Kapitel 22: Rückkehr
Langsam, fast andächtig machten wir uns schließlich zurück zum Schloss. Leise begleitete uns dabei das sanfte rascheln des jungen Grases. Inzwischen war die Sonne weiter über den Himmel geschritten, ließ die Schatten die wir warfen immer kürzer werden. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie lange wir wirklich auf der Lichtung verbracht und geredet hatten. Inzwischen hatte sich meine Laune auch deutlich gehoben, soweit dass ich sogar das ein oder andere Mal herzhaft hatte lachen müssen - was angesichts meiner verspannten und geschunden Muskeln ziemlich schmerzhaft sein konnte, wie ich zu meinem eigenen Überraschen feststellte. Gut aber vielleicht lag es auch daran, dass ich nie wirklich viel gelacht hatte. Ernst und Misstrauen hatten mein Leben gezeichnet. Wie sollte es auch anders sein, wenn jeder Tag eine neue Gefahr mit sich bringen konnte? Man kam nie wirklich zur Ruhe. Man zuckte zusammen, wenn ein knacken im Unterholz erklang, spannte sich automatisch an. Bereitete sich darauf vor, dass sich jeden Moment etwas auf einen stürzen konnte. Egal wo hin man sich wandte, auf sich allein gestellt, war man immer ein leichtes Opfer - Ein Jäger der zur Beute wurde. Man rechnete immer mit dem Schlimmsten und war umso erleichterter, wenn man wieder einen Tag überlebt hatte. Hier, mit Lucian an meiner Seite, merkte ich wie seit vielen Jahren das erste Mal ein unbekannter Frieden in mir aufstieg, während wir uns unterhielten. Ein Gefühl von Vertrauen, was dafür sorgte, dass ich ein wenig die Mauern die auch um mich herum aufgebaut hatte sanken. Ja, ich genoss es mir den Moment der Schwäche zu gönnen und einfach mal abzuschalten und mit Lucian über belangloses Zeug zu reden und zu lachen. Es waren angenehme Momente, doch auch diese mussten irgendwann enden. Immerhin konnten wir uns nicht ewig in den Wäldern verschanzen. Nein, wir mussten zurück. Ich musste zurück, ob ich es wollte oder nicht.
So hatten wir uns schließlich seufzend auf den Rückweg gemacht. Waren wieder in ein unangenehmes Schweigen versunken, sobald das Licht die Bäume die uns verborgen gehalten hatten, durchbrach und die ersten Häuser vor uns auftauchten. Und in der Mitte sich glänzend rot die Mauern des Schlosses erhoben. Sofort kehrte das ungerichtete Gefühl in mir zurück. Die Anspannung und ein drehen und ziehen in meinem Inneren. Instinktiv wollte ich zurückweichen. Mich wieder tiefer in die schützenden Schatten der Bäume drücken. Diese Häuser, dieses Schloss wirkten für mich wie neu auferstandenen Dämonen. Feinde, die dort auf mich lauerten und nur darauf warteten zuzuschlagen. Es kostete mich eine Menge Überwindung und Kraft meine Schritte schließlich weiter zu lenken.
Stimmen hallten durch die Gassen, als wir der gepflasterten Straße, die mich Lucian vor einigen Stunden in Richtung Wald gezerrt hatte, zurück zum Schluss nahmen. Einige Anwohner waren in Hitzige Debatten vertieft, von denen ich nur Bruchteile mitbekam, nur einzelne unzusammenhängende Worte, weil die Gespräche entweder sofort verstummten, oder sich die Stimmen so weit senkten, dass es selbst mit unseren übernatürlichen Sinnen unmöglich war sie zu verstehen. Blicke hefteten sich auf uns, glitten erst fast flüchtig, ehe sie etwas länger auf mir verharrten. Nun, dass man mich etwas stärker musterte, war vermutlich kein Wunder. Immerhin sah ich aus, als hätte ich mit einem Schurken gekämpft. Mein einst edles, rotes Hemd war voller Dreck und zerrissen, ging in Fetzen über meine Schultern und offenbarte mehr, als es verdeckte, sodass ich schließlich, von Unwohlsein getrieben, meine gesundere Hand vor meinen Körper zog um die kläglichen Reste zusammenzuhalten um wenigstens einige der Narben, die ich trug zu verbergen. Meine Andere Hand, die die über Stunden hin dem eisigen Bach gelegen hatte hing Nutzlos an mir herunter. Lediglich das Kribbeln was langsam durch die Muskeln und Nerven ging, verriet