„Sensei, legen Sie die Scherbe weg", versuchte ihn nun jemand anderes darum zu bitten. „Ich kann nicht", presste Shota leise hervor, verzweifelt versuchend dagegen anzukämpfen und der Bitte doch nachzukommen, ehe er bemerkte, dass er sich plötzlich seltsam starr fühlte und gar nicht mehr bewegen konnte. Die Stimme schien ihre Macht verloren zu haben, doch dafür schien jemand anderes die Kontrolle zu übernehmen. „Lassen Sie sie los", befahl man ihm erneut, sehr direkt und streng klingend. Diesmal lösten sich seine Finger tatsächlich von dem Stück Glas und es fiel klappernd zu Boden, nachdem sein Arm langsam gesunken war.
Kurz darauf ließ ihn jemand los und Denki und Hitoshi traten in das Blickfeld des erstarrten Lehrers, der keinen Mucks mehr von sich gab und leer vor sich hinstarrte. Während der Blondschopf die blutverschmierte Scherbe in die nächste Ecke trat, damit sie keinen Schaden mehr anrichten konnte, zwickte Shinsou seinen Lehrer sachte in den Arm, um ihn von der Gehirnwäsche zu befreien.
Beide sahen besorgt auf Aizawa, der leicht schwankte und schließlich an der gefliesten Wand hinter ihm zu Boden glitt. Er war vollkommen bleich im Gesicht. Leicht verwirrt sah er auf seine blutende rechte Hand und schließlich hoch zum Spiegel und zu den Schülern. „Was ist passiert?", fragte er vollkommen außer Atem, als ob er gelaufen wäre. Die letzten Minuten schienen wie verschwommen in seinen Erinnerungen, als ob sein Gehirn es sofort zu verdrängen versuchte und sich etwas zurückgezogen hatte, was Besitz von ihm ergriffen hatte.
Die beiden Schüler tauschten kurz einen besorgten Blick aus, ehe beide in die Hocke gingen, um mit Eraserhead auf einer Augenhöhe zu sein. „Wir wollten nach ihnen sehen, aber Sie waren nicht im Gemeinschaftsraum. Dann haben wir ein ziemlich lautes Geräusch gehört, und haben Sie hier mit einer Glasscherbe in der Hand gefunden!", berichtete Denki und warf die Arme hoch, „was hatten Sie denn vor? Sind Sie verrückt geworden?" Kaminari wusste nicht genau, wieso er wütend wurde. Alle machten sich sorgen um den Lehrer und er zog so eine Nummer ab, während die anderen zum Teil schon schliefen. Doch so gern er ihm auch eine Gardinenpredigt halten würde, hielt ihn der verstörende Anblick des Mannes davon ab. Er wollte nicht noch mehr auf jemanden einhacken, der ohnehin schon so wirkte, als wäre er knapp davor in tausend Scherben zu zerbrechen.
Geistesabwesend starrte Shota auf die Schnitte, die seine Handfläche zierten. Es schmerzte höllisch, doch er bewegte jeden Finger einzeln, nur um sicher zu gehen, dass sie darauf reagierten, wenn er es wollte und er die Kontrolle über seine Bewegungen zurückhatte. „Ich fürchte schon", antwortete er leise auf die Frage seines Schülers, der eigentlich keine Antwort erwartet hätte, „ich hatte keine Kontrolle ... ich wollte nicht ... aber meine Hand ... es ..." Auch wenn er es nicht laut aussprechen wollte, doch es machte ihm Angst. Ohne weiter über seine neue Verletzung nachzudenken, krallten sich die blutigen Finger in seinen Haarschopf, während er leicht den Kopf schüttelte. In den letzten Jahren hatte er so viel erlebt und durchgestanden, nur um nun endgültig den Verstand zu verlieren. Wieso musste das dann auch noch direkt vor den Augen seiner Schüler passieren?
Mit solch entwaffnender Ehrlichkeit hätten die beiden Jungen nicht gerechnet. Doch es änderte nichts an dem, was sie gerade gesehen hatten. Wenn Hitoshis Macke nicht gewirkt hätte, wer wusste, was dann passiert wäre. Sie wollten gar nicht erst darüber nachdenken. Der Violetthaarige seufzte und griff nach einem Handtuch, das er kurzerhand befeuchtete, ehe er sachte nach der Hand seines Lehrers griff, um die Wunde zu reinigen. Auch wenn ihn all das Blut an die Szene von vor ein paar Tagen erinnerte, versuchte er diesmal gefasst zu bleiben. Um ehrlich zu sein, hatte er sich die letzten Tage schon gewappnet, erneut so etwas erleben zu müssen, auch wenn er immer gehofft hatte, dass es nie dazu kommen würde. Doch nachdem Present Mic nun davon erzählt hatte, dass es ein länger anhaltender Zustand sein würde, war es abzusehen gewesen. Immerhin schien die Macke nur mit dem Tod wirklich beendet zu sein. Wer wusste da schon, was sie noch alles erleben mussten. Sie hätten ihn einfach nicht aus den Augen lassen dürfen.
