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Januar 1982, vier Monate zuvor
"Sie sind also der neue Vermieter." Die ältere Dame stand gegen die Tür ihrer Wohnung gelehnt und musterte Remus von oben bis unten. "Muss ich packen?"
Remus zuckte zusammen, ließ vom Bücherkarton ab, den er gerade den Flur entlang schleifte und richtete sich auf.
"Meine Güte, Sie sind ja lang wie ein Spargel", sagte die Frau. Sie hatte eine recht tiefe Stimme und einen leicht osteuropäischen Akzent. "Vielleicht kommen Sie sogar an die kaputte Glühbirne im Hof."
Remus blinzelte, wusste nicht so genau, was er sagen sollte. Er hatte nicht wirklich mit Menschen kommuniziert, seit November, wenn man seine aggressiven Diskussionen mit Dumbledore, den Sekretären der Abteilung für magische Strafverfolgung und den Leuten im Postamt nicht mitzählte. Wovon es vielleicht besser war, wenn man es nicht tat.
"Guten Tag", sagte er also. "Sie müssen nicht packen."
Die Frau brummte zufrieden.
"Das hört man gern mit zweiundsiebzig." Sie sah Remus noch einmal genau an. "Haben Sie schon zu Mittag gegessen?"
Remus sah überrascht auf seine Taschenuhr. Tatsächlich, es war beinahe 15:00 Uhr. Er hätte gedacht, es wäre noch Vormittag - regelmäßige Mahlzeiten waren noch nie seine Stärke gewesen. Er schüttelte den Kopf.
"Ich räume zuerst noch die Sachen ins Haus", erklärte er. Seine neue Mieterin, anscheinend, schüttelte streng den Kopf.
"Die Sachen laufen nicht weg", erklärte sie. "Kommen Sie rein, essen Sie ein paar Pierogi."
Remus hatte keine Ahnung, was Pierogi waren und ob es geschickt war, sich als allererstes bei seiner Mieterin zum essen einladen zu lassen, aber ihr Tonfall ließ nicht wirklich Raum für Protest. Er folgte ihr stumm in die Wohnung.
Es war, als würde man durch die Zeit reisen, alles war strikt aus den 60ern und keinen Tag älter. Auf dem Tisch standen frische Blumen, an den Wänden hingen geblümte Tapeten und auf dem Fußboden lagen dicke Teppiche.
"Wie heißen Sie eigentlich?", fragte die ältere Dame, während sie den Kühlschrank öffnete und eine große Dose mit etwas herausholte, was Remus entfernt an Ravioli erinnerte.
"Remus Lupin", sagte er. "Und Sie?"
Die Frau schmunzelte, stellte eine große gusseiserne Pfanne auf den Herd und drehte sich dann wieder zu Remus um.
"Edyta Grzeszkowska." Sie sah ihn durchdringend an, dann machte sie eine Geste zum Küchentisch. "Setzen Sie sich, Mr Lupin."
Remus beobachtete sie, während sie die nicht-Ravioli in die Pfanne tat, dann eine große Zwiebel zur Hand nahm und klein schnitt. Sein Blick wanderte durch die Küche, an den Wänden hingen einige schwarz-weiß-Fotos, diverse Zierteller, über der Tür ein kleines Holzkreuz.
"Wohnen Sie schon lange hier, Mrs Grzeszkowska?", versuchte er sich an Small Talk, hoffend, dass er sich ihren Namen richtig gemerkt und vielleicht nicht allzu falsch ausgesprochen hatte.
"Hier in Little Whinging?", fragte sie, ohne von der Pfanne aufzusehen, in der jetzt auch die Zwiebeln landeten. "Ungefähr dreißig Jahre. In England etwas länger." Sie drehte sich zu ihm herum, als sie noch einmal zum Kühlschrank ging und wirkte beinahe ein wenig amüsiert. "Und es reicht, wenn Sie Edyta sagen. Meine Seele erträgt es nicht dauerhaft, was Sie mit meinem Namen anstellen."
