Kapitel 63 - Kain Highwind
Ich sah Joshua nach. Er war so verbittert. Thyras Abwesenheit bereitete ihm immer mehr Kummer. Nein, das war es nicht. Ging er davon aus, dass sie schon längst nicht mehr am Leben war? Alles an ihm deutete darauf hin. Er schien inzwischen felsenfest davon überzeugt zu sein.
»Das wäre perfekt.« hörte ich die Schadenfreude.
Nein! Das wäre grausam. Thyra war eine von uns! Unsere Freundin! Millys und Joshuas Stütze!
»Wie lange willst du dir das noch einreden? Ich spreche nur aus, was du denkst!«, rief mein inneres Ich dazwischen.
Nein, das tat er nicht. Ich wollte wirklich, dass sie noch am Leben war. Ich hätte sie damals aufhalten sollen. Ich ärgerte mich immer noch, dass ich dazu nicht in der Lage gewesen war. Da ich ihm nicht nachgab, zog sich mein inneres Ich wieder schmollend zurück. Eigenartig.... Schon wieder.
„Joshua macht mir Sorgen", hörte ich Millys Stimme neben mir und riss mich aus meinen Gedanken.
Sie zitterte wieder. Unbewusst nahm ich ihre Hände. Sie waren zierlich und warm.
„Beruhige dich. Ich rede mal mit ihm", versicherte ich ihr.
Die Weißhaarige senkte den Blick.
„Aber ...", begann sie, weil sie genau wusste, dass er und ich momentan nicht gerade das beste Verhältnis hatten.
Ich schüttelte den Kopf und drückte ihre Hände ganz sanft.
„Vertrau mir", bat ich.
Sie betrachtete mich kurz. Dabei bemerkte sie, wie ernst es mir war. Das brachte ein beruhigtes Lächeln auf ihre Lippen, und sie nickte nur. Dann sah sie auf unsere Hände. Eilig ließ ich sie los und bekam dafür von meiner inneren Stimme einen Schlag in den Magen verpasst. Ja, ist gut! Ich war ein Trottel!
Ich verabschiedete mich schnell von Milly und rannte sogleich in die Richtung, in die Joshua verschwunden war. Teilweise um zu fliehen und andererseits um schnell für Hilfe zu sorgen.
»Oh ja du bist ja so ein Held!« hörte ich den Spott in meinem Geist.
Nein ... Ich war alles andere als ein Held. Aber ich war durchaus in der Lage, die Helden zu unterstützen. Weiter hinten sah ich dabei zu, wie der Phönix-Krieger in seinem Zimmer verschwand. Ich trat auf die Tür zu.
Wie fing ich das Ganze jetzt an? Einfach anklopfen und warten, bis man mir öffnete? Mich erst einmal bemerkbar machen?
»Die Tür eintreten und ihm in sein Maul schlagen!«
NEIN! Der starke Protest brachte meine Dunkelheit zum Verstummen. Ich atmete tief durch. Ja. Durch den Angriff der Priesterin war ich mit einem Mal viel stärker als er. Wie hatte sie das nur gemacht? Sie war kein gewöhnlicher Mensch. Auch wie sie mit uns sprach. Sie nannte Joshua beispielsweise Phönix. Sie wusste genau Bescheid über die Esper.
Ich schüttelte den Kopf. All das war doch gerade eigentlich Nebensache. Ich war hier hergekommen um zu helfen. Ich sollte mich nicht ablenken lassen. Selbstbewusst stellte ich mich vor die Tür und klopfte schließlich an. Im Inneren waren Geräusche zu hören. Dann endlich öffnete Joshua die Tür. Erst war er verwirrt. Als er mich entdeckte, verfinsterte sich sein Blick.
„Was willst du hier?", war alles, was er mir zu sagen hatte.
Oh ja, es wurde definitiv Zeit, mal ernsthaft mit ihm zu reden. Ich betrachtete ihn kurz. Seine Augen waren leicht gerötet. Er hatte wohl bis eben geweint.
„Können wir das drinnen klären. Das muss keiner mitbekommen", entgegnete ich schnell.