„Was sollen wir jetzt tun? Wir müssen das unbedingt melden! Present Mic war sehr eindeutig, was das betrifft." Denki raufte sich kurz die Haare, ehe er den Kopf verständnislos schüttelte. Er hätte niemals gedacht, dass er Aizawa in so einer Situation erwischen würde und nun so sehen musste. Er fühlte sich schrecklich fehl am Platz, aber wie musste sich erst der Lehrer fühlen? Es war bestimmt nicht einfach, wenn man jegliche Kontrolle über sein Handeln verlor und dabei zusehen musste, wie seine eigene Hand einen verletzte.
Doch er wusste auch nicht, was er denken sollte, als Yamada und seine Klassenkameraden zurückgekehrt waren und ihnen erzählt hatten, was sie in Erfahrung bringen konnten. Ihm hätte von Anfang an klar sein müssen, dass sie von nun an mit so etwas rechnen mussten, auch wenn jeder gehofft hatte, ihr Lehrer würde stärker sein als diese Macke. Wie sollten sie auch anders, wo Aizawa ihnen tagtäglich bewiesen hatte, dass er ein starker Mensch war, den nichts erschüttern konnte und der immer für sie alle da war. Ihn nun so zu sehen, brach ihnen das Herz.
„Nein ... bitte...", flehte Aizawa plötzlich und sah auf, ehe er versuchte etwas strenger zu wirken, in der Hoffnung, dass die beiden noch immer ein wenig Respekt vor ihm hatten und auf ihn hörten, „ihr werdet es ihnen nicht sagen. Außerdem ist jetzt wieder alles in Ordnung. Kein Grund ..." Während er sprach, versuchte er sich zu erheben, doch Hitoshi hinderte ihn daran. „Sie haben uns beigebracht, dass es keinen Sinn hat zu lügen. Wieso tun Sie es nun selbst?", fragte er leicht müde klingend, „es ist gar nichts in Ordnung. Sie haben diese Tabletten genommen und trotzdem die Kontrolle verloren, sogar noch schlimmer als vorhin beim Training." Damit hatte der Junge nicht unrecht, und das wusste Shota. Dennoch würde er nicht zulassen, dass sie etwas den anderen Lehrern erzählte, die sich ohnehin schon den Kopf darüber zerbrachen, wie sie mit ihm verfahren sollten. Am Ende würden sie ihn in einer Gummizelle einsperren, damit er sich nicht mehr verletzen konnte.
„Das klingt gar nicht gut, ehrlich Leute", seufzte Denki und kratzte sich am Hinterkopf. Er war ratlos. Auch wenn Aizawa vollkommen fertig wirkte, nahm ihm das nicht die Ausstrahlung, die dem Elektrohelden Angst machte, von der Schule verwiesen zu werden, wenn er seinen Lehrer an die anderen Erwachsenen verpetzte. Außerdem wollte er nicht so respektlos sein. Doch die Sache konnte auch nicht einfach verschwiegen werden, vor allem deswegen nicht, weil es immer schlimmer zu werden schien. Was kam als nächstes? Würde er auf das Dach klettern?
Shota fühlte sich von den beiden in die Enge getrieben. Genauso wie sie wusste er nicht, wie er sich aus dieser Lage befreien sollte, oder was das Beste war, was sie nun tun könnten. Normalerweise hatte er immer einen Plan, doch sein Kopf war nicht klar genug, um darüber nachzudenken. Vor allem brauchte er eine Lösung, die auf Dauer funktionierte, wenn ihn diese Stimme bis ans Ende seiner Tage verfolgen würde. Beende es doch einfach, dann bist du für niemanden eine Last! Steh auf und lauf davon. Es gibt noch andere Möglichkeiten, um... „Nein, hör auf", entfuhr es Aizawa leise, während er zusammenzuckte und die Augen zusammenkniff, und ignorierte die verwirrten Blicke der Schüler einfach. Angst stieg in ihm auf, dass er erneut die Kontrolle verlieren könnte. Was, wenn er dabei seine Schüler verletzte, weil sie ihn von etwas abhielten?
