Tir'an (Teil Fünf)
Hirato saß irgendwo in der Stadt auf einer Bank. Er wusste eigentlich nicht wo, weil er einfach irgendwohin gerannt war, ohne zu schauen wohin. Er war einfach nur durch die Straßen gestürmt, bis die Dunkelheit kam, und sah dann eine Bank unter einer Straßenlaterne, auf der er sich niedergelassen hatte. Er starrte auf seine Füße und fühlte sich ziemlich elend, nah am Weinen, aber die Tränen kamen einfach nicht heraus. Er fühlte sich gerade innerlich so leer. Diese Leere war ein beißendes Gefühl davon, dass etwas fehlte... Hirato wollte den Schmerz, den die letzten Ereignisse verursachen würden, nicht spüren, aber das Gefühl, leer zu sein, war noch qualvoller... Er hatte keine Angst vor dem Schmerz, aber er wollte ihn einfach nicht fühlen, weil er wusste, dass er sonst völlig zerstört werden würde. Fühlte es sich so an, jemanden zu verlieren? Verlust beschrieb nicht nur die Tatsache, jemanden durch Tod zu verlieren, sondern war für alles geltend. Er hatte Shin verloren und gerade jetzt wurde ihm klar, dass er nie gemeint hatte, was er ihm ins Gesicht geschrien hatte. Es war wahr, Takashi machte sich viel mehr Sorgen um ihn als Shin, aber Shin hatte ihm immer geholfen, seine Hausaufgaben oder Präsentationen zu machen, er las sie durch, um sie zu überprüfen und gab ihm Tipps, was er verbessern könnte. Er hatte auch Hiratos Sorgen um seinen besten Freund Seiji zu gehört, also wusste Hirato, dass es unfair war zu sagen, dass Shin ein schlechter Elternteil war. Das stimmte nämlich nicht ... Er hatte ihm immer zugehört. Hirato wusste, dass er selbst unter normalen Umständen in einem Berg von Emotionen und Gefühlen ertrinken würde und es echt lästig wäre, sie alle durchzugehen... Aber irgendwie wurde alles einfach in die Leere gezogen, die in ihm wohnte; einfach herunter und weg gezerrt. Hirato wusste, dass er irgendwie wütend war. Aber er war auch traurig... beides gleichzeitig zu sein war ziemlich seltsam. Er starrte weiter auf seine Füße, als ein Regentropfen seinen Kopf traf. Er zuckte zusammen und sah auf. Der Himmel über ihm war noch dunkler geworden und trübte die Sterne über ihm. Es begann zu regnen. Ziemlich passend zu seiner aktuellen Stimmung, dachte er. Er wollte nicht zurück. Nichts würde sich ändern. Aber was war mit Takashi? Er konnte ihn nicht einfach dort lassen, oder...? Irgendwie hatte er absolut keine Ahnung, was er tun sollte... Seine Augen wanderten zurück zum Boden unter ihm, zu den grauen Steinen, wo sich das Wasser in Pfützen sammelte. Er hatte dieses brechende Gefühl in seinem Herzen, er hatte nicht das Gefühl, dass etwas physisch nicht stimmte, aber es war immer noch da. War das noch schlimmer, als zu fühlen, wie alles auf ihn herab stürzte?
Er hörte Schritte auf sich zukommen. Schuhe, die durch die Pfützen gingen. Das Geräusch war nahe, als es verstummte. "... Hirato?" Hirato wollte nicht den Kopf heben, um zu sehen, wer zum Teufel mit ihm sprach, aber er tat es dennoch. Er hob den Kopf und sah einer anderen Person ins Gesicht. Irgendwie... kam ihm diese Person mehr oder weniger bekannt vor. Dieses scharlachrote Haar mit den hellblauen Strähnen darin... Nur das Gesicht schien anders zu sein... Die Haut war blass, die Augen rot wie sein Haar und eine seltsame schwarze Linie war unter seinem Auge sichtbar. "... Seiji ...?" fragte er vorsichtig. Die andere Person nickte leicht. "Ja, es ist eine Weile her..." Hirato starrte ihn einen Moment an. Sein ehemaliger bester Freund, von dem er geglaubt hatte, er wäre verschwunden, wahrscheinlich sogar tot, stand genau hier vor ihm, als wäre nichts passiert?! "Seiji... du ... du bist immer noch ...?",
"... am Leben?" Seiji nickte. "Scheint so, was?",
"Was ist mit deinem Gesicht passiert? Was ist mit diesen schwarzen... Dingern?",
"Das?" Er zeigte auf das schwarze Mal. Hirato nickte. "... es ist wirklich nichts. Aber... was ist mit deinem Gesicht, Hirato? Du bist verletzt." Hirato senkte den Kopf und wandte den Blick wieder nach unten. "... ich wurde zusammengeschlagen...",
"Von wem?",
"Shin ...",
"War das nicht einer dieser Typen, die dich adoptiert haben?",
"Ja ... er war betrunken...",
"Armes Wesen..." Seiji kniete sich vor ihn und legte drei Finger unter Hiratos Kinn, um es anzuheben, damit sich ihre Augen wieder trafen. "... deine Augen...", murmelte Seiji fast so leise, dass Hirato es kaum durch den Regen hören konnte. "Was ...? Seiji, benimm dich nicht so gruselig...",
"..." Seiji wischte sich vorsichtig über Hiratos linke Wange, wo die Male erschienen waren. "... Hey, Hirato... Glaubst du an Geschichten?" fragte er dann und nahm seine Hand weg. Hirato kniff die Augen zusammen. "An Geschichten...? Wovon redest du, Seiji ...? Es sind Fantasie-Geschichten, ich kann sie auf keinen Fall als real betrachten." Seiji lächelte leicht. "Ja, sie sind schwer zu glauben, nicht wahr? Aber nicht alles in ihnen ist eine Lüge.",
