16
Es war das längste und unangenehmste Frühstück, was Remus je erlebt hatte. Jerry und auch Remus und Mary gaben sich alle Mühe, ein Gespräch in Gange zu bringen und am Laufen zu halten, aber Sirius verhielt sich, als hätte er auf einen Schlag vergessen, wie man Sätze bildete. Seine Antworten waren einsilbig und er schien sich nichts mehr zu wünschen, als verschwinden zu können. Jules und Harry beobachteten ihn die ganze Zeit misstrauisch.
Irgendwann schwang das Thema um auf die Pläne für den vor ihnen liegenden Samstag und die Kinder tauten ein wenig auf - ab da beteiligte sich Sirius überhaupt nicht mehr am Gespräch.
Gegen viertel vor neun entschuldigte sich Remus nach unten, um den Laden zu öffnen und Harry begleitete ihn, weil er den Vormittag mit einem neuen Buch über Schlangen verbringen wollte, das Remus bestellt hatte. Jerry wollte sich später mit Triv treffen und auf dem Weg dahin Jules bei den Jacksons absetzen, der mit Hannah verabredet war. Im Rausgehen hörte er noch, wie Mary vorschlug, dass Tatze mit ihr den Wocheneinkauf erledigen könnte.
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Und so begann Phase zwei von Sirius' Anwesenheit im Ligusterweg. Er verbrachte jetzt auch gelegentlich Zeit als Mensch außerhalb von Remus' und seinem Zimmer, saß im Wohnzimmer mit einem Buch oder machte Pläne, wie man Peter aus der Reserve locken konnte.
Harry taute langsam auf um ihn, fragte ihn sogar ein oder zweimal nach seinen Eltern und einmal sah Remus, wie sie sich mit Mary zusammen alte Fotos anschauten.
Jules hingegen blieb bei seiner Einstellung: er mochte Tatze (er hatte die ersten beiden Tage versucht, auch ihm aus dem Weg zu gehen, fand ihn allerdings nach eigener Aussage, "zu niedlich" dafür), aber er machte einen großen Bogen um Sirius. In Remus' Anwesenheit antwortete er einsilbig, wenn Sirius ihm Fragen stellte, aber er tat alles, um nicht allein in seiner Nähe sein zu müssen.
"Er ist echt mein Dad, oder?", fragte er kritisch an Tag drei, als Remus ihn abends ins Bett brachte. Auf die Frage, ob er wollte, dass Sirius ihm Gute Nacht sagte, hatte er schnell den Kopf geschüttelt.
Remus nickte.
"Ich will nicht, dass er mein Dad ist", entschied Jules und verschränkte die Arme. Remus strich ihm durch die Haare.
"Warum das denn nicht?", fragte er vorsichtig. Jules schüttelte den Kopf.
"Ich will, dass du mein Dad bist", sagte er. "Wenn er echt mein Dad ist, warum war er nie da?"
Remus schluckte.
"Also erstmal, ich bin immer noch dein Dad", sagte er schnell. "Ich werde auch immer dein Dad sein. Aber er ist es auch. Und er würde sich glaube ich echt freuen, wenn du ihm eine Chance gibst, dir zu zeigen, wie lieb er dich hat. Es ist nämlich nicht seine Schuld, dass er nicht da war." Er überlegte kurz. "Weißt du noch, als Mum letztes Jahr nicht zu deinem Geburtstag da sein konnte, weil sie genau da auf Klassenfahrt war?"
Jules nickte.
"Siehst du, sie wäre viel lieber hier gewesen und hätte mit uns gefeiert", erinnerte Remus ihn. "Aber sie konnte nicht. Es ging nicht anders. Und du warst traurig und das war auch vollkommen in Ordnung. Aber es war nicht ihre Schuld und als sie wieder da war, haben wir nochmal gefeiert und es war total cool, weil es fast so war, als hättest du nochmal Geburtstag, hm?"
Jules grinste ein wenig.
