Stumme Wünsche I
»Was?«, fragte Cyn. Eigentlich hatte er gerade seine Pfeife anzünden wollen, aber Nilan durchbohrte ihn mit einem Blick, den er nicht ignorieren konnte.
»Du hast dir noch nichts gewünscht«, meinte der Gott. Das Feuer spiegelte sich in seinen Augen und malte ein Meer aus Flammen und Glut.
»Verjährt mein Wunsch etwa?«
»Nein, aber ...« Nilans Blick schweifte ab. »Ich dachte, vielleicht gibt es etwas. Und weil unsere Reise nicht mehr lang ist, möchtest du den Wunsch vielleicht nutzen, bevor ich nicht mehr da bin.«
Cyn wandte den Blick ab und den Flammen zu. Er hatte die ganze Zeit verzweifelt ausgeblendet, dass sie am nächsten Tag in der Stadt ankommen und dann auseinandergehen würden.
»Ich habe dir nicht geholfen, weil ich eine Gegenleistung möchte«, sagte er. »Ich habe dir geholfen, weil du mich darum gebeten hast.«
Nilans Brauen schoben sich zusammen und er neigte den Kopf. »Aber ...« Zwar fing er den Satz an, ließ das Ende jedoch in der Luft hängen.
»Aber?«, hakte Cyn nach.
»Ich bin es nicht gewöhnt«, murmelte Nilan. »Und ... ich würde mich freuen, wenn ich dir irgendetwas Gutes tun könnte, dafür, dass du mir geholfen hast.«
Cyn seufzte leise. »Wenn wir nochmal in eine Situation gelangen, aus der ich uns nicht anders zu helfen weiß, dann werde ich den Wunsch nutzen. Doch ansonsten ist es, wie ich sagte: Ich half dir nicht für eine Gegenleistung.«
Nilan antwortete nicht und Cyn sah zurück in das Feuer. Golden und rot tanzte es umeinander und verschlang sich in wilder Umarmung.
Über das Lager legte sich Stille, die nur der ferne Ruf einer Eule störte. Eine ähnliche Stille war auch die letzten Abende stets eingekehrt, bis Nilan sie durch Fragen unterbrochen hatte. Fragen, die sich mit Cyns Vergangenheit beschäftigt hatten oder die er anderweitig eigentlich nur ungern hatte beantworten wollen.
Doch an diesem Abend kam Cyn ihm zuvor. »Du hast also schon mal mit jemandem geschlafen?« Nicht das beste Gesprächsthema, das ihm hätte einfallen können, aber es war das erste. Und dass es ihn eigentlich nichts anging, bemerkte er erst, als die Worte seinen Mund bereits verlassen hatten.
Nilan zog die Beine an und bettete seinen Kopf auf die Knie. Er nickte. »Ich fand es seltsam.«
»Wenn man zu lang darüber nachdenkt, dann ist es vermutlich seltsam«, meinte Cyn. »Und ich schätze, sie ist dafür bezahlt worden, dass sie bei dir war. Einige ... einige Leute machen das öfter und lassen jemanden zu sich kommen, aber mir kam der Gedanke immer seltsam vor. Welchen Sinn hat es, wenn man das nicht mit jemandem teilt, den man mag?«
»Das ... weiß ich nicht«, erwiderte Nilan.
»Ich hatte es eher als rhetorische Frage gemeint. Du hättest sie nicht beantworten müssen.«
»Oh«, machte Nilan. Er umklammerte seine Beine und sah ins Feuer. Schatten flackerten über seine Wangen und der glühende Schein verfing sich in seinem Haar. »Dann ist es mit jemandem, den ich kenne, nicht so seltsam?«
Cyn nickte. »Für mich zumindest.«
»Wie beim Küssen?«
Wieder antwortete Cyn mit einem Nicken. Dann stutzte er. »Du hast schon mit jemandem geschlafen, aber vor gestern noch nie jemanden geküsst?«
»Er meinte, dass Küssen nur für Romantiker sei und er für etwas anderes da ist.«
»Er?«
Nilan schwieg für einen Moment. »Sie ...?«
»Das kann ich dir nicht beantworten«, meinte Cyn. »Weißt du es etwa nicht?«
Und mit diesem Satz wurde er Zeuge, wie Nilans Kopf hochrot anlief und er das Gesicht in den Händen vergrub. »Ich ...« Seine Stimme zitterte. »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Ich kenne den Unterschied nicht.«
»Was für einen Unterschied?«
»Zwischen Mann und Frau.«
»Das ... oh.« Cyn hatte vieles erwartet, doch nicht, dass Nilan etwas fremd war, mit dem er selbst aufgewachsen war und das für ihn so normal war zu wissen. »Aber haben Götter nicht auch Geschlechter? Du weißt doch, dass du ein Mann bist?«
»Weiß ich das?«, murmelte Nilan, das Gesicht immer noch in den Händen vergraben.