"Warte eine Sekunde... Was?",
"Einige der in Märchen erwähnten Dinge existieren tatsächlich... wie Magie.",
"Gegen welche Art von Wand bist du mit voller Geschwindigkeit gerannt, Seiji ...?" fragte Hirato. Seiji lächelte. "... Nun, mein Name ist jetzt eigentlich Agurith, aber... du kannst mich so weiter nennen, wenn du willst.",
"Agurith ...? Warum hast du deinen Namen geändert?",
"Weil... Meine Menschlichkeit weg ist. " Er sah zu Boden. "Brich." Im Asphalt der Straße erschien ein Riss. Hirato starrte es an. "Was zum...?",
"Das ist meine Magie", erklärte Seiji. "Ich sage Dinge und dann passieren sie. Es ist Fluchmagie... Und ich bin bis jetzt nicht wirklich glücklich darüber, sie zu haben." Hirato konnte nichts sagen. "Die Wahrheit ist..." Seiji richtete sich wieder auf. "... Satorus und Masatos Tode sind beide meine Schuld, weil ich wollte, dass sie genau so sterben wie sie... naja. Gestorben sind. Ich hatte nicht vor, sie zu töten, aber ich hab's getan und ich kann es nicht wieder rückgängig machen. Flüche und Verspottungen, die auf andere geworfen werden, sind das, was kollektive Übel in einer Person hervor ruft." Er sah auf seine Hand. "Ihr Spott hat mich in eine Ruine meiner selbst verwandelt, und jetzt sieh dir an, was ich bin... ein Dämon. Ich bin ein Dämon geworden, weil sie mich niedergemacht haben...",
"Ein Dämon...?" Hirato starrte ihn an. Seiji lächelte traurig. "Siehst du diese kleinen Hörner auf meinem Kopf?" Er zeigte auf sie. "Sie zeigen, was ich jetzt bin. Ich kann sie aber komplett verschwinden lassen... oder verlängern. Und du, Hirato... bist auch einer.",
"Du machst Witze.",
"Tue ich nicht. Schau in die Pfützen." Er zeigte auf eine Pfütze auf der Straße. Hirato stand auf und tat es. Er starrte auf sein eigenes Gesicht... aber er sah in blutrote Augen und bemerkte dann die Spuren auf seiner Wange. "Was zum... ?!",
"Du hast das ziemlich lange ertragen, oder? Ich denke, du musst all deinen Ärger in dir behalten haben.",
"Ja, aber... warum...?",
"Starke, negative Emotionen in Kombination mit Leid können einen Menschen in einen Dämon verwandeln, wenn er stark genug ist... ", sagte Seiji. "In deinem Fall war es stark genug.",
"Aber ... ich habe nie darum gebeten...",
"Ich auch nicht." Seiji zog seinen Overall hoch und zeigte einige blasse Narben am ganzen Oberkörper. "Kannst du das sehen?",
"Was hast du getan?!" fragte Hirato entsetzt. "... Ich habe mich mit einer Rasierklinge selbst verletzt... um den Schmerz zu betäuben. Seelischer Schmerz ist viel schmerzhafter als körperlicher und ich habe versucht, ihn zu verstärken, um mich von der Art und Weise abzulenken, was mir innerlich weh getan hat, aber es half nie. Ich habe beschlossen, es nicht an meinen Armen zu tun, weil es sehr offensichtlich gewesen wäre... Aber weil es nie aufgehört hat, habe ich sogar darüber nachgedacht, mich umzubringen, um mein Elend zu beenden." Hiratos Kinnlade fiel. "... aber... warum hast du es mir nie erzählt ...?",
"Ich wollte dich nicht um mich sorgen lassen, aber ich weiß, dass es überhaupt nicht fair war. Freunde halten keine Geheimnisse vor einander..." Er zog seinen Overall wieder herunter. "... Die Narben beginnen bereits zu verblassen. Und ich finde es ziemlich gut, dass sie es tun...",
"..." Hirato schloss die Augen und umarmte Seiji. "Tu das nie wieder...",
"Hm..." Seiji schüttelte den Kopf und erwiderte die Geste. "Versprochen..." Sie verharrten einige Momente so im Regen; still und bewegungslos. Hirato war so froh, dass es Seiji gut ging...
Nach einer Weile lösten sie sich voneinander.
"Wie auch immer, was willst du jetzt tun, Hirato?",
"Das ist mir viel zu viel.",
"Ich kann's verstehen. Als Dämon ist es nicht einfach für dich, besonders wenn du noch nicht weißt, welche Art von Magie du hast.",
"Magie ...?",
"Jeder Dämon hat eine bestimmte magische Kraft. Meine ist Fluchmagie. Da du jetzt ein Dämon bist, hast du auch eine. Ich kann dir nicht sagen, was für eine Art von Magie das ist. Du musst das selbst herausfinden. Wie auch immer, ich kenne einen Ort, an dem du bis dahin sicher bist...",
"Was ist mit Takashi? Ich kann nicht einfach gehen, ohne es ihm zu sagen!",
"Das musst du selbst entscheiden", sagte Seiji. "Wenn du ihm die Wahrheit sagen willst, tu es. Aber gib ihm und dir ein bisschen Zeit. Ich würde vorschlagen, dass du zuerst mit mir kommst ... und du sagst es ihm, wenn du das Gefühl hast, die richtige Zeit dafür ist gekommen." Hirato sah nach unten und sagte nichts. Er nickte nur nach einer Weile.
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