25 - Der Kampf des Drachen
Verlorene Hoffnung
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Kapitel 25
Als Vin sah, wie sich Kerys auf dem Thron niederließ, den sie ihm am Vortag zugewiesen hatte, fühlte sie sich innerlich wie zerrissen. Einerseits war sie unendlich froh, dass er da war. Sie hatte nicht ganz so viel Angst vor dem bevorstehenden Turnier, wenn sie wusste, dass ihr Freunde da waren, die im Falle ihrer Niederlage für sie da sein würden, die verstanden, wie viel tatsächlich auf dem Spiel stand. Andererseits wollte sie nicht, dass Zara, Asteria und Kerys sie scheitern sahen. Irgendwie würde es das noch schlimmer machen, auch wenn Vin nicht genau wusste, warum sie so fühlte.
Noch stand die ehemalige Drachenreiterin in dem Arkadengang, der zu dem Drachensaal führte, wartete dort mit Jerdan, Asten und Hidre, alle jeweils flankiert von einer Drachenseele. Vin wusste nicht recht, ob sie froh war, dass Callea neben ihr stand, doch wahrscheinlich war sie die bessere Alternative im Vergleich zu den anderen Drachenseelen. Sie hielt es einfach so wie Jerdan und stand mit Abstand zu der Drachenseele.
In diesem Moment hörte sie, wie die eine Drachenseele laut wurde, doch Jerdan scherte sich nicht weiter darum und schlenderte unbeirrt auf sie zu. Vin blickte ihm in die Augen. Er hatte ihr vor wenigen Stunden, als sie noch gemeinsam in der Bibliothek gesessen und auf Sonnenaufgang gewartet hatten, etwas gesagt, was sie bis zu dieser Sekunde verfolgte. Nicht nur Kallias' Zukunft stand auf dem Spiel und ob Vin die Führung der Drachenseelen übernehmen würde - auch ihr Leben stand auf dem Spiel. Dieses Turnier konnte in einem Blutbad enden.
Jerdan beugte sich zu ihr hinunter. »Ich würde dir raten, den kleinen Drachen in keiner Sekunde aus den Augen zu lassen.«
»Aber ich kann unmöglich kämpfen und auf ihn aufpassen«, gab Vin ebenso leise zurück.
»Ich kann leider auch nicht beides gleichzeitig, tut mir leid. Pass auf dich auf, kleiner Drache.« Er berührte sie aufmunternd an der Schulter, betrachtete einmal kurz den Jungdrachen auf ihrer Schulter und machte sich dann wieder auf den Rückweg.
Calleas Blick bohrte sich in seinen Rücken, doch er warf keinen Blick zurück. Erst dann, als er wieder seinen Platz neben der Drachenseele eingenommen hatte, warf der der Frau ein herausforderndes Grinsen zu. Ob sie wohl gerne wüsste, was Jerdan zu ihr gesagt hatte?, fragte sich Vin innerlich, dann jedoch wandte sie ihren Blick wieder nach vorne.
Sie konnte durch die Arkaden hindurch spähen und mit einem Mal wurde sie sich aller Personen im Raum gewahr. Da waren die Drachenseelen und Kerys, Asteria und Zara. Es waren aber auch Fremde dort, die Vin noch nie zuvor in der Festung gesehen hatte. Waren extra für das Turnier noch Katarlaner eingeladen worden? Und waren es irgendwelche, die davon Wind bekommen hatten oder handelte es sich um eine Auswahl von den Drachenseelen, die sich im Extremfall gegen Vin stellen würden?
Ihre Augen richteten sich auf einen Jungen, der auf seinem Sitz, den Stufen, die um den Drachensaal herum von der Wand herabführten, herumsprang. Vin musste blinzeln, dann konnte sie ihren Augen nicht trauen. Tatsächlich. Dort war Lloyd, ganz allein ohne seine Mutter, zwischen älteren Jungen und Mädchen sitzend und sah sich ganz genau um. Was machte er denn hier?