Remus lief rot an und er sah hinunter auf die blau karierte Tischdenke.
"Entschuldigung", murmelte er, aber sie lachte nur. Der Duft von gebratenen Zwiebeln füllte die Küche und Remus fiel auf einmal auf, wie hungrig er tatsächlich war, vor allem, als Edyta schließlich einen dampfenden Teller vor ihn hinstellte.
Pierogi, wie sich herausstellte, waren gefüllte Teigtaschen und sie waren köstlich. Edyta schob eine kleine Schüssel mit etwas Weißem darin zu ihm hinüber.
"Nehmen Sie etwas twaróg dazu", empfahl sie. "Meine Tochter hat ihn mir aus Polen mitgebracht." Remus beäugte es.
"Was ist das, cream?" Er strich vorsichtig etwas davon auf seine Pierogi. Edyta lachte leise.
"Ha", sagte sie. "Twaróg ist, was cream gern wäre."
Remus probierte es. Es schmeckte für ihn genau wie cream, aber er beschloss, Edyta das nicht zu verraten.
"Also, was ist Ihre Geschichte?", fragte sie, setzte sich ihm gegenüber auf die Küchenbank und schaute ihn prüfend an. "Kürzlich getrennt?"
Remus verschluckte sich an einem Bissen Pierogi.
"Es ist kompliziert", sagte er dann schnell und diesmal war er derjenige, dessen Tonfall keinen Protest zuließ.
~~~~~
Mai 1982, in der Gegenwart
"Als du gesagt hast, dass es kompliziert ist, hast du mir das Baby aber verschwiegen", war das erste, was Edyta sagte, als sie an Julies erstem Morgen zu Hause vor Remus' Tür stand.
Er sah genauso aus, wie man sich den Vater eines zwei Tage alten Kindes vorstellte: noch im Schlafanzug, nicht geduscht, unausgeschlafen und mit einem großen Fleck Milch auf der Brust. Er lächelte gequält.
"Überraschung?", fragte er halbherzig. Julie, die er mit beiden Händen auf dem Arm hielt (die Tür hatte er mit dem Ellenbogen geöffnet), schrie wie am Spieß.
"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte Edyta laut, um das Kind zu übertönen und lugte über Remus' Schulter in die Wohnung hinein, in der pures Chaos herrschte, obwohl Julies Ankunft weniger als 15 Stunden her war. Remus schüttelte den Kopf und versuchte, sie ein wenig zu schaukeln, in der Hoffnung, dass sie sich beruhigte.
"Ich komm klar, alles gut", versicherte er seiner Nachbarin. Edyta seufzte.
"Darf ich dir helfen?", fragte sie dann. Kurz hielt er inne, überlegte, auch das abzulehnen, aber Julie schrie immer noch und er war, gelinde gesagt, am Ende seiner Weisheiten angekommen.
"Bitte", sagte er also und es klang fast ein wenig flehend. Edyta schmunzelte und betrat die Wohnung. Sie streckte die Arme nach Julie aus und Remus überreichte sie ihr vorsichtig. Die Kleine war nicht begeistert, aber Edyta nickte Remus zu.
"Zieh dir ein frisches T-Shirt an", schlug sie vor. "Ich komme klar für den Moment."
Remus hätte weinen können, so erleichtert war er, dass sie hier war. So schnell er konnte, verschwand er im Schlafzimmer und zog sich ein frisches Oberteil über. Er hörte, wie Edyta mit Julie hinüber ins Wohnzimmer ging und beruhigend auf polnisch auf sie einredete. Es half nur minimal, aber immerhin. Er kam zurück und beschloss, die Gelegenheit zweier freier Hände zu nutzen, um zumindest ein winzig kleines bisschen Ordnung zu machen.
Edyta saß auf dem Sofa, schaukelte Julie sanft hin und her, was sie zumindest ein wenig zu beruhigen schien.
