365
[Ein Jahr später]
Alan's POV
Ich sah mir gerade einige Akten vergangener Fälle an, da entdeckte ich eine, die mir besonders ins Auge stieß. Es war eine grüne Akte, was bedeutete, dass der Fall bereits abgeschlossen war, aber sie war falsch einsortiert, sodass sie die einzige grüne zwischen vielen beigefarbenen war. Sie war ziemlich weit oben im Regal, sodass ich mich Strecken musste, um sie zu erreichen.
Wie konnte man die Akte nur falsch einsortieren?
Ich schlug die erste Seite auf und sah sie mir an. Es war ein Selbstmord aufgrund häuslicher Gewalt von vor einem Jahr. Ich blätterte weiter und überflog die Seiten. Der Freund musste wohl etwas gegen ihren Kumpel gehabt haben.
Nun kam ich zum Profil des Opfers: weiblich, 21 Jahre alt, einen Bruder. Beide Eltern im Einzelhandel tätig. ,,Anastasia Brook", las ich laut vor.
,,Achja. Ich erinnere mich an diesen Fall. Es war ziemlich eindeutig."
Ich drehte mich herum und sah Ray aus der Spurensicherung. Mir lief ein Schauer den Rücken herunter, als ich seine schwarzen gegelten Haare und sein perfektes Lächeln sah. Ich wusste, dass er etwas gegen mich hatte, da ich weitaus jünger als er war, aber trotzdem sein Vorgesetzter wurde, als ich hierher versetzt wurde.
Ich konnte allerding seine Meinung über mich gut ausblenden. Trotzdem mochte ich ihn nicht sonderlich. Allerdings machte er seine Arbeit gut.
,,Was weißt du noch darüber?", fragte ich.
,,Der Freund hatte ein Problem mit ihrem Kumpel. Der hieß Chris, oder so ähnlich", erwiderte er.
,,Chester Laurens?", fragte ich. Ich hatte den Namen kurz in der Akte gesehen.
,,Ja, genau. Der Freund jedenfalls hatte gedacht, dass er ihm seine Freundin ausspannen wollte, dabei stand der auf Typen. Wenn du mich fragst, steckten die da beide dahinter, aber die Tunte kam natürlich frei. Die Leute sind so fixiert auf ihre Gleichbehandlung, dass sie die Wahrheit vergessen. Und Ich sage dir, wenn sie ihn als schuldig erklärt hätten, wäre die Öffentlichkeit auf die Barrikaden gegangen."
,,Okay, danke Ray. Ich glaube den Rest kann ich mir selbst aus der Akte herauslesen", unterbrach ich seinen selbstgerechten Meinungsvortrag. Natürlich verstand er meinen Wink mit dem Zaunspfahl nicht.
,,Klar, kein Problem. Wir sehen uns. Ach eins noch: Warum interessiert der Fall dich so?"
,,Er war falsch einsortiert und ich habe ein komisches Gefühl dabei."
,,Wieder eins deiner Gefühle? Und ich dachte, du hättest die Schule und das Studium früher abgeschlossen, weil du schlau bist, aber du hast es wohl nur mit 'Gefühlen' durchgeschafft, Detective Inspector."
Damit verließ er das Archiv. Innerlich verdrehte ich die Augen.
,,Idiot", murmelte ich vor mir her.
___
Der Fall ließ mich in den letzten Tagen einfach nicht in Ruhe. Den ganzen Tag musste ich darüber nachdenken.
,,Alan, dein Essen wird kalt", erinnerte mich Madeline.
,,Oh, danke Schatz. Tut mir leid, die Arbeit lässt mich in letzter Zeit einfach nicht entkommen", entschuldigte ich mich bei meiner Frau.
,,Ist schon in Ordnung", lächelte sie. Sie strich eine ihrer braunen Strähnen hinter ihr Ohr zurück. ,,Aber bitte konzentriere dich jetzt erstmal auf das hier und jetzt."
___
Einige Tage später stand ich vor der roten Haustür von Chester Laurens und klingelte. Das Haus hatte nur eine Etage und war weiß gestrichen. Die Fensterrahmen waren aus Holz und wirkten schon etwas älter. Im Vorgarten blüten die verschiedensten Wildblumen.
Ein Mann, etwas jünger als ich, mit dunklen Locken und einem leichten Teint öffnete mir.
,,Hallo, sind Sie Chester Laurens?", fragte ich.
Sein Nicken bestätigte meine Vermutung: ,,Ja, der bin ich."
Er sah mich fragend an. ,,Was kann ich für Sie tun?
,,Ich bin Detective Inspector Alan Lewis. Ich habe mir die Akte ihrer Freundin Anastasia Brook durchgelesen und hätte gerne noch ein paar Informationen von Ihnen", erklärte ich.
,,Kommen Sie rein", erwiderte er und öffnete die Tür etwas weiter für mich. Ich trat ein.
,,Ich dachte, die Polizei hätte den Fall bereits abgeschlossen", sagte er dann, während ich ihm in das Wohnzimmer folgte.