Sein Blick veränderte sich. Er war unschlüssig. Er.... vertraute mir nicht. Noch immer schien er davon auszugehen, dass mein dunkles Ich sich rächen würde. Ich zog meinen Helm ab, damit er meine Augen sehen konnte.
„Bitte Joshua. Das ist wichtig", gab ich ihm zu verstehen.
Er betrachtete mich. Sah sich meine Augen genau an. Daran konnte man immer die Ehrlichkeit einer Person erkennen. Nachdem er sich vergewissern konnte, dass ich nichts Hinterhältiges plante, ließ er mich endlich in sein Zimmer.
„Noch einmal Kain. Was willst du hier?", fragte er ungeduldig.
Ich legte meinen Helm auf einer kleinen Kommode ab und stellte mich an die Tür, damit er mir nicht ausweichen konnte.
„Milly hat Angst um dich", begann ich schließlich.
Er sah mich überrascht an, dann senkte er den Kopf. Er war nicht traurig. Sein Blick war eher ernst und vorsichtig.
„Ach so. Das stört dich. Tut mir leid, kann auch nichts dafür", gab er knapp von sich.
Er war so kalt. Nichts von der Wärme des inneren Phönix drang mehr nach außen.
»Schlag ihm ins Gesicht!« forderte mich meine innere Stimme auf.
Nein! Ich atmete tief durch und sah dem Phönix-Krieger fest in die Augen.
„Denkst du, Thyra will dich später so zu Gesicht bekommen?", frage ich ernst.
Die ganze Farbe wich aus seinem Gesicht. Er trat einen Schritt zurück. Alles in ihm schien zu schreien. Ich hatte genau den Punkt getroffen, der der Auslöser für das alles war.
„Du ... du weißt etwas", stellte ich vorsichtig fest.
Joshua sah zur Seite und biss die Zähne zusammen. Ich konnte förmlich sehen, wie er die Worte suchte.
„Thyra ... sie wird nie wieder zu uns kommen", gab er dann von sich.
Seine Stimme war fast ein trauriges Krächzen. Beinahe hätte ich ihn nicht verstanden. Als ich dann aber realisierte, was er da sagte, musste ich handeln.
„Wie kommst du darauf?", fragte ich nach.
Er zögerte, schien zu überlegen, wie viel er mir verraten konnte. Dann fasste er einen Entschluss.
„Ich habe außerhalb des Königreichs Spuren eines Kampfes gesehen. Mit Eismagie und.....", er brach ab und holte etwas aus seiner Tasche. „... diesen Dolch."
Ich betrachtete die Waffe genauer. Ich erkannte das Muster und die geschwungene Klinge. Dieser Dolch gehörte Thyra. Joshua hielt die Waffe wie einen Talisman an seinem Körper und schloss die Augen.
„Ich weiß einfach, dass sie nicht mehr wiederkommen wird. Ich kann ihren Äther nicht mehr spüren. Sie ist fort", brach es verzweifelt aus ihm heraus.
Ich legte eine Hand auf seine Schulter. Ich konnte seinen Schmerz gut verstehen und die Angst, die noch dazu kam. Ich war nicht gut darin, alles schönzureden. Doch ich musste etwas tun. Andernfalls würde der Phönix nie mehr so sein, wie er war.
„Sie kann sich auch nur versteckt halten. Damit niemand ihr folgt", stellte ich eine Vermutung an.
Joshua schüttelte den Kopf.
„Barnabas war da! Ich habe ihn gespürt! Du weißt, was das bedeutet!", rief er jetzt.
Ich konnte ihm schlecht widersprechen. Unsere erste Begegnung mit diesem Mann hatte sich in mein Innerstes gebrannt. Die lodernde Flamme der Rache brannte wieder auf und ich musste meine innere Stimme zur Ruhe zwingen. Er verabscheute Barnabas zutiefst.
»Wir! Er hat dich fertig gemacht, mein Lieber.« erinnerte mich die Dunkelheit in mir.