"Es gab zweimal Kuchen!", fiel ihm ein und seine Augen strahlten begeistert. Remus schmunzelte und nickte.
"Siehst du?", meinte er dann. "So ist es mit Sirius auch gewesen. Er wäre viel lieber hier gewesen als...unterwegs. Und es ist vollkommen ok, wenn du traurig bist oder wütend, dass er nicht da war. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht alle Geburtstage, die er verpasst hat, nochmal feiern können, oder?"
Jules schien darüber kurz nachzudenken.
"Mit mehr Kuchen?", fragte er dann. Remus lachte und nickte.
"Meinetwegen auch mit mehr Kuchen."
~~~~~
Remus fand Sirius im Schlafzimmer, als er bei Jules fertig war und auch Harry Gute Nacht gesagt hatte. Er hatte die Knie an die Brust gezogen und seine Stirn lag darauf.
"Gute Nachrichten", sagte Remus grinsend, während er seine Strickjacke auszog und auf einen Stuhl schmiss. "Ich glaube, Jules ist bereit, dich näher kennen zu lernen. Unter der Voraussetzung, dass es Kuchen gibt."
Sirius hob den Kopf und sah Remus beinahe ausdruckslos an.
"Das heißt, du musstest ihn bestechen, damit er freiwillig Zeit mit mir verbringt?", fragte er zynisch.
Remus hielt inne darin, sein Hemd aufzuknöpfen und musterte ihn etwas überrascht.
"Nein", sagte er dann bedächtig. "Das heißt, ich habe eine, wie ich finde, recht diplomatische Lösung gefunden, ihm zu erklären, warum du nicht da warst und dass es nicht deine Schuld ist und er ist immer noch traurig, aber bereit, neue Erinnerungen zu machen." Er hielt kurz inne. "Und diese Lösung enthielt das Versprechen von nachgeholten Geburtstagsfeiern, ergo Kuchen."
Sirius' Poker Face veränderte sich kein Stück.
"Ja, aber irgendwelche Feiern nachzuholen und Kuchen zu essen, ändert nichts daran, dass er recht hat", erklärte er dann. "Ich war nicht da. Ich war vollkommen nutzlos und ich bin es nach wie vor, denn Jules hat dich und er hat Mary - wozu braucht er mehr?"
Remus ließ endgültig von seinem Hemd ab und setzte sich stattdessen neben Sirius aufs Bett.
"Sirius, du bist nicht nutzlos", sagte er ruhig, zum hundertsten Mal in den letzten anderthalb Wochen. Wie oft hatten sie dieses Gespräch schon geführt? Remus hatte das Gefühl, sie drehten sich im Kreis. Immer, wenn er dachte, dass Sirius endlich verstanden hatte, dass er erwünscht war, passierte irgendetwas und seine Stimmung schwang wieder um.
Remus hatte selbst mit Depressionen zu tun gehabt, wenn auch lange nicht in den Dimensionen, in denen er sie jetzt gerade bei Sirius beobachten konnte. Er wusste, dass es nicht seine Schuld war, dass sie immer und immer wieder darüber redeten, dass Sirius immer und immer wieder an diesem düsteren Punkt landete, an dem er nicht begreifen konnte, dass er im Ligusterweg 32 willkommen war.
Aber auch Remus war nur menschlich. Einen Laden zu führen, einen Teenager zu Hause zu unterrichten und zwei Kinder im unteren Grundschulalter zu haben war eine Herausforderung - Sirius' aktuelle Situation auf das Ganze oben drauf war, wenn er vollkommen ehrlich war, kräftezehrend.
"Du bist nicht nutzlos", wiederholte er trotzdem. "Wir alle wollen dich hier. Ich will dich, Mary genauso. Mit Jerry hast du schon ein paarmal geredet, und sogar Harry taut auf. Und ich bin mir absolut sicher, dass es bei Jules genauso wird, auch wenn er vielleicht noch einen Moment braucht." Er griff nach Sirius' Hand. "Es ist neu für uns alle, dass du hier bist. Wir müssen uns alle ein wenig umgewöhnen. Aber das hat nichts damit zu tun, dass wir dich nicht als Person gerne hier haben."
