D R E I
D R E I
Verstimmung
Samstag, 18. April, 21.25 Uhr
„Ich will jetzt auf der Stelle meinen Anwalt sprechen!", zeterte der Reporter zum wiederholten Male und Yoongi rollte nur mit den Augen, ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken.
„Ich habe das Recht auf einen Anruf!"
„Sie haben vor allem das Recht, die Klappe zu halten!", knurrte er ihn jetzt doch an und gab dem Polizisten, der den sich windenden und bockenden Reporter vor sich herschob, ein knappes Zeichen. Daraufhin steuerte dieser mit seiner wehrhaften Begleitung eine Sitzgelegenheit an der rechten Wand an. Eigentlich bestand die Wartebank aus fünf miteinander verbundenen und am Boden verankerten Stühlen, doch vier davon waren besetzt, weil ein Kerl in schmuddeligen Klamotten sich dort ausgestreckt hatte und leise schnarchend schlief.
Das konnte ja wohl nicht wahr sein!
Missmutig stapfte nun auch Yoongi in diese Richtung und stieß den schnarchenden Lumpenhaufen an.
„Joon! Hey! Setz dich hin, wir sind hier nicht im Hotel!"
Mit einem erschrockenen Schmatzen ruckte der andere in die Höhe, wischte sich über den Mund und blinzelte verwirrt.
„Aye, aye, Captain", nuschelte er dabei und deutet einen verwaschenen militärischen Gruß an, der völlig misslang sodass er die Hand gleich wieder sinken ließ. Yoongi rollte schon wieder mit den Augen.
„Sehr unschöne Angewohnheit", zwitscherte der Reporter neben ihm, in diesem blasierten Tonfall und als Yoongi ihn ansah, rollte der andere demonstrativ mit den Augen. „Ganz, ganz unschön, wirklich. Sie sollten Ihre Außenwirkung immer im Hinterkopf behalten, Inspektor – das würde Ihnen sicher ein paar dringend benötigte Sympathiepunkte einbringen."
„Habe ich ein Glück, dass Sie nicht darüber bestimmen, was ich nötig habe oder nicht." Yoongi wandte sich an den Beamten, der sie begleitet hatte. „Sie können die Handschellen abnehmen, ich denke unser Gast wird sich zu benehmen wissen."
„Ihr Gast...", hob Kim sofort an, kaum waren seine Hände frei und massierte sich dabei demonstrativ die Handgelenke, „hat-"
„-jetzt Sendepause", unterbrach Yoongi ihn unwirsch. „Setzen Sie sich hin und machen Sie keinen Ärger. Wenn Sie mich reizen, sperre ich Sie in eine Zelle, verstanden?"
„Unverschämtheit!", schnappte der Reporter, nahm aber dann die Sitzgelegenheit in Augenschein und ließ sich geziert, mit gerümpfter Nase, auf dem entlegensten Platz nieder. Nicht ohne den anderen Mann abfällig zu mustern.
Der grinste ihn breit an.
„Joon", brabbelte er. „Und du bist?"
Mit gespitzten Lippen sah der Reporter ihn an und hob die Hand wie ein Hundepfote, als der andere nach ihm greifen wollte.
„Angewidert", sagte er dann, wandte sich ab und schlug die Beine übereinander, bevor er demonstrativ den Kopf hob und nach dem Ermittler suchte.
„Hier herrscht ein sehr unangenehmer Geruch vor!", erklärte er halblaut. „Könnten Sie vielleicht dafür sorgen, dass-" die Frage wurde von einem lauten Quieken abgewürgt.
Yoongi drehte sich um und sah gerade noch, wie Joon neugierig den Mantelärmel des Reporters befingerte.
„Weich!", tat er seine Erkenntnis kund. „Teuer, hm?"
„Etwas..." Kim Seokjin rückte noch ein Stück weiter weg. „Ein italienisches Modell, ah? Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht...
