15
Die Situation setzte sich und das Leben pendelte sich langsam in einer neuen Normalität ein. Sirius verbrachte die Tage als Hund im Buchladen, Harry, Jules und Jerry waren begeistert von seiner Anwesenheit, insbesondere als er langsam kräftiger wurde und begann, mit ihnen zu spielen. Eine Woche, nachdem Sirius angekommen war, nahmen sie ihn sogar mit in den Park, auch wenn Mary sie nach zwanzig Minuten wieder nach Hause beorderte, weil sie sich Gedanken um Sirius' gerade heilende Lunge machte, der die Temperaturen um Null zwei Wochen vor Weihnachten sicherlich nicht gut taten.
Nach sieben Tagen, in denen Sirius sich unter ihrem strengen Blick langsam an eine normale Kalorienmenge herangearbeitet hatte, war die ständige Angst, dass sein Metabolismus nicht hinterher kam, gesunken. Mary warnte zwar, dass noch nicht alles geschafft war, aber alles in allem sah es danach aus, dass er wieder okay werden würde.
Er hatte sich ein beachtliches Stück seiner Haare abgeschnitten und war jetzt wieder bei einer Länge bis knapp zur Schulter. Mit Remus' Zauberstab hatte er seine Pflegezauber wieder aufgenommen und würde er noch wieder zunehmen, war er auf einem guten Weg, dass man ihm die letzten sechs Jahre bald nicht mehr äußerlich ansehen konnte.
Anders stand es um seine mentale Verfassung. An manchen Tagen war er kaum von dem Sirius zu unterscheiden, den Remus von vorher in Erinnerung hatte: dann scherzte er mit Remus und Mary abends, wenn die Kinder im Bett waren und Jerry unterwegs oder in seinem Zimmer war, beäugte neugierig Jerrys Make-up-Kollektion im Bad und las strahlend die Briefe von Remus, in denen er Jules' Leben beschrieb.
Aber so schnell wie ein Grinsen auf seinem Gesicht auftauchte, so konnte seine Stimmung auch wieder umschwingen. Dann war er wieder in Askaban, in der Kälte und Dunkelheit. Dann hielt er Remus fest oder verkroch sich als Hund winselnd unter einem Tisch. Dann suchte er Körperkontakt um jeden Preis. Noch schlimmer war es, wenn er ein Mensch war: dann machte er sich Vorwürfe, wie damals alles gelaufen war, dass er etwas hätte anders machen können, dass er hätte da sein müssen. Dann blätterte er wieder und wieder durch die Fotos von Jules und Remus und Mary und Remus konnte sehen, wie er sich mit jeder Faser seines Körpers wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen. Dann verlor er die Kontrolle und wurde wütend, wurde laut und dann still.
Es tat Remus in der Seele weh, seinen Kampf zu sehen und nichts tun zu können, außer ihm gut zuzureden und ihn zu halten, wenn er zusammenbrach.
"Es ist ok", sagte Sirius jedes Mal, wenn er den Tiefpunkt hinter sich gelassen hatte und es wieder besser wurde. "Ich bin ok."
Und Remus nickte dann, obwohl sie beide wussten, dass es nicht stimmte. Es war nicht ok. Vermutlich würde es noch eine ganze Weile dauern, bis es wieder ok war.
"Es ist ok, nicht ok zu sein", flüsterte Remus eines Abends, acht Tage nach Sirius Ankunft. Sirius schüttelte den Kopf.
"Nicht, wenn ich ein Vater für Jules und Harry sein will", sagte er. "Sie haben was besseres verdient, als jemanden, der in Panik verfällt, wenn Metall gegen Metall schlägt, weil es sich ein kleines bisschen so anhört wie die Zellentüren."
Remus musterte ihn.
"Ich glaube, die beiden würden sich in jedem Fall freuen, dich kennen zu lernen", sagte er vorsichtig. "Ich glaube, ihnen ist das egal."
"Aber mir ist es nicht egal!", antwortete Sirius scharf. Remus schwieg.
"Es ist deine Entscheidung", sagte er dann leise. "Aber wann immer du soweit bist, ich stehe hinter dir. Du gibst das Tempo vor."
~~~~~
Wie sich herausstellte, gab Sirius nicht das Tempo vor. Denn wie Remus auf die harte Tour lernen musste, hatte er vollkommen unterschätzt, wie viel Aufmerksamkeit fürs Detail ein kleiner siebenjähriger Junge hatte, der in einem Haushalt aufgewachsen war, in dem es für ihn extrem wichtig war, auf kleine Details zu achten.
Das wäre so an sich bestimmt nicht zum Problem geworden, hätte Harry nicht seine Beobachtungen mit Jules und Jerry geteilt, die im Gegensatz zu ihm überhaupt keine Hemmungen hatten, es auszunutzen, dass sie Remus und Mary gegenüber in der Überzahl waren.