das mein Körper dabei war die Erfrierung zu heilen. Meine Jeans sah nicht sonderlich besser aus. Von dem blauen, langen und robusten Stoff war nicht mehr viel übrig geblieben und die Fetzen die noch waren, wurden von Blut und Dreck dunkler gezeichnet, sodass kein Blau mehr zu erkennen war. Meine braunen Haare klebten an meinem Kopf, ich fühlte die immer noch feuchten Strähnen, die mir immer wieder ins Gesicht rutschten. Der Weg war anstrengend gewesen für meinen gequälten Körper und forderte seinen Tribut. Zweifellos fieberte ich, verstärkte nur den kalten Schweiß den die Angst mir auf die Haut trieb. Alles in Allem musste ich wohl ein ziemlich erschreckendes Bild abgeben, denn ich spürte wie die Blicke mir folgten und das Tuscheln immer lauter wurde. Ein unruhiger Schauder rannte mir den Rücken herab und ich spürte wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Trotz meiner Erscheinung, war da etwas was mich zu gleichen Teilen verwirrte als auch verunsicherte. In all den Augen die sich auf mich gerichtet hatte konnte ich keinen Funken Feindseligkeit erkennen. Die Leute betrachteten mich mit einer Art neugewonnenen Respekt und Interesse. Beides war etwas, mit dem ich nicht umgehen konnte. Weshalb ich instinktiv meine Schritte verschnellerte um so schnell wie möglich wieder aus den Blicken der Wölfe und Lykaner um mich herum zu verschwinden.
„Nomade!" eine Stimme, wehte uns entgegen. Ließ mich vor Schreck zusammenfahren und doch ein wenig zu schnell herumwirbeln, was mein Körper mit einem schmerzlichen Ziehen quittierte und mich zwang etwas schärfer die Luft einzuziehen. Ein Mann dunkelblonder Mann, in den 30igern, flankiert von zwei identischen Wölfen mit pechschwarzem Fell, hielt geradewegs auf uns zu. Seine Augen glühten Bernsteinfarben, während die seiner Begleiter braun waren und ich erkannte, dass er der Beta sein musste. Einer von 3 Betas des Moonlight-Rudels. Instinktiv spannte ich mich an und verfluchte innerlich meine Rückkehr.
„Ganz ruhig..." murmelte Lucian neben mir.
Guter Witz, zischte es in meinen Gedanken. Wie sollte ich angesichts dieser Flut von Aufmerksamkeit ruhig bleiben? Innerlich hätte ich Lucian am liebsten eine Zentriert, weil er es gewesen war der mich überzeugt hatte zurück zu kommen. Ich hätte meinen Instinkten folgen und verschwinden sollen. Wen interessierte es schon, dass ein Rouge verschwand. Auch die Tatsache, dass es unhöflich war, ich zog lieber die Missgunst auf mich als Aufmerksamkeit.
🐺
Die Bernsteinaugen musterten mich unverhohlen. Ich spürte wie ein leichtes Zucken meine Oberlippe überlief, als ich gegen ein Grollen ankämpfen musste. Einen Moment war der Blick des Betas starr und eisig, musterte mich. Blieb ein klein wenig länger auf den zerrissenen Sachen hängen, ehe seine Augenbraue leicht zuckte, ohne dabei zu verraten was er wirklich dachte, ehe sein Blick weiter über mich glitt, an meiner paralysierten Hand verharrte, ehe er den Kopf wieder hob. Irgendwo hatte ich diese arroganten Gesichtszüge schon einmal gesehen, die mich abschätzig und höhnisch musterten. „Das ist Sergei Stropov, der erste Beta. Er hat uns am Flugplatz abgeholt..." zischte Lucian mir zu, als hätte er meine Gedanken erraten. Fast automatisch verzog sich mein Gesicht, als ich die Nase rümpfte. Natürlich einer der Anzugträger. Und gerade der, der mich von ihnen nicht eines Blickes gewürdigt hatte, während ich die Abscheu seiner Männer formlich hatte schmecken können. Anscheinend hatte sich nichts an seiner Haltung mir gegenüber geändert, etwas was mich nicht im Geringsten störte, im Gegenteil ich begrüßte es fast.
„Danke für die Vorstellung, Alpha Leaf..." brummte Stropov, der inzwischen vor uns stand. Als Braver Rouge hätte ich meinen Kopf gesenkt. Aber wer behauptete, dass ich diesen Anstand besaß? Ganz davon abgesehen das Stropov fast einen halben Kopf kleiner war als ich und so den Kopf heben musste um mir in die Augen sehen zu können.