„Der is lustig!", unterbrach Joon den Redeschwall undeutlich, kicherte dabei und wandte sich damit an Yoongi. „Wo has su denn den her?"
Yoongi schüttelte den Kopf und strich sich genervt durch die Haare.
„Von der Straße, genau wie dich."
Das brachte ihm noch ein schelmisches Kichern von Joon und ein empörtes Schnauben des Reporters ein.
„So viele Gemeinsamkeiten, hm? Soll ich euch bekannt machen? Kim Seokjin – Kim Namjoon. Und jetzt ist Ruhe hier, verstanden? Ich kann euch auch beide zusammen wegsperren."
Breit grinsend deutete Joon an, dass er ab jetzt schweigen würde, rückte aber dafür einen Platz näher zum Reporter auf, der demonstrativ auf seine goldene Armbanduhr blickte.
„Ich warte bereits seit über zwanzig Minuten, ich will jetzt meinen Anwalt kontaktieren!"
„Ja klar", raunte Yoongi und drehte sich dabei um. „Sobald wir Ihre Personalien aufgenommen haben. Das macht mein Kollege, er kommt sicher gleich", sagte er auch noch und marschierte nun schnurstracks zu seinem Schreibtisch. Ihm fehlte der Nerv, sich weiter mit diesem zeternden Luxusschnittchen zu beschäftigen.
Im Gegensatz zu anderen Dienststellen, gab es hier kein eigenes Büro für ihn, lediglich ein abgetrenntes Glaskabuff, dessen Eingang zudem immer offen war, weil die Tür fehlte, sodass er sich nicht wirklich von allen Ablenkungen dort draußen zurückziehen konnte.
An seinem Schreibtisch angekommen wartete dafür bereits ein vollgestopfter Aktendeckel auf ihn, einige lose Berichte und Notizen, sowie ein USB-Stick, vermutlich randvoll mit Fotos. Er atmete einmal tief durch, ließ sich auf seinen Stuhl fallen, steckte den USB-Stick ein, öffnete den entsprechenden Ordner und rümpfte sofort die Nase. Da war er wieder, der hübsche tote Junge...
Er schlug den Aktendeckel auf, fand das gleiche Foto direkt an die erste Seite geheftet und dann eine Reihe an Informationen. Kim Taehyung, las er, 24 Jahre, Tänzer. Er zupfte das angeheftet Foto ab und betrachtete es eine Weile. Er sah deutlich jünger aus, entschied er und das war eine Seltenheit bei dieser Art von Tänzern. Diese Jungs kannte er zur Genüge. Die meisten hatten mit 24 ihren Zenit erreicht und mit 26 deutlich überschritten. Das Verfallsdatum in dieser Branche war kurz. Jenseits der 30 waren sie allesamt nur noch ein trauriger Abklatsch dessen, was sie vielleicht irgendwann mal hatten werden wollen, gezeichnet von Alkohol, Drogen und nicht selten Prostitution.
Mit einem lauten Seufzen heftete er das Foto zurück und machte sich Notizen. Er musste mit dem Clubbesitzer sprechen, mit den anderen Tänzerinnen und Tänzern dort, vielleicht würde irgendwer auch ein paar Namen ausspucken, einen oder mehrere Gönner, wie sie sie nannten. Dann die Familie, die Freunde und was würde er erfahren? Dass Taehyung einen Traum gejagt hatte, den er nie erreicht hatte und jetzt auch nie mehr erreichen würde. Dass er ein netter Junge gewesen war, aufgeschlossen... Es war immer dieselbe Leier und sie war erschreckend. Kaum jemand kannte die tatsächlichen Lebensumstände dieser Jungs, niemand wusste wirklich etwas über sie – über die andere Seite in ihrem Leben, wenn sie traurig waren, allein, einsam.
Im Hintergrund war schon wieder Gebrabbel zu hören und er blickte kurz auf.