Es war anderthalb Wochen nach Sirius' Einzug, zehn Tage vor Weihnachten, sie saßen alle gemeinsam beim Abendessen, Sirius war unter dem Tisch und wurde von drei Kinderhänden "heimlich" mit versorgt und Remus schwante nichts Böses, als Jerry plötzlich vollkommen beiläufig sagte:
"Wann dürfen wir Tatze eigentlich in seiner menschlichen Form kennen lernen?"
Remus verschluckte sich an seinem Hühnchen, Mary hustete ebenfalls und Sirius streckte zwischen Mary und Jules überrascht den Kopf über den Rand des Tisches, um in die Runde schauen zu können.
"Wie bitte?", fragte Mary vorsichtig. Jules und Jerry sahen Harry an, der aussah, als wollte er am liebsten unsichtbar werden.
"Harry hat gesehen, dass im Bad eine neue Zahnbürste ist!", verkündete Jules dann, als Harry keine Anstalten machte, seine Ergebnisse selbst zu präsentieren. Remus zog überrascht die Augenbrauen hoch. Im Bad waren ungefähr zwanzig Zahnbürsten, von denen die meisten nicht aktiv benutzt wurden, aber bei denen sich auch niemand verantwortlich fühlte, sie zu entsorgen. Er war nicht auf die Idee gekommen, dass es jemandem auffallen könnte, dass Sirius eine weitere dazwischen gemogelt hatte.
"Und ich weiß, dass seit Tatze aufgetaucht ist, jemand anderes mit in deinem Schlafzimmer schläft", ergänzte Jerry. "Ich kann ihn hören und riechen."
Remus wurde rot. So hatte er sich das nicht wirklich vorgestellt.
"Und alle aus meiner Klasse, die einen Hund haben, machen morgens und abends mit ihm einen Spaziergang", ergänzte Harry leise, "aber wir machen das mit Tatze nicht. Was keinen Sinn ergibt, wenn er ein normaler Hund wäre."
"Wir haben dich überführt!", erklärte Jules vehement, dem es sichtlich Freude bereitete, diesen Satz zu sagen, von dem Remus nur vermuten konnte, dass er ihn in Marys Krimiserien aufgeschnappt hatte.
"Ist Tatze in Wahrheit ein Mann, mit dem du ausgehst?", ergänzte Jerry neugierig. "Schläft er hier, weil er wie Harry und ich kein Zuhause hatte?"
"Was ist mit Jules' Dad?", wollte Harry vorsichtig wissen. "Du hast immer gesagt, dass er irgendwann zurückkommt."
Jules schien das jetzt erst klar zu werden.
"Ist Tatze mein Dad?", fragte er begeistert. Dann wurde sein Blick kritisch und ein wenig enttäuscht. "Wenn Tatze mein Dad ist, warum will er uns dann nicht kennen lernen? Wir sind wirklich cool."
Remus sah hinüber zu Sirius, der aussah, wie gelähmt.
"Kinder", mischte sich Mary sanft ein, "ihr habt recht. Tatze ist ein Animagus. Aber er hat das Recht, selbst zu entscheiden, wann er euch kennen lernen möchte, findet ihr nicht?" Sie sah in die Runde. Jerry nickte etwas betreten, Harry und Jules wirkten weniger davon überzeugt. Mary fuhr mit der einen Hand vorsichtig über Sirius' Kopf, mit der anderen strich sie durch Jules' Haare. "Was haltet ihr alle davon, wenn wir morgen früh eine richtige Kennenlernrunde machen? Wenn Tatze Zeit hatte, sich darauf vorzubereiten? Wäre das in Ordnung?" Sie schaute zwischen den Kindern und Sirius hin und her und Remus fiel auf, dass es das erste Mal war, dass er sie sich wirklich als Lehrerin vorstellen konnte.
Harry nickte jetzt ebenfalls und auch Sirius schaffte es, einmal mit dem Kopf zu nicken. Jules starrte ihn immer noch bohrend an. Dann gab auch er nach.
~~~~~
Remus wusste nicht, ob er es gut fand oder nicht, dass der nächste Tag ein Samstag war, aber kurz vor acht zog der Geruch von Bohnen und Ei durch die Wohnung - überraschender Weise hatte sich herausgestellt, dass Mary, die in der Küche normalerweise nicht wirklich Talent aufbrachte, ein grandioses englisches Frühstück zubereiten konnte.
Der Buchladen öffnete um neun, Frühstück gab es deshalb um acht, meist ohne Jerry, dem das an einem Samstag eindeutig zu früh war, vor allem, da er am Wochenende keine Schichten übernahm (Ausbildung hin oder her, Remus fand, das Wochenende sollte ihm gehören). Heute hörte er allerdings auch seine Stimme in der Küche, genau wie Harry und Jules.
Remus selbst war noch im Schlafzimmer, ebenso wie Sirius, der nervös auf und ab lief.
"Ich war sechs Jahre nicht da und jetzt bin ich seit anderthalb Wochen hier und habe mich ihnen nicht einmal vorgestellt!", sagte er ungehalten. "Wer macht sowas? Kein Wunder, dass Jules denkt, ich will ihn nicht kennen lernen!" Er bleib abrupt stehen und sah Remus aus großen Augen an. "Moony, ich will ihn unbedingt kennen lernen! Ich will seit sechs Jahren nichts mehr!"
