𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟔.𝟑: 𝐃𝐚𝐬 𝐀𝐮𝐠𝐞 𝐝𝐞𝐬 𝐏𝐡𝐨𝐞𝐧𝐢𝐱
Cedrics Augen huschten unruhig durch den Raum. Hin und her, her und hin. Alle starrten unverwandt auf das dunkelrote Zeichen und beugten sich weiter vor, als würde das Blut den Instinkt von Raubtieren, die sich auf ihre Beute stürzen und zermalmen wollten, in ihnen wecken. Sie alle lechzten nach dem Lebenselixier der Verfluchten. Jeder wusste, dass ihr Schicksal besiegelt war. Bald durften sie über ihre Beute herfallen, denn die Todesstrafe würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.
In der Zwischenzeit hatte König Raigan wieder auf seinen pompösen Thron Platz genommen und schaute verachtend in die Runde. Erleichtert löste sich Cedric aus der Verbeugung, hielt seinen Kopf stolz erhoben und betrachtete den Aristokraten. Die silbrigen Augenbrauen bildeten zwei gleichhohe Linien, ein paar Falten waren sichtbar und eine helle Haarsträhne fiel ihm locker über die Schulter, bildete einen starken Kontrast zu seinem dunklen Mantel. Beide Ellbogen stützten das Gewicht ab und die Hände hielt Raigan in Form eines auf ein mit der Spitze nach oben zeigenden Dreiecks. Die Gefangene würdigte er keines Blickes mehr.
»Habt Ihr etwas Auffälliges bei der Ioskas gefunden?« Raigans Augen richteten sich auf Cedric, durchlöcherten ihn, besessen davon, alle Antworten zu erfahren. Nein, wir haben nichts spannendes entdecken können. Am liebsten hätte der junge Ritter verneint, doch das wäre gelogen. Daher begann er förmlich: »Eure Majestät, im Hause der Ioskas fanden wir nichts Ungewöhnliches.« Raigans Mimik nahm eine wütende Note an. Er hoffte auf einen Fehler, ein weiterer Fehler neben ihrem abscheulichen Haar. »Allerdings«, hastete Cedric hinterher »fanden wir dies hier neben ihr in der Kutsche.«
Cedric griff in seinen kleinen, braunfarbenden Lederbeutel, der an seinem Gürtel stets befestigt war. Er erinnerte sich, wie einer der anderen Ritter ein kleines, unscheinbares Päckchen bei der Ioskas gefunden und es ihm übergeben hatte. Als seine Finger etwas weiches und unförmiges in dem Beutel ertasteten, zog er es hervor. Mit einer großflächigen Handbewegung seiner Rechten deutete er auf das Bündel, welches auf seiner anderen, offenen Handfläche lag.
Es war kleiner als eine Hand, aber größer als ein Münze. Insgesamt wirkte es eher wie ein Stein, grau, aber in Leinen gewickelt als wollte jemand den Inhalt vor fremde Augen schützen. Allerdings war es nicht wirklich ein Päckchen. Es war irgendwie... anders. Cedric konnte es nicht recht beschreiben. Müsste er es, so würden ihm als erstes gewiss die zwei Adjektive merkwürdig und unauffällig in den Sinn kommen, denn je länger er das fremde Objekt hielt, desto schwerer schien es zu werden. Es wirkte, als würde eine negative Aura von dem Bündel ausgehen, seinen Träger die Kräfte rauben.
Cedric hielt seine Hand hoch, sodass die Leinen von jedermanns im Thronsaal betrachtet werden konnten. Hier und da brach ein Flüstersturm aus, aber einzelne Wortfetzen klangen nicht zu dem jungen Ritter durch. Ihn interessierte auch mehr die Reaktion Raigans, der wie erwartend seine Augen zu winzigen Schlitzen zusammenkniff und um dessen sich Fältchen, die sich wie Bäche einen Weg bahnten, bildeten. Aber Cedric war längst klar, dass auf dieser Entfernung das sonderbare Päckchen nicht zu entschlössen war, wenn er es nichtmal schaffte, wo es doch direkt vor seiner Nase lag.
»Zeigt her!«, wurde Cedric grob aufgefordert und er übergab das Bündel in die faltigen Hände des Königs, die gierig danach griffen. Kaum hatte Cedrics Haut den Kontakt der Leinen verloren, verschwand auch das Gefühl der Kraftlosigkeit und er trotzte wie eh und je vor Stärke.