„Inspektor!", maulte der Reporter sogleich. „Ich warte jetzt schon beinahe dreißig Minuten! Ich schwöre Ihnen, wenn Sie das hier absichtlich verzögern, werde ich rechtliche Schritte einleiten! Und ich werde- Ich bitte Sie – JA! Halten Sie Abstand!", fuhr er mitten im Satz herum, als Joon vorsichtig einen weiteren Stuhl aufgerutscht war und somit nur noch ein Platz zwischen ihnen frei war.
„Können Sie BITTE dieses Individuum entfernen? Es riecht, es ist aufdringlich und ich bin mir sicher es hat unerwünschte Haustiere... nicht nur im Haupthaar!"
„Hä?!", machte Joon und rückte endgültig an ihn heran. „Was hassu gegen meine Haare? Sin frische- frischewaschen!" Demonstrativ und wie zum Beweis kämmte er mit seinen schmutzigen Fingern durch die schwarzen Fransen.
„Oh bitte!" Der Reporter rümpfte die Nase und lehnte sich so weit weg, wie es möglich war, ohne vom Sitz zu fallen. „Bitte nicht bewegen und bitte... mein Gott stinkt der Kerl. Inspektor!"
Yoongi schüttelte seufzend den Kopf und murmelte halblaut: „Er hat doch gesagt, er ist frisch gewaschen, nun haben Sie sich nicht so." Dass es ganz offensichtlich gelogen war, musste man nicht mit Beweisen untermauern, aber immerhin hatte Joon ganz offensichtlich genug Alkohol intus, um vielleicht als desinfiziert zu gelten.
„Frisch gewaschene Läuse wären immer noch Läuse...", ätzte der Reporter.
Empört richtete sich Namjoon jetzt auf und sah ebenfalls zu Yoongi herüber. „Yo! Min! Muss ich mir das f-fallen lassen? Der Typ is echt gemein! Ich hab gar nichs -tan! Nur ein bisschen... mmhm! Has...su mal geschnuppert?! Has su mal gerochen? Duftet wie 'ne Lotosblüte, der Hübsche." Joon kicherte in sich hinein. „Feines Blümchen, fein, fein... Blümchen mag er."
Okay das war jetzt echt genug. Yoongi stand auf, durchquerte den Raum und steuerte den Kaffeeautomaten an. Mit zwei Bechern bewaffnet kehrte er zurück und reichte einen wortlos an den Reporter, der ihn zwar nahm, aber nicht daraus trank.
„Klappe halten, alle beide", wies er sie an. „Joon – setz dich da rüber und lass den Mann in Ruhe. Und was Sie betrifft", er wandte sich an den Reporter, wurde aber unterbrochen, als ein weiterer Kollege im Laufschritt ankam.
„Tschuldigung", stieß dieser keuchend hervor. „Hat länger gedauert als erwartet. Wir können jetzt anfangen."
Mit einem besonders freundlichen Lächeln wies Yoongi auf seinen Kollegen und nickte dem Reporter zu, der sich leise schimpfend erhob und dem anderen Beamten zu einem Schreibtisch folgte. Joon sah ebenfalls auf und grummelte.
„Und was ist mit mir? Krieg ich auch n' Kaffee? Wie lange muss ich noch warten?"
„Nein, kriegst du nicht. Haben sie schon einen Alkoholtest gemacht?"
Joon zuckte breit grinsen die Schultern. „Soll ich dich anhauchen?" Tat er auch gleich und Yoongi wich noch einen weiteren Schritt zurück.
„Joon", sagte er ruhig. „Der Mann hatte recht, okay? Du stinkst. Also entweder gibst du jetzt Ruhe und wartest bis du dran bist, oder ich stecke dich für diese Nacht in eine Zelle."
„Aber ich warte schon so lange!", maulte der andere. „Ich bin schon ganss ausgetrocknet." Er schmatze demonstrativ und sehr laut, was Yoongi nur ein Schnauben kostete.
„Ich kann dir ein Wasser bringen. Aber ich kann dich nicht laufenlassen, schließlich habe ich dich nicht hergebracht."
