69. Linus
Ich machte mir einige Gedanken, was uns wohl erwartete. Leon konnte es mir nicht genau sagen, und ich hatte etwas Angst davor, ein totes Mädchen aufzufinden.
Wir hielten im Wald an einem Haus, das sich fast genau auf unserer Grenze befand. Keiner kannte es und als ich ausstieg, fröstelte es mich ein wenig.
Es war alt und heruntergekommen. Düster lag es zwischen den Bäumen und ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm, denn auch mein Wolf war unruhig.
Ich sah zu unseren Männern, die hinter uns standen und sich nervös umsahen. Sie scannten die ganze Gegend ab, als wären wir im Krieg. Als ich Tyler ansah, zuckte dieser nur mit den Schultern. Im Haus hörte ich es knacken und langsam nahm ich die Klinke in die Hand und drückte sie nach unten, um die Tür zu öffnen. Ich stieß sie auf und mit einem Knarren öffnete sie sich und gab uns den Blick auf das Innere frei. Tyler und ich traten ein und sahen uns um. Es war soweit sauber, dennoch roch es leicht nach Modder.
Vor einer Treppe saß ein kleiner Wolf und knurrte uns an. Ich sah sie freundlich an. Es musste Kira sein und ging langsam in die Hocke.
"Kira. Du musst keine Angst haben. Wir sind da, um zu helfen. Matt hat uns hierher geschickt, um Sina zu helfen. Ist sie da oben? Lässt du uns vorbei?": fragte ich sie und lächelte wieder.
Sie stand auf und lief hin und her. Ihre Rute zuckte und sie sah unschlüssig zu uns, der Tür und nach oben. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und sie hatte Angst. Sie knurrte und winselte zwischendrin.
Tyler trat einen Schritt vor. Ich beobachtete, wie sie ihn böse ansah und knurrte. Ihr ganzes Nackenfell sträubte sich.
"Tyler. Das hat keinen Sinn. Sie hat viel zu viel Angst. Sie weiß, dass sie die einzige zwischen uns und Sina ist, die sie beschützen kann. Hol den Jungen, er wird sie überreden können.": sprach ich und sah im Augenwinkel, wie er das Haus verließ.
"Kira. Du machst das ganz toll. Du bist eine gute Beschützerin, aber wir
müssen hoch zu Sina. Du willst doch auch, dass sie wieder gesund wird.":
Probierte ich es erneut. Doch sie saß nur da und jaulte herzzerreißend.
"Kira. Komm her. Sie wollen Sina nur helfen. Komm zu mir, mein Schatz.": rief Nate und kniete sich auf den Boden. Er hielt die Arme auf und Kira kam heulend und winselnd angerannt und warf sich in seine Arme.
Er versuchte, sie zu beruhigen, sprach leise auf sie ein und kuschelte sich in ihr Fell. Ich warf Tyler einen Blick zu und stieg dann die knarzenden Treppen hinauf. Mein Wolf wurde immer unruhiger und ich wusste nicht was los war.
Vor einer geschlossenen Tür blieben wir stehen. Mein Wolf winselte und ich roch einen lieblichen Duft aus Mandeln und Kirschen.
Ich öffnete die Tür und der Duft erschlug mich fast. Fassungslos stand ich da und blickte auf das bewusstlose Mädchen das im Bett lag.
Sie war meine Mate.
Ich rannte um das Bett und fühlte ihren Puls. Er war da, aber schwach. Ihre Haut war kalt, doch die Stirn heiß. Tyler kam an meine Seite, doch mein Wolf wollte es nicht und knurrte.
"Sorry, Tyler. Sie ist meine Mate.": sprach ich entschuldigend. Doch er grinste nur, um dann wieder ein Stück zurück zu gehen.
"Du weißt schon, das ich meine Mate habe und selbst markiert wurde?": fragte er spitz.
Ich musste lachen und hatte Tränen in den Augen. Ich war voller Freude, aber auch Trauer. Ich hoffte ich konnte herausfinden, was ihr fehlte.
"Kannst du die Trage unten fertig machen. Ich trage sie dann runter."
Er war wieder konzentriert, nickte mir zu und verschwand mit meiner Tasche nach unten. Ich trat wieder an Sinas Bett und gab ihr einen Kuss auf ihre Stirn. Sie stöhnte leise und ich war mir sicher, das sie mich und meinen Wolf spürte.
Sanft hob ich sie hoch und drückte sie an mich. Mein Wolf jaulte vor Freude und war aber traurig, dass sie krank war und schlief.
Langsam ging ich mit ihr die Stufen nach unten und hoffte dass die Treppe stabiler war als das ganze Haus.
Unten angekommen kam mir Nate entgegen und ich knurrte tief, das er stehen blieb und mich mit großen Augen ansah. Kira war immer noch verwandelt und knurrte ebenfalls.
Ich sah sie nur an und sie zog die Rute winselnd ein.
"Linus. Es ist ihr Bruder. Tut mir leid, Nate, aber er lässt jetzt niemanden an sie ran. Er ist ihr Gefährte. Wir fahren zurück und dann ins Krankenhaus. Leon hat mir gerade gelinkt, das er die Zwillinge schon schreien hören hat. Am besten sollte Kira sich noch verwandeln und etwas anziehen. Wir warten im Auto,
aber bitte macht schnell.": hörte ich Tyler sagen.
