Augen langsam wieder öffnen. Die Augen der Frau leuchteten nicht mehr silbern wie der Mond sondern waren dunkler geworden. Um mich herum konnte ich fast, wie am helligen Tag, alles wahrnehmen. Zögerlich begann die Frau zu sprechen, doch an ihrer Stimme hatte sich nichts verändert. Sie klang weder männlich noch weiblich, noch wie die eines Tieres. Aber ich wusste nun, dass ich für die Polizei nach einer Frau suchen musste. »Tagsüber sind unsere Augen Silber und nehmen das Licht der Sonne auf. Nachts nutzen sie dieses Licht und wir können besser sehen.«
Ich musste einmal blinzeln, um sicher zu gehen, dass ich nicht träumte.
»Also haben wir quasi eine Nachtsicht«, stellte ich fest. »Richtig und mit den Schatten reguliere ich den Lichteinfall, sodass ich nachts nicht von irgendwelchen brennenden Ästen geblendet werde.«
Sie schmunzelte. »Deine Augen müssen sich nachts erst noch an helles Licht gewöhnen. So wie normale Menschen bei Dunkelheit ein paar Minuten brauchen, um sich daran zu gewöhnen.« Ich wusste nicht wirklich wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Erst wollte die Frau mich umbringen und nun schenkte sie mir die Fähigkeit nachts sehen zu können. »Übrigens wenn du nicht bald duschen möchtest, solltest du aufhören über deinem Kopf Tautropfen zu sammeln.«
Natürlich. Sie hatte es bemerkt. Wie töricht anzunehmen, dass sie es nicht bemerken würde.
Ich grinste schief. »Weißt du, eigentlich wollte ich gar nicht duschen. Ich dachte nur, du hättest ein bisschen Lust auf Eis.«
Mit einer Handbewegung riss ich meine Tautropfen Ansammlung aus dem Blätterdach und schleuderte sie in Richtung der Silhouette. Damit setzte ich meine restliche gespeicherte Magie frei, verfluchte mich selbst dabei als ich merkte, dass sie nicht reichen würde und ich noch etwas von meiner körperlichen Energie hinzufügen musste und verformte das Wasser zu eine Spitze aus Eis, die dolchähnlich auf das Herz der Frau zu raste. Mit einem Schrei sank ich zu Boden als meine Magie meinen Fingern entglitt und der Dolch seine letzten Zentimeter auf Kosten meines Körpers zurücklegte. Doch bevor der Dolch sein Ziel erreichte, zersplitterte er und löste sich in seine einzelne Tröpfchen auf, die in der Luft schwebend stehen blieben. Die Frau ließ ihre Finger mühelos darum herum tanzen: »Das war schon ziemlich gut.«
Ich erwartete, dass sie mir jeden einzelnen Tropfen wie eine Nadel aus Eis in den Körper rammen würde, doch sie tat es nicht. Mein Körper schmerzte sowieso schon als ob er von Tausend Nadeln durchlöchert worden wäre und zu meiner Erleichterung ließ sie die Tropfen einfach zu Boden fließen. Sie kam auf mich zu und kniete sich zu meiner Seite nieder. »Lass mich dir jetzt bitte helfen.« Das Bitte klang sehr fremdartig in meinen Ohren.
»Wieso brauchst du eigentlich meine Erlaubnis mir zu helfen?«, fragte ich matt.
»Du kannst es doch einfach tun. Wie soll ich dich davon abhalten was du mit deiner Magie machst?«
»Weil unser Kodex das verlangt. Nur einer Seele, die Hilfe annehmen möchte, kann wirklich geholfen werden.«
Ich hielt ihrem Blick wortlos stand.
»Doch wenn du willst, dass ich jetzt gehe, dann gehe ich.« Ich schloss die Augen, atmete flach und langsam ein. Meine Lippen formten die Worte. »Bitte ... geh...« setzte ich an. Ich hörte wie sich ihre Schritte langsam entfernten.
»Geh nicht«, flüsterte ich.
Als ich die Augen wieder öffnete schwebte ihr Gesicht direkt vor meinem.
»Bist du dir sicher?«, frage sie sanft.