Vin bewegte sich einen Schritt zur Seite, damit sie nicht für den Jungen halb hinter einer Arkade verdeckt war und er einen guten Blick auf sie erhaschen konnte. Bereits kurze Zeit später fiel sein Blick auf sie und sie konnte ein kleines Grinsen in seinen Mundwinkeln wachsen sehen, das nur für den Bruchteil einer Sekunde da war. Ein fröhliches Grinsen, so als wenn er auf etwas stolz war, von dem er aber nicht wollte, dass es irgendjemand erfuhr. Danach fiel es wieder in sich zusammen und Lloyd ließ seinen Blick weiterschweifen, so, als wäre nichts gewesen.
»Wer sind denn die ganzen Zuschauer?«, richtete Vin ihre Frage an Callea, die immer noch neben ihr stand.
»Sie stammen aus einer der letzten Städte, in denen die Drachen noch hohes Ansehen haben.«
Vin beobachtete die Frau ganz aufmerksam. Jerdan hatte ihr davon erzählt, sie hatte es zur Kenntnis genommen und dann nicht weiter darüber nachgedacht. Immer weniger Menschen schauten zu den Drachen auf, sie hatte es in ihrem eigenen Heimatdorf erlebt. Drachen waren verächtet, man suchte ihren Untergang. Doch früher war es nur dieser Teil Katarlans gewesen, konnte es sein, dass nun der Hauptteil der Katarlaner die Meinung teilten, die Vin auch früher gehabt hatte?
Doch warum wurden sie überhaupt eingeladen? Allzu spannend konnte es ja für sie nicht sein, einen Kampf zu sehen, der darüber bestimmte, wer der Anführer der Drachen war. Es brachte ihnen nichts, wenn sie es wussten, da sie keine Berührpunkte mit ihm haben würden. Sollte es eine Demonstration von Macht werden?
Während Vin sich den Kopf zerbrach, spürte sie, wie sie all ihre Energie verließ. Das anstehende Turnier bereitete ihr Kopfschmerzen und am liebsten wollte sie nur ins Bett fallen und schlafen und hoffen, dass die Welt am nächsten Tag erfreulicher aussah.
Von diesem Gedanken hielt sie nur Callea ab, die ihr jetzt ein Signal gab und dann durch die Arkaden trat. Vin bemerkte dies einen Moment zu spät, folgte ihr und bemühte sich, nicht nur mit ihr Schritt zu halten, sondern sie auch zu überholen. Auf keinen Fall wollte sie hinter der Drachenseele gehen, am liebsten wäre es ihr andersherum gewesen. Da es dafür zu spät war, wollte sie zumindest auf gleicher Höhe zu bleiben. Auf Augenhöhe.
Hinter ihnen folgten die anderen Drachenseelen mit Jerdan, Asten und Hidre, bis sie in der Mitte stehenblieben. Als alle in der Mitte eingetroffen waren, Vin hatte nur die hauchfeinen, goldenen Linien auf dem Boden betrachtet, verstreuten sich die Drachenseelen, die mit ihnen gegangen waren, auf ihre Throne. Mit Genugtuung beobachtete Vin, wie ihr Thron, derjenige, der erhaben über den anderen gelegen war, leerblieb. Niemand versuchte, ihren Platz einzunehmen.
Perilyx begann zu sprechen, doch Vin bekam nicht alles mit, denn sie lief durch den Saal bis hin zu dem Thron, auf dem Kerys saß. Dass sie dabei böse Blicke erntete, weil sie dabei die Rede störte, war ihr egal. Früher einmal war es ihr unangenehm gewesen, die Aufmerksamkeit aller auf sich gerichtet zu haben, doch jetzt war es ihr egal. Die Meinung der Drachenseelen zählte für sie nicht, denn sie hatten ihr Vertrauen verloren. Und die anderen waren Wildfremde, die nur das sahen, was sie sehen wollten. Vin wusste zwar noch nicht recht, was genau das war, doch sie glaubte auch, dass sie sich nicht groß für das interessierten, was vor dem Kampf geschah.