Remus griff nach seinem Arm.
"Ich weiß", sagte er leise. "Und deshalb gehen wir jetzt rüber in die Küche und du wirst Harry und Jules und Jerry treffen und es wird ein bisschen unangenehm und ihr werdet nicht wissen, was ihr zueinander sagen sollt und danach könnt ihr dann anfangen, eine Vater-Kind-Beziehung aufzubauen."
Sirius schluckte.
"Ich werde mit ihnen nie das haben, was du hast", murmelte er. Remus seufzte.
"Tatze, ich habe auch keine magische Verbindung mit ihnen", erinnerte er seinen Mann. "Alles, was ich habe, ist ein bisschen Vorsprung. Habe ich eine engere Beziehung mit ihnen? Natürlich. Aber Jerry wird dich mir nichts, dir nichts, cooler finden als mich, glaub mir. Harry ist ohnehin erst seit zweieinhalb Monaten hier, das ist ein wirklich kleiner Vorsprung, den ich da habe und Jules ist noch so klein, dass du definitiv die Chance hast, eine genauso große Präsenz in seinem Leben zu werden, wie Mary oder ich." Er drückte Sirius' Arm. "Gib euch etwas Zeit. Ein Schritt nach dem anderen." Er deutete in Richtung Zimmertür. "Bereit?"
Sirius holte noch einmal tief Luft, dann nickte er.
"Besser wird's nicht mehr."
Remus schmunzelte.
Dann öffnete er die Tür.
~~~~~
Die Gespräche in der Küche verstummten auf einen Schlag, als Remus und Sirius in der Tür erschienen. Jules, Harry und Jerry starrten Sirius allesamt aus großen Augen an und Sirius starrte stumm zurück. Remus fiel ein, dass es das erste Mal war, dass er sie in Farbe sehen konnte - natürlich hatte er Farbfotos gesehen, er wusste, dass Jules blonde Locken hatte und seine Augen, er wusste dass Jerrys Haut die Farbe von Vollmilchschokolade hatte und dass er gerne quietschbunte Klamotten trug und er wusste von früher, dass Harry James' Haare und Lilys Augen hatte. Aber es war nicht das gleiche, natürlich nicht.
Remus und Marys Blicke trafen sich, sie sah genauso unsicher aus, was sie sagen sollte, wie Remus sich fühlte und schob nur ein wenig die Spiegeleier in der Pfanne hin und her.
"Hi", brach Jerry schließlich das Schweigen und winkte. "Cooles Shirt."
Sirius sah an sich herunter, er trug ein ausgewaschenes Led-Zeppelin-Shirt, von dem Remus sich nicht sicher war, wem von ihnen es ursprünglich mal gehört hatte.
Ein unsicheres Grinsen huschte über Sirius' Gesicht und er nickte erleichtert, bevor seine Augen zu Harry und Jules hinunterhuschten, die ihn immer noch stumm ansahen. Remus räusperte sich.
"Allesamt", sagte er, "das ist Sirius. Sirius, das sind Jerry, Jules und Harry."
Sirius schluckte.
"Hi", sagte er etwas heiser. Remus war sich nicht sicher, ob er ihn zuvor mal sprachlos erlebt hatte (oh doch, als er ihn damals mit sechzehn das erste Mal geküsst hatte, das hatte ihm auch die Sprache verschlagen).
"Setzt euch, alle Mann", ergriff Mary das Wort und nahm die große Pfanne vom Herd. "Essen ist fertig."
Jules und Harry schienen zu warten, wo sich Sirius hinsetzen würde. Er nahm an der Stelle Platz, von der er wusste, dass sonst niemand dort saß. Im Gewusel fiel Remus auf, dass beide Kinder, aber vor allem Jules, ihm auswichen. Er biss sich auf die Unterlippe - er hatte nicht damit gerechnet, dass die beiden Kinder Sirius sofort begeistert in die Arme springen würden. Ein fremder Mann in der Wohnung sorgte selbstverständlich für ein gewisses Misstrauen, insbesondere wenn selbiger Mann im gleichen Zimmer schlief wie der eigene Vater. Er hatte trotzdem die Hoffnung gehabt, dass Jules' hohes soziales Bedürfnis dafür sorgen würde, dass er Sirius nach wenigen Minuten mit Fragen löchern würde, wie es bei Minerva gewesen war.
Jerry schien ebenfalls aufzufallen, dass seine Brüder es beide um jeden Preis vermeiden zu wollen schienen, ein Gespräch mit Sirius anzufangen, also brach er das Schweigen ein zweites Mal:
"Du bist also mit Remus und Mary in der Schule gewesen?"
...hey. Ich wette, das hattet ihr euch anders vorgestellt, hm? Naja, ich will noch nicht zu viel verraten, aber fürs nächste Kapitel müsst ihr nochmal wirklich stark sein.
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