30 - Das Flammenmeer des Drachen
Verlorene Hoffnung
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Kapitel 30
Vor der grauen Festung standen die Drachenseelen, aufgereiht nebeneinander in ihren dunklen Roben. Vin winkte Asten und Hidre zu, die neben ihnen standen und wandte sich dann Jerdan und Asteria zu, die mit ihr bis zum Ende des drachengesäumten Pfades gegangen waren.
»Ich habe eben mit Laja gesprochen«, meinte Asteria gerade. »Sie wird mir morgen schon einige Sachen beibringen. Und dann mal gucken, wie es danach weitergeht.«
Vin blickte in funkelnde Augen und sie drückte das jüngere Mädchen einmal kurz an sich. »Lass nicht zu, dass sie dich fertigmachen. Halt dich an Jerdan, Asten, Hidre und Laja.« Asteria nickte pflichtbewusst, ein kleines Lächeln zuckte in einem ihrer Mundwinkel. Das Mädchen würde sich nichts sagen lassen, da war Vin sich sicher. Es hatte sich in den Gassen ihres Heimatdorfes behaupten müssen, konnte sich anschleichen wie kein Zweiter und war nicht auf den Mund gefallen.
Die ehemalige Drachenreiterin schulterte ihr Gepäck - die Karte, die sie nächtelang studiert hatte, ihre alten Gewänder, die sie von Leana und Lloyd hatte sowie Proviant und eine Decke - und wandte sich dann Jerdan zu. »Lass mich mit dir kommen«, sagte er.
»Tut mir leid, Jerdan«, antwortete Vin mit einem Gewissensstich. »Aber das ist etwas, das ich alleine tun muss. Ich möchte nicht mein Ziel aus den Augen verlieren und das werde ich, wenn ich nicht alleine gehe.«
Er schloss kurz seine Augen, als wenn er bereits mit dieser Antwort gerechnet hatte. »Dann sei bitte doppelt so vorsichtig. Ich weiß nicht, ob ich mir je vergeben könnte, wenn dir etwas passiert.«
»Ich werde mich bemühen«, sagte sie, gerührt von den Sorgen, die Jerdan sich um sie machte. Ein Versprechen konnte sie ihm jedoch nicht geben, da sie nicht wusste, was sie auf ihrer Reise erwartete. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Ich weiß«, antwortete Jerdan und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Trotzdem.«
Zum Schluss wandte Vin sich Zara zu und sie konnte nicht verhindern, dass sie für einen Moment kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Zara war immer an ihrer Seite gewesen und als ihre Freundin einmal Gefangene des Königs gewesen war, hatte sie Vin sehr gefehlt. Wenn Atlas damals nicht an ihrer Seite gewesen wäre... sie war nicht sicher, ob sie den vermeintlichen Verlust hätte überwinden können.
»Wenn du ein wenig Zeit findest, kannst du vielleicht nach den Kürbissen sehen«, meinte Vin, um den Gedanken zu verjagen. Und dann lagen sie sich in den Armen und versuchten sich jeweils einzureden, dass sie sich bald wiedersahen und alles gut werden würde.
Irgendwann, die Zeit fühlte sich viel zu schnell veronnen an, trennten sie sich voneinander. Zara brach in Richtung Westen auf, während Kerys und Vin sich nach Osten wandten, wo irgendwo in weiter Ferne das Meer auf sie warten würde. Sie konnte spüren, wie sich ihr Herz zusammenknotete, als sie einen letzten Blick auf Drachenfeste warf. Es war nicht mehr derselbe Ort wie damals. Er hatte sich verändert, seit sie angekommen war und Vin musste sich eingestehen, dass sie das Gemäuer auch ein wenig vermissen würde - den Innenhof mit dem Springbrunnen, den Turm, von dem aus man über die endlosen Wiesen und Hügel blicken konnte, die Drachenstatuen, die den Eingang säumten und die sie immer an Atlas erinnerten. Vor allem aber die wenigen schönen Momente, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie sie dort sammeln würde.
