Kapitel 35 - Joshua Rosfield
„Lebe wohl, Phönix. Ich liebe dich“, sagte Shiva und sah mich mit glasigen Augen an. Ich erkannte auch Thyra darin, aber wie viel Kontrolle hatte sie noch.
Shivas Schwert wurde zu einem Dolch.
„NEIN, TUE DAS NICHT!“, flehte ich sie an, doch Shiva reagierte nicht darauf und ich wusste im nächsten Augenblick, dass Thyra keine Kontrolle mehr hatte, als sich Shiva den Dolch in die Brust und somit in das Herz rammte.
„SHIVA! THYRA, NEIN!“, schrie ich verzweifelt, während ich hilflos zusah, wie Shiva Richtung Boden fiel und wieder Thyras Gestalt annahm. Je tiefer sie fiel, desto größer wurde der Schmerz in meiner Brust, in meinem Herz. Ich kreischte als Phönix auf und flog Thyra nach, bevor sie am Boden aufschlug, erreichte ich sie noch rechtzeitig und packte sie mit meinen Krallen, ehe ich sie in der Nähe des Eingangs sanft ablegte und auf sie hinabsah.
Mein Blick wich zu der Stelle, wo der Wächter sich befand, aber er war verschwunden? Dort, wo er von den Eissplittern aufgespießt wurde, war nur mehr ein zerrissener Mantel zu sehen.
»Was geht hier vor sich? Ist er verschwunden, weil Shiva tot ist? Vielleicht, aber das ist jetzt nicht wichtig. Warum hat sie sich das Leben genommen? Wieso dachte Shiva, dass sie den Phönix an die Dunkelheit verloren hat und weiß Thyra von den Gefühlen von Shiva zum Phönix? Verdammt, Joshua, das kannst du Thyra alles fragen, zuerst musst du sie zurückholen. Erneut von den Toten zurückholen. Es hat einmal funktioniert, ich hoffe nur, es funktioniert ein zweites Mal«, sprach ich im Gedanken mit mir selbst, ehe ich tief durchatmete.
Ich flog höher und konzentrierte mich auf die Wiedererweckungskraft des Phönix, eine Feder löste sich von meinem Federkleid und schwebte auf Thyra hinab. Als sie auf ihren Körper landete, löste sie sich auf und tauchte Thyra in ein orangefarbenes Licht, welches nach wenig Sekunden verschwand. Ich landete und nahm wieder meine menschliche Gestalt an. Ich fiel neben Thyra auf die Knie und fühlte ihren Puls, da sie wie damals keine Reaktion auf die Wiedererweckung gezeigt hatte. Als ich ihren Puls wahrnahm, atmete ich erleichtert aus. Nachdem ich mich ein wenig erholt hatte, hob ich Thyra hoch und begab mich mit ihr in den Palast.
Nächster Morgen
Ich saß an der Wand und sah zu Thyra die neben mir lag, sie schlief leider noch immer, ich hoffte, dass sie bald aufwachte. Ich war immer wieder weggenickt, aber erholsamen Schlaf hatte ich bis jetzt keinen gehabt.
„Joshua?“, hörte ich Thyras Stimme leise.
Ich sah zu ihr, ein Lächeln erschien auf meinen Lippen.
„Du bist wach. Wie geht es dir?“, fragte ich vorsichtig.
„Was … was ist passiert? Wo sind Milly, Skalli und Kain? Habe ich sie …“
Thyra brach ab und Tränen rannen ihre Wangen hinab.
„Nein, nein, hast du nicht. Sie leben und sind auf dem Weg zum Königreich des Phönix. Skalli ist mit Milly und Kain zurückgegangen, um sie zu beschützen, da … Kain verletzt ist“, versuchte ich Thyra einerseits zu beruhigen, aber auch nicht anzulügen.
„Dass … das heißt, er hat den Angriff mit den Eissplittern überlebt, sie haben ihn nicht … getötet?“, fragte mich Thyra und schockierte mich mit dieser Frage.
„Nein, sie haben ihn nicht getötet, er … heißt das, Shiva wollte ihn …?“
Thyra nickte: „Ja, die Eissplitter sollten eigentlich Kains Brust, sein Herz treffen, sie wollte ihn töten. Aber ich nicht, er ist immerhin unser Freund, auch wenn er etwas Dunkles in sich trägt, ist er unser Freund und ich will meinen Freunden keinen Schaden zufügen. Ihr seid alles, was ich noch habe. Ich hatte aber nur dieses eine Mal richtig die Kontrolle, wodurch ich die Eissplitter umlenken konnte, aber trotzdem wurde Kain verletzt.