„Pfui, Wasser...", grummelte Joon und tastete die Taschen seiner Jacke ab, vielleicht in der Hoffnung, noch irgendwas zu finden.
„Willst du lieber ein gemütliches Plätzchen zum Schlafen?" Damit wies Yoongi auf die Ausnüchterungszellen, was Joon jedoch dankend ablehnte und sich stattdessen wieder auf der Wartebank ausstreckte.
„Bin ganss schtill", brabbelte er dabei.
Der Kerl war auch anstrengend, zumal er mindestens drei Mal im Monat bei ihnen saß, weil sich irgendwer über ihn beschwert hatte. Dabei war Joon eher harmlos, meistens nur lästig, aufdringlich mit seinem unzusammenhängenden Gebrabbel, meistens betrunken und dafür ebenfalls von der Gesellschaft ausgespuckt, wie diese armen Jungs.
Er wollte gerade an seinen Schreibtisch zurückkehren, da forderte das laute, empörte Palaver am Nebenplatz seine Aufmerksamkeit.
„Wollen Sie mir erzählen, Sie wüssten nicht, wer ich bin?"
Yoongi trat ebenfalls an den Tisch und der Reporter lehnte sich mit einem süffisanten Grinsen zurück. „Inspektor Min, wollen Sie Ihrem unfähigen Kollegen vielleicht zur Hand gehen?"
Der junge Polizist machte ein finsteres Gesicht, ließ die Beleidigung aber über sich ergehen während Yoongi einen Blick auf den Aufnahmebogen warf. Dann setzte er sich auf die Kante des Schreibtisches, reichte den Bogen an seinen Kollegen zurück und wandte sich an Kim.
„Name?" Er nippte an seinem Kaffee.
„Sie scherzen?"
Yoongi blinzelte nicht mal. „Sehen Sie in meinem Gesicht irgendeine Form von Erheiterung?"
„Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Gesicht sowas überhaupt darstellen kann!", knurrte der Reporter. Drüben an der Wand kicherte Joon und trällerte: „hübsches Blümchen, hübsches Blümchen, kommt im Fernsehen", sodass Yoongi einen Radiergummi vom Schreibtisch griff und ihn in seine Richtung warf.
Unterdessen wandte sich Kim selbstzufrieden zu seinem Kollegen um.
„Kim Seokjin", sagte er gelangweilt. Der junge Polizist schrieb mit.
„Alter?"
Sekundenlang herrschte Stille, dann hob der Reporter das Kinn und sagte im Brustton der Überzeugung: „27."
Yoongi verschluckte sich an seinem Kaffee, spuckte den Schluck zurück in den Becher und hustete. „Sie scherzen?", griff er Kims Worte auf, der ihn dafür mit einem vernichtenden Blick strafte, bevor er wegsah, dann auf seine Finger, die perfekt manikürten Nägel kontrollierte und kaum hörbar nuschelte: „29."
Der Beamte wollte schon schreiben, aber Yoongi legte eine Hand auf seine Schulter und beide Männer sahen den Reporter an.
Jetzt schnaubte dieser wütend, nahm einen Schluck vom Kaffee, verzog angewidert das Gesicht und stellte dann den Becher auf dem Schreibtisch ab. „Also gut", zischte er dabei giftig, „31 und sparen Sie sich jeden Kommentar, verstanden?!"
Schweigend klopfte Yoongi auf die Schulter seines Kollegen und dieser notierte die Angabe, dann sah er wieder auf. „Beruf?"
Wenn Blicke töten könnten, wäre der arme Kerl jetzt vermutlich tot vom Bürostuhl gerutscht, also forderte Yoongi das Blatt mit einem leisen „geben Sie mir das" und winkte den Reporter, ihm zu folgen.
„Wollen Sie mich verarschen?", zischte dieser, während er sich nun vor Yoongis Schreibtisch in einen der Stühle fallen ließ. „Sie stellen meine Geduld auf die Probe und ich kann Ihnen versichern, das wird teuer – richtig teuer."