Doch Hitoshi hatte keine Lust mehr, sich einfach abwimmeln zu lassen und er konnte es nicht mehr ertragen, ihn so zu sehen. „Vielleicht wäre es ein Anfang darüber zu sprechen, was diese Stimme ihnen genau einredet! Nur so können wir ihnen wirklich helfen", schlug er vor und versuchte nicht allzu barsch zu klingen. „Ich höre ihnen zu, ohne Sie zu verurteilen! Und wenn Sie nicht mit mir reden wollen, dann werden wir Present Mic oder Midnight holen, aber reden Sie verdammt nochmal!" Shinsou hatte es satt, seinen Lehrer so leiden zu sehen und dabei das Gefühl zu haben, dass dieser gar nicht wollte, dass es besser wurde. So würde er ihn nur verlieren, und langsam wurde sein Nervenkostüm zu dünn, um untätig dabei zuzusehen, wie sein Mentor sich selbst zerstörte. Nur weil dieser mit Emotionen nicht zurechtkam und sich niemanden öffnen wollte. Macke hin oder her, er war eine tickende Zeitbombe, die gerade fast hochgegangen wäre.
Dass Shinsou es wagte so mit dem Klassenlehrer zu reden, ließ Denki mit großen Augen auf den Jungen starren. So etwas hätte er nie erwartet, doch es schien Wirkung zu zeigen. Shota seufzte und ließ die Schultern hängen. „Ich habe gehört, was die anderen besprochen haben ... anscheinend gibt es keine Möglichkeit die Wirkung zu brechen", erklärte er leise, gerade so laut, dass die beiden es hören konnte, weil sie neben ihm waren, „also werde ich ewig unter Beobachtung stehen und eine Last sein. Ich will das nicht, vielleicht habe ich deswegen gerade die Kontrolle verloren. Ich bin ein Held geworden, um anderen zu helfen und zu beweisen, dass man mit so einer Macke auch mit den anderen mithalten kann, wenn man sich genug anstrengt. Egal wie oft ich am Boden lag, ich habe mich immer wieder hoch gekämpft ... aber das ... das ..." Er brach ab und schniefte. So konnte er nie wieder jemanden helfen. So viele Kämpfe hatte er schon geschlagen, aber gegen diese Stimme kam er einfach nicht an. Tatsächlich klang sie oft auch nach seiner eigenen und ließ sich nicht unterscheiden, ob es nun an der Macke lag oder nicht. Vielleicht war er auch einfach nur schon verrückt geworden. Wenn die meisten nach drei Tagen schon tot waren, war es nur klar, dass man den Verstand verlor, je länger man durchhielt und irgendwann jemand anderes die Kontrolle übernahm, um das Ende herbeizuführen, wenn man erst einmal damit anfing den Worten wirklich zuzuhören. „Diesen Kampf schaffe ich nicht ..." Schließlich gab es keinen physischen Gegner, den man ausknocken konnte. In diesem Fall war er selbst sein Feind und damit gegen den kämpfte er schon seit Jahren.
„Aber das hat weder etwas mit Schwäche zu tun noch mit Versagen", erriet Shinsou die Gedanken seines Lehrers, „das liegt einfach an der Macke. Ja, Sie hatten schon immer Zweifel, aber das macht einen Menschen doch aus! Kein Held hat nur Stärken, er muss auch seine Schwächen kennen, und das tun Sie, was Sie zu einem starken Helden macht! Sie müssen einfach weiterkämpfen." Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte, in der Hoffnung es würde helfen. „Sie sind mein großes Vorbild! Seit ich zum ersten Mal gesehen habe, wie Eraserhead einen Fall gelöst hat, wollte ich auch ein Held werden! Weil ich durch Sie wusste, dass es möglich ist. Bitte ... geben Sie nicht auf!"
„Er hat Recht!", pflichtete Kaminari bei, „Sie dürfen nicht aufgeben. Und Sie sind auch für niemanden eine Last! Sie geben immer alles für uns, und auch wenn wir uns immer anstellen wie Idioten, sind Sie für uns da! Und denken Sie doch an Eri! Was soll die Kleine ohne Sie machen? Jetzt müssen einfach wir für Sie stark sein. Egal was die anderen in Erfahrung gebracht haben, es gibt bestimmt eine Möglichkeit, es zu beenden."
Dass solche Worte auch von einem jener Schüler kam, denen er oft genug Nachhilfe geben und in den Hintern treten musste, damit er vorankam, rührten Aizawa doch ein wenig. Doch auch Hitoshis Worte ließen, das Niemand braucht dich in seinem Kopf ein wenig leiser werden und die Kopfschmerzen zogen sich ein wenig zurück. Solange er sich auf die Worte seiner Schüler konzentrierte, fühlte er sich ein wenig besser.