Erst als Kallias seine kleinen Klauen sanft in ihre Schulter drückte, um nicht herunterzufallen, kam sie wieder in der Gegenwart an. Drachenfeste würde hoffentlich noch stehen, wenn sie wiederkam. Und sich nicht allzu sehr verändert haben.
Das leichte Rascheln des Grases unter ihren Schuhen begleitete sie auf ihrem Weg durch die flachen Hügel und Vin stellte fest, dass sich der Boden viel weicher anfühlte als noch vor einigen Monaten, als Katarlan von einer eisernen Dürre heimgesucht worden war. Kallias Atem blies ihr immer wieder eine Locke ins Gesicht, also war sie ständig dabei, ihr Haar wieder zurück hinters Ohr zu streichen. Um ehrlich zu sein, war sie auch froh, dass ihre Hand, die nicht den Riemen ihres Rucksacks umfasste, so etwas zu tun hatte und sich nicht schweißüberzogen immer und immer wieder zur Faust ballte.
Es herrschte kein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen, doch immer wieder warf Vin einen Blick zur Seite auf Kerys und hatte das Gefühl, hunderte von unausgesprochenen Worten loswerden zu müssen. Doch sobald sie eine Sekunde darüber nachdachte, wandte sie ihren Blick wieder auf den Boden vor sich und versuchte, an das zu denken, was vor ihr lag.
»Glaubst du, sie werden zurechtkommen?«
Vin war dankbar, dass er derjenige war, der die Stille unterbrach. Sie konnte ein Turnier meistern, doch mit Kerys allein zu sein und mit ihm zu reden, das kam ihr mit einem Mal wie eine noch größere Herausforderung vor. »Mit Sicherheit. Außerdem wollte ich nicht allzu lange fort sein. Ich weiß, wo Atlas sich aufhält, eigentlich ist es also keine große Suche. Zu ihm hin und wieder zurück. Ich hoffe, ich kann zurück sein, bevor irgendetwas passiert. Ich möchte nicht, dass mein Fehlen der Grund ist, dass andere es schwer haben.«
»Das gefällt mir gar nicht.«
»Tut mir leid, aber...« Erst dann merkte Vin, dass Kerys stehen geblieben war und in die Ferne blickte. In der Ferne, weit hinter den vielen Hügeln, die noch vor ihnen lagen, ragten einige Türme in die Höhe - eine kleine Stadt - und mehrere dunkle Rauchsäulen, die sich vor dem hellen Himmel emporwanden.
»Was ist das?«, fragte sie, eher an sich selbst gerichtet als an Kerys. Das war ja ein schöner Beginn ihrer Reise! »Ich will mir das ansehen.«
Es würde kein großer Umweg sein und Vin hätte kein gutes Gefühl dabei gehabt, nicht nachzusehen. Ganz besonders die Rauchsäulen ließen sie sich in Bewegung setzen. Rauchsäulen hießen Feuer. Und Feuer... nun, das konnte ein Menge heißen, aber Vins Erfahrungen mit Feuer hatten immer auch mit Drachen zu tun gehabt. Außerdem gruben sich die Krallen von Kallias tiefer in ihre Schulter - Angst oder Aufregung? Sie konnte es nicht genau sagen. Sie wusste nur, dass sie unbedingt nachgucken musste.
»Was heißt hier ›ich‹?«, fragte Kerys und schloss zu ihr auf. »Wir sind doch ein Team, oder nicht?«
Vin dachte daran, als sie ihn kennengelernt hatte, in dem Schloss seines Vaters. Wie er ihnen geholfen hatte. Dann daran, wie sie sich gemeinsam gegen die Drachenseelen zusammengeschlossen hatten. »Klar«, murmelte sie halbherzig, ihre Gedanken hingen wieder und wieder bei ihrem Gespräch auf dem Turm.