„Ich tue jetzt einfach mal so, als hätte ich nicht gehört, dass Sie mir drohen wollen, einverstanden? Also – Beruf?"
„Glückskeks-Autor", sagte Kim und als Yoongi aufsah zuckte er die Schultern. „Kondom-Tester – schreiben Sie doch, was Sie wollen."
„Sie möchten das hier unbedingt unnötig in die Länge ziehen, oder?", gab Yoongi ungerührt zurück, auch wenn er mittlerweile stinksauer war. Dieser Kerl vergeudete seine Zeit und es interessierte ihn offenbar kein bisschen, dass es dort draußen Dinge gab, die wirklich Yoongis Aufmerksamkeit benötigt hätten. Wichtige Dinge – weit abseits jeder Kamera.
„Ich will jetzt endlich meinen Anwalt sehen, damit diese Farce hier ein Ende hat."
Nun klein beigeben, das konnte er jetzt auch nicht. „Ja, wissen Sie, das können Sie sofort, sobald ich das Protokoll erstellt habe, wofür ich diesen Anmeldebogen brauche und-"
„Dann geben Sie den Fetzen schon her", fauchte Kim, riss ihm dabei den Zettel aus der Hand und zückte aus der Innentasche seines Mantels einen goldenen Kugelschreiber. Zufrieden verfolgte Yoongi, wie der Reporter zügig den ganzen Bogen ausfüllte, am Ende das Alter tatsächlich noch von 31 auf 32 korrigierte, bevor er ihm den Zettel wieder hinknallte.
In diesem Moment klingelte das Telefon, Yoongi entschuldige sich und nahm das Gespräch an, was sein Gegenüber mit einem neuerlichen Schnauben quittierte.
„Hey Yoongi, Hoseok hier", hörte er. „Sitzt du vor deinem Fall, dann habe ich die ersten Ergebnisse für dich."
„Okay, lass hören", murmelte er, gab dem Reporter mit einem Fingerzeig zu verstehen, dass er sich noch einen Moment gedulden musste und wandte sich halb ab, während er hastig mitschrieb, was Hoseok aufzählte. Es war kaum Unerwartetes darunter und das frustrierte ihn ungemein. Wie immer gab es den Nachweis für jede Menge an Drogen und Betäubungsmittel – keine Abweichungen diesbezüglich und Hoseok versprach, die gesamte Auflistung bis zum nächsten Tag zu schicken. Außerdem war der Blutalkoholspiegel enorm hoch, auch das war nicht ungewöhnlich. Gebrochene Knochen an beiden Händen, Schnittverletzungen, oberflächlich oder auch tiefer – 28 insgesamt. Überlagerte Fesselmale. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild des Jungen, wie er im Bett lag, still, hilflos – er wollte sich nicht vorstellen, wie es die Tage davor für ihn gewesen sein musste.
„Spuren sexueller Gewalt?", nuschelte er nahezu unhörbar fragend in das Telefon und hörte den Arzt am anderen Ende unwillig murmeln.
„Ja – und nein", kam es schließlich zurück. „Je nachdem, wie man es sehen will."
„Geht das auch ein bisschen genauer?"
„Vielleicht war es einfach nur ruppiger Sex", brachte es Hoseok auf den Punkt und Yoongi kniff die Augen ein wenig zu.
„Ruppig...", wiederholte er dumpf. Sie hatten Opfer gehabt, die eindeutig vergewaltigt worden waren, andere nicht. Kein Muster erkennbar und somit auch kein Anhaltspunkt, warum er es bei manchen tat und bei anderen nicht.
„Na ja, manche mögen es ein bisschen grob, oder?"
„Danke, ich weiß schon, worauf du hinauswillst. Aber darum geht es nicht, oder?"
„Nein." Für einen Moment war es still in der Leitung, dann hob der Arzt erneut an. „Er hatte mindestens einmal post mortem Sex mit diesem Jungen."
