𝟬𝟭 | 𝘎𝘰𝘰𝘥 𝘎𝘰𝘰𝘥𝘣𝘺𝘦
BLCKBIRD — DEMONS
𝓖𝓸𝓸𝓭 𝓖𝓸𝓸𝓭𝓫𝔂𝓮
OKTOBER — 2010
𝓛𝓲𝓷𝓴𝓲𝓷 𝓗𝓸𝓾𝓼𝓮, 𝓛𝓸𝓼 𝓐𝓷𝓰𝓮𝓵𝓮𝓼, 𝓒𝓐
Die Bilder des Unfalls ließen ihn nicht mehr los.
Immer wieder sah er Mikes leblosen Körper auf dem Boden liegen, hörte die Schreie der Fans und die Stimmen der Rettungskräfte.
Die Panik und die Angst, die er in diesem Moment spürte, waren so intensiv, dass sie ihn fast erstickten.
Er musste sich zusammenreißen. Er musste aufhören, an den Unfall zu denken.
Er musste sich auf das Jetzt konzentrieren.
An einem strahlenden Oktobermorgen schlenderte Chester gemächlich durch die Straßen von Los Angeles. Die Sonne tauchte die Stadt in ein warmes Licht und spiegelte sich in den Fenstern der Wolkenkratzer.
In der einen Hand hielt er einen knusprigen Toast, in der anderen eine dampfende Tasse Kaffee. Er genoss den Duft des Kaffees und die ersten Sonnenstrahlen, die seine Haut streichelten.
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen machte er sich auf den Weg zum 'Linkin House', dem gemeinsamen Haus der Band.
Als er sich der Haustür näherte, hießen ihn die blühenden Blumen am Wegesrand fröhlich willkommen. Er lächelte erleichtert. Das Haus hatte immer etwas Beruhigendes an sich und gab ihm das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Als er endlich am Eingang ankam, waren die anderen Bandmitglieder schon da. Brad stupste Joe leicht mit dem Ellbogen an. »Schau mal, wer da ist!« Joe drehte sich schnell um.
Sein Gesichtsausdruck war zunächst ernst, hellte sich aber auf, als er Chester erkannte. Joe lächelte breit und lief freudig auf ihn zu.
»Endlich bist du da!«, begrüßte ihn der Koreaner herzlich. »Wir haben schon lange auf dich gewartet.«
Chester seufzte frustriert und stellte seinen Kaffeebecher ab. Sein Blick schweifte über das geräumige Haus, das ihnen als gemeinsames Tonstudio diente. Ein Hauch von Wehmut, eine Sehnsucht nach einfacheren Zeiten, zerrte an seinem Herzen.
Er wollte einfach nur mit den Jungs Musik machen, lachen und entspannte Grillabende verbringen. Doch seit Mikes Unfall vor gut einem Monat sind die gemeinsamen Treffen nur noch sporadisch.
Seit Mike im Krankenhaus lag, hatte sich alles verändert. Die Dynamik der Band war gebrochen, die Kreativität gedämpft und ein Schatten der Sorge und Unsicherheit lag über ihnen. Das Fehlen seines Freundes war deutlich zu spüren.
Chester schüttelte den Kopf und vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeansjacke. Er hatte lange genug in Erinnerungen geschwelgt.
»Können wir jetzt gehen?«, fragte er leise.
Dave sah ihn mitfühlend an. Er wusste, wie schwer es für Chester war, Mikes Unfall zu verarbeiten. Aber er wusste auch, dass es wichtig war, weiterzumachen.
»Natürlich«, sagte er und machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich nehme deine Sachen.«
Er nahm Chesters Koffer und trug ihn die Treppe hinunter zu dem großen schwarzen Range Rover, der vor dem Haus stand. Geschickt verstaute er den letzten Koffer im geräumigen Kofferraum und gesellte sich zu den anderen.
Dave grinste verschmitzt. »Okay, Brad, du nimmst Joe und Rob, ich fahre mit Chester«, schlug er vor. Brad überlegte einen Moment und nickte dann zustimmend. »Super, los geht's!«, rief Joe entschlossen, als er schon die Treppe hinunter zum Auto eilte.
