293
[72 Tage später]
Alan's POV
,,Was will die Schwuchtel schon wieder hier?", fragte Ray auf einmal und deutete auf Chester, der unsicher auf uns zukam. Eine unerklärliche Wut kochte auf einmal in mir auf.
,,Zu aller erst, das ist Chester Laurens und soweit ich weiß ist er nicht homosexuell, sondern pansexuell-"
,,Spielt das eine Rolle? Und warte mal, Chester Laurens? Der von dem Brook-Fall?", wurde ich von Ray unterbrochen. ,,Ihr hängt zur Zeit ziemlich oft zusammen ab. Was ist das mit dir und diesem Fall?"
Da platzte mir der Geduldsfaden: ,,Weißt du was, Ray? Du packst jetzt sofort deine Sachen zusammen und gehst. Du bist entlassen."
,,Was? Ich-"
,,Sofort!", rief ich und deutete Richtung der Autos. Er grummelte etwas, was ich nicht verstehen wollte und verschwand dann. Nun wendete ich mich wieder Chester zu, der schon fast bei mir war. Wir hatten uns in letzter Zeit öfter getroffen, um über den Fall zu sprechen.
,,Hallo Inspektor", begrüßte er mich und gab mir die Hand.
,,Hallo Chester", erwiderte ich.
,,Er sah aber nicht besonders glücklich aus", bemerkte er und deutete in Richtung von Ray.
,,Oh. Das ist Ray. Er war bei der Spurensicherung", erklärte ich.
,,War?", fragte er.
,,Yup, ich habe ihn gerade entlassen."
,,Oh", sagte er darauf nur.
Wenn ich ehrlich war, hatten wir uns ziemlich gut befreundet im letzter Zeit. Er kam ab und zu in der Mittagspause vorbei, da er sich für den Job als Kriminalpsychologe interessierte.
Er hatte mir einige neue Ansichten beigebracht und war allgemein eine sehr interessante Persönlichkeit. Er trug so viel Gutes in sich. Manchmal bewunderte ich ihn dafür, alles so positiv zu sehen.
Ich war mir inzwischen Sicher, dass einige Fehler bei dem Fall von Anastasia gemacht worden sind. Durch die Zusammenarbeit hatte ich viel über Chesters Vergangenheit gelernt und mir fest vorgenommen, den Fall seiner Freundin richtigzustellen. Auch um Luke, den ehemaligen Freund von Anastasia, zu entlasten und vielleicht eine Entschädigung für ihn zu bekommen. Allerdings war letzteres nicht meine Aufgabe, sondern die seines Anwalts.
Immer, wenn Chester an meinem Arbeitsplatz auftauchte nahm er mit seiner Ausstrahlung den Raum ein. Soetwas hatte ich noch nie erlebt und jetzt, wo er neben mir stand, begann wiedermal in mir ein merkwürdiges Kribbeln.
Meine Gedanken wurden von meinem Handy unterbrochen.
,,Tut mir leid, das ist meine Frau. Da muss ich rangehen", erklärte ich.
Chester's POV
Ich konnte nicht anders, als etwas eifersüchtig zu sein, aber er schien das nicht mitzubekommen. Und das wollte ich auch nicht. Er war glücklich verheiratet und würde nie soetwas über seine Professionalität stellen. Meine Gefühle waren nur entstanden, weil er der erste Mensch seit langem war, mit dem ich wieder eine richtige Freundschaft hatte.
Ich fühlte mich etwas wie das fünfte Rad am Wagen, hier am Absperrband des Tatorts. Einige Reporter waren noch vor Ort, ansonsten nur Polizisten. Wir befanden uns in einer Wohngegend, wo es immer mal wieder zu Unruhen kam. Es lebten viele Menschen auf einer Stelle, in einem engen Neubaublock, da kam es schon mal zu Reiberreihen. Die Straße, auf der wir standen war sonst stark befahren, aber heute wurde der Verkehr umgeleitet, sodass es relativ ruhig war.
___
,,Was ist eigentlich passiert?", fragte ich Alan einige Minuten später. Wir hatten nun beide einen Kaffee in der Hand und gingen in Richtung Park.
,,Ein bewaffneter Raubüberfall", antwortete er mir.
,,Wurde jemand verletzt?"
,,Eine Frau wurde angeschossen, aber sie wird wieder."
,,Wie sieht es aus mit dem Fall von Nastie?", fragte ich weiter.
,,Ich kann dir noch nichts genaues sagen, aber ich glaube, wir sind nah dran."
Seit der Fall wieder offiziell aufgerollt wurde, hatten wir einige Fortschritte gemacht. Es sah so aus, als wäre Luke wirklich unschuldig und die eigentliche Schuld ging in Richtung eines alten Bekannten.
,,Brian Thompson."
,,Ja genau, das meinte ich. Es sieht ganz danach aus-"
,,Nein, Brian Thompson steht dort", unterbrach ich Alan und deutete auf einen Mann in einiger Entfernung. Er folgte meiner Geste und spannte sich sofort an.
,,Du bleibst hier", sagte er dann und ging auf den gut gebauten Mann zu.
Brian war seit einiger Zeit untergetaucht und unauffindbar gewesen. Nicht mal seine Familie wusste, wo er sich aufhielt. Umso erstaunlicher war es, dass er gerade jetzt einen Fehler beging.
Alan kam mit ihm in Handschellen wieder und warf mir einen triumphierenden Blick zu.
,,Ah hallo, wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen, Schwuchtel", begrüßte Brian mich.