Es dauerte nicht lange, so schnell, wie sie liefen, bis sie nicht weit entfernt die Häuser der Stadt sehen konnten. Sie waren umsäumt von leicht blühenden Wiesen, auf denen wohl normalerweise Pferde oder Ziegen grasten, doch jetzt waren sie leer. Vin konnte sehen, dass alle Tiere geflüchtet waren bis an den Rand der Wiesen, dicht an einen Zaun gedrängt.
Kurz blieben sie unter dem großen Eingangstor stehen, das in die Stadt führte, um zu Atem zu kommen. »Es gab Zeiten, da war ich doppelt so schnell«, ärgerte sich Vin. Zum Beispiel bei dem Turnier, als sie zu Kallias gestürzt war.
»Ich glaube, wir wären sowieso zu spät gekommen. Die Häuser sehen so aus, als würden sie schon eine Weile brennen.«
Sie betraten die Stadt. Die vordersten Häuser waren schon zu einem Großteil in sich zusammengefallen, je weiter sie in Richtung Stadtmitte liefen, desto heller brannten die Gebäude. Sie waren wohl die letzten, die in Brand gesetzt wurden. Vin spürte einen Stich in ihrem Herzen. Dass das eigene Haus abbrannte, das wünschte sie niemandem. Insbesondere dann, wenn sich noch Familien darin befanden. Oder die Eltern eines Kindes, das alleine aufwachsen würde. Vin blieb stehen. Das knisternde Feuer zu ihren Seiten, Teile des Daches, die abbrachen und die herunterfielen, der Rauch, den sie einatmete... all das ließ ihre Gliedmaßen taub werden.
»Vin.« Hände umfassten ihre Arme, ein Gesicht tauchte vor ihren Augen auf, doch in den ersten Sekunden konnte sie es nicht zuordnen. Es war nur ein weiteres Gesicht, das sie in den Flammen verlieren würde.
»Vin!« Dieses Mal blinzelte sie und fand sich in der Gegenwart wieder, sah Kerys vor sich, der sie hielt. Ihre Beine waren wacklig und fühlten sich an, als würden sie im nächsten Moment einknicken. Irgendwann hatte sie wieder Gefühl in ihnen und traute sich, alleine zu stehen, doch ihr Atem ging noch immer schnell. »Ich habe Angst«, flüsterte sie.
»Wir können wieder gehen, wenn du möchtest. Zum Meer, so wie du wolltest. Weit weg von seltsamen Vorkommnissen«, sagte Kerys. »Weit weg vom Feuer«, fügte er hinzu, als dächte er erst jetzt darüber nach, dass das Feuer das Problem sein könnte.
»Nein. Nein, ich... ich würde es zu gerne löschen. Der Stadt helfen. Aber... was, wenn ich es nicht mehr kann?«, fragte sie. Was, wenn sie nicht mehr das Feuer kontrollieren konnte? Was, wenn sie es konnte, aber nur für kurze Zeit und ihre Magie, wankelmütig wie sie war, sie dann wieder im Stich ließ. Was, wenn sie nicht mehr immun gegen die Flammen war und im Feuer umkommen würde, so wie es in ihren Träumen geschah, so wie ihre Eltern?
»Wenn du an dir zweifelst, hast du schon verloren. Komm«, sagte Kerys und streckte eine Hand aus. Staub hatte sich auf seinem Gesicht abgelegt, doch seine Augen funkelten nach wie vor wie ein dunkler Nachthimmel. Vin ergriff seine Hand und gemeinsam traten sie den Weg entlang. Auf dem großen Platz stand zwar kein Uhrenturm, doch Vin befürchtete dennoch, dass eines der Gebäude auf den Platz und somit auf sie fallen würde. Der Rauch brannte ihr in den Augen doch sie wurde nicht langsamer, bis sie den Platz erreicht hatten, auf dem normalerweise Waren feilgeboten wurden.