»Es heißt schließlich der Mond«, sagte Cyn. »Und dein Name ist Einar. Das ist eindeutig männlich.«
»In anderen Sprachen heiße ich anders«, meinte Nilan. »Dort nennt man mich Luna oder Selene und dort sehen auch meine Statuen anders aus.«
Cyn öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er wusste nichts zu sagen und schloss ihn daher wieder.
In der Ferne sang die Nachtigall. Ihr Lied trug eine schwere Melodie, als sie über vergessene Liebe klagte.
»Ist es wichtig?«, unterbrach Nilan das Schweigen. »Wer nun ein Mann und wer eine Frau ist?«
Instinktiv setzte Cyn zu einem ›Ja‹ an, hielt es aber zurück und gab sich einen Moment, um zu überlegen. Letztlich gestand er: »Ich weiß nicht. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie wichtig es ist.«
Die Nachtigall setzte ihre Melodie fort und diesmal antwortete ihr ein Vogel. Cyn erkannte das Lied nicht, doch die Nachtigall schien erfreut über den unerwarteten und sogar unbekannten Begleiter.
»Cyn?« Nilan hob sein Gesicht aus seinen Händen. Ein leichtes Zittern lag in dem Wort, kaum hörbar trotz der Stille der Nacht.
»Hm?«, machte Cyn und schenkte dem Gott seine Aufmerksamkeit.
Röte lag weiterhin auf Nilans Wangen. »Du meintest, dass Sex nicht so seltsam wäre, wenn man mit einer Person ist, die man mag.«
Cyn nickte.
»Können wir es versuchen?«
Kurz glaubte Cyn, dass er sich verhört hatte. Doch Nilans Augen, die ihn erwartungsvoll anblickten, verstreuten seine Zweifel.
»Ich ...« Cyn befeuchtete seine Lippen. »Ich ... ich ich ich.« Tief durchatmen, Cyn. Nilan stellt doch nur normale Fragen. Es ist eine ganz normale Unterhaltung, also kannst du auch normal antworten. »Das ... das das.« Er schloss seinen Mund, da ohnehin nichts Gehaltvolles hinauskam.
Nilan sah ihn weiterhin an und erwartete eine Antwort.
Und daher tat Cyn, was er sich in Gedanken schon gesagt hatte, und atmete tief durch. Normalerweise ließ er sich für so etwas Zeit. Viel Zeit. Doch Zeit besaßen sie nicht.
Er wich Nilans Blick aus. »Ich bin nicht besonders gut«, gab er zu.
»Das kümmert mich nicht«, meinte der Mond schnell.
Cyn holte noch einmal tief Luft, aber sein wild trommelndes Herz konnte er nicht beruhigen und so gab er sich der Regung hin – diesem fast panischen, doch gleichzeitig seltsam belebenden Gefühl.
Er streckte seinen Arm in Nilans Richtung aus.
Ein weiteres Zeichen benötigte der Gott nicht. Er rückte an Cyn heran und legte das Kinn auf seine Schulter.
Kühler Atem kribbelte auf Cyns Haut, eine hauchzarte Berührung, die sein Herz nur stärker gegen seine Brust trommeln ließ.
»Wir können es versuchen«, sagte er.
Bevor er es sich anders überlegte oder darüber nachdachte, welche Auswirkungen es haben könnte, mit einem Gott zu schlafen, griff er nach Nilans Kinn, zog ihn zu sich und presste die Lippen auf seine.
Für einen Moment ging Nilan nicht auf ihn ein. Vielleicht kam es für ihn zu abrupt, doch als Cyn sich zurücklehnen wollte, um zu fragen, ob alles in Ordnung war, vergruben sich Hände in seinen Haaren.
Der kühle Körper drückte sich an ihn und gegen seine Brust schlug ein fremder Herzschlag, schneller noch als sein eigener. Leichtes Ziehen drang durch seine Kopfhaut und wie ein Vorhang fielen seine Strähnen in seinen Nacken, da Nilan das Haarband gelöst hatte.
Hi, nur eine kleine Anmerkung:
Das nächste Kapitel wird ein reines NSFW-Kapitel. Wer es also nicht lesen möchte, kann es getrost überspringen, ohne etwas vom Plot zu verpassen.
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