Nach einer knappen Begutachtung öffnete der König das Objekt und die Leinen fielen wie Vorhänge bei einem Schauspiel. Ein schwarzer, verkohlter Stein kam zum Vorschein. Raigans kurzer Verblüffung wich einer angewiderten Mimik. »Was soll das?», wollte er wissen.
Doch bevor irgendwer das Wort erheben konnte, geschah das Unmögliche, das Undenkbare, welches Cedrics bescheidene Welt ins wanken brachte. Wäre der junge Ritter nicht höchstpersönlich anwesend gewesen, so hätte er jeden für verrückt erklärt, der dieses Ereignis schilderte. Dennoch, es war wirklich wahr, so, wie er selbst aus Fleisch und Blute bestand. Folgend geschah es:
Ein glühend rotes Feuer flackerte plötzlich auf. Es blitzte. So rasant wie es erschienen war, erlosch es wieder. Dann ertönte ein lautes Kreischen, hoch und schrill. Im nächsten Moment erstarben die Flammen und die gebildet Asche begann sich zu bewegen und zu formen. Wie Wasser floss es ineinander, bahnte sich seinen Weg. Der graue Schutt stieg säulenartig empor und wurde zunehmend gigantischer. Unvermittelt wuchsen baumartig zwei Triebe an der verbrannten Säule. Die Triebe wurden zu Ästen mit weiteren, zahlreichen Zweigen. Dann, ohne jegliche Vorwarnung, sackte das Gebilde in sich zusammen, schlug auf den Boden auf und zerfiel wie bröckelnder Sand.
Im nächsten Moment erstrahlte erneut ein Blitz, der dieses Mal so grell war, dass Cedric schützend seine Hände vor seinen Augen hielt. Ein paar Herzschläge lang schien der Lichtstrahl seine Umgebung zu verschlucken, tauchte alles in ein ein blendendes weiß. In dieser Situation hatte Cedric das Gefühl, ein Gefangener zwischen Raum und Zeit zu sein. Ungefähr so stellte er sich den Himmel vor. Ein Ort, der weder ein Anfang noch ein Ende hatte, wie die reinste Farbe selbst keine weiteren Farbtöne aufwies. Eine monotone Endlosschleife. So predigte es der Klerus, ein Ort nach dem Leben: Maoilias Reich. War diese Vorstellung absurd?
Dann erlosch das Licht schlagartig. Mit zusammengekniffen Augen ließ er vorsichtig die Hände sinken und seine Sicht wurde frei auf... ja, auf was eigentlich? Für Cedric hatte das fremdartige Geschöpf eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Vogel, nur mindestens viermal so groß. Sein Gefieder war mit langen, glänzenden Federn geschmückt, die in einem unnatürlichen rot und orange schimmerten. Es hatte einen langen, gekrümmten, bräunlichen Schnabel, einen ovalen Kopf mit drei abstehenden Federn und einen langen Rumpf. Die Augen waren glühend rot, als lodere in ihnen leibhaftig ein Feuer, das der Kreatur unbeirrbare Energie verlieh. Insgesamt ging von dem vogelähnlichen Wesen eine erhabene, majestätische Ausstrahlung aus.
Erneut ein ohrenbetäubendes Geschrei. Als würde ein Schlachtruf durch seinen langen, schlangenartigen Hals erklingen, schlug er mit den Flügeln und stürzte sich auf Raigan, der das Szenario von seinem Thron aus verfolgte. Die langen Federn fingen aus dem Nichts glühende Funken und in nullkommanichts schützte eine Hülle aus Feuer den fremdartige Vogel. Er preschte mit atemberaubender Geschwindigkeit auf den Regenten zu. Im selben Moment zückte Cedric mit weiteren Rittern ihre Schwerter, rannte los und visierte die Kreatur an. Cedric bekam seine Kumpanen nur als schattenhafte Umrisse mit. In seinem Kopf schwebte ein einziger, klarere Befehl: Rette den König!
