
Kapitel 4
Gegen Abend kehrte wieder mehr Leben in der Unterkunft ein. Die Profihelden, die draußen nach dem Rechten sahen, hatten zwar bisher noch keine Meldung abgegeben, doch das hinderte die Jugendlichen nicht daran, den Abend für Spiele zu nutzen und zu versuchen, die Ereignisse des Vortags zu verdrängen. Es war wichtig, dass sie über den Angriff hinwegkamen, und weiter machten, egal ob noch etwas draußen lauerte oder nicht. Sich nun in Angst und Zweifeln zu suhlen, wäre für werdende Helden nicht angemessen. Selbst Momo, deren Verletzungen am Anfang am schlimmsten ausgesehen hatten, war guter Dinge und mit dabei. Ihr Bein war gebrochen und sie hatte eine Platzwunde am Kopf, was sie jedoch nicht davon abhielt, mit den anderen zusammen zu sitzen, und Pflicht oder Wahrheit zu spielen, und dabei einfach Spaß zu haben.
Die beiden Lehrer saßen etwas abseits, um die Schüler im Auge zu behalten. Auch wenn sie im Gebäude waren, dass von Helden und Polizisten umringt war, musste es nicht heißen, dass sie deswegen zu 100% in Sicherheit waren. Außerdem könnten ein paar Jugendliche bei dem Spiel, dass sie spielten, so übermütig werden, dass sie sich gegenseitig nach draußen zu Mutproben schickten. Da wollten sie lieber zur Stelle sein, um ein Unheil von Anfang an zu unterbinden. Ihre bloße Anwesenheit sorgte schließlich schon dafür, dass die Pflichtaufgaben im Rahmen blieben und nicht zu ausgefallen oder allzu peinlich wurden.
Nur ein paar hatten keine Lust mitzuspielen. Todoroki saß etwas abseits und las in einem Buch, Bakugo war längst zu Bett gegangen, weil er auch bei Schulausflügen auf seine fixen Schlafenszeiten bestand, und Shinsou hatte anderes im Sinn, als Spiele zu spielen. Letzterer hatte den gesamten Tag damit zugebracht seine Mitschüler zu befragen. Niemand schien mitbekommen zu haben, ob ihr Lehrer sich verarzten hatte lassen. Natürlich war jeder mit sich selbst beschäftigt gewesen und keiner von ihnen schien bemerkt zu haben, wie schwer Eraser eigentlich verletzt worden war. Aus diesem Grund fühlte sich Hitoshi ein wenig verantwortlich dafür, nach dem Rechten zu sehen.
Obwohl er sich jedoch so sicher war mit dem was er tun wollte, hielt er erst einmal ein paar Augenblicke vor der Tür inne. Sollte er wirklich die Ruhe seines Lehrers stören? Present Mics Worte waren eindeutig gewesen und im Prinzip ging es ihn als Schüler auch rein gar nichts an, was sein Lehrer machte. Doch nachdem Aizawa sich seit dem Sportfest um ihn gekümmert hatte, stand der Junge in seiner Schuld und fühlte sich mit dem Mann verbunden. Mit diesem Gedanken drückte er die Türschnalle nach unten und stieß die Tür auf.
Vor ihm lag Dunkelheit. Die Vorhänge waren komplett zugezogen, damit kein Körnchen Licht eindringen konnte. Einzig ein Lichtstrahl vom Flur hinter ihm fiel hinein, erhellte auch nur den Boden vor dem Bett. Langsam trat Shinsou ein und wartete kurz, bis seine Augen sich an das spärliche Licht gewöhnt hatten. Er wagte es nicht, das Deckenlicht anzumachen, um mehr sehen zu können. Falls sein Lehrer schlief, wollte er ihn nicht auf diese unsanfte Weise wecken. Im besten Fall sah er nur kurz nach ihm, und verschwand unbemerkt wieder, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es ihm gut ging. Vielleicht hatte er sich die Verletzung auch nur eingebildet, schließlich war da draußen alles sehr schnell passiert und der Mann wäre gewiss nicht schwer verletzt in seinem Bett verschwunden. Schließlich predigte Aizawa ihnen ständig, wie wichtig es als Held war, auf seine Gesundheit zu achten, damit man immer einsatzbereit sein konnte.