Sofort versuchte er, die Tür zu öffnen, aber sie war verriegelt. Joe versuchte es noch einmal, diesmal mit mehr Kraft. Die Tür sprang auf und Joe stolperte ins Auto.
Brads Stirn runzelte sich. Joe hatte noch nie viel Respekt vor seinem Eigentum gehabt, aber das war zu viel. Er stürzte die Treppe hinunter.
»Was machst du da?«, schrie er wütend. »Kannst du nicht aufpassen?«
Joe sah ihn mit einem frechen Grinsen an. »Was ist passiert?«, fragte er. »Die Tür hat nur ein bisschen geklemmt.«
»Nur ein bisschen geklemmt?«, wiederholte Brad. »Du hast sie fast aus den Angeln gehoben!«
»Ach, komm schon«, lachte Joe. »Es ist doch nur ein Auto.«
Brads Magen krampfte sich zusammen. Er dachte an die Zeit im College, als Joe seine Gitarre angezündet hatte, die er zum Geburtstag bekommen hatte. Er hatte ihm damals verziehen, aber er hatte es nie vergessen.
»Es ist nicht nur ein Auto«, beschwichtigte er. »Es ist mein Auto.«
»Dann pass besser auf«, sagte Joe trocken und stieg ins Auto.
Brad stöhnte genervt auf und stieg auf den Fahrersitz. Er wusste, dass er Joe nie ändern könnte. Er würde immer so sein, wie er war. Ein unbeschwerter Mensch, der sich nie um die Konsequenzen seines Handelns scherte.
»Dann gehen wir auch«, sagte Dave und ging zu seinem Auto. Chester folgte ihm zielstrebig. In diesem Moment wurde ihm schmerzlich bewusst, dass sein bester Freund nicht mehr an seiner Seite war.
Mike, der immer der fröhliche, offene Typ war, immer zu einem Scherz aufgelegt. Dem er alles anvertrauen konnte. Den er bei seinem letzten Konzert fast verloren hätte.
»Pass auf, Chaz!«, rief Dave plötzlich, als sie gerade den kleinen schwarzen Mercedes erreicht hatten. Chester zuckte zusammen, gerade noch rechtzeitig, um einen Zusammenstoß mit Dave zu vermeiden.
»Entschuldigung«, murmelte der Sänger, kletterte auf den Beifahrersitz, schloss die Tür und schnallte sich an. Dave setzte sich neben ihn und startete den Motor.
»Du musst aufpassen«, lachte er amüsiert. »Du kannst nicht einfach so träumen.«
»Ich weiß«, sagte Chester. »Es ist nur... Es ist schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.«
Dave nickte. »Ich verstehe«, sagte er. Er wusste genau, was Chester meinte.
»Ich vermisse ihn auch.« Dann schwiegen sie eine Weile.
Dave lenkte den Wagen aus der Einfahrt und bremste abrupt hinter Brads Auto. Der Bassist starrte erschrocken auf das andere Fahrzeug. Brad war viel zu schnell gefahren und hatte ohne zu blinken die Spur gewechselt.
»Was macht der Idiot da?«, fragte Dave schockiert und schüttelte den Kopf.
Chester schaute aus dem Fenster und seufzte. Er wusste, dass ihm wieder eine nervenaufreibende Autofahrt bevorstand.
Brad war ein großartiger Gitarrist, aber ein schrecklicher Fahrer. Er war immer zu schnell, zu aggressiv und zu leichtsinnig.
Er erinnerte sich noch gut an die brenzligen Momente ihrer letzten Tour, als Brad fast in den Straßengraben gefahren wäre und sie nur knapp mit dem Leben davongekommen waren.
Er hatte ihn damals zur Rede gestellt und ihn gedrängt, seinen Fahrstil zu ändern. Aber Brad hatte ihn nur ausgelacht und behauptet, er fahre immer noch besser als Joe.