Ich ging an ihnen vorbei und legte Sina auf die bereitgestellte Trage. Boris und Joric halfen mir, sie in den Krankenwagen zu schieben, wo ich ihr gleich einen Zugang legte. Nach gefühlten hundert Jahren kamen wir am Rudelhaus an. Nach meinen Anweisungen von unterwegs war alles vorbereitet und ich konnte mit der Untersuchung beginnen.
Es tat mir in der Seele weh, meine gerade gefundene Gefährtin auf dem Tisch zu haben, aber ich würde jetzt auch niemanden anderen an sie ran lassen.
Ich wäre gerne mit ins Krankenhaus gefahren, um unsere frisch geschlüpften Rudelmitglieder zu begutachten. Immerhin habe ich sie bzw. ihre Mutter die ganze Zeit begleitet.
Ich stand vor ihr und war mir nicht ganz sicher, wo genau ich anfangen sollte. Ich nahm ihr erst mal Blut ab und ließ es im Labor untersuchen. Doch irgendetwas störte mich an ihrem Zustand.
Ich zog ihr die Socken aus und wollte gerade ihre Hose öffnen, als ich hinunterblickte, hörte ich ein Geräusch. Ich drehte mich um und entdeckte ein Mädchen, das im Türrahmen stand und mich mit Tränen in den Augen ansah.
"Es tut mir leid, das ich dich angeknurrt habe. Ich wollte Sina beschützen. Sie ist doch unsere Anführerin.": brabbelte sie. Durch das Weinen konnte ich sie gerade so verstehen.
"Kira. Komm her. Du brauchst nicht zu weinen. Ich bin nicht sauer auf dich. Du hast alles richtig gemacht.": sagte ich und öffnete meine Arme. Sie rannte auf mich zu und warf sich weinend hinein. Ich fuhr mit der Hand über ihren Rücken und
drückte sie fest an mich.
Die armen Welpen. Ich glaubte, dass sie langsam merkten, das sie Hilfe brauchten. Selbst Nate war, obwohl er versucht hatte, es zu unterdrücken, zusammengebrochen. Tyler hatte ihn getröstet und ich konnte ihm ansehen, das er fast mit geweint hatte. Solange sie unter sich waren, konnten sie sich gegenseitig Halt geben. Aber jetzt, so getrennt, spürten sie, dass auch andere für sie da sein konnten und suchten unsere Nähe. Deshalb war Nate auch im Auto geblieben, denn an den Augen sah man, das Tränen geflossen waren. Ich hatte größten Respekt, das die sechs es so lange ohne Hilfe geschafft hatten und hoffte dass ihre Zukunft besser wurde.
Ich hatte keine Ahnung, was Leon mit ihnen vorhatte. Aber ich war mir sicher, dass er sie keinesfalls mehr in das alte Haus ließ.
"Kira. Willst du mir bei Sina helfen? Ich müsste sie ausziehen, um sie zu
untersuchen.": fragte ich sie und drückte etwas von mir weg, um ihr Gesicht zu sehen.
Tränen um Tränen verließen ihr Gesicht. Sanft wischte ich sie ihr weg und sie sah mich mit traurigen Augen an.
"Wird sie sterben?": fragte sie geradeaus und ich schluckte. Die Vorstellung war grausam und für mich nicht akzeptabel. Mein Wolf jaulte, er wollte genauso wenig wie sie verlieren.
Ich strich ihr über den Kopf und schüttelte den Kopf. Der Gedanke daran zerbrach mir das Herz.
"Ich werde alles dafür tun, das sowas nicht passiert. Hörst du?": fragte ich
bestimmend und sie nickte traurig lächelnd. Kira und ich zogen sie bis auf die Unterwäsche aus. Ich inspizierte ihren ganzen Körper. Auch Kira sah sich ihre Arme und Beine genau an.
Zusammen drehten wir sie auf die Seite, als mir an der Schulter eine kleine Wölbung auffiel. Ich tastete sie ab und spürte etwas Hartes darunter.
Ich rief zwei Schwestern zu mir und zusammen betteten wir sie auf eine Liege, um sie ins CT zu bringen. Das Ergebnis war schnell da. In ihrer Schulter war ein Fremdkörper, der unbedingt herausmusste.
Zurück im Behandlungszimmer, bereiteten wir alles vor. Der Fremdkörper war schnell entfernt und die Wunde ausgespült.
Ich säuberte es und hielt es fassungslos in der Hand. Es war eine kleine Silberkugel.
Sie musste von jemandem angeschossen worden sein, und die Kugel hatte sie langsam vergiftet. Ich ordnete eine Blutwäsche an und war mir sicher, ihren Zustand schnell zu verbessern.
Ich ließ sie ungern alleine, aber ich musste unbedingt mit Leon über die Sache sprechen.
Ich gab ihr einen Kuss und Kira versprach, bei ihr zu bleiben. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihr zurückkehren.
Die Kugel gab ich zur Untersuchung an ein Labor weiter und war gespannt zu hören, was sie erzählen konnten.
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