Auf leisen Sohlen trat er ans Bett heran, auf dem Eraserhead zusammengerollt lag, mit dem Rücken zur Tür und dem Gesicht zur Wand. Noch immer war er in seiner Heldenuniform gekleidet, die bei dem gestrigen Kampf einiges abbekommen hatte, ebenso wie sein Fangtuch ziemlich beschädigt aussah, das noch immer um seinen Hals lag. Sein Gesicht war halb darin vergraben, weswegen es für den Violetthaarigen schwer auszumachen war, ob sein Lehrer schlief, als er sich leicht über ihn beugte und versuchte, ihn nicht zu berühren. Zunächst dachte er tatsächlich, dass das, was er vernahm, Atemgeräusche waren, doch als er angestrengt die Ohren spitzte und genauer lauschte, konnte er hören, dass Aizawa leise vor sich murmelte.
„Aizawa-Sensei?", fragte Hitoshi vorsichtig, „ist alles in Ordnung? Ich möchte nur sicher gehen, dass es ihnen gut geht." Unsicher, ob sein Lehrer wach war, oder nur im Schlaf sprach, fasste er ihn über der Hüfte und an der Schulter an, um ihn sachte wach zu rütteln und umzudrehen. Als seine Finger etwas Feuchtes berührten, zog er schnell erschrocken seine Hand zurück. Etwas Dunkles klebte an seinen Fingern. Trotz des spärlichen Lichts könnte Shinsou schwören, dass er genau wusste, was das war. Er wurde blass, als er auf die Stelle blickte und merkte, dass das weiße Bettlacken ebenso dunkel gefärbt war und er metallischen Geruch wahrnahm. „Scheiße", entfuhr es ihm leise.
Da seine andere Hand noch immer auf der Schulter seines Lehrers ruhte, fuhr er erschrocken zusammen, als plötzlich die Hand des anderen darauf lag und nach im Griff. Mit einem Ruck hatte Eraserhead sich aufgesetzt und starrte ihn mit glasigen und müden Augen an. „Es ist alles meine Schuld", murmelte er weiter vor sich hin, diesmal etwas besser verständlich und schloss kurz seine Augen. Tränen liefen über seine aschfahlen Wangen. „Alle sind verletzt, weil ich versagt habe. Sie hätten sterben können." Seine Stimme klang brüchig und heiser, während sein ganzer Körper zu zittern und beben begann und er nach vorne kippte. Sofort fing Hitoshi ihn auf und ging leicht in die Knie. „Ich kann nicht mehr ... ich kann einfach nicht mehr. Ich habe versagt", waren die letzten Worte des Dunkelhaarigen, ehe er das Bewusstsein verlor und noch mehr zusammensackte.
Überfordert mit der Situation starrte Hitoshi seinen Lehrer an, ehe er es schaffte, ihn zurück ins Kissen zu hieven. Was war da gerade passiert? Doch er hatte keine Zeit, zu viel darüber nachzudenken. Er musste sofort Hilfe holen. Jeder Schritt, den er in Richtung Gemeinschaftsraum setzte, fühlte sich seltsam an, als ob er auf viel zu weichem Boden laufen würde. Als er vor den beiden blonden Begleitpersonen stand, die miteinander plauderten, versagte Shinsous Stimme zunächst, als er sie auf den Notfall aufmerksam machen wollte.
Da Toshinori jedoch eine Bewegung neben ihnen ausgemacht hatte, sah er zur Seite und sprang sofort auf, als er die blutbefleckten Hände des Jungen sah, die er leicht von sich weghielt, um das Blut nicht weiter an seiner Kleidung zu verteilen. „Bist du verletzt? Was ist passiert?", fragte er sofort besorgt und musterte den Schüler von oben bis unten.
Dieser schüttelte allerdings nur den Kopf. „Sensei ... Aizawa ... er ... Hilfe ...", stammelte der sonst so taff wirkende Junge vor sich hin, ehe er geistesabwesend auf seine Hände starrte und schluckte. Am liebsten hätte er sich selbst dafür geohrfeigt, im Moment so ein klägliches Bild abzugeben. Als angehender Held sollte er in dieser Situation Ruhe bewahren und nicht darum kämpfen, ein paar Worte vor sich hin zu stammeln.
