Kapitel 2
Auf dem Weg zum Tatort holte Hanna sich noch einen Kaffee und ging vor Ort nochmal die Fallakte durch, bevor sie sich das Gebäude in dem es passiert war, näher ansah.
Es war ein altes Gebäude. Fast alle Fenster wurden durch Steine oder Feuerwerkskörper kaputtgeschlagen und die Betonpfeiler sahen aus als würden sie gleich einstürzen.
Vorsichtig schob Hanna die Tatortabsperrung zur Seite und drückte die zerfressene Holztür des Gebäudes auf. Es war schon fast Nacht und die wenigen Lichtstrahlen kamen selbst durch die zerbrochenen Fenster nicht wirklich durch. Hanna zückte also ihre Taschenlampe und ging den schmalen Gang entlang der sie, laut Beschreibung, direkt zum Tatort führen sollte.
Schon nach der Hälfte des Weges, konnte sie die Tatortstrahler sehen, welche den gesamten Raum erleuchteten in dem der Mord passiert war.
Nach wenigen Sekunden hatte sie den Raum erreicht. Sie schaute sich im Zimmer um, es war nicht sehr groß und auch die Einrichtung war eher spärlich. Außer ein verstaubter Tisch und ein kaputtes Regal gab es nicht viel zu sehen und Hanna trat vorsichtig einen Fuß vor den anderen und ging langsam den Raum ab. Alle materiellen Hinweise hatte die Spurensuche schon mitgenommen. Hanna musste sich also heute erstmal nur mit den Hinweisen zufriedengeben, welche nicht so leicht zu transportieren waren.
Zum Glück hatte das Team der Spurensuche die Markierungen für die Hinweise stehen lassen und so konnte sich Hanna zuallererst diesen widmen.
„Was ist hier nur passiert?“, sprach Hanna zu sich selbst und ging zur ersten Markierung. Auf dem Boden war Blut und davon nicht gerade wenig, es zog sich eine Spur bis zu dem verstaubten Tisch. Sobald Hanna daneben stand erkannte sie so etwas wie Kratzspuren in der Tischoberfläche und fuhr langsam mit ihren Fingern darüber.
„Solche Kratzer…. Das schafft kein Mensch, das sieht eher aus wie die Spur eines Tieres.“, sprach Hanna wieder mit sich selbst. Der Mord ist erst vor ein paar Stunden passiert, also wird sie morgen hoffentlich mehr Antworten haben als das Bild von einer Leiche ohne Leber. Sobald Hanna auch nur an dieses Foto dachte drehte sich ihr der Magen um und sie schüttelte sich, bevor sie nach weiteren Hinweisen suchte.
Auf der anderen Seite des Raumes, fand sie weitere Blutspuren und zwei Eisenringe in der Wand an die man üblicherweise Ketten hing. Vorsichtig fuhr sie mit ihren Fingern die verrosteten Ringe ab und spürte einige Stellen, an denen der Rost abgeblättert war.
Hanna untersuchte den Raum noch weiter, als auf einmal ein Geräusch aus dem Zimmer nebenan sie aufschrecken ließ.
„Hallo?“, flüsterte sie erst und ließ ihre Hand auf das Holster gleiten, wo sie sofort die Waffe fühlte.
„Hallo? Jemand hier?“, fragte sie nun etwas lauter. Keine Antwort.
„Wer auch immer hier ist, sie dürfen das Gelände nicht betreten. Die Polizei ermittelt hier in einem Mordfall und die Absperrung sollte ihnen auch einen Hinweis darauf gegeben haben.“, sagte Hanna nun bestimmt und ging immer weiter in Richtung des Geräuschs. Noch immer keine Reaktion. Mittlerweile hatte sie sich ihre Waffe aus der Halterung geholt und hielt sie seitlich an ihrer Hüfte fest. Hanna erstarrte, als sie nochmal das Geräusch von kaputtem Glas hörte.
Sofort blieb sie wie angewurzelt stehen und ließ nur ihren Kopf in die Richtung schweifen, aus der sie das Geräusch gehört hatte.