,,Offiziell hat sie das auch", antwortete ich etwas nuschelnd, ,,Aber ich denke, dass noch mehr dahinter stecken muss."
,,Sie sind also privat hier, Inspektor?", fragte er mich.
,,Vorerst ja, aber falls sich herausstellt, dass ich recht habe, wird sich das ändern", erklärte ich.
Er nickte.
,,Setzten Sie sich. Möchten Sie etwas trinken?"
Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein danke."
Ich nahm auf dem beigen Sofa platz, dass mir einen Überblick über den Raum verschaffte. In der Ecke stand ein Schreibtisch, der mit Büchern und Zetteln bedeckt war. Das Fenster darüber war kaputt und nur notdürftig mit Karton abgedeckt. Auf dem Kaminsims, der sich rechts von mir befand, lagen einige Rechnungen. Vor mir stand ein niedriger, gläserner Couchtisch, der schon etwas zerkratzt war und in der Mitte stand ein kleiner Esstisch. Trotz der Umstände, sah alles relativ sauber aus.
,,Also, Mr. Laurens, wir kommt es, dass Sie sich so ein Haus leisten können?"
Bevor er antwortete setzte er sich mir gegenüber in einen Sessel: ,,Meine Eltern haben es mir überlassen. Und bitte, nennen Sie mich Chester. Mr. Laurens ist der Name meines Vaters."
,,Haben Sie ein schlechtes Verhältnis zu Ihren Eltern, Chester?", fragte ich dann.
,,Zu meinem Vater ja, meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben", erklärte er.
,,Mein Beileid", erwiderte ich.
,,Danke."
,,Sie verfolgt wohl in letzter Zeit das Pech", merkte ich an.
,,Nicht nur in letzter Zeit", erwiderte er, was mich neugierig machte. Ich wollte herausfinden, was der Grund für seine andauernde Pechsträhne war und musste mich dafür etwas aus dem sinnbildlichen Fenster herauslehnen.
,,Chester, darf ich Sie etwas persönliches fragen?"
,,Ja, in Ordnung", antwortete er.
,,Sind Sie homosexuell? Sie müssen nicht antworten, wenn Sie nicht wollen."
,,Oh. Gleich so direkt?" Er lachte leise. ,,Nein. Wissen Sie, mir ist es egal, in welcher Hülle der Mensch auf der Welt wandelt. Alle suchen Liebe."
,,Mmh... Da haben Sie recht."
Ich dachte nach. ,,Als Anastasia sich damals das Leben genommen hat, haben Sie meinen Kollegen gesagt, dass sie häusliche Gewalt von ihrem damaligen Freund erlitten hatte, stimmt das?"
,,Nein, Nastie hatte zwar Gewalt über sich ergehen lassen müssen, aber sie wollte mir nie sagen, von wem. Ich weiß nicht, ob es Luke war", sagte er.
,,Aber er wurde als schuldig erklärt und hat 16 Monate Haft bekommen, wenn ich mich richtig erinnere", erwiderte ich.
,,Das stimmt zwar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er es getan haben sollte. Er konnte mich zwar nicht leiden, aber Nastie hat er wirklich geliebt. So habe ich das zumindest empfunden."
Ich nickte nachdenklich.
,,Hatten Sie eine Affäre mit Anastasia?"
,,Was? Nein, keines Falls", erwiderte er etwas erschrocken. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich ihm glauben sollte, doch ich beließ es vorerst dabei.
,,Wer könnte ihrer Meinung nach so etwas Anastasia angetan haben?"
Er starrte mich an. Direkt in die Augen, obwohl es aussah, als würde sich alles in ihm dagegen sträuben. Er wirkte, als würde er mit aller Kraft versuchen das Weinen zu unterdrücken. Seine Stimme begann zu zittern: ,,Das habe ich auch schon letztes Jahr erzählt."
,,Bitte tun Sie es nochmal für mich." Ich versuchte ihn zu beruhigen. ,,Ich sehe, dass das schwer für Sie ist."
Er atmete tief ein. ,,Ich hatte schon immer Probleme mit Mobbing. Nastie hat... Nastie hat immer versucht, mich zu beschützen und ist dabei auch manchmal zwischen die Fronten geraten", erklärte er. ,,Dabei kam es auch ab und an mal zu Drohungen."
,,Von wem?", wollte ich wissen.
,,Das nützt Ihnen nichts. Ich habe das schon letztes Jahr erzählt und er hatte ein Alibi an diesem Abend." Er war aufgestanden, während er das gesagt hatte und lief aufgeregt im Raum auf und ab.
,,Wer? Wer hatte ein Alibi?", fragte ich weiter. Ich stand auf, packte ihn an der Schulter und drehte ihn zu mir, sodass er mich wieder ansah. In seinen braunen Augen lag so eine Trauer.
,,Es war meine Schuld", sagte er.
,,Chester, wer hat Anastasia bedroht?" Ich sah ihn eindringlich an.
,,Brian Thompson. Der Sohn des ehemaligen Stadtratmitgliedes Thompson", rückte er schließlich raus.
,,Danke, Chester." sagte ich. ,,Ich werde mich darum kümmern."
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