»Ich verstehe nicht, wie er so fahren kann«, sagte Chester. »Er ist doch sonst so vorsichtig.«
Dave schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung«, seufzte er und fuhr vorsichtshalber mit etwas Abstand hinter Brad her. »Vielleicht ist er nur nervös, weil wir Mike besuchen.«
Chester nickte zustimmend. »Aber wir sind zu fünft und Brads Auto hat fünf Sitze, warum fahren wir dann mit zwei Autos?«, fragte er dann etwas verwirrt.
Dave überlegte einen Moment und drehte sich dann zu Chester um. Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht, dann lachte er.
»Nun«, begann er, »ich wollte nicht riskieren, wegen Brads Fahrkünsten in einen weiteren Unfall verwickelt zu werden.«
Chester konnte trotz der Schwere in seinem Herzen ein Lächeln nicht unterdrücken. »Das hast du nicht ernst gemeint, oder?«
Auch Dave lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Es hat einen anderen Grund«, erklärte er und warf Chester einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Was ist es dann?«, fragte Chester neugierig.
Dave drehte sich zu ihm um. »Ich muss dir etwas sagen«, sagte er mit ernster Stimme.
Chester schaute ihn mit großen Augen an. »Was ist los?«,!fragte er. Er wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Seit dem Unfall war Dave immer sehr ernst und besorgt gewesen.
Er seufzte und fuhr fort. »Es geht um Mike.«
Chesters Magen krampfte sich zusammen. Seit dem Unfall seines Freundes bekam er Angst, wenn das Thema aufkam.
»Was ist mit Mike?«, fragte er leise.
Dave sah ihn wieder an und seufzte erneut. »Es geht ihm nicht gut, Chaz. Seit dem Unfall hat er Schwierigkeiten, seine Gedanken zu ordnen, und seine Erinnerungen sind durcheinander. An manche Dinge kann er sich erinnern, an andere nicht«.
»Oh, verdammt«, flüsterte Chester und spürte einen Kloß im Hals.
»Ich weiß«, sagte Dave, »es ist schwer zu verstehen.«
Chester schluckte schwer, als ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er hatte sich so sehr gewünscht, dass Mike schneller wieder gesund würde, aber offensichtlich war die Situation ernster als gedacht.
»Was können wir tun?«, fragte er schließlich und Dave zuckte hilflos mit den Schultern.
»Wir müssen ihm einfach Zeit geben und geduldig sein«, sagte er. »Aber ich glaube, es könnte ihm helfen, wenn wir uns alle zusammensetzen und Musik machen. Vielleicht wird er sich an etwas erinnern.«
Er sah Dave an. »Das ist eine gute Idee«, sagte er. »Ich glaube, das könnte ihm helfen.« Dave lächelte. »Ich bin froh, dass du das so siehst.«
Chester schloss die Augen und holte tief Luft. Er wusste, dass es nicht einfach werden würde, aber er war entschlossen, alles zu tun, um Mike zu helfen.
»Außerdem war Brad bei ihm, als er hier im Krankenhaus lag«, fügte Dave plötzlich hinzu.
Chester sah ihn fassungslos an. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Brad war mit Mike hier im Krankenhaus? Warum hatte er ihm das nicht erzählt?
»Warum wusste ich das nicht?«, fragte er schließlich.
Dave spürte die Verwirrung und Anspannung in Chesters Körper und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Mike wollte nur Besuch von Brad«, sagte er. »Er sagte, er würde sich sonst nicht wohl fühlen. Du weißt doch, wie stur er manchmal sein kann.«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Chester. »Warum wollte er mich nicht sehen? Oder einfach uns alle?«
Dave seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich weiß, es ist schwer zu verstehen«, murmelte er. »Aber du musst ihm Zeit geben. Er wird sich erinnern, dass er dich auch gern gesehen hat.«
Chester nickte, obwohl er sich immer noch benachteiligt fühlte. Er wusste, dass Mike dickköpfig sein konnte, aber es war trotzdem schwer zu akzeptieren, dass er ihn nicht sehen wollte.