„Ich gebe ihnen noch eine letzte Chance. Kommen sie jetzt raus und ich werde ihnen keine Handschellen anlegen und sie auch nicht mit aufs Revier nehmen. Sie haben die Wahl.“, meinte Hanna unruhig und traute sich wieder ein Stück weiterzugehen. In der Zwischenzeit hatte sie ihre Waffe schon auf Brusthöhe und öffnete die knarzende Tür des gegenüberliegenden Raumes.
„Ich weiß, dass sie hier sind. Sie waren nicht gerade leise.“, versuchte Hanna so gelassen wie möglich zu sagen. Ihr Blick blieb auf einem Schatten in der hinteren Ecke stehen, welcher einen Hut trug und fast die gleiche Größe hatte wie sie selbst. Das Licht der Tatortscheinwerfer reichte nicht bis hier hin und sie blieb mit genügend Abstand zur Person stehen.
„Treten sie aus dem Schatten.“, forderte Hanna auf. Keine Reaktion.
„Ich sage es nicht noch einmal. Treten sie aus dem Schatten und Hände hinter den Kopf.“, sagte sie nun etwas forscher und hatte ihre Waffe mittlerweile auf Augenhöhe auf die Person im Schatten gerichtet. Immer noch nichts.
Hanna wurde langsam ungeduldig und ging näher heran.
„Gut. Wir können das auch auf die harte Tour erledigen.“, meinte Hanna knapp und war kurz davor der Person eine Hand auf die Schulter zu legen und sie aus der Ecke zu ziehen, doch genau in dem Moment bewegte sich etwas zu ihren Füßen und sie schrie auf.
„Ahh. Ilie, geht weg von mir!“, schrie Hanna, sie hatte ihre Taschenlampe gegriffen und leuchtete nun auf den Boden, wo sie kleine Schwänze hinter der nächsten Ecke verschwinden sah.
„Na toll. Ratten.“
Sie leuchtete weiter in die Richtung in der die Ratten verschwunden waren und merkte dadurch nicht, wie sich hinter ihr etwas bewegte.
Auf einmal gab es einen lauten Knall und Hanna sprang vor Schreck in die Luft, bevor sie sich umdrehte und sah was den Schatten geworfen hatte und was sie für eine lebende Person gehalten hatte.
Es war ein Kleiderständer, schon verrostet und alt. Nur ein Hut und ein durchlöcherter und abgenutzter Kittel hangen daran.
Nachdem sich Hanna wieder beruhigt hatte, lief sie zurück in das Zimmer des Mordes und machte von den Spuren und Hinweisen die sie gefunden hatte Fotos.
„Und jetzt nichts wie raus hier. Ich will keine Minute länger als nötig hierbleiben.“, sprach Hanna wieder gedanklich zu sich selbst und huschte unter dem Absperrband hindurch. In der Zwischenzeit war es schon dunkel geworden und die Straßenlaternen waren angegangen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet Hanna, dass es noch nicht mal 19 Uhr war. Auf dem Weg zu ihrem Auto holte sie ihr Handy heraus und wählte die Nummer des Kaptains. Es klingelte nur einmal und schon hörte Hanna die raue Stimme ihres Vorgesetzten am anderen Ende der Leitung.
„Kaptain. Entschuldigen sie die späte Störung. Ich wollte ihnen nur sagen, dass ich beim Tatort war und noch einige Spuren gefunden habe. Die Fotos sind auf meinem Handy. Ich werde gleich morgen früh zur Forensik gehen und mir den Rest der Infos holen die ich brauche.", schilderte sie Kaptain Frazer. Dieser atmete erleichtert auf und räusperte sich bevor er sprach:
„Gut gemacht Detektiv Wilson. Kommen sie morgen nachdem sie die Forensik besucht haben nochmal zu mir und wir besprechen ihr weiteres Vorgehen.“, antwortete er ruhig aber bestimmt.
„Natürlich, Sir. Dann wünsche ich ihnen noch einen entspannten Abend. Bis morgen.“, verabschiedete sich Hanna und legte auf. Im Laufe des Gesprächs hatte Hanna auch schon ihr Auto erreicht und setzte sich hinter das Steuer. Kaum schaltete sie den Motor an klingelte ihr Telefon auch schon wieder. Es war Jenna.
