Teil 2: "Die Reise beginnt": Kapitel
Langsam schlenderte Barnabas zwischen den Zelten hindurch, wobei er sich Mühe gab den vermummten Wachleuten aus dem Weg zu gehen. Er wusste nicht, was er denken sollte.
Sein Leben hatte in so kurzer Zeit eine so heftige Wendung genommen und irgendwo in der Mitte hatte er aufgehört mitzuzählen, wie oft er sich in Todesangst befunden hatte. Zuerst hatte er herausgefunden das er ein Wandler war und war von einem Psychokönig fast gekillt worden. Ein Schock, aber verkraftbar. Er war einer Gruppe von Leuten beigetreten, vor denen er sein ganzes Leben gewarnt worden war, war mit eben diesen Leuten auf eine Mission gegangen, irgendein heldenhaftes Gen entdeckt, von dem er nichts wusste, seine verschollene Kindheitsfreundin wiedergesehen, herausgefunden das diese seine Cousine war und er von krassen Wandlern abstammte, die der Rest der Welt für den Untergang verantwortlich machte und jetzt war er hier. Wie es seinen Eltern wohl ging? Sie hatten sich schon immer unglaublich viele Sorgen um ihn gemacht. Was seine Mutter wohl gedacht hatte, als er nicht von der Audienz zurückkehrte? Kurz versuchte er sie sich vorzustellen, in ihrem kleinen, angeranzten Haus in der kleinen, zerfallenen Stadt. Er vermisste es. Er vermisste es, Barnabas gewesen zu sein. Er vermisste seine Eltern, seine Schulfreunde, die Normalität. Und er hasste sein Wandlerdasein, dass ihm all das genommen hatte. Was brachte es ihm schon, von irgendeinem Helden abzustammen, wenn alles, was er wollte eine normale Jugend war. Irgendwie würde er in dieses Leben zurückkehren, das schwor er sich. Als er sich für diese Mission gemeldet hatte, war er für einen Moment wieder der kleine Junge gewesen, der jede Geschichte über Helden, die Monster besiegten verschlungen hatte. Über Helden die mutig waren, den Menschen halfen, das Böse besiegten. Aber anstatt mutig zu sein, fürchtete er um sein Leben. Anstatt zu helfen, wünschte er sich selbst nichts lieber als Rettung. Und anstatt das Böse zu besiegen, war er davon gefangen.
Barnabas seufzte und kickte einen Stein aus dem Weg.
Obwohl er Sam wiedergesehen hatte, fühlte er sich nicht besser. Sie war nett, dass schon, aber trotzdem. Sie, Claw und Storm waren so vertraut miteinander, dass Chander sich, trotz ihrer abstrusen Situation, wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Claw war nunmal da. Sie schien sich mit jedem im Rudel irgendwie zu verstehen und wahrte trotzdem einen gewissen Abstand. Barnabas erinnerte sich daran, was die Generalin gesagt hatte. Sie hatte einen Cousin und eine Schwester gehabt. Beide waren hier gewesen und beide waren gestorben. Das bedeutete das ihre Familie schon Begegnungen mit der Generalin gehabt hatte. Aber woher kam sie dann? Sie wusste, wie man kämpfte, war öfters in Black Salamander gewesen, um auf dem Markt Einkäufe zu erledigen und ihre Eltern lebten mit ihr im Rudel. So viel wusste er.
Dann gab es da noch Storm. Am Anfang hatte er ihm Angst eingejagt. Er tötete ohne Skrupel, hatte Spaß daran ihn zu erschrecken und schien auf alles eine witzige Antwort parat zu haben. Das war der Storm den er kennengelernt hatte. Aber dann gab es da noch den Storm, der sich von dem kleinen Mädchen verabschiedete, ihr leise zuredete und saft die Tränen von ihrem Gesicht wischte. Storm, der Sam umarmte, als wolle er sie nie wieder loslassen, der ihn ohne Worte in den Arm genommen hatte, kaum waren sie wieder vereint gewesen. Von ihnen allen vier, war Storm derjenige der die Leute am schnellsten ins Herz schloss. Zumindest darin war Chander sich sicher.
Inzwischen war er an der hohen Betonmauer angekommen. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte an ihr hinauf. Grauer Beton und graue Wolken. Was für eine Aussicht. Als er das Material jedoch genauer in Augenschein nahm, stellte er fest, dass die Mauer kleine Risse und Unebenheiten hatte. Zu klein für einen Menschen, um darin halt zu finden. Aber er war kein Mensch. Niemand hier drin war ein Mensch.
Kurz blickte er sich um und stellte fest das keine Wachen in der Nähe waren. Er streckte die gebräunte, sommersprossengefleckte Hand aus und konzentrierte sich. Dann wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte, wie dass mit dem Verwandeln eigentlich funktionierte.
