Kapitel 5
Als ich blinzelte, schien die Sonne warm auf meinen zerschundenen Körper und ich hatte schreckliche Kopfschmerzen. Ich blinzelte wieder und versuchte, klar die Umgebung zu erfassen. Wie war ich hierher gekommen? Langsam rappelte ich mich auf und hielt mich an einem Baum fest, als mir die Ereignisse des vergangenen Tages wieder einfielen. Da war dieser Sturm gewesen und ein Baum, der mir Sicherheit geboten hatte. Alles um mich herum war verwüstet und ich hatte schrecklichen Durst. Hier musste doch irgendwo ein Bach sein aus dem ich trinken konnte! Als ich mich umsah, entdeckte ich etwas Glänzendes auf dem Boden und ging darauf zu. Es war der Schlüssel an seinem Lederband. Wenigstens war er nicht weggeweht worden. Schnell hängte ich mir die Kette wieder um und suchte dann weiter. Erst, als ich einem Bach gefunden hatte, der an einem Waldrand verlief, hielt ich inne und trank mich satt. Vielleicht war das hier ja der Wald, den ich vom Schloss aus sehen konnte. Dorthin musste ich sowieso zurück, aber im Wald würde ich meinen einzigen Anhaltspunkt verlieren. Den Berg, der hinter dem Schloss aufragte, deshalb lief ich am Waldrand los. Zum Glück machte der Wald bald eine Schneise, sodass ich mich nun genau auf den Berg zubewegte. Erst, als mir die Sonne erbarmungslos in den Nacken brannte und ich großen Hunger hatte wagte ich mich in den Wald, um nach Essbaren zu suchen. Nach einiger Zeit, in der ich mir immer einen Weg zurück markiert hatte , fand ich einen Strauch mit reifen Brombeeren, die ich mir hungrig in den Mund steckte. Viel zu schnell war der Strauch leer und ich kehrte zurück zum Waldrand, wo ich mich erst einmal ins Moos legte, um ein wenig zu schlafen. Als ich aufwachte, ging die Sonne gerade wieder auf und ich machte mich weiter auf die Suche nach dem Schloss. Gegen Mittag kam mir eine Gestalt entgegen, die ich erst erkennen konnte, als sie direkt vor mir stand. „Lydia!“ „Lyss! Du siehst schrecklich aus! Komm, das Schloss ist zu weit entfernt, ich bringe dich zu mir auf den Bauernhof.“ Müde nickte ich und folgte der Ritterin auf direktem Weg zu einem schäbigen, kleinen Hof. Ich musste schrecklich aussehen, in zerrissenen Klamotten und total verdreckt. Meine Eltern wären ausgeflippt, wenn sie mich so gesehen hätten. Lydia führte mich ins Wohnzimmer, wo ich mich auf das Sofa setzten durfte, während sie mir Klamotten holte. Wenig später durfte ich mich im Badezimmer umziehen. Als ich mein Gesicht im Spiegel sah, erschrak ich. Ich war bleich, verdreckt und von Kratzern übersäht. Zuerst legte ich meine Kleidung ab und schrubbte mich mit einem Waschlappen ordentlich ab; danach schlüpfte ich in Lydias Sachen, die mir viel zu groß waren. Als ich auch damit fertig war, versteckte ich den Schlüssel sorgfältig wieder unter dem T-Shirt, das ich trug. Auch wenn Lydia mich gerettet hatte, kannte ich sie nicht wirklich gut genug, um ihr mein Geheimnis anzuvertrauen. „Deine Cousine wird jeden Moment kommen und dich abholen. Die Kleidung kannst du behalten“, sagte Lydia, als es auch schon an der Tür klingelte. Ich lief zur Tür und machte auf; sofort fiel mir Conny um den Hals. „Lyss! Dir geht's gut! Gott sei Dank! Danke, Lydia, danke!