„Und hören Sie auf, die Schuld bei sich zu suchen, wenn die Klasse mal wieder von Schurken angegriffen wird! Dafür kann keiner was!", fügte Hitoshi noch an. Schließlich konnte niemand sagen, wieso die Jugendlichen immer wieder das Ziel der Liga der Bösen war. Irgendwie schienen diese Schurken einen Narren an den Kindern gefressen zu haben. Aber daran trug Aizawa wohl am allerwenigsten Schuld. Das machte ungefähr so viel Sinn, als wenn man sich am schlechten Wetter schuldig fühlte. „Bitte versprechen Sie uns, dass Sie so etwas nie wieder tun werden!", bat Shinsou und sah auf die verletzte Hand. Shota nickte, auch wenn er wohl nicht ganz in der richtigen Position war, solche Versprechen zu geben. Solange die Gefahr bestand, dass diese Macke die Kontrolle über ihn erlangte, konnte er gar nichts versprechen, dennoch nahm er es sich vor, sich daran zu halten. Vielleicht half es ja dabei, dagegen anzukämpfen, wenn er sich dieses Ziel setzte.
„Wir werden einen Weg finden, damit alles wieder wird wie früher. Ganz einfach", verkündete Denki und streckte beide Daumen in die Luft, „weil Helden das so machen und die Hoffnung nicht aufgeben. Geben Sie auch nicht auf, weil wir es sicher nicht tun werden!"
Ein leichtes, wenn auch unsicheres Lächeln erschien auf Shotas Lippen. „Bewahrt euch euren Optimismus so lange es geht", riet er ihnen und seufzte leise. Die Kopfschmerzen hatten sich weiter verzogen, doch nun verlagerte sich der Schmerz in seine Handfläche. Die Schnitte, die Hitoshi weiter säuberte, brannten wie Feuer. Als der Junge über den tiefsten Schnitt wischte, sog Aizawa scharf die Luft ein. „Ich glaube ich brauche einen Verband ... und der Verbandskasten ist in der Küche ... verdammt", fluchte er leise, ehe er erneut seufzte. Es blieb ihm wohl nichts anderes über, als den anderen davon zu erzählen. Mittlerweile hatte er sich dank der Schüler soweit beruhigt, dass er nicht mehr mit dem Gedanken spielte, einfach davon zu laufen. Das wäre kein Verhalten für einen Erwachsenen und würde für nur noch mehr Chaos sorgen. Außerdem wäre es wohl besser, wenn er selbst seinen Kollegen erzählte, was gerade passiert war, bevor sie es von den Schülern erfuhren. Es wäre sinnlos, irgendetwas zu verschweigen. Irgendetwas sagte ihm, dass es das nur noch schlimmer machen würde.
„Wir begleiten Sie und beschützen Sie vor den anderen", scherzte Denki, „nachdem was Eijiro erzählt hat, kann Present Mic ziemlich gruselig sein, wenn er wütend ist!" Schon begann der Blondschopf zu erzählen, was Red Riot ihm berichtet hatte, während sie beide Aizawa auf die Beine halfen, weil er immer noch recht bleich wirkte. Bevor sie das Badezimmer jedoch verließen, ging Shinsou sicher, dass Eraser auch im Gesicht kein Blut mehr kleben hatte, nachdem er das Blut von seiner Hand überall verteilt hatte, ansonsten würden die anderen Lehrer noch denken, er hätte noch mehr Verletzungen. Währenddessen sammelte Kaminari die restlichen Scherben auf und warf sie in einen Mülleimer. Sicher war sicher. Shota hingegen war überrascht, wie erwachsen seine Schüler bereits geworden waren. Während er seine Nerven einfach über Bord geworfen hatte, hatten sie sich ruhig verhalten und es geschafft, ihm Hoffnung zu schenken und die Zweifel, die er gerade noch gehabt hatte, zu verscheuchen. Tatsächlich war er richtig stolz auf sie und war froh, in diesem Moment etwas anderes zu empfinden als die Gefühle, die er noch ein paar Minuten zuvor gehabt hatte.
Allerdings beunruhigte es ihm immer noch, dass diese Stimme plötzlich Kontrolle über seine Taten und Handlungen hatte. Er konnte sich nicht wehren und nichts dagegen tun. Was, wenn das erneut vorkam? Doch soweit wollte er gar nicht denken und konzentrierte sich lieber auf die Erzählungen der Schüler, die im Moment viel interessanter erschienen und ihn ablenkten, während sie auf dem Weg zur Küche waren.
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