Das erste Mal war es ein Reflex gewesen, der Wunsch ein anderes Leben zu Retten. Das zweite Mal, hatte er Sam in diesem halb verwandelten Zustand gesehen und es war einfach passiert. Er hatte nicht nachgedacht. Also versuchte er es jetzt auch einfach. Er kniff die Augen zusammen und stellte sich ganz fest vor, seine Hand wäre eine Pfote. Eine Pfote mit Krallen, die hoffentlich halt im Beton fanden. Barnabas öffnete die Augen. Nichts.
„Ach komm schon." murmelte er. So schwer konnte das doch nicht sein! „Es muss kribbeln.", sagte plötzlich jemand hinter ihm. Barnabas fuhr herum. Storm. Die Brandnarbe auf seiner Wange sah noch schlimmer aus als seine sich anfühlte. Außerdem stütze er sich auf zwei schlichte hölzerne Krücken. „Was ist eigentlich mit deinem Fuß passiert?" wollte er wissen. „Ich bin umgeknickt, als wir vor den Streunern abgehauen sind. Dämliches Loch. Dachte eigentlich es ist keine große Sache aber irgendwie.", Storm zog die Schultern hoch, „Und jetzt nochmal. Wenn du dich verwandeln willst, muss es kribbeln.". „Hä?". Storm schmunzelte. Dann humpelte er näher. Kurz schaute er sich um und als er feststellte das sie unbeobachtet waren, sagte er: „Mach die Augen zu.". Barnabas folgte der Anweisung. „Gut so. Und jetzt versuch dich zu erinnern. Du bist ein Mensch natürlich. Aber da gibt es noch etwas. Einen Teil von dir der schon immer da war. Du musst ihn nur finden. Du kannst den Wind auf deinem Pelz und das Gras an deinen Pfoten spüren. Du riechst Dinge, die du noch nie zuvor gerochen hast, hörst Dinge, die du noch nie gehört hast. Du musst dich daran erinnern hörst du?".
Und mit einem Mal erinnerte Chander sich. An den Traum mit dem all das angefangen hatte. An die Ruhe, wie natürlich es sich angefühlt hatte auf vier Pfoten zu stehen. Und dann kribbelte es. Erst leicht, dann stärker. Es war, als würden ihm hunderte Krabbeltiere über die Haut laufen. „Hey, gut so. Du willst nur deine Hand verwandeln, also musst du dich darauf konzentrieren ok?".
Kalte Fingerspitzen berührten Chanders Handrücken. Die Berührung schien einen Stromschlag durch seinen Körper zu senden. Er spürte das Storm ein Wandler war. Dann legte Storm seine Hand vollständig auf seine. Sie kribbelte stärker, so heftig, dass es fast unangenehm wurde. Und dann war das Kribbeln weg. Er öffnete die Augen. Storms blasse Hand lag noch immer auf seiner eigenen, doch die hatte sich verändert. Statt Fingernägeln ragten die spitzen von Krallen aus seinen Fingern, über die mit zimtfarbenen Haaren übersäht, waren.
„Und voila, eine Teilverwandlung." beendete Storm seine Erklärung, zog seine Hand weg und grinste Barnabas an. Er lehnte lässig auf einer Krücke und stand dabei fast Schulter an Schulter mit ihm. Vorsichtig bewegte er seine Finger. Das kleinste Anspannen seiner Muskeln reichte, um seine Krallen auszufahren. Dann legte er seine Hand an die Betonwand. Wie erhofft fanden seine Krallen halt darin. Er griff etwas höher und versuchte ein wenig Gewicht darauf zu bringen. Es zog ein wenig, aber er theoretisch würde er sich halten können.
Mit einem Mal hörte er Schritte in der Ferne. Im selben Moment wisperte Storm: „Da kommt wer.". Schnell trat er von der Wand weg und wollte die verwandelte Hand in seiner Hosentasche verbergen- nur um festzustellen, dass er keine Hosentasche hatte. Panisch blickte er Storm an, der das Problem sofort erfasste. Er humpelte auf Barnabas zu und balancierte auf einem Bein. Dann nahm er beide von Barnabas Händen und hielt sie, das Fell verdeckend, fest. Er war so nah, dass er seine Körperwärme spürte. „Schau mich an, das muss glaubhaft wirken!" wisperte Storms Stimme in seinem Kopf. „Was muss-?", wollte er gerade fragen, da viel es ihm wie Schuppen von den Augen. Warum sollten zwei Menschen Händchenhaltend beieinanderstehen, die offensichtlich nicht verwandt waren? Er hob den Kopf und sein Blick traf auf schokoladenbraune Augen und ein liebevolles Lächeln. Storm hatte noch nie so warm gewirkt. Am Rande nahm er wahr, dass die Schritte jetzt bei ihnen angekommen waren. Erneut Storms Stimme in seinem Kopf. „Darf ich?". Barnabas nickte unauffällig. Sein Herz hämmerte. Und dann küsste Storm ihn. Fast schon flüchtig berührten sich ihre Lippen. Ein geflüstertes: „Der Typ ist weg. Wir sehen uns später.", dann war er weg. Barnabas starrte seine wieder menschliche Hand an. Dann in die Richtung in die Storm verschwunden war. Das würde noch ein langer Spaziergang werden.
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