„Wo steckst du denn? Gale hat uns gesagt wir brauchen nicht auf dich zu warten. Haben wir etwa einen neuen Fall?“, fragte Jenna ganz aufgeregt und Hanna konnte ihre Freude sogar durchs Telefon spüren.
„Ich erkläre euch alles, wenn ich da bin.“, versuchte sie Jenna zu beruhigen.
„Na schön. Dann komm zu Connolly's. Wir sitzen an unserem Stammtisch.“, meinte Jenna nun ein bisschen schnippisch.
„Gut ich bin gleich da.“, sagte Hanna knapp und legte auf.
Kurze Zeit später saß sie mit ihren Freunden an ihrem üblichen Tisch im Connolly's und jeder hatte ein Bier vor sich zu stehen.
„Los Hanna, jetzt erzähl schon, was ist das für ein neuer Fall an dem wir arbeiten?“, fragte Jenna ganz aufgeregt und nun schauten auch Luke und Kai sie fragend an.
„Ihr werdet echt nicht locker lassen oder?“, fragte Hanna, sichtlich unschlüssig und alle drei schüttelten synchron den Kopf.
„Na schön.“, sagte sie seufzend, stellte ihr Bier zurück auf den Tisch und erzählte ihrem Team, alles was heute Nachmittag vorgefallen war.
„Wer hängt denn einen total zerfressenen Kittel auf einen Kleiderständer? Also ich würde den wegschmeißen.“, meinte Luke nachdem Hanna zu Ende erzählt hatte.
„Luke, willst du mich verarschen. Hanna erzählt von einer Leiche ohne Leber und das Erste was dir in den Sinn kommt ist der Kleiderständer mit Hut und Kittel der umgefallen ist.“, fuhr Jenna ihn an und flüsterte dann zu Kai und Hanna:
„Er hatte wohl zu viel Bier.“
Hanna und Kai schauten schmunzelnd zurück zu Luke der gerade an seiner Bierflasche nippte.
„So Leute. Für mich ist hier jetzt Feierabend. Wir sehen uns morgen, wenn du mit dem Kaptain gesprochen hast.“, meldete sich Kai nach wenigen Sekunden und zog sich beim Aufstehen seine Jacke über.
„Na schön. Du hast recht. Es ist schon spät, wir sollten uns vermutlich alle ein bisschen hinlegen. Heute war ein anstrengender Tag.“, gestand sich auch Jenna ein und warf sich ihre Tasche über die Schulter.
„Geht ihr nur schon. Ich bringe Luke noch nach Hause. Wir sehen uns morgen.“, verabschiedete sich auch Hanna von den beiden und half Luke auf die Rücksitzbank ihres Wagens, nachdem sie Connolly’s verließen.
„Wehe du kotzt mir ins Auto. Dann darfst du den Mist auch allein wieder sauber machen.“, versuchte sie den betrunkenen Luke zu erklären, welchen sie durch den Rückspiegel beobachtete. Dieser nickte nur und streckte sich auf der Rücksitzbank voll aus. Seufzend und gleichzeitig lächelnd, ließ Hanna den Motor an und fuhr Luke nach Hause.
War das erledigt, kam sie auch endlich zu Hause an. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es schon fast Mitternacht war. Sie ließ ihre Tasche nur noch auf die Couch im Wohnzimmer gleiten, rieb sich müde die Augen, fand den Weg ins Schlafzimmer, ließ sich erschöpft auf das Bett fallen und schlief seelenruhig ein.
§
E
in neuer Tag hatte begonnen und Hanna lag noch genauso, wie sie sich gestern aufs Bett fallen ließ, da. Das schrille Piepen ihres Weckers riss sie aus dem Schlaf und augenblicklich ist sie aus dem Bett gesprungen.
„Ich bin wach… bin wach.“, schrie sie fast, noch wie in Trance und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Wenig später stellte sie fest, dass sie es gestern nicht mehr aus ihren Arbeitsklamotten geschafft hatte und ging geradewegs ins Bad um sich frischzumachen.
Frisch geduscht und munter holte Hanna sich noch einen frischen Kaffee aus der Küche, schnappte sich ihre Tasche mit der Fallakte und saß innerhalb von 45 Minuten in ihrem Wagen.