Vin blieb stehen und zog Kerys zurück. »Du bleibst hier«, sagte sie und blickte zu ihm auf. »Du bist zu wichtig, als dass du dieses Risiko eingehen solltest.«
»Niemals wichtiger als du«, gab er zurück, aber er ließ ihre Hand los und ließ zu, dass sie den Marktplatz betrat, ihre Augen schloss und sich an das hochlodernde Feuer zu erinnern versuchte, das einst in ihr gebrannt hatte. Sie betrachtete ihr pulsierendes Leuchten in ihrem Inneren, der Quelle ihrer Magie. Es schlug stetig. Und Vin begann, an den Flammen zu ziehen, sie in ihre Richtung zu lenken.
Das Feuer tanzte immer wieder aus ihrem geistigen Griff fort, doch bewegte sich mit lautstarkem Brüllen auf sie zu, berührte ihre Haut und erlosch dann. Es verbrannte sie nicht. Es konnte ihr nichts anhaben.
Mit neuem Mut zog sie das nächste Feuer zu sich, weg von dem Haus, das es zu verschlingen drohte. Es zog sich einen brennenden Pfad über die Häuserwand und die Pflastersteine und hielt lodernd auf sie. Als es etwa die Hälfte des Platzes überquert hatte, verlangsamte es sich und brannte weiter an Ort und Stelle, suchte sich sein Futter in vertrockneten Blumen und hölzernen Marktständen, zerstörte alles, was es zu fassen bekam, um nicht zu erlöschen.
»Nein«, stöhnte Vin durch zusammengebissene Zähne. Sie verlor die Kontrolle über das Feuer. Ungehindert züngelte es um sie herum und fachte ihre Angst an, ihre Erinnerungen an die Vergangenheit. Mit einem Mal konnte sie die Hitze auf ihrer Haut spüren, die Gefahr, die darin loderte. Sie ließ sich auf ihre Knie fallen, als ihr ein peitschender Windzug die Asche ins Gesicht trieb und sie husten musste. Husten und husten, bis ihre Lunge die tödliche Luft herausbekam.
Sie würde sterben in diesem Flammenmeer, anders konnte es nicht sein. Ihr Leben lang war sie vor dem Feuer davon gelaufen, dann hatte es eine Zeit gegeben, in der es ihr nichts anhaben konnte, doch jetzt hatte es sie endlich eingeholt.
»Gib noch nicht auf, Vin«, sagte eine Stimme neben ihr, die sich durch das Dröhnen des Feuers wie ganz weit weg anhörte. Vin verlor sich in dem Knistern. Mit einem Mal wirkte es nicht mehr bedrohlich brüllend, das leise Rauschen der Flammen klang plötzlich wie eine wunderschöne Melodie. Erst eine brennende Berührung, heiße Haut auf heißer Haut, ließ sie aufblicken.
Kerys war neben ihr und redete auf sie ein. Er war in das Flammenmeer um sie herum getreten und brannte am Ärmel seiner Tunika, doch dies schien er gar nicht zu merken.
»Geh weg, Kerys«, sagte sie. Er sollte nicht hier sein, nicht inmitten des Feuers, nicht bei ihr.
»Nein, ich werde bei dir bleiben. Auch ich habe etwas von dem Wasser getrunken. Deine Magie ist noch nicht ganz zurückgekehrt und ich bin auch noch nicht wieder komplett frei davon. Ein wenig Magie strömt durch meine Adern. Nimm sie dir. Nimm dir, was du brauchst. Alles, solange du diesen Marktplatz lebendig verlässt.«
In Kerys' Augen flackerte das Feuer, sein Gesicht war rußverscchmiert und seine Haare staubig und zerzaust. Vin fand, dass er nie schöner ausgesehen hatte als in diesem Moment. Sie legte ihre Hände über sein Herz, dort wo bei ihr die Quelle ihrer Magie saß, wo sie auch bei ihm sitzen musste. Und dann tat sie es wie zuvor - sie zog zu sich, was sie zu fassen bekam: Kerys' schwache Magieströme, die sich mit ihren geschwächten Magieströmen vermischten, Flammen und Flammen, bis sie das Gefühl hatte, selbst ein Großbrand zu werden, so viel Feuer, wie sie auf ihre Haut zog und dort erlöschen ließ.
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