Yoongi wechselt das Telefon auf die andere Seite, zückte seinen Stift und notierte mit. „Post mortem...", raunte er dabei. Das war tatsächlich neu. „Ist das sicher?" Noch während er kritzelte sah er eine Bewegung aus den Augenwinkeln und drehte sich um. Der Reporter saß kerzengerade auf seinem Stuhl und verrenkte sich fast den Hals, um zu sehen, was er schrieb. Warnend wies Yoongi mit seinem Stift in seine Richtung und der Andere sank wieder in sich zusammen.
„Ganz sicher", bestätigte Hoseok unterdessen. „Womöglich mehr als einmal und auf alle Fälle ungeschützt. Yoongi..."
„Moment", raunte Yoongi, „du meinst wir haben genügend Spuren für..." Schon wieder eine Bewegung in seinem Augenwinkel.
„Reichlich", gab Hoseok sofort zurück. „Und das ist gut, aber auch erschreckend. Entweder ist es ihm mittlerweile egal oder er will uns absichtlich bloßstellen, zeigen, dass er uns überlegen ist, dass er uns weit voraus ist. Etwas in der Art."
„Oder eine Mischung davon ja", murmelte Yoongi und rieb sich erneut die Schläfen. Schon wieder bekam er Kopfschmerzen.
„Dieser Junge musste in irgendeiner Form etwas Besonderes für ihn gewesen sein, er wollte ihn nicht gehen lassen", fuhr Hoseok unterdessen fort.
„Nur weil er-", mitten im Satz drehte er sich um und brach ab, als er erneut den Blick des Reporters traf, der ganz das Unschuldslamm mimte.
„Nein. Nicht nur deshalb", erklärte der Arzt am Telefon. „Alles, so wie er ihn behandelt hat. Er hat alle Male abgedeckt, so wie er es immer macht, aber dieses Mal hat er die Verletzungen wirklich versorgt, nicht nur getarnt. Er wollte ihm nicht wehtun und wenn es sich nicht vermeiden ließ, hat er offenbar dafür gesorgt, dass es nicht allzu schlimm wurde. Es gibt Rückstände von Salbe auf den Mullbinden und er hat ihn nicht nur gewaschen, er hat ihn auch geschminkt – vielleicht damit er lebendiger wirkte. Er hat ihm auch die Nägel neu gemacht, an der linken Hand waren unter dem Perlmuttlack Spuren von Glitter. Er hat also alten Nagellack entfernt, womöglich weil er nicht mehr schön war und neuen aufgetragen. Dieser Junge sollte, mehr als alle anderen vor ihm, perfekt sein, hm?"
„Glitzernagellack", murmelte Yoongi und machte sich eine weitere entsprechende Notiz.
„Sonst noch etwas?"
„Nicht im Moment, den Rest schicke ich dir gesammelt mit dem offiziellen Bericht."
Yoongi bedankte sich, verabschiedete sich von dem Arzt und wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu. Er legte das Handy zur Seite, starrte kurz auf den Notizzettel und wollte ihn eben in den Aktendeckel packen, als sein Gegenüber neugierig fragte: „Glitzernagellack? Was hat es damit auf sich?"
„Gar nichts!" Rasch packte Yoongi den Zettel weg und griff sich stattdessen das ausgefüllte Formular.
„Irgendein Fetisch?"
Er konnte einfach nicht aufhören! Und zu allem Überfluss war jetzt auch Joon wieder wach und höchst lebendig.
„Glitzer!", ertönte sein Singsang von der Wartebank aus. „Das hübsche Blümchen da könnte auch ein bisschen Glitzer vertragen! So hübsch, wie ein Mädchen..."
„Meint er etwa mich?!" Empört wandte sich der Reporter zu dem breit grinsenden Herumtreiber um. „Meinst du mich? Du stinkender Hundehaufen?!"