Hanna ließ den Motor an und nahm einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher, bevor sie auf das Revier fuhr. Angekommen stellte sie ihre Tasche in ihrem Büro ab, begrüßte Gale und machte sich auf den Weg zur Forensik.
„Wie sieht’s aus, Paula?“, fragte Hanna direkt, als sie die Tür zum Forensiklabor aufstieß.
„Auch ihnen einen guten Morgen Detektiv Wilson.“, begrüßte die forensische Wissenschaftlerin sie mit einem sarkastischen Unterton und schaute dabei durch ein Mikroskop. Hanna ging nicht weiter darauf ein und kam direkt zur Sache.
„Haben sie schon die Untersuchungen des Peter Coleman Falls?“, fragte sie direkt und verschränkte dabei die Arme.
„Jap. Sie liegen da drüben auf dem Tisch. Die Leiche ist gleich nebenan falls sie selber nochmal einen Blick drauf werfen wollen.“, antwortete Paula ohne den Blick von ihrem Mikroskop abzuwenden. Hanna ging zu der Mappe die auf dem Tisch neben ihr lag und blätterte sie kurz durch.
„Wenn es ihnen nichts ausmacht würde ich die Mappe gern mitnehmen und-“, fing Hanna an, doch sie wurde von ihrem Praktikanten unterbrochen der durch die Tür gestürmt kam.
„Kaptain Frazer will sie so schnell es geht in seinem Büro sehen.“, meinte Gale völlig außer Atem.
„Sagen sie ihm ich komme so schnell es geht. Achso und wenn sie schonmal hier sind könnten sie diese Mappe hier einmal kopieren und auf meinen Schreibtisch legen, die Originale kommt bitte wieder hier her zurück und beauftragen sie die Beweismittelabteilung damit mir alle Hinweise und Spuren zum Peter Coleman Fall ins Büro zu bringen. Vielen Dank.“, forderte Hanna von Gale und drückte ihm die Mappe mit den forensischen Ergebnissen in die Hand. Ohne ein weiteres Wort eilte Gale zurück um die Dinge zu erledigen, welche Hanna von ihm verlangt hatte.
„In der Mappe stehen schon alle forensischen Ergebnisse zur Leiche drin. Wenn sie also-“, fing Paula an, doch Hanna unterbrach sie sofort:
„Ich werde so oder so nochmal vorbeikommen und mir die Leiche ansehen. Aber jetzt muss ich erstmal zum Kaptain. Wenn es ihnen nichts ausmacht würde ich nachher nochmal wiederkommen.“
Paula nickte nur kurz und schon war Hanna aus dem Raum geeilt und auf dem Weg zum Büro des Kaptains.
Schnell lief sie durch das halbe Revier, bevor sie ihre Kleidung vor der Bürotür ihres Vorgesetzten noch einmal glattstrich und höflich klopfte.
„Herein!“, drang eine tiefe Stimme aus dem Zimmer und Hanna öffnete langsam die Tür.
„Sir. Sie wollten mich sprechen?“, fragte Hanna verlegen und stand nun direkt vor dem Schreibtisch von Kaptain Frazer. Er war gerade dabei Unterlagen zu sichten und seine Unterschrift unter ein paar der Dokumente zu setzten. Schweigend nickte er nur und deutete Hanna an, auf einen der Stühle vor seinem Tisch Platz zu nehmen. Brav und ohne Widerworte setzte sie sich hin und faltete ihre Hände auf ihrem Schoß.
„Ich habe sie zu mir gebeten, da ich mich mit ihnen zu dem Peter Coleman Fall beraten möchte.“, antwortete Frazer knapp und man konnte förmlich hören wie Hanna der Stein vom Herzen fiel als er das sagte. Schnell, um sich nichts anmerken zu lassen räusperte sie sich kurz und setzte sich auf.
„Aber natürlich.“, antwortete Hanna professionell.
„Haben sie schon einen Plan wie sie verfahren wollen?“, fragte der Kaptain und unterzeichnete noch weitere Dokumente auf seinem Tisch.