Sirius schnitt eine Grimasse.
"Aber genau das ist es doch, Remus", sagte er dann starr. "Ihr seid eine Familie. Ihr seid Vater und Mutter und drei Kinder, euer Leben ist wunderbar. Und ich? Ich bin nichts weiter als ein Eindringling." Er entzog Remus ruckartig seine Hand. "Schau dich doch an. Du könntest in der Küche sitzen und mit Jerry und Mary UNO spielen. Stattdessen bist du hier drin und musst dich damit rumschlagen, dass ich einfach nicht mit dem zufrieden sein kann, was ich habe!"
Er rückte ein Stück von Remus weg, der überrascht die Augenbrauen hob.
"Sirius, wir könnten auch einfach beide rüber gehen und mit Mary und Jerry UNO spielen", erinnerte er ihn. "Du bist kein Eindringling, wir haben dich eingeladen. Wir sind Familie, du musst dich nur drauf einlassen!"
"Nein!", sagte Sirius ungehalten und seine Stimme wurde lauter. "Ihr seid Familie! Ihr habt Jules großgezogen und ihr habt Jerry und Harry adoptiert! Ihr habt ein perfektes Leben und ich mache es kaputt! Ihr wärt besser dran ohne mich!" Er sah Remus direkt in die Augen. "Du wärst besser dran ohne mich."
Für einen Moment konnte Remus ihn nur fassungslos anstarren. Dann stand er abrupt auf.
"Ich habe nicht sechs Jahre gebettelt und gefleht, dich besuchen zu dürfen, damit du mir in die Augen schaust und mir sagst, ich wäre besser dran ohne dich", sagte er kühl. "Ich habe nicht über Jahre an deinem Geburtstag und unserem Hochzeitstag geweint, weil ich nichts mehr wollte, als dass du hier wärst, damit du jetzt sagst, ich wäre besser dran ohne dich. Ich habe nicht dafür mit Severus Snape geredet und mit Dumbledore gestritten, ich bin nicht mit dem Besen ins verdammte Askaban geflogen und habe mich von Dementoren überwältigen lassen und eine Verwarnung vom Ministerium kassiert, um von dir zu hören, dass ich besser dran bin ohne dich!"
Er lief im Raum auf und ab und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ein wenig lauter wurde, während er sich weiter und weiter in Rage redete:
"Ich wollte über die letzten Jahre nichts mehr, als dich wieder zu haben! Ich wollte nichts mehr, als dass du Jules mit mir großziehst! Also sag mir nicht, ich wäre besser dran ohne dich!" Es war, als würde sich die ganze Anspannung der letzten Tage auf einmal entladen. "Du hast kein Recht, mir zu sagen, was für mich das beste ist! Ich habe so viel gekämpft, um dich wieder zu sehen!"
"Dann hättest du mehr tun sollen!", unterbrach Sirius ihn, jetzt genauso laut und auch er sprang auf. "Du hättest Amelia früher persönlich fragen können! Du hättest früher kommen können! Dann wäre ich auch früher wieder hier gewesen!"
Es war der Tropfen, der Remus über die Grenze schwemmte. Die Grenze von Wut und Enttäuschung - zu bitterer Kälte. Denn Sirius hatte gerade genau das gesagt, von dem Remus immer Angst gehabt hatte, dass er es sagen könnte. Von dem Mary ihm immer versichert hatte, dass er es niemals sagen würde, weil Sirius verstehen würde, dass Remus alles in seiner Macht stehende getan hatte.
Aber jetzt hatte er es gesagt.
"Es tut mir leid", sagte Remus noch tonlos und vollkommen ohne jegliche Emotion. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
I'm...so sorry.
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