»Mehr Erlaubnis wirst du nicht bekommen«, wisperte ich leise. Sie nickte knapp und drehte mich so, dass ich flach auf dem Rücken liegen konnte, den Kopf von einer hervorstehenden Wurzel gestützt. »Das war sehr mutig von dir deine körperliche Energie einzusetzen. Dumm, aber mutig. Wäre der Eisdolch ein paar Meter weiter geflogen, hätte es dich vielleicht sogar umgebracht.« Ich schaute ihr stumm zu. Die Folgen des körperlichen Zaubers merkte ich erst jetzt richtig. Hämmernde Kopfschmerzen setzten ein, mein Atem ging unregelmäßig und meine Augen wurden schwer wie Blei. Doch ich würde sie nicht nochmal unbeobachtet an meinem Körper rumpfuschen lassen. Sie zog mir den Schal vom Hals und legte die Fingerkuppen an meine Schläfen. Die Kopfschmerzen verflüchtigten sich so schnell wie sie gekommen waren. Mit einer sanften Handbewegung holte sie spielend leicht kaltes Wasser aus dem Fluss und tränkte meinen Schal damit. Danach legte sie ihn mir auf die Stirn. Das tat wirklich gut. Erst jetzt fielen mir ihre weiblichen Rundungen auf. Vermutlich hatte sie sonst immer die Schatten um ihren Körper platziert, sodass ihre Weiblichkeit verdeckt wurde. Sie beugte sich nun über meine geschundenen Rippen. In ihren Augen las ich Bedauern. Als sie ihre Hände auf meine Brust legen wollte, hielt ich sie an ihren Handgelenken fest. Ihre Haut fühlte sich weich und warm an. »Was machst du?«, fragte ich direkt. »Ich kann Farben aus Lebewesen ziehen. Doch das hat nicht immer negative Folgen. Genauso kann ich Farben, wie zum Beispiel die deiner blauen Flecken, nutzen um zu heilen und die Blessuren geben mir dafür die Magie.«
Das wirkte alles genauso verrückt wie schlüssig. Mir blieb nichts anderes übrig als ihren Worten Glauben zu schenken. Also ließ ich ihre Handgelenke los und ihre Hände legten sich auf meine Brust. Doch bevor sie begann, ergriff sie noch einmal das Wort:
»Ich fürchte das wird jetzt etwas weh tun. Eine deiner Rippen ist gebrochen, die andere gestaucht. Ich habe keine Schmerzmittel dabei. Ich kann nur versuchen die Schmerzen in Schüben von dir auf mich zu übertragen.«
Ich nickte knapp, wunderte mich aber über diese große Hilfsbereitschaft. Erstmal passiere gar nichts außer das ich wirklich zusehen konnte wie meine blauen Flecken einfach verschwanden. Dann wanderten ihre Hände genau über meine Rippen und verweilten dort. Ihr Blick traf meinen und fesselte mich. Eine Hitzewelle durchfuhr mich und dann fing ich an zu schreien. Sie arbeitete sorgfältig, zügig und es dauerte kaum eine Minute. Doch danach drehte ich mich schwer atmend von ihr weg und hielt mir die Seite. Ich wollte nicht, dass sie mich weinen sah. Der Schmerz hallte noch wellenförmig in mir nach. Als ich ihre Hand auf meine Schulter verspürte, wurden die schmerzhaften Wellen flacher. Ich drehte mich wieder zu ihr um und vernahm ein kaum merkliches Zittern in ihrem Körper. Ich stieß ihre Hand weg. Sie sollte das nicht für mich tun. Immerhin hatten mir dieser Louis und Steve die Rippen gebrochen, nicht sie. Die schmerzhaften Wellen durchzogen wieder meinen Körper.
»Es geht schon«, log ich und sie half mir beim Aufrichten. »Ich wusste nicht, dass man mit Farbmagie heilen kann.«
»Es gibt einiges was in den Schulen darüber nicht gelehrt wird«, antwortete sie.
Ich senkte den Blick zu Boden.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Ach nichts, ich bin nur nie zur Schule gegangen.«
»Achso, hattest du Privatunterricht bei deinen Eltern?«, fragte sie freundlich.
»Nein, meine Familie ist lange fort.«
Schweigen.
»Oh, das tut mir Leid.«
Plötzlich durchschnitt ein Lichtblitz die Dunkelheit, die allmählich dem Sonnenaufgang wich. Sofort verschwanden die Augen der Frau hinter ihrem schattenhaften Schleier. Ich musste meine Augen zusammenkneifen, da meine neu gewonnen Nachtsicht sich erst noch an die herannahende Taschenlampe gewöhnen musste.
»Hallo? Hier ist die Polizei. Es wurden Schreie am Fluss gemeldet«, schallte eine männliche Stimme zwischen den Bäumen hindurch.
Ich drehte mich zu der Silhouette, doch sie war fort. Nun wurde die Taschenlampe direkt auf mich gerichtet.
»Ach hallo Jackson«, sagte der junge Mann.
»Hallo Steve«, entgegnete ich tonlos.
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