Ja, das hatte er. Ich wusste, wie stark er war, und ich konnte die Bedenken und die Angst des Phönix-Kriegers sehr gut verstehen. Trotzdem! Wir durften nicht wanken.
„Thyra kennt ihn! Sie wird sich sicher zu helfen gewusst haben. Joshua! Alles wird gut!", versuchte ich den jungen Mann vor mir zu beruhigen.
„Nein! Nichts wird gut! Thyra ist tot!", schrie dieser jetzt.
Er hörte mir nicht einmal richtig zu. Okay, das war's! Aufmunternde Worte halfen nicht wirklich weiter. Ich griff ihn am Kragen und presste ihn gegen die Wand.
„Hast du so wenig Vertrauen in sie? Bloß weil du sie nicht spürst, heißt das noch lange nichts! Wenn du sie wirklich liebst, dann reiß dich jetzt gefälligst zusammen!", brüllte ich ihn an.
Joshua starrte mich an. Einerseits verbittert, andererseits mit einer leichten Angst. Sein ganzer Körper spannte sich an. Ich erkannte, dass ich besser Abstand nehmen sollte, anderenfalls würde er sich gewaltsam wehren. Ich lockerte ein wenig meinen Griff. Nun war er nicht mehr an die Wand gedrückt, aber ich hielt ihn weiterhin fest.
„Glaubst du wirklich, sie würde sich einfach umbringen lassen? Ist sie nicht gegangen, um uns zu helfen?", fragte ich nach.
Der Phönix-Krieger biss die Zähne zusammen.
„Du bist doch davon ausgegangen, dass sie zu Lyssa rennt. Spiel hier nicht den besorgten Kumpel!", fauchte er mich an.
Ich senkte den Kopf. Ja, er hatte recht. Es gab einiges, was ich wiedergutmachen musste.
„Ich weiß nicht, wie oft ich noch erwähnen soll, wie sehr es mir leidtut", begann ich. „Ich bin schlecht darin, auf etwas zu vertrauen."
Dann verstärkte ich noch einmal meinen Griff an seinen Kragen.
„Aber du solltest das hinbekommen können! Du und Thyra! Euch verbindet doch mehr als nur dieser Esper Äther!", versuchte ich ihm klarzumachen.
Kurz hielt er inne, dann jedoch sah er mich wieder wütend an. Er hatte anscheinend keine große Lust, zuzuhören.
„Was weißt du schon davon? Jetzt lass mich los!", fuhr er mich an und befreite sich aus meinem Griff.
Wir standen uns gegenüber und er schüttelte den Kopf.
„Thyra ist tot! So wie wir es später alle sein werden! Barnabas macht keine Ausnahme! Er ist gnadenlos! So wie seine Klinge! Es macht keinen Sinn mehr!", er jammerte fast wie ein kleines Kind.
Ich betrachtete ihn. Er war völlig in seiner Angst gefangen. Kein Wunder also, dass er nichts wirklich wahrnehmen wollte, was ich ihm sagte. Das war nicht gut. In dieser Panik war ihm alles zuzutrauen. Es musste etwas getan werden, und zwar schnell. Ich dachte fieberhaft nach und kam dabei leider nur zu einem einzigen Schluss.
Es reichte langsam. Anders würde der niemals zuhören. Auch wenn ich damit meinem inneren Ich nachgab, so konnte es nur das sein, was den Phönix-Krieger im Augenblick wecken konnte.
Ich ballte meine Hand zur Faust und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Er stolperte zurück und krachte dabei zu Boden. Fassungslos sah er zu mir hoch und hielt sich dabei die verwundete Wange.
„Wach endlich auf, Joshua, und komm wieder zu klarem Verstand! Thyra würde nicht wollen, dass du dich so hängen lässt und dein Bruder ganz sicher auch nicht!", brüllte ich ihn an.
Dann holte ich mehrmals tief Luft, um mein rasendes Herz zu beruhigen und der Dunkelheit in mir keine Chance zu geben.
„Du kämpfst hier nicht allein. Bitte denke daran", versuchte ich ihm dann etwas ruhiger klarzumachen und hoffte, dass er sich damit endlich fangen würde.
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