„Nun ja. Ich fange ja heute erst richtig an. Ich muss erstmal das Beweismaterial sichten und mich mit der Situation vertraut machen, welche ich vor mir zu liegen habe. Dann muss ich noch die Leiche untersuchen und mich den Fotos und Daten widmen. Außerdem-“, fing Hanna an zu erklären und merkte gar nicht wie sie immer schneller beim Erzählen wurde, geschweige denn wie sie mit ihrer Stimme immer eine Oktave höher rutschte.
„Ich möchte sie da gleich einmal unterbrechen Detektiv Wilson. Sie haben mir gerade alles aufgezählt was sie noch vor sich haben und wie sie anfangen wollen.“, unterbrach der Kaptain sie. Verlegen nickte Hanna nur.
„Na dann tun sie es auch. Ich wollte nur von ihnen wissen ob sie schon einen Plan haben was sie jetzt tun werden und augenscheinlich haben sie schon eine komplette ToDo-Liste angefertigt…. Dann möchte ich sie gar nicht weiter aufhalten. Starten sie mit den Untersuchungen und Sichtungen des Beweismaterials. Das ist ein guter Anfang.“, erklärte er weiter und schaute Hanna dafür sogar an. Sobald er fertig war, landeten seine Augen wieder auf dem Blattpapier auf seinem Schreibtisch und schenkten Hanna keinerlei Beachtung mehr. Wegen des Kompliments konnte Hanna nur schmunzeln und wartete nun nur noch darauf, dass sie der Kaptain wieder wegschickte. Als könnte er Hannas Gedanken lesen sagte er:
„Wegtreten.“, und zeigte nur kurz mit seinem Stift zur Tür.
Sie verließ sein Büro, atmete einmal tief durch und ging in ihr Büro zurück, in dem Gale hinter seinem provisorischen Schreibtisch saß und arbeitete.
„Haben sie alles veranlasst was ich ihnen aufgetragen hatte?“, fragte Hanna noch bevor sie an ihrem Schreibtisch saß und die kopierte Fallakte dort liegen sah.
„Ja. Das Original liegt wieder in der Forensik und die Beweismaterialien müssten jeden Augenblick hier sein. Kaum sprach Gale es aus, klopfte es auch schon an ihrer Tür und ein kleiner, relativ dünner Mann hielt eine Kiste in der Hand.
„Kommen sie rein. Stellen sie es einfach hier auf meinen Tisch.“, befahl Hanna dem jungen Mann, welcher ihre Aufforderung sofort umsetzte und mit einem kurzen Nicken auch schon wieder verschwand.
„Na dann mal los. Was haben wir denn hier?“, fing Hanna an und kramte in der Box mit den Beweismaterialien. Sie zog zuerst einige Tüten mit Beschriftungen heraus, sowie eine dünne Akte zu Peter Coleman selbst und einzelne Fotos. Die Kiste war damit leer und sie stellte sie auf den Boden um auf ihrem Schreibtisch mehr Platz zu haben. Dann legte sie die Tüten nebeneinander auf ihren Tisch und die Personenakte darunter.
„Gale? Sie können sich, wenn sie wollen, mit dem Autopsiebericht aus der Forensik beschäftigen. Ich hatte ihnen versprochen beim nächsten Fall mitmachen zu dürfen und dieses Versprächen halte ich.“, sagte Hanna zu ihrem Praktikanten, hielt ihm die Akte hin und schaute währenddessen schonmal auf die anderen Beweisstücke.
Ohne die Chance verstreichen zu lassen griff Gale so schnell es ging nach dem, zuvor von ihm kopierten, Bericht und setzte sich grinsend an seinen Schreibtisch zurück.
Hanna konnte über dieses Verhalten nur schmunzeln. Sie war früher schließlich nicht anders. Wenn sie die Chance auf einen Fall hatte, nahm sie diese immer an.
Sie konzentrierte sich wieder auf das Beweismaterial vor ihrer Nase, zog sich vorher Handschuhe an und begann die einzelnen Hinweise zu untersuchen.
Zuerst nahm sie sich das Handy vor und untersuchte die Kontakte. Nebenbei schlug sie schon die Personalakte vom Opfer auf und sah vier übereinstimmende Namen.