„Gern geschehen, ihr habt ja schon beim ersten Mal nicht die Höflichkeit besessen euch vorzustellen..." zischte Lucian zurück und hob den Kopf um dem Lykaner Beta in die Augen sehen zu können. Das Rot in den Augen meines Freundes verriet, dass sein Wolf sich in den Vordergrund drängte und angesichts der Haltung des Betas sich herausfordert fühlte. Fast brachte mich diese Reaktion zu gleichen Teilen spöttisch als auch amüsiert zu Grinsen. Es war offensichtlich das Lucian den Lykaner überhaupt nicht ausstehen konnte. Doch wenn wunderte es, Sergei schien der Lebende Beweis dafür zu sein, dass sie Lykaner sich für etwas Besseres hielten. Ein Grund mehr den Kopf nicht vor ihm zu senken. Anders als die beiden Zwillingsgestalten hinter ihm, die angesichts der aufbauenden Spannung anfingen unruhig von einer Pfote auf die Andere zu treten. Stropov unterdessen verzog das Gesicht und ich ahnte, dass ein Knurren in seiner Kehle aufstieg, als sein Blick sich auf Lucian neben mir heftete. Kaum merklich legte ich den Kopf schief, zum Teil interessiert anhand des Schauspiels. Allerdings war mir auch klar, dass diese Art von Streiterei in den Straßen des Regierungssitzes nicht gern gesehen war und so war ich wohl mehr oder weniger gezwungen einzuschreiten. Wie eine Mauer schob ich mich vor Lucian, schirmte den kleineren Alpha von den Blicken des hochmütigen Betas ab und verzog mein Gesicht zu einem übertrieben freundlichen Lächeln, was das Knirschende Eis, auf dass dieser Lykaner sich gewagt hatte verbarg. „Was wollt ihr... Beta..." unterbrach ich ihn, bevor dieser etwas Lucian erwidern konnte.
Grollend sah der Beta mich an, war gezwungen dazu, weil ich ihm den Blick auf den verweigerte, der den Lykaner kritisiert hatte, etwas mit dem sie nicht umgehen konnte. Einen Moment schien er abzuwägen, ob er sich auf mich stürzen wollte oder es einfach dabei zu belassen. Man konnte deutlich die Rage und die Vernunft in seinen Augen ringen sehen.
„Wo wart ihr, Ausgestoßener?" murrte er dann, zwang sich wohl selbst dazu sich in Geduld zu üben, konnte es sich scheinbar aber nicht nehmen lassen, noch einmal nachzutreten. „Ihr seht aus wie einmal durchgekaut und wieder ausgespuckt... Und, bei der Göttin, ihr riecht auch so...."
Die Beleidigung so gut es ging ignorierend, lächelte ich gezwungen. Verkniff es mir, dem Hund von einem Beta einen Kinnhaken für seine Dreistigkeit zu verpassen. Immerhin stand ich unter ihm im Rang als ausgestoßener. Das Blut des Alphas in mir kochte allerdings und bettelte um eine Chance, dass eines Tages nachzuholen. Es wäre sicher wundervoll, sein Gesicht zu sehen, wenn er mitbekam, dass ich ein Alpha war. So musste ich mich aber mit dem Gedankenspiel zufrieden geben, der Bilder in meinem Kopf. „Es kostet eine Menge Kraft, jemanden zu heilen. Ich brauchte ruhe... und bin nicht mehr zum Baden gekommen. Das wollte ich gerade nachholen, also wenn ihr die Freundlichkeit besitzen würdet uns durchzulassen Beta?" antwortete ich also mit ruhiger Stimme.
„Natürlich..." murrte der Beta, breit grinsend. „Wir werden euch sogar eskortieren. Immerhin ist es der Befehl von König Blackbone, euch zu ihm zu bringen, Nomade." Die Worte sorgten dafür, dass mein Gesicht nun doch seine Maske verlor, als der Schein der ruhe, zur Zufriedenheit des Betas, sank. Nicht weil ich ihn fürchtete. Ich wusste, dass dies geschehen würde. Doch es ging viel schneller als ich erwartet hatte...
Auf einen stummen Befehl hin, flankierten die Zwillingswölfe mich und Lucian. Ließen uns wie Gefangene erscheinen. Etwas was meine Unruhe nicht gerade milderte. Im Gegenteil ich fühlte mich wie das Opferlamm auf dem Weg zum Altar...
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