38 - Luise
Die Situation war angespannt.
Ich hatte die Nacht kaum geschlafen und auch Eliah war die ganze Nacht wach neben mir gelegen.
Er wollte mich in den Arm nehmen, doch ich hatte mich von ihm weggedreht. Er hatte den Wink verstanden und sich mir die ganze Nacht nicht mehr genähert, während er dennoch weiterhin versucht hatte mich zum sprechen zu bringen. Irgendwann hatte er gemerkt, dass von mir nichts kommen würde und war dann einfach still gewesen.
Morgens als die Sonne aufgegangen war und die ersten Vögel zu hören waren, hatte Eliah sich fertig gemacht und sich mit einem Kuss auf die Stirn bei mir verabschiedet.
So hatte ich mir mein erstes Mal mit meiner Gefährtin nicht vorgestellt. Ich dachte immer wir würden Sex haben, uns markieren, engumschlungen einschlafen und am nächsten Morgen gemeinsam erwachen, ein zweites Mal miteinander schlafen und dann zusammen frühstücken.
So hätte ich es mir auch mit Eliah gewünscht.
Aber die Realität sah leider anders aus. Eliah hatte mich nicht markiert. Mich nicht zu Seinem gemacht.
Die Erkenntnis traf mich jedes Mal aufs neue. Zick Mal spielte sich der Sex in meinem Kopf Revue. Ich dachte immer, dass sich mein erstes Mal positiv in meinen Kopf brennen würde, aber nun wenn ich darüber nachdachte, bereitete es mir nur Schmerzen.
Es hat sich unglaublich gut angefühlt, besser als erhofft, aber die Ablehnung Eliahs ließ all guten Gefühle in den Hintergrund rutschen.
Er wollte mich nicht.
Dieses Wissen raubte mir die Luft zum atmen.
Ich konnte nicht weinen. Keine einzige Träne hatte sich aus meinen Augen gelöst, auch, wenn mir danach zumute wäre.
Schwerfällig erhob ich mich aus dem Bett. Nachdem wir gestern duschen waren, hatte Eliah noch schnell das Bettzeug gewechselt. Immerhin war das vorherige in mein Sperma und mein Blut getränkt.
Kurz überlegte ich, ob ich abermals duschen gehen sollte, aber da ich erst vor wenigen Stunden war, konnte ich getrost darauf verzichten.
Wasser und Shampoo konnten mich auch nicht mehr reinwaschen.
Mein Blick fuhr über meinen noch immer nackten Körper. Hier und da konnte ich dunkle Knutschflecken ausmachen, die wie ein Mahnmal auf meiner Haut prangten und mich unweigerlich an die Geschehnisse letzter Nacht erinnerten.
Die Wunden von gestern waren ohne Weiteres über Nacht verheilt und ich schob es auf Elias Speichel als er sie gestern sauber geleckt hatte. Wolfsspeichel war antiseptisch und förderte die Selbstheilungskräfte. Es war eine intime Geste, wenn man die Wunden eines anderen leckte, und allein dieses Verhalten seinerseits ließ mich nicht komplett die Hoffnung aufgeben.
Aus den schmerzenden, offenen Wunden von gestern Abend waren zartrosa Narben geworden.
Zehn an der Zahl.
Fünf auf jedem Hüftknochen.
Genau dort, wo Eliah seine Krallen in meinem Fleisch versenkt hatte. Tiefgenug um bleibende Narben zu verursachen. Narben, die nur von einem Alpha stammen konnten. Schandflecke.
Eliah hatte mich gezeichnet.
Aber nicht so wie ich es mir erträumt hatte. Ich durfte nicht sein Mal tragen. Ich trug die Narben.
Mit zitternden Fingern strich ich über die frischen Narben.
In einer anderen Situation würde ich das nicht einmal schlimm finden. Hätte Eliah mich markiert - richtig markiert - hätte ich mit diesen Wundmalen wahrscheinlich gar kein Problem. Sie würde mich nur noch mehr an meinen Alpha binden.
Aber der Fakt, dass Eliah nicht mehr für mich übrig hatte als mich für andere Wölfe mit diesen Narben zu kennzeichnen, ließ mich schlussendlich aufschluchzen.
Wie konnte er nur?
Ich presste meine Augenlider zu. Versuchte meine Atmung zu normalisieren. Probierte das Zittern meines Körpers in den Griff zu bekommen.
Ich wollte nach Hause zu meinen Eltern, meiner Schwester, meinem Rudel.
Nein, eigentlich wollte ich nur zu Eren. Wollte, dass er mich in den Arm nahm, mir sagt, dass alles gut wird und bei mir blieb bis ich eingeschlafen war und noch immer da war, wenn ich aufwachte. So wie früher.
Aber Eren war Geschichte. Unsere Freundschaft hatte ein unschönes Ende gefunden und egal, wie sehr ich mir wünschte zu ihm zu gehen, wusste ich, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird.
Eren hasst mich und ich hasse mich dafür ihn verletzt zu haben.
Kurzerhand entschloss ich heute die Welpen zu besuchen. Mir war egal, dass Eliah es mir nicht erlaubt hatte. Was wollte er tun? Mich bestrafen? Meinen Ungehorsam durch bleibende Narben offensichtlich machen?
Zu spät. Das war schon passiert.
Schnell, von der plötzlichen Euphorie gepackt, zog ich mir meine Klamotten an, machte mich etwas zurecht und gleich auf den Weg zur Kinderstube.
Die Vorfreude auf die Kinder war groß, überdeckte beinahe mein stilles leiden, und ließ Hoffnung in mir keimen, dass sie mich von meiner Trauer über Eliahs Zurückweisung vertreiben konnten. In meinem Kopf malte ich mir aus, dass die Kinder auch in meiner Anwesenheit weiter sorglos spielen konnten und keine allzu große Angst vor mir haben würden. Ich wollte mit ihnen spielen. Sie lachen hören und ihr Glück in ihren Kinderaugen funkeln sehen.
Auch, wenn ich ehrlich gesagt bezweifelte, dass sie mir von Anfang an vertrauensvoll gegenüber treten werden, aber ich werde nichts unversucht lassen.
Als ich den Kopfsteinpflasterplatz betrat senkten die Anwesenden sofort ihren Kopf.
Es waren nur zwei ältere Damen, der Herr von gestern, der die Topfpflanzen übergossen hatte, und auch das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen spielte wieder am Rand des Platzes. Sie gehörte offenbar zu einer der älteren Damen, die in direkter Reichweite zu dem Mädchen standen.
Ohne Eliah, der mich einfach weiterziehen konnte, nahm ich mir die Zeit auf sie zuzugehen. Ich wollte mich persönlich vorstellen und hoffte, dass ich dadurch etwas Vertrauen unter den Rudelmitgliedern gewinnen konnte.
»Guten Morgen.«, begrüßte ich sie fröhlich, doch erhielt keine Antwort. »Ich bin Finn.«, fügte ich hinzu, bekam jedoch abermals keine Antwort und auch keine anderweitige Reaktion.
Ich fand schlimm, wie sehr diese Menschen hier gedrillt worden waren, dass sie sich nicht einmal trauten, zu reagieren, wenn ich sie direkt ansprach.
Zögerlich ging ich vor dem kleinen Mädchen in die Hocke und rollte ihr ihren Ball, der durch ihr plötzliches Inne halten etwas davon gerollt war, zurück. Kaum berührte der Ball ihren Körper, zuckte sie erschrocken zusammen und duckte sich noch weiter gen Boden.
»Hey, hab keine Angst. Ich tue dir nichts.« Aufmunternd lächelte ich sie an, auch, wenn sie es nicht sehen konnte, weil sie weiterhin den Boden fixierte. »Ich bin Finn. Wie heißt du?«
Ich wartete einige Augenblicke auf eine Antwort, doch nichts kam. »Wollen wir zusammen mit deinem Ball spielen?«, fragte ich stattdessen in den Hoffnung so vielleicht eine Reaktion zu erzielen.
»Sie ist taubstumm.«
Überrascht sah ich auf.
Eine der älteren Damen lächelte mich zaghaft an. Den Kopf immer noch unangenehm gesenkt, sah sie zu mir hinab.
Ich begab mich wieder in meine volle Größe und lächelte sie nett an. »Von Geburt an?«, fragte ich zögerlich aus Angst vielleicht eine unangenehme Frage zu stellen.
Die ältere Dame nickte nur. Das erklärte wohl, warum sie nicht bei den anderen Kindern war.
»Bitte, die Damen. Ihr müsst eure Köpfe nicht senken. Ich bin kein König oder ähnliches.«, lachte ich, doch nur eine der beiden gab zaghaft ihre gedeckte Körperhaltung auf. »Vielleicht kein König, aber Sie gehören zu Alpha Eliah.«, antwortete sie mir, während die Dame, die offenbar zu dem Kind gehörte, weiterhin den Kopf gesenkt hielt. »Das mag sein, ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich das nicht möchte. Ihr steht im Rang über mir. Ich bin ein Omega. Ihr zwei seid Delta. Ihr habt keinen Grund mir gegenüber unterwürfig zu sein.«
Beide Damen lächelten leicht, während die die mich über das Mädchen aufgeklärt hatte, weiterhin meinem Blick mied und meine Freundlichkeit offenbar anzweifelte. Im Augenwinkel konnte ich sehen, wie sich der Herr langsam zu uns bewegte. Mit skeptischen Blick musterte er mich als wäre ich ein Ausstellungsstück, während er den Kopf weiterhin gesenkt hielt und anscheinend Angst hatte mich direkt anzusehen. Als der Mann merkte, dass ich ihn bemerkt hatte, zuckte er erst verängstigt zusammen, realisierte jedoch schnell, dass ich ihm offensichtlich nichts Böses wollte, und ein faltiges Lächeln erschien auf seinen Lippen. Die ältere Dame deutete der Kleinen etwas an und gemeinsam gingen sie mit dem Mann nach einer kurzen Verabschiedung in weiterhin unterwürfigen Haltung davon.
Ich konnte nicht erwarten, dass sich dieses Verhalten von jetzt auf hier ändern würde, aber es freute mich sehr, dass sie mich angelächelt hatten und auf meine Worte eingegangen waren.
Schlussendlich blieb ich mit der anderen Dame stehen. Sie musterte mich eindringlich und ihr Mut überraschte mich, denn während die anderen zwei mich kaum ansehen konnten, betrachtete sie mich als würden wir uns schon ewig kennen und als hätte ich sie gerade nach ihrer Meinung zu meinem Outfit gefragt.
»Sie sehen aus als hätten Sie eine Frage.« Die Alte nickte. Anscheinend hatte sie dennoch so viel Respekt vor mir, dass sie nicht einfach anfangen wollte zu sprechen. »Sie riechen nach dem Alpha, aber tragen sein Mal nicht.«, sagte sie unverblümt und die Direktheit ihrer Aussage ließ mich zusammenzucken.
Selbst nach der Dusche konnte man immer noch riechen, was Eliah und ich gestern getan hatten. Es war viel zu intim als das man es mit etwas Wasser und Seife abwaschen könnte. Dem war ich mir bewusst. Genauso wie niemandem mit einer Wolfsnase entgehen würde, dass wir uns nicht markiert hatten.
»Ja, das stimmt.«, antwortete ich nur ausweichend und versuchte ihrem stieren stand zu halten.
»Es wundert mich, dass du hier so alleine unterwegs sind. Alpha Eliah lässt Sein eigentlich nicht unbeobachtet.« »Ich bin auf dem Weg zu den Welpen.«, informierte ich sie und hoffte inständig, dass das ihre Frage beantworten würde oder sie zumindest so weit zufrieden stellen würde, dass sie nicht weiter nachfragen würde.
»Wollen wir ein Stück spazieren gehen, Finn?« Fragend sah mich die alte Dame an und ich konnte nur nicken. Sie hatte ihre unterwürfige Haltung von Anfang an schnell aufgegeben, weshalb es mich nicht wunderte, dass sie so direkt auf mich zukam.
Die Kinder würden mir nicht weglaufen und ich wollte mir hier immerhin Freunde machen, da konnte ich einen Spaziergang nicht einfach ausschlagen.
»Gerne.«, lächelte ich und hielt ihr einladend meinen Arm hin, damit sie sich bei mir einharken konnte. Sie lächelte mich ebenfalls an und war offensichtlich froh über meine Stütze.
»Danke, junger Mann. Mittlerweile bin ich nicht mehr so fit auf den Beinen.«, lächelte sie schief und deutete mir einen schmalen Kiesweg an.
»Erzähl, Finn. Wie geht es dir?«, fragte sie nachdem wir eine Zeitlang still nebeneinander hergelaufen waren. Sie hatte mich durch einen atemberaubend schönen Rosengarten geführt, welchen ich sofort als einen meiner Lieblingsplätze hier auserkoren hatte.
»Mir geht es gut.« »Lüg mich nicht an. Ich bin eine alte Dame. Ich weiß, wann jemand lügt.«, keifte sie aufgebracht, aber mit einem sanften Lächeln auf den Lippen.
»Es ging mir wahrscheinlich schon besser.«, antwortete ich dann wahrheitsgemäß und erwiderte ihr Lächeln. 'Es ging mir schon besser' beschrieb zwar meine momentane Gefühlswelt nur sehr wage, aber ich konnte ihr nach einem zwanzig minütigen Spaziergang schlecht anvertrauen, wie sehr ich litt, weil Eliah mich nicht markiert hatte.
»Möchtest du mir erzählen, was los ist?« Die Ruhe und Vertrautheit, die die Alte ausstrahlte, ließ mich kurz mit dem Gedanken spielen ihr wirklich davon zu erzählen, entschied mich jedoch dagegen. Erstens, würde Eliah es wohl nicht gut finden, wenn ich seinem unterdrückten Rudelmitgliedern verriet was wir hinter verschlossenen Türen machten oder im Falle der Markierung eben nicht machten, auch, wenn der Geruch es wohl sowieso verraten hatte. Zweitens, war die Alte trotz allem noch immer eine Fremde und ich wusste nicht in wie weit ich ihr wirklich vertrauen konnte. »Nein, danke.«, lächelte ich wage und sie erwiderte es sanft.
»Ich weiß, Frauen fragt man nicht nach dem Alter, aber darf ich unhöflicherweise dennoch fragen?« Augenblicklich begann die zierliche, alte Damen laut zu lachen und lehnte sich weiter gegen mich. »Ach, du bist so ein höflicher, junger Mann, Finn. Dass genau du zu Eliah gehörst, wundert mich wirklich. Ich bin 94 Jahre alt.«
Abrupt blieb ich stehen. Ich wusste, dass sie alt war, aber so alt. »Wirklich?«, platzte es perplex aus mir heraus. »Ja. Ich bin die Rudelälteste.« Sie begann abermals zu lachen.
Rudelälteste? Das wunderte mich bei ihrem Alter tatsächlich nicht. In meinem Leben war ich noch keinem so alten Menschen gegenüber gestanden.
»Bist du schon immer in diesem Rudel?« Sie nickte. »Dann kennst du Eliahs Vater?«, fragte ich freudig nach.
Wenn Eliah sich nicht erinnerte, dann vielleicht sie. Sie konnte mir bestimmt etwas zu dem jungen Eliah erzählen.
»Seinen Vater? Nein, den kenne ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf und wir setzten unseren Weg fort.
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Wer war dann der vorherige Alpha, wenn nicht Elias Vater? Ein anderer Alpha wird wohl kaum einen siebzehn Jährigen den Titel übergeben haben.
Plötzlich keimte eine verschwommene Erinnerung auf. Damals als wir zusammen in der Dusche waren, wollte Eliah, dass ich seine Eltern kennenlernte. Seine Eltern. Also Mutter und Vater. Also musste sein Vater fast noch leben. Aber warum hat er dann gesagt, dass sein Vater früh gestorben ist? Lebt er doch nicht mehr? Und warum wollte er mich dann seinen 'Eltern' vorstellen, wenn es nur noch seine Mutter gab?
»Wie kommt ein Alpha dazu einem siebzehn Jährigen zum Rudeloberhaupt zu benennen?« Die Frage platzte ohne Weiteres aus mir heraus. Ich hatte das Gefühl, je länger ich Eliah kannte desto weniger wusste ich über ihn. Desto mehr Fragen kamen auf.
»Er hat dir nichts erzählt?«, fragte die Alte nun auch überrascht. Ich schüttelte nur den Kopf. Er hat mich ja nicht einmal markiert, da wunderte es mich auch nicht mehr, dass er mir gegenüber nicht den Mund aufmachte.
»Hast du ihn nicht nach seinen Augen gefragt?« »Doch, natürlich.« »Was hat er geantwortet?« »Dass er keine Ahnung hat und dass sie schon immer diese Farbe hatten.«, antwortete ich schulterzuckend. Ehrlich gesagt, hatte ich mir über seine Augenfarbe keine weiteren Gedanken mehr gemacht. Immerhin lagen mir sein Rudel und sein fehlendes Mal mehr im Magen. Außerdem gefiel mir die Farbe sehr gut.
Die Alte schwieg den restlichen Weg über und irgendwann kamen wir vor einem gemütlichen Häuschen an.
»Das ist mein Haus, Finn. Besuche mir gerne jederzeit, dann erzähle ich dir mehr. Du hast viele Fragen.«
Ja, 'viele' trifft es nicht im geringsten. Mein Kopf platzt vor unbeantworteten Fragen.
»Ich weiß deinen Namen gar nicht.«, stellte ich perplex fest als sie bereits die Haustür öffnete.
»Meine Name ist Luise. Danke für diesen netten Spaziergang, Finn.« Sie lächelte mich ein letztes Mal liebevoll an, ehe sie in ihrem Haus verschwand.
Erst am Weg zurück zu den Kinder kamen mir ihre Worte in den Sinn. Dass genau du zu Eliah gehörst, wundert mich wirklich. War das negativ mir gegenüber oder Eliah? Nachdem sie mich vorher als höflich bezeichnet hatte, musste es eher gegen Eliah gehen. Aber wie genau meinte sie das?
Ich musste unbedingt die Tage noch einmal mit ihr sprechen, aber vorher wollte ich erst das Gespräch mit Eliah suchen. Ich will zumindest wissen, warum er mich nicht markiert hatte.
Auch, wenn sich der Omega in mir dagegen sträubte zu Eliah zu gehen und ihn zur Rede zu stellen. Mein noch immer vorhandenes Beta-Denken trieb mich dennoch immer weiter in Richtung Eliahs Büro. Ich wollte jetzt mit ihm reden, jetzt wo ich den Mut hatte. Würde ich zu lange darüber nachdenken, würde ich wahrscheinlich einen Rückzieher machen.
Die Kinder mussten leider noch etwas warten.
Als ich gedankenversunken über den Platz auf das große Gebäude zuging, kam die Vorfreude wieder auf. Ich konnte es kaum erwarten, die Kinder zu sehen, auch, wenn es noch etwas dauern würde.
Mit einem lauten Schlag flogen plötzlich die Eingangstüren auf und Eliah stürmte mit großen Schritten die wenigen Stufen hinunter.
»Finn! Ich habe gesagt, dass du zuhause bleiben sollst!« Sein forscher Ton, die Wut, die ihm offensichtlich ins Gesicht geschrieben war und seine eisblauen Augen, in denen ich das selber Feuer wie gestern sehen konnte, nur diesmal abgeschwächter, ließen mich beinahe verschreckt zurückweichen. Nur mit geballter Willenskraft konnte ich den Omega in mir zurückhalten Eliah meine Unterwürfigkeit zu zeugen.
»Was machst du hier?!«, knurrte er gefährlich tief.
Warum knurrte er mich an? Ich war sein Gefährte und ja, vielleicht hatte ich mich ihm widersetzt, aber er konnte nicht über mich bestimmen als wäre ich ein stimmenloses Kind. Dazu hatte er nicht das Recht!
Vor allem nicht nachdem er mir gestern eindeutig gezeigt hatte, was er von mir hielt. Ich war es nicht wert an seiner Seite zu sein, warum also sollte ich dann nach seiner Nase tanzen?
Einige schaulustige Jugendliche wurden von Eliahs Gebrüll angelockt und versucht unauffällig beobachteten sie das Geschehen. Keine von ihnen traute sich jedoch uns wirklich näher zu kommen und scharrten sich nur am Rand des Platzes. Teilweise sogar zwischen Büschen und hinter Zäunen. Offensichtlich zeigte sich niemand.
Eliah hatte sich mit seiner vollen Größe vor mir aufgerichtet und wirkte damit noch so viel bedrohlicher. Offenbar bemerkte er unser Publikum nicht.
»Du kannst mich nicht einsperren, Eliah.«, antwortete ich genervt und versuchte damit die aufkeimende Angst zu verdecken. Ich wollte nicht schwach wirkten. Vor allem nicht, nachdem wir plötzlich so viele Zuschauer hatten. Primär jedoch wollte ich mir selber nicht eingestehen, dass Eliah mir Angst einjagte.
»Finn!«, knurrte Eliah wieder und versuchte nach meinem Arm zu greifen, doch ich konnte ihm rechtzeitig ausweichen, was Eliah ein bedrohliches Knurren entlockte. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, dass ich nicht auf ihn gehört hatte und ihm nun auch noch in der Öffentlichkeit widersprach und damit seine Autorität anzweifelte.
Das blaue Feuer in seinen Augen brannte nun lichterloh und in diesem Moment, in dem er in voller Größe vor mir stand, mit dieser Wut, die von ihm ausging, seine Augen, die so unnatürlich wirkten und nach dem was gestern geschehen war und den Narben, die ich davon getragen hatte, verspürte ich das erste Mal in Eliahs Nähe pure Angst.
Ich hatte Angst vor meinem eigenen Gefährten.
Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, dass Eliah mir nichts tun würde.
Er war eine Person, die blind vor Wut wahrscheinlich alles tun würde. Selbst gegenüber seinem eigenen Gefährten.
»Nein Eliah! Ich lass mich nicht einsperren.« Ich versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen. Versuchte standfest meinen Punkt zu verteidigen, doch die Angst wurde immer größer und das Verlangen Eliah meine Unterwürfigkeit zu zeigen stieg.
Meine Sturheit klammerte sich an das letzte Bisschen Hoffnung, dass Eliah mir nichts tun würde, weshalb ich meine Klappe vielleicht etwas zu weit aufgerissen hatte.
Grob und viel zu schnell als das ich hätte reagieren können, packte Eliah mich am Arm und zog mich zu sich.
Als er sich knurrend gefährlich zu mir hinunter beugte und ich seinen heißen Atem schon auf meiner Haut spüren konnte, gewann der Omega in mir die Oberhand und eingeschüchtert entkam mir ein unterwürfiges, verängstigtes Fiepen.
Ich zwickte meine Augen in Erwartung auf Eliahs nächste Tat zusammen und zog meine Schultern schützend hoch.
Als Eliah jedoch seine Arme um meinen Körper schlang, mich sanft an seinen Körper drückte und seine Hand zärtlich durch meine Haare strich, war die Angst schlagartig wie weggeblasen und Nähe bedürftig klammerte ich mich Hilfe suchend an meinen Gefährten.
Er würde mir nichts tun. Er war wütend auf mich, aber er würde nicht handgreiflich werden. Das zeigte mir diese Umarmung.
»Es tut mir leid.«, flüsterte Eliah in mein Ohr, wobei sein Atem mich dabei leicht kitzelte. »Du hast recht. Ich kann dich nicht einsperren.«
Einige Augenblicke genoss ich die Nähe zu meinem Gefährten und krallte mich an ihm fest. Er schmiegte sein Gesicht in meine Haare und genoss die Nähe offenbar genauso wie ich.
»Wir müssen reden, Eliah.«, flüsterte ich gegen seine Brust, ehe ich mich von ihm löste und ohne auf ihn oder irgendjemand anderen zu achten, das große Haus aus dem Eliah eben gekommen war, betrat.
Sein Büro war gerade der beste Ort, der mir für so etwas einfiel. Dort hatten wir wahrscheinlich unsere Ruhe.
Kaum hatte ich die großen Flügeltüren erreicht, ertönte ein lautes, angsteinflößendes, animalisches Knurren, welches eindeutig von Eliah kam.
Erschrocken fuhr ich herum und konnte beobachten, wie sich unser schaulustiges Publikum mit tief geneigten Köpfen langsam von uns entfernte. Der seichte Herbstwind trug mir den ausströmenden Angstgeruch der Jugendlichen in die Nase und ich musste leise seufzen.
Jap, das war kein Respekt. Diese Jugendlichen hatten wie die Kinder Angst.
Kaum hatte sich der Platz bis auf die letzte Person geleert, trat Eliah an meine Seite und mit seiner Hand auf meinem Rücken führte er mich in sein Büro.
Seine Aura erhellte sich mit jedem Schritt dem wir seinem Büro näher kamen und seine Hand auf meinem Rücken ließ mich etwas besser fühlen.
Er drückte hinter uns die Tür ins Schloss und nach einigen Augenblicken brach Eliah unser Schweigen.
»Es tut mir leid, Finn. Ich will, dass du weißt, dass ich dich nie verletzen würde.« Seine Augen schimmerten gefährlich und egal, wie sehr mich der Abend gestern mitgenommen hatte, Eliah gestern weinen zu sehen, hatte meine Seele zerrissen und ich wollte es keinesfalls noch einmal sehen. »Du hattest gerade Angst vor mir. Ich will nicht, dass du Angst vor mir hast.« Seine Stimme war brüchig und man konnte ihm ansehen, dass er ebenso litt wie ich.
»Eliah, ich will, dass du ehrlich zu mir bist.«
Schmerzhaft drückte er seine Augen zu und entwich damit meinem Blick. Ich konnte die Menge an Emotionen, die von Eliah aufgrund unseres Gefährtenbandes auf mich überschwappte, nicht benennen geschweige denn einschätzen. Trauer, Wut, Angst, die beinahe in Panik mündete.
Eliah sagte nichts. Presste nur seine Augenlider zu und biss so fest auf seine Unterlippe, dass sich das zarte rot in weiß änderte.
Dieser Anblick schmerzte mehr als seine Zurückweisung. Eliah könnte mich immer und immer wieder zurückweisen und dennoch würde ich mir Sorgen um ihn machen.
Nach diesem intimen Akt konnte ich mit Sicherheit sagen, dass meine Gefühle langsam über das Gefährtenband hinausgingen. Ich mochte Eliah sehr und das nicht nur, weil es mir so vorbestimmt war.
»Warum hast du mich nicht markiert, Eliah?«, fragte ich leise, selber den Tränen verdammt nah. Meine eigene Stimme hallte unangenehm in meinen Ohren wider. Die drohenden Tränen konnte man auch aus meiner Stimme hören.
»Ich wusste es nicht.«
»Du wusstest es nicht?! Wie kann man das nicht wissen? Hattest du nicht das Verlangen danach?« Aufgebracht, von der plötzlichen Wut gepackt, schmiss ich die Arme in die Luft. Was wollte er mir hier weiß machen?!
»Doch, aber ich konnte es nicht zuordnen und ich wollte dir nicht weh tun. Ich wusste nicht, was passiert, wenn ich mich dem Drang hingegeben hätte.« Der schmerzhafte Gesichtsausdruck und die gefährlich schimmernden Augen ließen mich ihm sofort glauben. Aber meine momentane Wut auf ihn, ließ sich davon nicht besänftigen. Ihn so zu sehen gab mir ein wenig Genugtuung. Wenigstens ging es ihm auch schlecht.
»Du hast mir aber trotzdem weh getan!« Wutentbrannt zog ich meine Hose an einer Seite etwas nach unten um ihm meine Narben zu offenbaren. »Eliah, du hast mir diese Narben verpasst. Weißt du überhaupt was die bedeuten?!«
»Es tut mir leid.« Wie ein geschlagener Hund senkte er den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich...« Er vollendete seinen Satz nicht. Und auch nach einigen Minuten hatte er noch immer nicht weitergesprochen.
»Ich habe Eren geküsst.«
Eliah schüttelte nur den Kopf, während seine Hände weiterhin sein Gesicht verbargen. »Das ist längst vergessen, Finn. Ich weiß, ich hätte deswegen nicht so überreagieren dürfen.«
Seine zitternde Stimme ließen mich bereits im Vorhinein meine nächsten Worte bereuen.
»Ich rede nicht von dem Kuss vor Jahren. Ich habe ihn geküsst bevor ich mit hierher gekommen bin. Als ich ihm gesagt habe, dass ich mit dir gehen werde.« Meine Stimme klang neutral, was mich aufgrund dem Gefühlschaos in mir selber überraschte. Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Ich wollte es ursprünglich für mich behalten, aber nach Eliahs Zurückweisung wollte ich, dass er genauso leidet wie ich.
Er sollte es wissen. Er sollte wissen, dass da mehr mit Eren war.
»Wieso hast du dann so geweint?«, fragte er beunruhigend gelassen. Sein Blick richtete sich genau auf mich und war ebenso neutral wie seine Frage. Der Schmerz, die Trauer, alles was ich gerade noch in seinem Auftreten gesehen und gespürt hatte, war wie weggewaschen.
Zurückblieb Neutralität.
»Was?« »Warum hast du so geweint? War es nicht gut?« Die Art und Weise, wie er diese Fragen stellte, ließ mich unbehaglich fühlen und nervös strich ich meine schwitzenden Handflächen an meiner Hose ab.
»Die Freundschaft ist beendet. Darum.«, antwortete ich schlussendlich nach einigen Bedenksekunden.
Eliah schwieg. Und dieses Schweigen machte mir womöglich mehr Angst als seine Wut.
Er sollte nicht so ruhig und gefasst reagieren. Ich hätte erwartet, dass er wütend wird. Dass er umsetzten möchte, was er mir gepredigt hatte. Dass Eren sein blaues Wunder erleben würde, weil er seine Finger nicht von mir gelassen hatte.
Eliah wand sich von mir ab, stützte seine Hände auf seinem Schreibtisch und sagte weiterhin nichts. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen und außer seinem schnell schlagenden Herz, wirkte er ruhig.
Ein ohrenbetäubend lautes Grollen ging plötzlich von Eliah aus. Reflexartig drückte ich die Hände auf meine empfindlichen Ohren und sackte in meiner Haltung unterwürfig zusammen.
Aus zusammengepressten Augen starrte ich Eliah an, dessen Rücken sich unnatürlich krümmte und den dünnen Pullover, den er trug, dadurch zerriss.
Aufgrund meiner Position konnte ich nur wage seine Hände erkennen, aber die Krallen, die über die Tischplatte kratzen, konnte ich dennoch wahrnehmen. Sein Fell presste sich aus seiner Haut, überzog seinen nackten Oberkörper büschelweise ehe alles von dunklem Pelz überdeckt war.
Es war ein grausamer Anblick.
Was auch immer da mit Eliah geschah, sah schmerzhaft aus. Es wirkte beinahe als wäre er mitten in der Verwandlung vom Mensch zu Wolf stehen geblieben, wodurch sein Körper Features von beiden Arten verband. Der normale menschliche Körper, jedoch mit dichtem Fell und langen Krallen.
So etwas hatte ich noch nie gesehen und jetzt im Nachhinein hätte mir gleich gestern auffallen müssen, dass es nicht normal war, wenn sich nur bestimmte Körperteile verwandelten. Seine Krallen gestern, das war nicht normal, aber mit meinem lustgetränkten Verstand hatte ich das nicht realisiert.
Ich beobachtete Eliah eindringlich. War er wirklich in der Verwandlung stecken geblieben?
Ich hatte ihn schon einmal als Wolf gesehen und dabei wirkte er nicht als hätte er groß Probleme mit der Verwandlung gehabt. Wobei ich dabei nicht sagen konnte, ob und wie lange die Verwandlung gedauert hatte, da ich nur das fertige Endresultat gesehen hatte.
Ob Eliah öfter solche Probleme bei der Verwandlung hatte? Hatte er überhaupt Probleme? Versuchte er sich gerade überhaupt zu verwandeln?
"Eliah?", fragte ich vorsichtig und wollte eigentlich einen Schritt auf ihn zu machen, aber sein animalisches Knurren ließ mich kurz Inne halten.
Zögerlich machte ich dennoch einen Schritt in seine Richtung, was die Kreatur vor mir schwungvoll herumfahren ließ.
Eliahs Gesicht war teilweise von Fell überzogen, seine Eckzähne hatten sich zu den typischen Wolfsfängen gebildet, seine Lefzen waren drohend nach oben gezogen und seinen Augen tobte abermals das blaue Feuer lichterloh.
»Eliah, was ist mit dir los? Du machst mir Angst. Ich will nicht vor meinem Gefährten Angst haben.«, flehte ich und sackte gänzlich auf die Knie, ohne dem Blick von ihm abzuwenden.
Eliahs blaue Augen fixierten jede meiner Bewegungen und langsam konnte man sehen, wie sich das Fell wieder zurückbildete und wenige Augenblicke später saß mein normaler menschlicher Eliah wieder vor mir. Nur das Lodern in seinen Augen erinnerte noch an das Monster von eben.
»Ich will nicht, dass du vor mir Angst hast.« Er atmete zitternd ein. »Ich versichere dir, dass egal wie wütend ich auf dich bin, ich dir nie körperlich weh tun werde.« Sein flehender Blick, die Aufrichtigkeit, die darin lag, brachte mich unglaublich nah an die Tränen. Ich biss mir schmerzhaft auf die Innenseite meiner Wangen um dem Drang nicht nachzukommen ihm einfach in die Arme zu fallen.
Sein Blick fiel auf meine noch immer entblößte Hüfte. Langsam, offenbar aus Angst mich mit zu schnellen Bewegungen seinerseits zu verscheuchen, kam er auf mich zu und kniete sich zu mir auf den Boden. Mit zitternden Fingern strich er über meine geschändete Haut.
Eingeschüchtert beobachtete ich seine langen Finger, wie sie meine Haut mit einer unglaublichen Zärtlichkeit huldigten, als wären seine Finger Federn, die hauchzart über die Narben streichelten.
Sein Schluchzen lockte meinen Blick in sein Gesicht.
Dicke Tränen verschleierten seine schönen Augen und rannen in Strömen über seine Wangen, ehe sie in seinem dichten Bart gestoppt wurden. »Es tut mir so leid. Ich mache mir solche Vorwürfe.« Sein Brustkorb bebte als er seine Arme um mich schlang. Ihn weinen zu sehen, ließ meinen Damm brechen und schluchzend klammerte ich mich an ihn.
»Ich werde dich markieren. Ich will, dass wir ganz zusammen gehören.«, flüsterte Eliah und drückte mich fester an sich. Mit tränenverschleierten Blick sah ich zu ihm hinauf. Seine Hände zitterten noch immer als er sie zögerlich an meine Wangen legte und meine Tränen mit den Daumen wegstrich. »Ich will das auch.«, hauchte ich und entlockte Eliah damit ein kleines, trauriges Lächeln. »Aber ich verstehe nicht, wie du das nicht wissen konntest.«
»Ich möchte morgen mit dir zu meinen Eltern fahren.« Er strich weiterhin über meine Wangen, selbst als meine Tränen langsam verebbten.
»Eliah, ich will deine Eltern kennenlernen, aber denkst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Wir sollten erst alles zwischen uns klären.«, flüsterte ich mit fester Stimme. Er sollte nicht denken, dass ich ihm gleich ohne weiteres verzeihen würde.
»Du wirst es dann verstehen. Das verspreche ich dir. Und ich werde dir danach alle deine Fragen beantworten.«
»Versprochen?«
»Versprochen! ...und das mit Eren... darüber reden wir nochmal.«
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