Kapitel 5 - Kain Highwind
Ich hörte meine Begleitung neben mir schluchzen. Mühsam schaffte ich mich aufzuknien. Der Angriff hatte mich mit solch einer Wucht getroffen. Wut kochte in mir hoch. Enorme, schmerzhafte Wut auf mich selbst. Schwach. Ich war viel zu schwach.
»Kein Wunder, dass du immer verlierst, du Versager!«, hallte die verhasste Stimme meines dunklen Ichs aus meinem Traum in meinen Gedanken wieder. Nein! Er sollte den Rand halten! Ich brauchte das jetzt nicht!
„Snowwing.... Snowwing!", hörte ich die junge Frau neben mir weinen.
Ihre Stimme rief mich aus meinem inneren Chaos zurück in die Realität. Meine brodelnde Wut ebbte langsam ab. Ich betrachtete die junge Frau neben mir. Zitternd hielt sie den verwundeten weißen Chocobo in ihren Armen. Aus ihren blauen Augen flossen die Tränen in das blutgetränkte Gefieder. Sie wirkte so zerbrechlich. Ich musste sie hier wegbringen. Cecil konnte so etwas viel besser als ich. Cecil...
Der freundliche, von allen geliebte Paladin. Ich biss die Zähne zusammen und schüttelte anschließend den Kopf. Dann eben auf meine Weise.
„Wir müssen hier weg", erklärte ich der Dame neben mir direkt. Sie hörte mich nicht. Verzweifelt weinte sie weiter. Ihre Arme klammerten sich weiterhin an den verwundeten Chocobo. „Snowwing", wimmerte sie. Wenn das so weiterging, würde der Vogel sterben und dann wäre die Trauer umso größer. Sanfte und ruhige Worte waren nicht meine Stärke. Wäre Rosa doch nur hier... Ich schüttelte diesen Gedanken genauso aus dem Kopf wie den Letzten. Dann packte ich die junge Frau fest an beiden Schultern und zwang sie mich anzuschauen.
„Reißt Euch zusammen! Wie wollt Ihr Euren Chocobo retten, wenn Ihr tatenlos herumsitzt und heult?!", fuhr ich sie an, lauter, als ich beabsichtigt hatte.
Im nächsten Moment tat mir mein Ausbruch Leid. Aber Heulen half dem Vogel nicht und brachte auch grundsätzlich nie etwas.
Die blauen Augen der Frau starrten mich erst geschockt an. Dann wurde ihr Blick ernst. Ernst und fest entschlossen.
„Ihr habt recht", sagte sie mit solch einer plötzlichen Selbstsicherheit, dass ich kurzzeitig meine Sprache verlor.
Die hatte sich ja rasch gefangen. Nach meinem Schrei schien sie wie ausgewechselt. Als hätte ich sie geweckt. Sanft legte sie den Chocobo auf den Boden ab, erhob sich und begann dann mit ihrem Schwert Teile ihres Kampfrockes abzuschneiden. Anschließend kniete sie sich wieder zu ihrem Freund hin und verband die Wunden des Tieres. Das Auge war ganz besonders in Mitleidenschaft gezogen worden. Das arme Ding würde auf dieser Seite nie wieder sehen können.
„Snowwing... Ich weiß, du hast Schmerzen, aber du musst hier weg", sprach die Frau leise und streichelte das weiße Gefieder. Der Chocobo krächzte schwach. Sie blickte mich an. Ihre strahlend blauen Augen waren flehend.
„Helft mir. Alleine bekomme ich ihn hier nicht weg", bat sie. Ich stand auf, steckte meine Waffe weg und ging auf die andere Seite des Reittieres. Gemeinsam halfen wir dem weißen Vogel wieder auf die Beine und stützten ihn. Mit langsamen Schritten gingen wir los.
Meine Begleiterin übernahm dabei die Führung. Ganz in der Nähe konnte ich ein Schloss ausmachen. Sicherlich war sie dorthin unterwegs. Zunächst sprachen wir nicht viel. Wir waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihrem Chocobo eine Stütze zu sein.
„Ich... Ihr... Ihr habt mich gerettet. Ich danke Euch", unterbrach sie schließlich die Stille. Ich hatte sie lediglich gerettet, weil mich diese Stimme dazu gedrängt hatte. Ich war kein Held. Der Held und strahlende Ritter, egal ob Dunkelritter oder Paladin, war schon immer jemand anders gewesen.
„Wie ist Euer Name?", fragte ich, um das Thema schnell wechseln zu können.
„Milly. Milly Valyria", stellte sie sich vor. Ihre Augen durchbohrten mich. Etwas schien in ihr vorzugehen. Seltsamerweise hatte ich das unangenehme Gefühl, dass mir das, was sie als Nächstes sagen würde, nicht gefallen würde. Ich sollte recht behalten.
„Und Ihr... Ihr seid es, oder? Ihr seid der legendäre Drache", brachte sie ehrfürchtig hervor.
Ich schaute sie verwirrt an. Drache? Ja, ich war ein Dragoon und wir konnten mächtige Drachenangriffe hervorbringen, aber ich war noch nie von jemandem als Drache an sich bezeichnet worden.
»Es gibt aber eine Parallele. Denk mal an den Traum«, unterbrach mich meine innere Stimme. Ich wurde unruhig. Nein. Das war nur ein Traum. Ein einfacher Albtraum.
„Ihr seid Bahamut!", rief Milly fast begeistert. Mir gefror das Blut in den Adern. Ich blieb abrupt stehen und brachte damit die beiden anderen auch zum Halten. Alles in mir schrie als ich an den dunklen Bahamut aus meinem Traum denken musste, welcher mich dazu zwang entweder zu töten oder getötet zu werden. Ich wandte mich ihr zu.
„NENN MICH NIE WIEDER BAHAMUT!", brüllte ich sie mit einer solchen Wucht an, dass sie zurückwich und verängstigt zitterte. Ich hatte meinem Ärger zu sehr Luft gemacht. Woher sollte diese Frau auch von meinem Traum wissen? Gerade als ich mich für mein Fehlverhalten entschuldigen wollte, kreischte der Chocobo zwischen uns wütend auf.
Er riss seinen Kopf hoch und mit einer Kraft, die ich dem verletzten Vogel gar nicht zugetraut hätte, schlug er mich mit dem Kopf zu Boden. Für einen kurzen Moment sah ich Sterne. Da lag ich nun und sah verblüfft zu dem Federvieh hoch, welches sich schützend und zornig krächzend vor seine Reiterin stellte. Verletzungen hin oder her. Das hier war ein echter Kämpfer. Milly sah mich an, dann fielen ihre Augen wieder auf den Chocobo, dann zurück auf mich. Schließlich brach sie in herzliches Lachen aus. Die Trauer und Verzweiflung waren verschwunden. Die Tränen, die jetzt flossen, kamen ausschließlich vom Lachen. Seltsam... Warum nur war es so ansteckend? Es hatte eine ganz seltsame, fast heilende Wirkung. All mein Zorn, meine Verbitterung, mein Schmerz und meine Angst vor diesem Traum waren mit einem Mal wie weggeblasen. Ich setzte mich auf und fing selbst an zu lachen. Auch wenn ich wusste, dass es eigentlich ich war, der hier ausgelacht wurde.
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