“ Ich fragte mich, ob sie wirklich nur mein Auffinden gemeint hatte. Conny lief vorweg zum Schloss und ich folgte ihr. Als wir ankamen, warteten Oma und Opa vor dem Tor und auch sie umarmten mich heftig. Ich wurde in das Kaminzimmer geführt, wo es Kekse und Kakao gab. Immer wieder musste ich die Geschichte meines Abenteuers erzählen, bis ich ganz heiser war. Dann erzählte Conny ihre Geschichte. Sie hatte sich mit Freunden getroffen, während ich im Dorf herumgelaufen sei, aber als der Sturm kam, war sie zurück ins Schloss und hatte es auch leicht geschafft. Sie war davon ausgegangen, dass auch ich jeden Moment kommen würde, und als klar war, dass ich nicht mehr kommen würde, war der Sturm schon in vollem Gange, was es unmöglich machte, nach mir zu suchen. Aber gleich nach Sturmende hatten sie Suchtrupps organisiert. Das hatte meistens Conny gemacht, in einem Trupp waren immer drei. Sie selbst hatte mit Lucah und Ben am Berg geschaut, ob ich irgendwo lag. Meine Eltern waren glücklicherweise noch nicht verständigt worden. Dann, endlich, konnte ich ins Bett gehen. Ich schlief einen ganzen Tag durch und wachte mittags wieder auf. Ich hatte mich, wie mir mit einem schlechten Gewissen bewusst wurde, schon lange nicht mehr bei Mia und Lilly gemeldet. Zu viel war in letzter Zeit passiert. Ich griff zu meinem Handy und drückte auf Videoanruf, nachdem ich Lillys Nummer gewählt hatte. Sofort erschien ihr Gesicht. Sie zog scharf die Luft ein. „Wie siehst du denn aus, Lyss? Was ist passiert? Bist du von Aliens überfallen worden?“ Ich musste lachen. „Nein, Lilly, alles in Ordnung. Aber in letzter Zeit ist wirklich sehr viel passiert. Warte, ich lade Mia in den Anruf ein.“ Ich drückte einige Knöpfe und bald war auch Mia zu sehen. „Hey, Lyss! Cool, dass du Mal wieder anrufst. Also, los, was willst du uns sagen?“ Ich holte tief Luft und erzählte ihnen die ganze Geschichte: „Also, Vorvorgestern, da wollte ich mich anziehen und mir ist die Engelskette runtergefallen...“ Nachdem ich fertig erzählt hatte, fühlte ich mich irgendwie wacher; es tat gut, endlich jemandem die Wahrheit zu erzählen. Mia brach als erstes das Schweigen nach meiner Geschichte: „Also hast du deine Kette gesucht, dabei einen Hebel gefunden, bist in einen Geheimgang gekommen, in den Einafch so ein Schlüssel rumlag und dann bist du weiter reingelaufen und hast ganz gechillt einer Versammlung eines Geheimbundes gelauscht, der sich die Löwen nennt, die jüngere Generation von irgendwas ist und dessen ältere Generation irgendwelche Ritter sind. Das nächste Mal erzählst du uns wahrscheinlich noch, diese Ritter sind die Löwenritter.“ „Mia, du bist ein Genie!“, rief ich, „Dass ich darauf nicht früher gekommen bin! Ich muss los in die Bibliothek, findet solange alles über die Löwenritter raus, was ihr könnt.“ „Das war ein Scherz“, meinte Mia. „Aber trotzdem total logisch! Ich muss jeder Spur nachgehen.“ „Also, ich bin dabei“, gab Lilly bekannt, „Mission Löwenritter!“ „Mission Löwenritter!“, wiederholten wir alle, selbst Mia machte mit. Dann beendete ich den Anruf und lief in die Bibliothek. Dort fuhr ich mit dem Finger die Regale entlang, bis ich endlich ein Buch fand, das vielversprechend zu sein schien. „Die Löwenritter - hier sind alle gleich“, las ich laut vor. Ich nahm das Buch und setzte mich damit in einen Winkel der Bibliothek, in der ein großer Ohrensessel stand, der sehr bequem war. Dann schlug ich das Buch auf und ging an zu lesen.
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