„Na, na, na", tadelte Joon, „du bis aber ein äußerss..ses unfeines Zucker...blümchen, muss ich schon sagen. Ja, mhm. Solche Sachen aus einem so hübschen Schnütchen. Pfui. Hat dir deine Mama wohl nicht ofe– oft! – genug mit Seife ausgewaschen, hmm?"
Zornig wirbelte Kim wieder herum und lehnte sich auf den Schreibtisch des Ermittlers. „Muss ich mir das wirklich gefallen lassen?"
Yoongi wiegelte ab. „Ignorieren Sie ihn einfach." Und an Joon gewandt wurde er etwas lauter. „Du bist jetzt endlich still, Joon! Letzte Warnung!"
„Ja, ja", kam es von der anderen Seite. „Vielleicht auch besser so. Mag sie glitzernd wie Tautropfen, was? Hübsches kleines Blümchen. Bissu auch sein Blümchen?" Und jetzt wurde es Yoongi endgültig zu bunt.
„Klappe jetzt, Joon!", fuhr er ihn an und stand auf. „Das ist ja heute das reinste Irrenhaus hier! Da liegt ein toter Junge auf dem Seziertisch und hier ist Zickenkrieg wie auf dem Schulhof!" Während seines Ausbruchs sah er aus den Augenwinkeln, wie sich der Reporter erneut über den Schreibtisch beugte um etwaige Informationen zu finden und er hätte am liebsten den Locher gepackt und ihn nach ihm geworfen.
„Ernsthaft HERR Kim", tobte er und beide Männer ruckten überrascht zu ihm herum. Fuck! Yoongi raufte sich die Haare. „Nicht du!" fauchte er Joon an, der daraufhin wieder auf seine Sitze sank, es sich bequem machte und leise „glitzer, glitzer, gliiiiitzer..." vor sich hin säuselte.
„SIE!" Er knallte dem verdutzten Reporter das Telefon hin. „Und jetzt rufen Sie schon Ihren verdammten Anwalt an, wenn Sie glauben, dass Sie das müssen! Aber ich schwöre Ihnen, Anwalt hin oder her, wenn irgendwas, was Sie heute hier gesehen oder gehört haben, morgen in den Nachrichten kommt oder womöglich in der Zeitung steht, dann nagle ich Ihren Arsch an die Wand. Haben wir uns verstanden?!"
„Na unbedingt haben wir das", murmelte der Reporter überrumpelt. Joon in seiner Ecke kicherte hinter vorgehaltener Hand kaum hörbar: „Arsch..."
„Großartig", murmelte Yoongi und ließ sich wieder hinter seinen Schreibtisch fallen. Die nun vorherrschende Stille war so allumfassend, dass er eine halbe Minute später wieder aufsah und feststellte, dass Kim immer noch vor seinem Schreibtisch saß. Fragend sah er ihn an.
„Ja also... bin ich jetzt eigentlich festgenommen? Brauche ich einen Anwalt?"
„Nein!", knurrte Yoongi und griff nach seinen Zigaretten. „Nehmen Sie sich ein verdammtes Taxi und verschwinden Sie endlich."
Mit demütig erhobenen Händen stand der Reporter auf, lief ohne ein weiteres Wort zur Tür und grapschte sich dabei seinen durchsichtigen Kunststoffregenschirm, bevor er fluchtartig das Gebäude verließ.
Joon saß schon wieder aufrecht und war offenbar höchst angetan von der großartigen Unterhaltung die er heute so günstig geboten bekam. „Die Polizei dein Freund und Helfer", sinnierte er und rümpfte die Nase, als Yoongi sich eine Zigarette ansteckte.
„Aber Inspektor, das Rauchen in öffentlichen Gebäuden ist doch nicht erlaubt."
„Du kannst mich mal", raunte Yoongi, pflückte dabei den Plastikdeckel von seinem Kaffeebecher und verwandelte diesen damit in einen Aschenbecher, bevor er die Füße auf den Schreibtisch legte und sich den Aktenordner griff.
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