Ich …“
Thyra schluchzte auf, ich zog sie sofort in meine Arme, wollte sie dadurch trösten und zeigen, dass ich für sie da war.
„Ich hoffe, er vergibt mir, ich hoffe, Milly vergibt mir, immerhin habe ich sie auch angegriffen, ich habe euch alle angegriffen, weil ich … weil ich schwach …“
„HÖR AUF DAMIT!“, fuhr ich Thyra schärfer an, als ich es eigentlich wollte. Sie zuckte zusammen.
„Entschuldige, aber du bist nicht schwach, Thyra. Du bist stark …“
„Aber ich habe euch angegriffen. Ich hätte euch getötet, wenn du dein Schild nicht aktiviert hättest. Und das nur, weil ich keine Kontrolle hatte“, unterbrach sie mich.
„Denkst du etwa, du bist die Einzige, dem das passiert. Wenn man als Esper, das erste Mal erwacht und starke Gefühle mitspielen, dann kann man einmal die Kontrolle verlieren. Die Gefühle beim Erwachen einer Esper spielen eine große Rolle, und wenn ich mich hier umsehe, ist es nicht besonders hell. Was also deine größte Angst, welche deine Prüfung war, gestärkt hat. Ich weiß ja nicht, wie der Kampf gegen sie abgelaufen ist, aber du hast sie besiegt und dadurch Shivas Macht bekommen. Aber du warst noch durcheinander und deswegen ist das auch passiert“, erklärte ich Thyra.
„Woher weißt du das alles? Und … ich habe sie nur durch Glück besiegt, meine personifizierte größte Angst. Und es ist nicht die Dunkelheit, wovor ich solche Angst habe. Sondern dass meine Freunde von der Dunkelheit vernichtet werden, wie meine Mutter, und ich wie damals nur hilflos zuschauen kann. Als sie mir … als sie mir gesagt hat, dass mein Sieg über sie kein richtiger Sieg war und mir Lyssa wieder alles nehmen wird, da habe ich solch eine Wut gespürt, aber auch Angst, dass ihre Worte wahr werden. Ich … ich habe ihr meinen zweiten Dolch in den Bauch gerammt, wodurch sie zu Eis wurde und dann zersplitterte. Ich habe meine Gefühle herausgeschrien und wurde dann zu Shiva und …“
„Und hast uns dann angegriffen, aber du hast uns nicht erkannt, das habe ich gesehen, es bemerkt. Du fragst mich, woher ich das weiß, weil es mir nicht anders erging. Ich war zehn als der Phönix in mir das erste Mal erwacht ist. Ich habe den Tot meines Vater mit angesehen, wie er vor meinen Augen enthauptet wurde. Das Versprechen, worum mich mein Bruder gebeten hatte, meinen Vater zu beschützen, konnte ich nicht halten, diese Verzweiflung, diese Angst hat mich die Kontrolle verlieren lassen. Ich wurde zum Phönix und verbrannte jeden in meiner Umgebung, egal ob Freund oder Feind. Also ich weiß, wie das ist“, sagte ich mitfühlend, jedoch war mein Blick schuldbewusst, die Erinnerung daran, wenn ich alles getötet hatte, war noch immer schwer für mich.
„Joshua, ich …“, fing Thyra an.
„Schon gut. Ich kann es nicht mehr ändern, aber ich kann dir helfen, deine Esper unter Kontrolle zu bringen. Und wir werden Lyssa zusammen besiegen, mit unseren Freunden.“
Thyra sah zur Seite, ehe sie mich ansah und zaghaft nickte.
„Ja, ich will das es endlich ein Ende hat und ich nicht immer mit der Angst leben muss, meine Freunde an Lyssa zu verlieren.“
Ich nickte auf Thyras Worte hin, doch vielen mir die Worte von Shiva wieder ein.
„Thyra, woran kannst du dich alles erinnern? Was Shiva getan und gesagt hat?“
Die Braunhaarige sah mich an.
„An alles, was vorgefallen ist auch … daran, dass sie sich uns mit dem Dolch erstochen hat. Und du mich somit erneut von den Toten zurückgeholt hast. Worüber ich dir sehr dankbar bin.“
Thyra atmete durch, eine kleine Eiswolke entstand vor ihrem Gesicht und ich sah, wie sie zitterte. Ich nahm ihre Hände und übertrug etwas Wärme von mir zu ihr. Wobei ich unbewusst Thyras Reaktion beobachtete, ihre Wangen nahmen einen leichten Rotschimmer an. Ich nahm meine Hände wieder von ihr, da es ihr wohl unangenehm war, und das wollte ich nicht. Doch sie griff sofort danach und hielt sie fest.