»...das Turnier, um herauszufinden, wer von uns am stärksten ist, wer die Zukunft der Drachen auf den Schultern trägt...«
»...den einzigen, den ihr vielleicht noch nicht kennt, ist Jerdan dort. Er lebt schon seit Jahren hier in der Festung...«
Vin wusste nicht, was Perilyx über sie gesagt hatte, doch genau in diesem Moment war sie bei Kerys angelangt. Zara und Asteria standen neben seiner einen Armlehne, zwei seiner Wachen neben der anderen.
Vin griff auf ihre Schulter und hielt Kallias auf Armlänge vor sich. Seine Augen schienen sie groß an, goldene Scheiben, in denen Unverständnis lag. Sie drückte ihn an sich. »Es ist nur für einen kurzen Moment. Er wird schneller wieder vorbei sein, als du dir vorstellen kannst«, sprach sie leise und drückte ihren Kopf an den kleinen Drachenkopf.
Dann übergab sie Kallias an Zara, der es sich daraufhin in ihrer Armbeuge gemütlich machte. Er war größer geworden, so kam es Vin zumindest vor, die ihn nun in den Armen von jemand anderem sah.
Schweren Herzens wandte sie sich von ihm ab und ging wieder zurück dorthin, wo der Rest schon auf sie wartete. Die Kämpfer des Turniers sollten sich in einem Kreis aufstellen und Vin entschied sich, auf halber Höhe zwischen dem Thron, auf dem Kerys saß, und der Mitte hinzustellen. Es war der einzige Platz der noch frei war, Asten, Hidre und Jerdan hatten sich bereits aufgestellt.
Vin spürte, wie ihr Herz schneller und schneller schlug. Es wirkte surreal, dass der Moment schon gekommen sein sollte, der über Kallias' Zukunft entschied. Der über ihre Zukunft entschied.
Ihre Magie fühlte sich so weit weg von ihr an, sie konnte den Boden unter sich nicht spüren. Es war, als würde sie von außen auf sich gucken.
Dann fiel der Startruf von Callea und dieser Moment zog sie zurück in ihren Körper. Sie erlaubte sich, für den Bruchteil einer Sekunden die Augen zu schließen und sich an das zu erinnern, was Mirnen ihr vor sehr langer Zeit beigebracht hatte. Versuchte, aus den Erfahrungen ehemaliger Drachenreiter vor ihr zu lernen, Erfahrungen, die Atlas mit ihr geteilt hatte.
Es wirkte auf Vin ein wenig komisch, dass sowohl Jerdan als auch Asten und Hidre ein wenig ins Knie gingen und sich breitbeinig aufstellten - beinahe so, als wollten sie im nächsten Moment mit einem Schwert aufeinander losgehen, doch das war lächerlich. Magie reichte viel weiter als die Spitze einer Klinge.
Vin blieb stehen, wie sie war, die Füße beieinander, ihr Blick ruhig, sie hob lediglich ihre Hände, um sich selbst zu schützen, sollten irgendwelche Geschosse auf sie treffen. In ihr jedoch war alles ruhig und sie spürte brodelnde Angst in sich und flammende Wut über dieses Turnier.
Ein Windstoß fegte über Vin hinweg, der sie fast von den Füßen riss. Doch im Nachhinein hatte sie nicht das Gefühl, er wäre besonders stark gewesen.
Vin wollte nicht kämpfen, doch wenn sie daran dachte, was sonst mit Kallias passieren würde, hatte sie eigentlich keine Wahl. Sie musste einfach gewinnen.
Ihre Versuche jedoch, eine Attacke zu starten, ging gehörig schief. Funken begannen in ihrer Hand zu tanzen, die sie kurzerhand von sich warf, ohne genau zu schauen, wen sie eigentlich damit treffen wollte. Bereits auf halbem Wege jedoch verglühten die Funkenpfeile und kamen nie an ihren Zielen an.