"Wie heißt sie?", fragte sie neugierig. Remus versenkte die Überreste der letzten Milchzubereitung in der Spüle (und der davor...und der davor vermutlich auch) und drehte sich um.
"Julie", sagte er und konnte nicht anders, als dass sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl. Edyta sah von Kind zu Remus und dann wieder zurück.
"Wo ist ihre Mutter?"
Remus öffnete den Mund, dann schloss er ihn.
"Wenn ich sage, dass es kompliziert ist, wirst du mich weiter löchern, oder?", fragte er leise. Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. Er seufzte. "Sie kommt nicht zurück", sagte er dann, auch wenn das Laura in einem weit schlechteren Bild zeichnete, als sie verdient hatte. "Es ist ok, wir waren nicht..." Er ließ den Satz in der Luft hängen.
Edyda wirkte ein wenig ungläubig.
"Du wirst sie ganz allein großziehen?", fragte sie überrascht. Remus zuckte etwas hilflos mit den Schultern.
"Da gibt es noch jemand anders", sagte er dann. "Wir wollten sie eigentlich zusammen nehmen. Aber..." Er brach ab, weil er nicht so genau wusste, wie er den Satz beenden wollte. Er sitzt im Gefängnis? Besser nicht.
"...es ist kompliziert?", schlug Edyta vor. Remus nickte erleichtert. Sie musterte Julie, die sich langsam zu beruhigen schien. "Sie ist wirklich herzallerliebst."
Remus beobachtete die beiden und fragte sich unwillkürlich, ob Julie es im Alter von zwei Tagen geschafft hatte, sich selbst eine Großmutter zu organisieren. Merlin wusste, Remus würde das nicht stören.
~~~~~
Februar 1982, drei Monate zuvor
"Remus, Remus, kommen Sie schnell!"
Remus sah überrascht von der Leiter herunter zum Fenster, aus dem seine Nachbarin eifrig winkte. Gerade hatte er sich Mühe gegeben, den Efeu in den Griff zu bekommen, der die gesamte hintere Fassade des Hauses zuwucherte. Allgemein hatte es der Vorbesitzer in einem fürchterlichen Zustand hinterlassen und Remus hatte mehr als genug zu tun, es wieder halbwegs präsentabel zu machen. Jetzt kletterte er eilig von der Leiter herunter und beeilte sich, in Edytas Wohnung zu kommen.
Sie kannten sich inzwischen seit einem Monat und Remus hatte sie wirklich zu schätzen gelernt. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr er davon abhängig war, dass andere ihn zu bestimmten Tätigkeiten zwangen. Essen gehörte dazu, schlafen auch. Edyta übernahm diese Aufgabe mit Freude.
Sie wusste, dass Remus kochen konnte, aber das hielt sie nicht davon ab, ihn regelmäßig zu sich einzuladen. Manchmal lud sie aber auch sich selbst zu ihm ein, dann saß sie an seinem Küchentisch und unterhielt sich mit ihm. Er wusste, dass sie sieben Geschwister hatte, von denen die meisten, die noch lebten, in Polen geblieben waren. Sie war mal verheiratet gewesen, aber das war schon lange her, sie hatte zahlreiche Kinder und Enkelkinder, die sie aber kaum sah, weil bis auf eine Tochter alle auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs lebten.
Sie fragte Remus nicht nach seiner Vergangenheit und er konnte nicht in Worte fassen, wie dankbar er dafür war. Hätte er reden wollen, sie wäre da gewesen, das war unmissverständlich. Aber er wollte nicht und sie drängte nicht.
Jetzt betrat er schnell ihre Wohnung - die Tür zum Flur stand offen - und folgte ihrer Stimme zur Vorderseite, wo sie an einem Fenster stand und auf die Straße hinunterschaute.