Aiden Coleman, Mark Coleman, Elijah Coleman und Zoe Montgomery. Schnell nahm sie sich einen Zettel und schrieb sich diese Namen auf. Laut Akte waren die drei Männer die Brüder des Opfers, aber zu Zoe gab es keine Angaben.
„Vielleicht die Freundin oder sowas.“, flüsterte Hanna zu sich selbst und machte am Rand des Zettels eine Notiz dazu.
Vorsichtig legte sie das Telefon wieder in die Tüte und packte sie zurück in die Kiste. Sofort nahm sie sich das nächste Tütchen mit der Beschriftung: Rattenkralle.
Die Zahnräder in Hannas Kopf ratterten und wenige Sekunden später hatte sie das fehlende Puzzleteile in ihren Erinnerungen gefunden. Augenblicklich durchsuchte sie die Fotos die sie beiseitegelegt hatte und fand kurz darauf genau das was sie gesucht hatte.
Auf dem Bild war der verstaubte Tisch vom Tatort zu sehen, doch der Fokus galt nicht dem Tisch, sondern den Kratzspuren auf der Oberfläche. Triumphierend legte sie das Foto neben die Rattenkralle und stellte eine gewisse Ähnlichkeit fest.
„Gale?“, fragte Hanna knapp ohne aufzusehen.
„Ja?“, antwortete Gale fragend und ließ seinen Kopf nach oben schnellen.
„Haben sie in dem Autopsiebericht etwas über ein Tier gelesen, genauer gesagt über eine Ratte?“, erkundigte sie sich weiter.
„Äh, ja. Sie vermuten, dass die Ratte einen Teil der Leber aufgefressen hat.“, gab Gale zurück und verzog angewidert sein Gesicht.
„Können Ratten so etwas überhaupt?“, fragte er mehr sich selbst als Hanna.
„Kommt drauf an, wenn sie so gezüchtet wurden kann alles sein.“, gab sie ihm eine ernste Antwort und sah dabei kein einziges Mal von ihren Unterlagen auf.
„Danke Gale. Sie dürfen dann weitermachen.“
Sie sah aus dem Augenwinkel nur noch wie er nickte und wendete sich dann auch schon dem nächsten und letzten Beweismittel zu nachdem sie die Rattenkralle wieder ordnungsgemäß in der Tüte verschloss und in die Kiste packte.
Jetzt war die Kleidung dran. Hanna nahm sie aus der Tüte und schaute sich das T-Shirt genauer an. An der Stelle wo im Körper die Leber ist, war ein großes Loch im T-Shirt. Es sah sauber rausgeschnitten aus. Das T-Shirt an sich war, bis auf ein paar kleine Blutflecken sauber und roch nach teurem Aftershave. An der Hose konnte sie auch nichts weiter finden und schon nach ein paar Minuten hatte sie alle Beweismaterialen soweit wieder verstaut, dass nur noch die Akte von Peter Coleman auf ihrem Tisch lag.
Kurz überflog sie das Dokument und schüttelte traurig den Kopf.
„28 Jahre. Der Mann war zwei Jahre jünger als ich und ist in die Hände von einem verdammten Psychopathen gefallen. Er hat noch nicht einmal sein Studium abgeschlossen.“, redete Hanna mit sich selbst.
„Tja. Dagegen kann man leider auch nichts mehr machen.“, erwiderte ihr eine Stimme und Hanna blickte erschrocken auf. In der Tür stand eine schlanke, große, hellhaarige Frau, besser bekannt als ihre beste Freundin und Mentorin Mona Smith und kam sogleich lächelnd auf Hanna zu.
„Was machst du denn hier?“, fragte Hanna ganz überrascht, klappte die Fallakte zu und legte sie zu dem anderen Beweismaterial in die Kiste zurück.
„Darf ich meine langjährige Freundin denn gar nicht besuchen und sie zum Mittagessen einladen?“, fragte Moa ironisch und lehnte sich lässig an die Wand.
„Doch klar. Hab mich nur gewundert. Um die Uhrzeit bist du doch normalerweise schon auf Streife.“, rechtfertigte sich Hanna verlegen.
