47. Ben
Ich lauschte dem Tun meiner Clanmitglieder. Sie sprachen davon, dass Ians Gefährtin endlich bei uns sei.
Ich schüttelte den Kopf.
Mein Bruder.
Er hatte es wirklich getan. Er hat Cassiopeia zu sich geholt. Ich war damals dagegen, doch es interessierte niemanden, was ich dazu zu sagen hatte.
Es war eine arrangierte Ehe, die niemals funktionieren würde. Cassiopeia war ein Freigeist und würde darunter leiden und auch zugrunde gehen, denn ich war damals dabei, als ihr es verkündet wurde.
Ich konnte ihre Gefühle spüren. Sie war wütend, hatte Angst und litt damals schon darunter.
Unsere Familie war keine unbekannte. Uns gehörte das ganze Land. Das Stück Land, was Cassiopeias Clan bewohnte, sollte wieder an uns zurückgehen, doch ihre Eltern weigerten sich. Sie bräuchten es für sich und ihren Clan. So kamen sie auf den glorreichen Gedanken, Ian und Cassiopeia zu vermählen und die Clans zu vereinigen. Cassiopeia weigerte sich. Sie war am Boden zerstört und verzweifelt. Wir spielten schon als Kinder zusammen und jetzt sollte sie einfach ihm gehören.
Ihm.
Meinem Bruder.
Meinem jüngeren Bruder.
Denn eigentlich hätte ich als Erstgeborener das Anrecht als Clanführer gehabt. Doch als Kind hatte ich einen Unfall. Meine Sprache litt darunter. So wie mein Aussehen. Mein Gesicht war leicht entstellt, doch Cassy hatte niemals ein Problem damit. Ich war damals in sie verliebt und hätte ihr das niemals angetan.
Sie hatte sich zurückgezogen. Lachte nicht mehr so viel und war nur noch traurig. Ich hatte sie nicht mehr oft zu Gesicht bekommen. Mein Vater hatte mich von ihr fern gehalten.
Ich war nicht dumm. Im Gegenteil, doch es änderte für meinen Vater nichts daran. Ian sollte den Clan übernehmen.
So kam es, dass Cassiopeia vor ihrem 18. Geburtstag verschwand. Ich musste zugeben, ich bewunderte ihren Mut, einfach abzuhauen und alles hinter sich zu lassen. Wie gerne hätte ich das damals auch getan.
"Halt sie doch fest! Ich warne dich! Wenn sie abhaut! Ich mache dich kalt! Schließ den verdammten Käfig ab!": hörte ich Ian brüllen. Cassiopeia schrie. Sie schrie ihren Schmerz und Trauer hinaus. Ich litt mit ihr und wollte ihr so gerne helfen.
Ich beugte mich weiter vor, um zu sehen, was sie taten. Ich beobachtete, wie sie um die Voliere standen und Cassiopeia angafften.
Sie saß auf einer Stange und ließ einen ihrer Flügel seltsam hängen. Mir war sofort klar, dass sie verletzt war, aber Ian fiel es wohl nicht auf.
"Cassy! Ich bin froh, dass du endlich da bist! Ich hatte dich vermisst! Du weißt, dass du mir gehörst!": sagte er und streckte seine Hand durchs Gitter.
Ich ahnte was passieren würde und zack, hatte sie ihn in die Hand gehackt. Ich musste schmunzeln. Er hatte es auf jeden Fall verdient.
"Verdammtes Miststück! Ich weiß echt nicht, was mit dir los ist! Du wurdest mir versprochen und ich bestehe auf den Deal! Du hattest doch früher selbst immer gesagt, dass wir heiraten werden!": brüllte er wütend und hielt sich seine blutende Hand.
Ja. Es stimmte. Cassiopeia hatte es immer gesagt! Aber wir waren Kinder und es war schon so lange her. Ian sah es einfach nicht. Er war zu besessen von Cassy, dass er sie jetzt sogar einsperrte.
"Du bleibst hier und denkst mal in Ruhe über alles nach! Zu deinen Wölfen brauchst du nicht mehr zurückzukehren! Du gehörst mir! Hast du das verstanden?": hörte ich ihn sagen.
Das war ein Fehler. Sie würde sich niemals auf ihn einlassen. Jetzt erst recht nicht. Aber mein Bruder war so verbohrt, dass er echt nicht mehr sah, was richtig und was falsch war.
Ich beobachtete, wie sie eine Decke über die Voliere warfen und den Käfig zur Seite schoben. Sie ließen sie alleine.
Ich wartete, bis sie außer Hörweite waren und stieg langsam die Treppe hinunter, um zum Käfig zu gelangen.
Ich schob die Decke zu Seite. Dort saß sie und weinte. Sie sah nicht gut aus und sie tat mir unendlich Leid.
"Cassy! Hörst du mich? Komm zu mir! Bitte! Dein Flügel ist verletzt, das seh ich doch!": sprach ich leise.