"Du wolltest doch mehr über die Nachbarschaft erfahren, oder?", fragte sie aufgeregt und deutete auf eine Gruppe Frauen und Kinder, die eifrig schnatternd die Straße hinunter liefen. "Hier ist die beste Gelegenheit."
Remus trat neben sie. Es waren drei junge Frauen, er schätzte sie alle auf Mitte zwanzig, zwei davon schoben einen Kinderwagen, zwei Jungen im Alter zwischen zwei und drei rannten voraus, zwei Mädchen im gleichen Alter hielten sich eng an die Frauen und ein kleiner Junge dackelte hinterher und schien sich in jedem Vorgarten die Blumen genau anzuschauen. Eine der Frauen drehte sich zu ihm um und rief etwas und er schloss eilig wieder zur Gruppe auf.
"Wer ist das?", fragte Remus, ohne die Augen von dem kleinen Jungen mit den strubbeligen schwarzen Haaren zu nehmen die wippten, wenn er rannte.
"Das sind die Drachen der Nachbarschaft und ihre Sprösslinge", erklärte Edyta. Während die Gruppe die Straße herunterschlenderte, zählte sie die Namen der Frauen und Kinder auf, wer zu wem gehörte. Remus merkte sich kaum etwas.
"Die beiden Jungs vorne?", sagte sie unheilvoll, "von denen bin ich mir sicher, dass das die werden, die in der Schule die kleineren in einen Spind schubsen. Völlig verzogen von ihren Mamas. Dudley ist der schlimmere, das ist der Sohn von Petunia Dursley. Sie hält sich für unglaublich wichtig, nimm dich vor ihr in Acht. Wenn sie rausfindest, dass du nicht verheiratet bist, wird sie dich dafür kritisieren und nein, dabei kommst du nicht weg. Vermutlich wird sie das Gerücht streuen, dass du ein uneheliches Kind hast, um das du dich nicht kümmerst."
Remus zog die Augenbrauen hoch. Einen solchen Schlag unter die Gürtellinie hätte er von Lilys Schwester nicht erwartet. Er deutete auf Harry.
"Wer ist das, zu wem gehört er?"
Edytas Augenbrauen zogen sich mitleidig zusammen.
"Harry Potter", berichtete sie. "Der Neffe von Petunia, armes Ding. Seine Eltern sind letztes Jahr bei einem Autounfall gestorben. Glaubt man den Dursleys waren sie wohl betrunken, aber naja, das sind Leute, die Gerüchte über anderer Leute illegitime Kinder verbreiten, also bin ich vorsichtig, ihnen das abzunehmen." Sie seufzte. "Sie hütet den Jungen wie einen Augapfel. Oder nein, sie hütet ihn wie ein Geheimnis."
"Er", hätte Remus am liebsten gesagt. "Wegen ihm bin ich hier. Weil er nicht bei diesen Leuten wohnen sollte, sondern bei mir."
Aber das sagte er natürlich nicht.
Hi, es ist nicht Mittwoch. Aber ich habe beschlossen, den Update-Zeitplan noch einmal umzuschmeißen. Die Geschichte ist mir etwas aus dem Ruder gelaufen und aktuell sieht es so aus, als landen wir am Ende bei ungefähr 60 Kapiteln. Äh...ja, das hatte ich auch nicht vorhergesehen. Geschrieben habe ich allerdings schon 50 davon (auch DAS habe ich nicht vorhergesehen, glaubt mir), deshalb hab ich mich entschlossen, dass es ab jetzt wieder dreimal in der Woche ein Kapitel gibt - dienstags, donnerstags und samstags. Dann reicht die Geschichte trotzdem bis Ende November.
Es tut mir ein bisschen leid um MITTWOCH, aber ich wollte es gleichmäßig über die Woche verteilen, also...sorry, Mittwoch. (Ich hätte auch den Montag dazu nehmen können, aber es ist mir gerade eben aufgefallen und dann wollte ich sofort ein Kapitel posten xD)
Ich hoffe, ihr seid damit ok :)
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