Innerhalb einer Sekunde hatte das züngelnde Feuer den versucht ausweichenden König erreicht, bevor es irgend ein Ritter hätte schaffen können. Die Krieger schlitterten zum Halt, Entsetzten überschattete ihre furchtsamen Gesichter, denn der Vogel begrub den schutzlosen Körper unter sich, umhüllt aus einer Kugel bestehend aus Feuer. Die funkelnden Flammen breiteten sich rasant über dem ganzen Königskörper aus, verbrannten seinen Umhang und verkohlten seine Haut.
Markerschütterndere Schreie tönten durch das Schloss und wabert wie dichter Nebelschleier zwischen den Bäumen und über den Feldern Elidors hinweg. Cedric blieb erschüttert stehen, schien versteinert bei dem qualvollen Anblick, den er niemals mehr vergessen würde, vergessen könnte. Das Bild des im Feuer stehenden König brannte sich in seinen Kopf wie die Flammen hungrig das Fleisch verschlungen. Bald erklangen die schmerzerfüllten Schreie in der Ferne und wurden von Cedrics eigenem Blut, das in seinen Ohren rauschte, übertönt.
Rette den König!
Der Befehl blitzte so deutlich vor ihm auf, dass er seine Umgebung kurzzeitig komplett vergass. Wie, als würde die Zeit angehalten, hob er erneut sein Schwert, dessen Klinge wie in Gold getaucht schimmerte und die züngelnden Flammen spiegelte. Mit einem wahrhaftigen Kriegsschrei stürzte sich Cedric auf die Bestie und den König, die beide so verschlungen miteinander waren, dass Cedric hoffte, dass gefährliche Wesen zu treffen. Energisch rannte er auf die Kämpfenden zu.
Und dann sprang er todesmutig ins Feuer.
Sofort wurde er von einer Hitzewelle überrannt. Das Atmen fühlte sich an, als würde mit jedem Luftschnappen seine Lungen verbrennen. Verwundert schaute Cedric an sich hinab, denn zu seiner Überraschung spürte er kein Schmerz, nur ein kribbeln. Seine Haut schien wirklich verschont zu bleiben, leuchtete lediglich unnatürlich rot.
Der junge Ritter blickte sich weiter um. Grelles, flackerndes Licht umgab ihn, als hätte das Geschöpf eine neue Realität erschaffen, in der er sein Gefecht austrug. Zwar glühte förmlich seine Umgebung, aber ansonsten schien nichts anders zu sein. Er trug die selbe Kleidung, hatte sein selbes Schwert in der Hand und spürte die selbe Entschlossenheit, die ihn eben noch erfasste.
Ein dumpfes Geräusch lenkte Cedrics Aufmerksamkeit wieder auf den Kampf des König mit dem Vogel. Das Wesen hatte sich an Raigans Schultern festgekrallt und pickte wild nach dem königlichen Gesicht, aber Raigan ließ sich nicht beirren. Er schüttelte den Kopf, versucht, dem gefährlichen Schnabel auszuweichen. Mit den Händen hatte er die knochenähnlichen Beine des Tieres umpackt und versuchte sie mit aller Kraft von sich zu reißen. Aber auch die Kreatur blieb hartnäckig und scherte sich nicht im geringsten um seinen Gegner.
Cedric hielt den Atem an, umklammerte fester den Knauf seines treuen Schwertes und sprang auf das aneinandergeraten Knäul zu. Je näher er dem Kampf kam, desto wärmer wurde das Metall seiner Waffe, doch er ignorierte den beißenden Schmerz in seiner Handfläche. Stattdessen stach er nach dem Vogel und streifte das brennende Gefieder des überraschten Wesens, das den Ritter nicht hatte nähern sehen.
Eine schwarze, zähe Flüssigkeit lief über die Schwertspitze und das Tier kreischte, vermutlich mehr vor Wut als vor Schmerz. Es löste eine seiner Krallen von Raigans Schultern und versuchte stattdessen Cedric zu erwischen. Dieser jedoch nahm reiß aus und duckte sich geschickt weg. Frustriert, den jungen Ritter nicht erwischt zu haben, schlug der Vogel doppelt so schnell wie zuvor mit den Schnabel auf das ungeschützte Gesicht des Regenten ein. Ein qualvoller Schmerzensschrei ertönte, der durch Mark und Knochen ging.