»Ich verstehe«, sagte er schließlich. »Aber es ist trotzdem schwer.«
Dave lächelte. »Ich weiß«, sagte er. »Aber wir werden ihn gemeinsam durch diese schwere Zeit bringen.«
Chester nickte. »Das hoffe ich.«
Als er auf den Beifahrersitz sank, war das vertraute Leder kein Trost. Er hatte sich auf schlechte Nachrichten eingestellt, aber die grausame Realität in Daves Stimme bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.
Zuerst hatte er sich eingeredet, es sei nur eine Gehirnerschütterung, vielleicht ein paar blaue Flecken. Aber Daves Worte hallten in seinem Kopf wider – Gedächtnisverlust. Mike konnte sich an nichts erinnern. Nicht an seine Musik, nicht an die Band, nicht einmal an... Sie.
Chester kniff die Augen zusammen, die Last der Enthüllung lastete auf ihm. Er kannte Mike, seine sanfte Seele. Es würde nicht nur eine körperliche Genesung bedeuten, es würde ein Kampf sein, seine Identität, sein ganzes Leben zurückzugewinnen.
Doch inmitten der drückenden Sorge loderte ein Funke der Entschlossenheit in ihm auf. Er würde Mike nicht allein lassen. Er würde da sein, eine ständige Präsenz, ein Weg zurück zu den gemeinsamen Erinnerungen.
Was auch immer geschehen würde, er schwor sich, zu seinem Freund zu stehen, egal was passieren würde.
OKTOBER - 2010
𝓛𝓐𝓧, 𝓛𝓸𝓼 𝓐𝓷𝓰𝓮𝓵𝓮𝓼, 𝓒𝓐
Als sie am Flughafen ankamen, durchdrang das geschäftige Treiben der Ankünfte und Abflüge kaum Chesters Sorgen.
Joe – Gott segne ihn – hatte es irgendwie geschafft, über seine Kontakte einen Privatjet zu organisieren. Das Letzte, was Chester jetzt brauchte, war das klaustrophobische Chaos eines Linienfluges, umgeben von fremden Menschen.
Sie erreichten das Terminal, eine kleine private Oase im Vergleich zum geschäftigen Flughafen. Drinnen wartete ein luxuriöser Jet, dessen Interieur im krassen Gegensatz zur Hektik von Chester stand. Weiche Ledersitze luden zum Entspannen ein.
Er ließ sich nieder, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ein tiefer Seufzer entrang sich seinen Lippen, ein verzweifelter Versuch, die nagende Unruhe in seinem Bauch zu besänftigen. Doch Entspannung war nicht angesagt.
Die Bilder ihres letzten Konzerts, das nun schon über einen Monat zurücklag, blitzten vor seinem inneren Auge auf.
Er erinnerte sich noch genau an den begeisterten Jubel der Fans, an den Boden unter seinen Füßen und an die Energie, die in der Luft lag.
Doch plötzlich wurden die fröhlichen Erinnerungen von den schrecklichen Szenen des Unfalls unterbrochen.
Er sah Mikes bewusstlosen Körper und die besorgten Gesichter der Rettungskräfte vor sich.
Er kniff die Augen zusammen und wollte die Szene wegwünschen, aber sie blieb. Eine Welle der Übelkeit überkam ihn.
Er öffnete die Augen und schaute sich um. Joe und Dave unterhielten sich leise, während Rob in seine Kopfhörer vertieft war. Auch Brad, der direkt neben ihm saß, schien in Gedanken versunken zu sein.
Seufzend lehnte Chester den Kopf gegen die kühle Scheibe. Die Stille in der Kabine lastete schwer auf ihm.
Er vermisste Mikes lautes Lachen, seine fesselnden Geschichten, die Wärme, die seine bloße Anwesenheit ausstrahlte. Ein stechender Schmerz breitete sich in seiner Brust aus.
Die Triebwerke des Flugzeugs summten leise, ein ständiges Brummen im Hintergrund. Tief einatmend schloss er die Augen wieder.
Er würde für Mike stark sein, auch wenn es ihn zerriss. Er musste es sein.
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