,,Sie sollten jetzt lieber die Klappe halten. Wir haben noch ein ganzes Stück zu laufen", erwiderte Alan und schubste ihn ein kleines Stück nach vorn.
___
Nachdem wir Brian zum Departement gebracht hatten und Alan ihn verhörte, wartete ich auf ihn im Hinterhof des Gebäudes. Mir war nach frischer Luft und dieser Bereich der Stadt war immer besonders ruhig. Die Sterne leuchteten am dunklen Nachthimmel und die kühle Luft erinnerte mich an den bevorstehenden Winter.
Nach etwa einer dreiviertel Stunde erschien eine Silhouette eines Mannes an der Eingangstür. Er kam näher und ich erkannte, dass es Alan war. Auf seinen Lippen lag ein breites Grinsen.
,,Und?", fragte ich.
,,Wir haben es geschafft", antwortete er. ,,Brian hat gestanden."
,,Wie hast du das nur gemacht?", fragte ich lächelnd.
,,Es war wirklich schwierig, aber mit Hilfe einiger psychologischen Tricks, die ich von einem bestimmten Chester Laurens dazugelernt habe, habe ich ihn gekriegt."
Ich lächelte nun noch breiter.
,,Er hat Anastasia verprügelt. Mehr als einmal und ihr gedroht, sie zu töten, wenn sie dich nicht umbringt", erklärte er weiter.
Mein Lächeln verschwand. ,,Was?", fragte ich.
Alan machte einen Schritt auf mich zu und legte eine Hand auf meine Schulter. ,,Hör mir zu. Es war nicht deine Schuld. Der einzige, der hier Schuld hatte, war Brian Thompson."
Ich sah ihn geschockt an. Die anfängliche Freude wurde mit Schuldgefühlen und Trauer überschüttet.
,,Chester. Ich weiß, was du gerade denkst. Du hättest nichts tun können."
Er umarmte mich.
Die Emotionen überfluten mich plötzlich und ich küsste ihn kurz auf die Lippen. Erst einige Sekunden später und als ich sein Gesicht sah, realisierte ich, was ich gerade getan hatte. Er sah geschockt aus und starrte mich an. Ich lächelte unsicher.
,,Ich... Chester..." Er begann zu stammeln. Mein Lächeln erkaltete.
Mist. Was hatte ich getan?
Ich sah, dass er nochmal kurz seinen Mund öffnete, als würde er noch etwas sagen wollen, doch er schloss ihn gleich wieder und verlies den Hinterhof des Gebäudes.
Ich lief ihm nach. Ich musste einfach. Ich holte ihn kurz vor der Eingangstür ein.
,,Alan, es tut mir leid, was ich getan habe... Ich war einfach nur so emotional unkontrolliert und in Schock... Ich glaube ich... Ich habe mich in dich verliebt. Ich bin wir. Ich kann nicht ohne dich."
Er sah mich an. Ich konnte aus seinen meerblauen Augen nichts lesen, als hätte er sich vor mir verschlossen.
,,Ich muss darüber nachdenken. Es tut mir leid", sagte er dann. Ich sah, dass er mir erst eine Hand auf die Schulter legen wollte, aber es dann doch nicht tat. Er wendete seinen Blick von mir ab.
,,Danke für deine Unterstützung bei dem Fall", sagte er noch.
___
Als ich nach Hause ging, spielten die Emotionen in meinem Kopf verrückt. Wut, Angst, Trauer und noch mehr Schuldgefühle lieferten sich eine Schlacht, in der keiner zu gewinnen, aber genausowenig zu verlieren schien. Was hatte ich nur getan? Würde ich ihn jemals wiedersehen? Wäre Nasty noch am Leben, wenn wir nicht befreundet gewesen wären?
Angekommen an meiner Haustür konnte ich kaum das Schlüsselloch finden, da meine Sicht so verschwommen war. Ich versuchte es mehrere Male mit dem Schlüssel zu treffen, aber es schien mir einfach nicht zu gelingen. Meine Hände zitterten zu sehr.
Auf einmal hörte ich eine Stimme hinter mir: ,,Hallo Chester." Doch es klang nicht freundlich, eher bedrohlich und wütend.
Langsam drehte ich mich um und erkannte den großen, blonden Mann.
,,Luke? Du wurdest entlassen?", fragte ich freundlich. ,,Wie kann das sein? Brian hat doch heute erst gest-"
,,Nein, ich wurde schon gestern entlassen. Die sechzehn Monate sind vorbei", erwiderte er.
,,Oh, dann weißt du noch gar nicht, dass wir wissen, dass du unschul-"
,,Es ist deine Schuld", unterbrach er mich erneut.
,,Was?"
,,Sie ist tot, wegen dir und ich durfte nicht mal bei ihrer Beerdigung dabei sein, weil alle dachten, dass ich es war. Aber ich war unschuldig!"
,,Luke, ich weiß, dass sie gestorben ist, weil sie mich beschützen wollte und dafür kann ich mir niemals vergeben", sagte ich, doch das schien ihn nicht zu interessieren.
,,Wenn du nur einmal selbst für dich eingestanden hättest!", rief er.
,,Du hast recht!", erwiderte ich in gleicher Lautstärke.
,,Komm mir jetzt nicht so!" Er packte mich am Kragen und drückte mich gegen die dunkelrote Tür hinter mir. Ich spürte an meinem Hinterkopf einen dumpfen Schmerz. Meine Sicht verschwamm erneut und ich brauchte etwas Zeit, um mich wieder fokussieren zu können, doch da begann er schon auf mich einzuschlagen. Ein Schlag, noch einer und noch einer.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro