12 - Besucher
Ich kauerte zwischen Lene und Lukas Mutter auf der Couch und Letztere hatte beschützend ihren Arm um mich gelegt. Ich hatte mich zusammengekugelt wie ein Ball und presste meinen Rücken gegen den dünnen Oberschenkel der älteren Dame. Ich zitterte noch immer leicht, was jedoch vor allem an der Kälte lag.
Es war still im Raum, keiner traute sich auch nur etwas lauter zu atmen. Alle warteten ab bis wir neue Informationen bekamen. Eren hatte noch nichts von sich gegeben und auch sonst niemand hatte uns Bericht erstattet.
Das Abwarten war ein komisches Gefühl. Normalerweise war ich immer ganz vorne mit dabei und wusste deshalb immer sofort was los war.
So unwissend wie jetzt gerade war ich noch nie.
Aus dem Nichts verwandelte sich Eren plötzlich zurück, was sich durch das leise Krachen seiner brechenden Knochen ankündigte. Ich entkugelte mich etwas und sah auf. Sein Gesicht war vor Anspannung verzerrt und sein Blick war hart wie Stein. Noch immer sagte niemand etwas, alle warteten darauf, dass Eren etwas sagen würde.
»Wir bekommen Besuch.«, presste er dann heraus, »Finn, du kommst mit mir nach oben. Jetzt.« Sofort stand ich auf und folgte meinem besten Freund nach oben. »Was ist los?«, fragte ich nervös, »Von wem bekommen wir Besuch?« Meine Stimme zitterte genauso wie mein Körper, aber diesmal nicht vor Kälte sondern vor Angst. Die Situation brachte meine Angst zum explodieren und, dass Eren ebenfalls so angespannt war, half mir nicht mich zu beruhigen. Ich wusste, bei Eren war ich sicher, aber die Ungewissheit davon was los war, machte mir zunehmend angst.
»Eren! Sprich mit mir!«, fuhr ich ihn, zwischen vor Angst zusammengepressten Zähnen, an. Mein Titel war immer noch Beta und damit war ich ihm, der Delta war, übergeordnet. Auch wenn mein Rang mittlerweile schon komplett Omega war, hatte mich Lukas noch nicht des Amtes enthoben.
Eren blieb weiter stumm und öffnete die Tür zu Lukas und Lenes Schlafzimmer. Mit einer Handbewegung zeigte er mir an in den Raum zu gehen. »Eren!«, sagte ich wieder mit Nachdruck.
»Beruhig dich Eren!« Er drückte die Tür hinter uns ins Schloss und drehte den Schlüssel um, ehe er diesen abzog und in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Argwöhnisch betrachtete ich ihn dabei. »Warum schließt du ab? Und wer besucht uns? Was ist los Eren?«
Er seufzte. »Es ist ein Alpha eines anderen Rudels. Er hat um ein Gespräch mit Lukas gebeten. Jetzt kommen sie hier her um besagtes Gespräch in Lukas Büro zu führen. Und hier sind wir nur zu deiner Sicherheit.« »Wieso das? Warum sollte mir etwas passieren?«, fragte ich etwas verwirrt und setzte mich auf Lukas Bett. Mittlerweile hatte ich mich an dieses Zimmer schon gewöhnt. Anfangs als Lene noch bei ihren Eltern war hatte ich jede Nacht bei Lukas im Bett geschlafen und als Lene dann wieder da war bin ich auf die Couch umgezogen. Nur leider hatte es mich in Momenten der zu starken Angst doch wieder zu Lukas ins Bett getrieben. Lukas und Lene hatten gesagt, dass es nicht schlimm ist und es sie nicht stört, aber es war mir so peinlich und ich schämte mich so dafür. Aber ändern konnte ich es eben auch nicht.
Eren stockte kurz etwas. »Finn, nicht in jedem Rudel werden Omegas so gut behandelt wie bei uns. Sie sind oft die Sündenböcke des Rudels. Wir wollen nur auf Nummer Sicher gehen, damit dir nichts passiert und eben auch nichts herausfordern.«
Jetzt wo er es erwähnte kam mir das auch wieder in den Sinn. Ich hatte tatsächlich nie darüber nachgedacht, aber es war wirklich so, dass Omegas in anderen Rudeln ein sehr schweres Leben hatten. Sie wurden teilweise verstoßen oder von ihrem Rudel geschlagen, beleidigt und verletzt.
Mein Herz schmerzte bei dem Gedanken an meine Rangesgleichen. Sie hatten wahrscheinlich die gleichen, teilweise unbegründeten, Ängste wie ich und mussten das ganz alleine durchstehen. Dazu kommt noch, dass sie sich in ihrem Rudel nicht einmal sicher fühlen konnten, wie ich es konnte.
Ich nickte Eren zu um ihm zu zeigen, dass ich verstanden hatte.
»Welcher Alpha?«, fragte ich weiter nach und zog die Ärmel meines Pullovers über meine kalten Finger. Eren hatte sich keinen Schritt von der Tür wegbewegt und ich wusste, dass er das auch nicht tun würde so lange sich ein fremder Alpha auch nur in der Nähe dieses Hauses befand. Eren zuckte nur mit den Schultern. »Lukas hat nicht mehr von sich gegeben.«
Es wurde still im Raum. Eren lauschte nach jeder kleinen Veränderung, die ein schnelles Handeln hervorrufen würde und ich versank nach kurzer Zeit in meinem Gedanken.
»Eren es tut mir so leid, dass ich dir so zur Last falle. Ich schäme mich so dafür, dass ich nicht einmal mehr auf mich selber aufpassen kann und dafür eine ganze Eskorte benötige. Ich schäme mich dafür nicht abends irgendetwas alleine machen zu können, weil ich so eine Angst habe, dass ich sogar zu unserem Alpha ins Bett krabbeln muss. Ich schäme mich dafür, dass andere darauf achten müssen, dass ich genug esse und nicht erfriere. Ich schäme mich für mich und was aus mir geworden ist. Ich schäme mich dafür ein Omega zu sein.«
Zum Ende hin wurde ich immer leiser. Es stimme was ich gesagt habe, ich hatte es nur noch nie laut ausgesprochen. Es fühlte sich gut an mir meine Gedanken von der Seele zu reden.
Eren sah überrascht auf und schenkte mir einen sanften Blick.
»Nein Finn so darfst du nicht denken. Du fällst mir nicht zur Last und auch sonst niemandem. Wir lieben dich alle und sind so stolz auf dich wie gut du mit deiner Situation umgehst. Viele wären daran zerbrochen, aber du kämpfst wie nur du es kannst. Du brauchst dich für überhaupt nichts schämen. Du bist so stark und lässt dich nicht unterkriegen. Glaub mir, keiner denkt, dass du eine Last bist. Niemand.«
Seine ehrlichen Worte trieben mir Tränen in die Augen. Ich konnte nicht anders als ihm um den Hals zu fallen. Fest drückte ich mich an meinen besten Freund und ließ seine Worte noch einmal revuepassieren. Er schlang seine Arme fest um meinen Körper und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. »Wirklich Finn. Vor allem für mich wirst du nie eine Last sein.«, flüsterte er. Unsere Herzen klopften gleichmäßig im gleichen Rhythmus und unsere Atmung passte sich an den jeweils anderen an. Ich seufzte zufrieden auf.
»Ich bin so froh, dich meinen besten Freund nennen zu können.«, murmelte ich gegen seine Schulter und zog seinen mir so vertrauten Duft ein.
Nach unserer kurzen Kuscheleinheit saß ich wieder auf dem Bett und hatte gelangweilt ein Magazin in der Hand, während Eren noch immer an den Tür Wache hielt. Das Magazin war auf Lenes Nachttisch gelegen und desinteressiert blätterte ich es durch. Es war ein typisches Frauen Magazin und drehte sich nur um Haare, Makeup, Smoothies und die neuesten Fashiontrends. Eigentlich sah ich mir nur die ganzen Bilder an und laß wenn überzeugen die Überschriften, nicht aber die Artikel an sich.
Zufrieden lehnte ich mich tiefer in das Kopfkissen und schloss entspannt die Augen.
Dieses warme Gefühl das plötzlich aufgetaucht war verbreitete sich in meinem Körper wie ein Buschfeuer bei Wind und ließ mich wohlig aufseufzen. Jede Angst, jeder Stress, jedes Schamgefühl, dass sich schon so tief in meinem Körper eingenistet hatte, fiel von mir ab. Mein Muskeln entspannten sich, meine Atmung wurde seichter. Ich fühlte mich gut.
Keine Anspannung lag mehr auf meinen Schultern, obwohl Eren noch immer solche ausstrahlte. Seine Gefühle hatten plötzlich keine Wirkung mehr auf mich. Ich reagierte nicht mehr darauf und wurde nicht von ihnen mitgerissen.
Und dann hörte ich es.
Diesen tiefen Herzschlag.
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