„Nein, bitte geh nicht.“
Tränen bildeten sich in ihren Augen.
„Ich gehe nicht fort, ich bleibe hier in Ordnung. Ich will nur nicht, dass dir meine Nähe unangenehm ist“, sprach ich meine Sorgen aus. Immerhin musste ich selbst mit dem, was der Wächter gesagt hatte klarkommen und mit dem Gefühl, welches ich Thyra gegenüber empfand.
Ich wusste nicht, ob es ein verbleibendes Gefühl des Phönix ist, der Shiva geliebt hat, die nun Thyra ist, oder ob es meine eigenen Gefühle sind.
Dieses Gefühl, welches stärker ist, als ich es bei Jote empfunden hatte. Ich spürte, wie Thyra näher zu mir rutschte und ihren Kopf auf meine Schulter legte.
„Deine Nähe ist mir nicht unangenehm Joshua. Es ist nur … gerade kann ich meine Gefühle nicht einordnen. Ich weiß, dass Shiva und Phönix zusammen waren. Ich weiß von ihrer Angst, die sie hatte, den Phönix an die Dunkelheit zu verlieren, was sie auch glaubte, bis zu dem Zeitpunkt, wo sie uns getötet hat. Shiva hat in Kain nur die Dunkelheit gesehen, aber er trägt so viel Gutes in sich, nur spüre ich, dass die Dunkelheit noch zu stark ist und das Licht zu schwach, um sie endgültig zu vertreiben. Und deswegen hat Shiva ihn töten wollen.
Um es zu beenden, es hat sich so angefühlt, als würde sie ihm unendliches Leid ersparen wollen und es schnell zu Ende bringen. Aber ich denke, das war nicht richtig, jeder hat das Recht selbst über sein Leben zu entscheiden und nicht andere“, erklärte Thyra ich nickte auf ihre Worte hin.
„Und wie fühlst du dich, wenn du an diese Gefühle denkst, Shiva und Phönix, oder anders ausgedrückt, was empfindest du mir gegenüber?“, fragte ich direkt. Thyra sah mich überrascht an, doch überraschte sie mich mit ihrer Antwort mehr.
„Was ich empfinde? Dass ich es nicht ertragen würde, dich zu verlieren, weil du mir wichtig bist, Joshua.“
Ich konnte daraufhin nichts sagen und nickte daraufhin nur. Wir verbrachten den restlichen Tag bis zur Mittagsstunde, indem wir uns ausruhten. Nach der Mittagsstunde und nachdem wir etwas gegessen hatten, trainiere ich mit Thyra, Shivas Gestalt anzunehmen und die Kontrolle zu behalten. Das erste Mal schaffte sie es nicht ihre Gestalt anzunehmen, doch das zweite Mal.
Ich hoffte das Milly, Kain und Skalli im Königreich des Phönix dann sicher waren.
Am zweiten Tag schaffte es Thyra, Shivas Gestalt anzunehmen und diese auch eine Stunde aufrechtzuerhalten. Wir trainierten noch bis zur Mittagsstunde, ehe wir uns aufbruchsbereit machten.
„Und wie kommen wir bitte zum Königreich des Phönix? Wir haben keine Chocobo.“
Ich lächelte Thyra an. „Nein, aber Flügel. Ich werde zum Phönix und du kletterst auf meinen Rücken. Du wirst nicht verbrennen Thyra, meine Federn sind nicht aus Feuer, nicht, wenn ich es nicht will. Und immerhin bist du die Herrin des Eises, also kann dir da auch nichts passieren.“
„Ich … ich soll was? Auf deinem Rücken sitzen, wie auf einem Chocobo?“, fragte sie. Woraufhin ich nickte.
„Ja, wobei es eher eine liegende Position sein wird, da ich ja keinen Sattel trage.“
Thyras Wangen nahmen wieder einen leichten Rotschimmer an.
„Na, na gut, aber das Joshua ist mir unangenehm, ich mein sicher, du bist bestimmt ein toller Flieger, aber …“
Ich ging auf Thyra zu und umgriff ihre Schultern.
„Du wirst nicht herunterfallen, ich passe auf und du tust mir auch nicht weh, wenn du dich festhältst, in Ordnung. Wir sind nur so am schnellsten.“
Thyra nickte: „In Ordnung, wenn du das sagst, ich vertraue dir.“
Als das geklärt war, nahm ich die Gestalt des Phönix an und Thyra kletterte auf meinen Rücken.
Ich erhob mich in die Luft und wir flogen zum Königreich des Phönix.
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