„Ich bin heute nicht für den Außendienst eingeteilt worden. Also habe ich meinen Kaptain gefragt ob ich mal kurz rüber ins 16. Revier fahren darf und er hat ja gesagt. Also bin ich jetzt hier.“, erläuterte Mona grinsend und wippte von einem Fuß auf den anderen.
Sie und Hanna blickten sich nur vielsagend an und fingen gleichzeitig an zu lachen.
„Was ist denn so lustig, wenn ich fragen darf?“, meldete sich auf einmal Gale zu Wort.
„Oh, Entschuldigung... Mona das ist Gale. Gale das ist Mona. Sie war meine Mentorin als ich gerade neu bei der Polizei war.“, stellte Hanna ihre Freundin vor, welche kurz zu Gale rüber lief um ihm die Hand zu schütteln. Als sie sich wieder umdrehte schaute sie Hanna mit großen Augen an und formte mit dem Mund die Wörter: D-E-R I-S-T J-A S-Ü-ß.
Doch Hanna schüttelte nur wiederstrebend den Kopf und wollte nun so schnell es geht aus diesem Büro raus, damit das Gespräch nicht unangenehm werden konnte.
„Wollen wir dann Mittagessen oder willst du lieber noch hier bleiben und Gale dabei zusehen wie er arbeitet?“, versuchte sie schnell das Thema zu wechseln und hielt ihre Jacke schon in der Hand um gehen zu können.
„Also wenn du so fragst…“, fing Mona an, doch Hanna unterbrach sie schnell indem sie sie aus dem Raum drückte.
„Gale. Sie können auch Pause machen, wenn sie wollen. An der Seite von meinem Schreibtisch steht die Beweismittelkiste, da können sie auch nochmal reinschauen. Die Entscheidung überlass ich ganz ihnen.“, meinte sie noch zu Gale bevor sie die Tür hinter sich schloss und ihrer Freundin hinterhereilte.
Auf dem Weg zum Restaurant zog Mona Hanna immer wieder mit Gale auf und lachte sich kaputt über die Reaktionen ihrer Freundin.
„Halt die Klappe und guck auf die Straße beim Fahren.“, sagte Hanna nach einer Weile schnippisch und schon wusste Mona, dass sie das Thema Gale lieber nicht mehr ansprechen sollte.
Im Restaurant angekommen setzten die beiden sich an einen Tisch und bestellten wenige Minuten später auch schon ihre Gerichte.
„Dann erzähl mal. An welchem Fall bist du gerade dran?“, fragte Mona neugierig und stütze ihr Kinn auf ihre Handrücken. Hanna erzählte ich von ihrem letzten Fall und von dem Fall welchen sie gestern erst bekommen hatte.
„… Tja und so wie es bis jetzt aussieht, ist der Killer ein verdammter Psychopath mit einer leberauffressenden Ratte.“, beendete Hanna ihre Erzählung und Mona schüttelte sich dabei vor Eckel. In der Zwischenzeit wurde den Frauen ihr Essen gebracht, doch nachdem was Mona von Hanna gehört hatte wollte sie den Rest nicht mehr essen.
„Auf was für Fälle setzt euer Kaptain euch denn an?“, erkundigte sich Mona kopfschüttelnd.
Hanna zuckte nur vielsagend mit den Schultern und aß die letzten paar Nudeln von ihrem Teller auf.
„Wie kannst du da noch was essen? Ich meine…“, fing Mona an zu erzählen, doch Hanna schweifte mit ihrem Blick im Raum umher und fiel auf eine Frau die vor dem Restaurantfenster stand und genau in ihre Richtung guckte. Sie war blond, fast weißhaarig und trug eine Sonnenbrille, sodass Hanna nicht sehen konnte ob sie genau auf sie schaute.
„…Hallo! Hanna?! Bist du noch da?“, fuchtelte Mona vor Hannas Augen rum und holte sie damit in die Realität zurück.
„Oh, ja entschuldige. Was hast du gesagt?“, fragte Hanna verlegen und nippte an ihrem Kaffee. Sobald Mona wieder anfing zu erzählen, ließ sie ihren Blick zurück zum Fenster gleiten, doch die Frau war spurlos verschwunden.
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