Vin ließ die Hände sinken. Wieder einmal fühlte sie sich wie losgelöst von ihrem Körper und das ungute Gefühl von zuvor verstärkte sich. Das hier bin nicht ich, dachte sie.
Ihr Blick fiel auf Asten und Hidre. Die beiden hielten Feuerbälle in ihren Händen oder sandten einen heißen Wind in ihre Richtung, warfen mit goldenen Speeren nach ihr und Jerdan. Vin jedoch wurde nicht ein einziges Mal getroffen, sie spürte nicht mal die Hitze, die von den magischen Attacken ausging. Waren die beiden auch nicht ganz bei der Sache? Vin hatte das Gefühl, dass, seit sie mit den beiden ein wenig gesprochen hatten, sie vielleicht auf einer Seite standen, doch jetzt war sie sich nicht sicher. Einerseits waren die Attacken groß und lodernd und zerstörerisch - der Boden war rußübersät und an einigen Stellen gerissen, doch die Angriffe der beiden wirkte halbherzig. Oder waren sie vielleicht auch nicht mehr in völliger Kontrolle über ihre Magie? Sie hatten schließlich auch von dem Wasser trinken müssen, was ihnen die Magie genommen hatte.
Vin wollte ihre Gedanken zurücknehmen, denn in genau diesem Augenblick erbebte die Erde. Splitter des Bodens flogen empor, bahnten sich einen Weg in ihre Richtung.
Nach einem Moment konnte sie ihre Beine noch zur Bewegung zwingen, sodass sie einige Schritte rückwärts ging. Dann jedoch stolperte sie über Pfeile aus Steinen, die Asten geworfen hatte, und fiel auf den Boden.
Vin konnte nur beobachten, was da auf sie zukam. Ihre Angriffe scheiterten und waren schwach, es würde bei ihrer Verteidigung nicht anders aussehen.
Nur eine Sekunde bevor das Beben sie erreichte, wandte sie ihren Kopf ab und wie von selbst fiel ihr Blick auf Kallias. Er wurde immer noch von Zara getragen und Asteria stand daneben. Er ist in guten Händen, dachte Vin, auch wenn sie vielleicht nicht leben würde, um ihn aufwachsen zu sehen.
Noch immer konnte sie das leise Gemurmel der Zuschauenden hören, lautes Donnern und ihre schnellen Atemzüge, die ihr merkwürdig laut vorkamen.
Der Angriff hatte sie nicht berührt. Als Vin sich wieder umdrehte, erkannte sie auch, warum.
Eine hauchdünne Wand, die schimmerte wie die Wasseroberfläche in der Sonne, türmte sich vor ihr empor. Durch sie hindurch konnte Vin sehen, dass auf der anderen Seite der zersplitterte Boden in einem Häufchen aus Bruchstücken und Splittern lag. Der Angriff war an der fast nicht sichtbaren Mauer abgeprallt und hatte sie mit Staub übersät.
Wer hatte diese Wand aus Magie errichtet, um sie zu schützen?
In diesem Moment kam Jerdan auf sie zugelaufen, Staub und Schmutz und ein kleiner Kratzer verdeckten sein Gesicht, doch seine Augen glühten golden, als er ihr die Hand hinhielt.
Vin ignorierte die Hilfe zum Aufstehen. Sie wollte nicht wieder aufstehen.
Jerdan jedoch kniete sich neben ihr hin und nickte zu den Drachenseelen herüber, die sie beobachteten. »Der Kampf ist noch nicht zu Ende.«
Hallo zurück!
Wusstet ihr, dass Teil 2 noch etwa zehn Kapitel haben wird? Irgendwie finde ich es ein wenig beängstigend, dass wir schon auf das Ende zugehen. Was glaubt ihr, was noch passieren wird?
Schönen Start in die Woche! 🧡✨
- Danny
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