Beinahe hatte Cedric die Kämpfenden erreicht, als er ruckartig stehen blieb. Entsetzen lähmte ihn, raubte ihm in kürzester Zeit erneut den Atem und er schnappte bestürzt nach Luft. Der König hatte sich zu ihm herum gewirbelte, doch wo eigentlich hätte ein Gesicht sein sollen, floss ein Wasserfall aus Blut. Seine linke Gesichtshälfte schien komplett unter dem dunklen, glänzenden Lebenselixier verschwunden und erst bei genauerem hinsehen erkannte der junge Ritter die Ursache für des Königs Schrei. Das Blut strömte unaufhaltsam aus der Stelle, wo ein Auge hätte sein müssen. Dem Sehorgan wich eine klaffende Augenhöhle, die in Windeseile Raigans Gesicht rot getränkt haben muss.
Vor Schmerz, oder doch eher vor Zorn, stark wie ein Riese und blind gegenüber jeglichen anderen Verletzungen, schleuderte der König den Vogel von sich. Er hatte die Hände um die knochenartigen Füße der Kreatur geschlungen und riss sie mit derartigem Kraftaufwand über seinen Kopf, dass der Vogel den Halt verlor. Die festgekrallten Klauen rissen Haut- und Stofffetzen mit sich. Cedric sah wie in Zeitlupe den Fall des Wesens, dass sich aber vor dem Aufprall auf dem Boden fing und laut kreischend in die Luft empor flog. Die Flügelschläge hallten plötzlich laut nach.
Ein gurgelndes Geräusch verließ König Raigans Kehle und zog die Gegenwart Cedrics auf sich. Der Regent fiel kraftlos zusammen, eine Hand auf die Wunde gepresst. Vergeblich. Das Lebenselixier floss und floss, unaufhaltsam wie die Strömung eines im Abendlicht getauchten Flusses. Der Ritter wollte seiner Majestät zu Hilfe eilen, jedoch visierte der Vogel, dessen Gefieder nicht mehr brannte, ebenfalls den Regenten an. Nichtsdestotrotz rannte Cedric auf seinen Herrscher zu, ehe alles so schnell vonstatten ging, dass er sich nur noch Wage erinnerte.
Im gleichen Moment erreichte Mensch und Tier sein Ziel. Sofort hackte die Bestie auf den jungen Krieger ein. Funken flogen umher. Cedrics Augen begannen zu tränen. Er spürte eine warme Flüssigkeit seine rechte Schulter hinablaufen. Ohne groß nachzudenken, stach er auf das Geschöpf ein. Das schwarze Blut spritzte, aber es schien nicht die Kraft der Kreatur zu rauben. Dennoch musste der Schlag gesessen haben, den er flog empor, nur, um zu Cedrics Enttäuschung, ein weiteres mal einen Angriff zu starten.
»Komm schon!«, schrie Cedric entschlossen, und meinte, seine Kehle würde bei einem weiteren Wort verbrennen. Die Bestie machte kehrt und zischte auf ihn zu. Der Ritter lief dem Tier entgegen, wollte seine Angst nach außen hin nicht zeigen, obwohl sein Herz vor Aufregung raste. Sein Schwert richtete er auf seinen Feind.
Für seinen König! Für Elidor!
Dieser Gedanke machte ihn stark. Vorbereitet auf den spitzen Schnabel und die messerscharfen Klauen, duckte er sich unter ihnen durch, fegte blitzschnell herum und griff nach einem Flügel. Sofort begann seine Hand innerlich bei der Berührung mit den rötlichen Federn zu glühen. Mit zusammengebissenen Zähnen drängelte er das Wesen zu Boden. Ehe es sich fassen und aufrappeln konnte, stieß Cedric ungerührt mit seinem Schwert zu, direkt ins Auge des Vogels, und die Klinge zerbarste. Augenblicklich erstarb das lodernden Feuerrot in dessen Blick.
Das Licht verwandelte sich zu einer kalten Finsternis, starr und gefühllos. Der junge Ritter beugte sich mit funkelnden Augen zu dem sterbenden Geschöpf hinab und zischte: »Auge für Auge!« Dann ließ er seine gebrochene Klinge in die Schwertscheide gleiten und richtete sich auf.
Nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ein neuer Teil und ich muss sagen, dass es so ausarten würde, hätte ich am Anfang nicht gedacht.
Wie findet ihr denn den Kampf? Ist die Länge in Ordnung? Was meint ihr, passiert mit König Raigan und was mit Cedric?
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