Jegliche Farbe wich mit einem Mal aus dem Gesicht des Voiceheros, der sofort aufsprang, als er den Namen seines Freundes hörte, und zu dessen Zimmer davonstürzte. Allein der Gesichtsausdruck des Violetthaarigen reichte ihm, um zu zeigen, dass es schlimm sein musste. Wieso hatte er sich nur auf dieses dumme Versprechen damals eingelassen? Es hätte ihm klar sein müssen, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem sich jemand nicht genau an seine Worte halten würde, weil die Dunkelheit in ihm stärker war und ihn zu tief in sein Loch zog. Allerdings hatte Hizashi darauf gehofft, dass Aizawa stärker war als seine dunklen Gedanken , vor allem wenn seine Schüler in der Nähe waren.
Schnell griff Toshinori zu seinem Handy, um einen Krankenwagen zu rufen. Nachdem er aufgelegt hatte, packte er Hitoshi sachte an der Schulter und führte ihn zu einem der Sofas im Gemeinschaftsraum. „Izuku, mein Junge, könntest du dich kurz um Hitoshi kümmern?", bat er den Grünhaarigen, der sofort neben ihm stand, als er ihn erblickt hatte. Die Schüler hatten ihr Spiel längst unterbrochen, nachdem sie bemerkt hatten, dass irgendetwas nicht stimmte. Aufmerksam hatten sie verfolgt, wie Present Mic losgestürmt war, und wie abwesend und verstört Shinsou wirkte. Ein paar hatten sich tatsächlich erhoben, und wollten ihrem Lehrer folgen, doch All Might hielt sie zurück.
Sanft drückte Yagi den Jungen auf die Sitzfläche der Couch, damit er platznahm, ehe er sich kurz entfernte, um eine Schüssel mit Wasser zu holen und einen Lappen, damit er das Blut von den zitternden Händen des Jugendlichen entfernen konnte. Izuku nahm währenddessen neben Hitoshi platz und sah ihn besorgt an. „Ist alles in Ordnung?", fragte er und bekam als Antwort nur ein Kopfschütteln, „was ist passiert?" Doch auch auf diese Frage bekam er keine verbale Antwort.
„Ich werde etwas Tee zur Beruhigung aufsetzen", erklärte Momo und sah zu Mina und Toru, „helft ihr mir dabei?" Die beiden Mädchen nickten, halfen der Mitschülerin beim Aufstehen und machten sich schnell auf dem Weg zur Küche, aus der All Might zurückkehrte.
Der große Mann ließ sich neben Shinsou nieder und stellte die Schüssel auf dem Couchtisch ab. „Darf ich?", wollte er sicher gehen, ehe er die Hände des Jungen nahm und damit begann, sie mit einem feuchten Tuch abzureiben und das Blut so gut es ging abzumachen.
Geistesabwesend starrte der Dunkelvioletthaarige auf den Boden vor sich, und nahm seine Umgebung kaum war. Das verzweifelte Gesicht seines Lehrers hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt und er konnte nicht aufhören daran zu denken. Was meinte er damit, dass alles seine Schuld war? Er konnte doch nicht den Angriff der Schurken meinen, schließlich hätte er das auf keinen Fall verhindern können. Es war einfach erneut ein ziemlich dämlicher Zufall gewesen, der der 1-A wieder einmal widerfuhr. Ein Umstand, der sich seit Beginn des Schuljahres immer mehr häufte. Aber daran trug Eraserhead doch keinerlei Schuld. Wie auch? Für Shinsou ergab es keinen Sinn, und er konnte auch nicht verstehen, wie es das für jemanden wie Aizawa, der ansonsten immer sehr auf Logik bedacht war, der Fall sein könnte. Außerdem konnte sein Lehrer wohl kaum der Meinung sein, alleine gegen eine Horde an Schurken ankommen zu können, um eine ganze Klasse an widerspenstigen Jugendlichen zu schützen.
„Hitoshi?" Sein Name riss ihn aus der Starre. Langsam hob er den Kopf und sah in Midoriyas besorgtes Gesicht. „Du kannst mit uns darüber reden. Als deine Klassenkameraden sind wir so etwas wie deine Familie", versicherte der Grünhaarige und setzte ein sanftes Lächeln auf. Doch Shinsou fühlte sich nicht dazu bereit. Noch nicht.
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