Cassiopeia sah auf und ihre gelben Augen sahen mich traurig an. Dennoch konnte ich einen Funken Hoffnung in ihnen sehen. Ich nahm sie vorsichtig raus und zupfte die Decke zurecht. Leise schlich ich mich zurück zur Treppe und rannte nach oben in meinen Turm. Ich setzte mich auf mein Bett, legte mir ein Handtuch auf den Schoß und legte Cassy vorsichtig auf den Rücken. Sie zappelte und es gefiel ihr überhaupt nicht.
"Schhhh! Ruhig! Zappel nicht, du weißt doch, dass ich dir nie etwas tun würde! Ich will mir nur deinen Flügel anschauen!": versuchte ich sie zu beruhigen.
Still lag sie auf meinen Beinen und zwitscherte leise vor sich hin.
Ich nahm den Flügel und zog ihn vorsichtig zur Seite. Ich beobachtete sie genau, wann sie vor Schmerz zusammenzuckte.
Ich hielt ihn fest und sah mir ihren Körper genau an. Die Verletzung war größer, als ich vermutet hatte und ich machte mir wirklich Gedanken, ob sie jemals wieder fliegen konnte.
Ich hielt meine Hand auf die verletzten Stellen und konzentrierte mich auf sie. Ich spürte wie meine Hand kribbelte und die Energie auf Cassy überging.
Sie bewegte sich keinen Millimeter und lag einfach nur da. Sie wusste und spürte, dass etwas mit ihr passierte. Sie sah mich mit ihren gelben Augen an. Die Schlitze ihrer Pupillen musterten mich genau. Ich lächelte sie an und legte meine Hand auf ihre Brust. Unter meiner Hand entspannte sie sich immer mehr, dass ihr anderer Flügel auf der anderen Seite durchhing. Sie schloss die Augen und legte ihr Schicksal wortwörtlich in meine Hände.
Ich weiß nicht, wie lange wir dort saßen, als ich plötzlich mehrere Personen hörte, die die Treppen hinauf rannten.
Die Tür wurde aufgestoßen und mein Bruder stand mit ein paar anderen mir fremden Kerle im Zimmer.
"Bruder! Was hast du getan?": fragte er ängstlich. Ich verstand gar nicht, warum sie uns alle so angsterfüllt ansahen. Cassy lag noch immer mit gespreizten Flügeln auf meinem Schoss, als ich plötzlich einen verführerischen Duft wahr nahm.
Ich sah auf und entdeckte eine hübsche schwarzhaarige, die hinter meinem Bruder stand. Sie sah betroffen aus. Eher, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Ich hatte sie schon mal gesehen.
Ich legte Cassy vorsichtig auf mein Bett und ging auf sie zu. Mein Bruder stellte sich mir in den Weg und ich knurrte ihn an. Mein Blick suchte den ihren. Sie stand immer noch hinter ihm und hielt sich an ihm fest. Erst jetzt vielen mir ihre Augen auf. Sie hatten einen silbernen Glanz und mir kam es. Sie war blind. Doch mir war es egal. Ich hatte meine Gefährtin gefunden. Ich drückte meinen Bruder von mir weg und stand genau vor ihr.
Ich strich mit meinem Finger über ihre Wange und sie legte ihr Gesicht in meine Hand. Langsam zog ich sie mit meiner anderen Hand zu mir und seufzte leise.
"Wie heißt du, meine Schöne?": fragte ich sie und strich ihr über den Rücken.
"Leila!": kam es leise von ihr und ich spürte ihre Tränen an meiner Brust.
Ich war glücklich.
Glücklich, jemanden gefunden zu haben.
Ich hörte, wie ein blonder Typ Cassys Namen rief und sich an mir vorbeidrückte. Unsere Blicke trafen sich kurz und ich wusste, dass er Cassiopeia glücklich machen würde. Ich beobachtete, wie er sie vorsichtig hochhob und an sich drückte.
"Sie darf sich die nächste Zeit nicht verwandeln! Ich konnte ihr ein wenig den Schmerz nehmen und die Heilung beschleunigen, aber den Rest muss sie selbst machen!": sprach ich zu ihm.
Er nickte mir zu und lächelte mich an.
Er streckte mir seine Hand entgegen und ich schlug ein.
"Mein Name ist Damian und das ist meine Mate! Ich werde sie wieder nach Hause bringen!": sagte er entschlossen.
"Mein Name ist Ben und ich bin froh, dass Cassy jemanden gefunden hat, der sie glücklich machen wird! Pass gut auf sie auf!": sagte ich zu ihm und nahm meine Gefährtin an die Hand.
"Komm mit, meine schöne! Wir suchen uns einen ruhigen Ort, wo wir uns kennenlernen können! Hier ist mir momentan zu viel Trubel!": sagte ich und zog sie aus dem Zimmer.
Ich hörte meinen Bruder lachen und die anderen stimmten mit ein. Wenigstens, da waren sie sich einig.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro