Kapitel 25 - Dunkler Kain
Meine Beine trugen mich quer durchs Schloss. Ich war rastlos. Rastlos und unfähig etwas zu unternehmen, weil das Weichei in mir mich daran hinderte. Warum nur hatte ich diesem Barnabas nicht einfach den Garaus gemacht? Die nötige Kraft hatte ich. Niemand kam gegen mich an. Doch immer wieder wurde ich zurückgehalten. Mal ehrlich, was hatte er davon, dass wir so viel Kraft hatten, wenn er diese nicht einsetzen wollte? Ja ich sprach von meinem anderen Ich. Dem Feigling, dem Schwächling. Er war so nutzlos, dass ich mich immer noch fragte, wie er es schaffte, mich zu blockieren. Mich! Der Grund, warum er überhaupt noch lebte! Ich war seine Kraft! Ich war sein Überlebenswille! Ich gab ihm die nötige Motivation, voranzuschreiten, auch wenn er fiel! Ich lieferte ihm sogar ein Ziel! Wir waren eine Person. Wir fühlten das Gleiche. Also warum durfte ich ihm dann nicht mehr helfen?! Er hatte mich ausgesperrt, nachdem er dank meiner Stärke Cecil fast vernichtet hatte. Mich! Den Drachen in ihm! Seine eigene Kraft! Wir waren einmal eins, doch nun wollte er mich mehr und mehr wegwerfen. Nur meinetwegen lebte er noch. Ohne mich war er verloren. Wann begriff er das endlich? Hätte er mich nicht unterdrückt, wir wären schon längst mehr geworden als nur ein dummer untergeordneter Dragoon. Und wir hätten Rosa auch schon längst haben können. Hmm, Rosa... Es war merkwürdig, aber sie war mir inzwischen nicht mehr so wichtig. Sollte Gutmensch Cecil sie doch haben.
„Kain?", ertönte eine zaghafte Stimme hinter mir. Ich spürte, wie mein Herz in die Höhe sprang, als mein Körper sich zu ihr umdrehte. Milly war mir gefolgt. Ihr Blick... Sie hatte sich noch immer nicht erholt. Traurig und müde sah sie zu mir hoch. Ihre Rüstung und ihr Haar waren noch immer blutverschmiert. Mein Herz raste. Sie war zu mir gekommen, anstatt bei den anderen zu bleiben. Nur zu mir. „Du solltest dich ausruhen", hörte ich mich sagen. Sie senkte ihre strahlend blauen Augen. Sie waren noch immer gerötet vom vielen Weinen. Der Anblick schmerzte. „Was ist mit dir? Das war eine ziemlich heftige Wunde", murmelte sie, ohne mich anzusehen. Der Phönix-Trottel hatte mich bereits geheilt, also war das einzige Problem eher mein verletzter Stolz. Sie wusste, dass er mich geheilt hatte und fragte trotzdem nach? Glaubte sie ihm nicht. Ich musste innerlich grinsen. „Joshua hat meine Verletzungen gut behandelt", hörte ich mich sie beruhigen. Würg! Warum musste das Weichei in mir jetzt auch noch den Phönix loben? Milly jedoch sorgte mit ihrer nächsten Aussage dafür, dass mir der Atem stockte und mein Zorn haltlos in der Luft hängen blieb.
„Die Äußerlichen vielleicht. Aber... Das gilt nicht für die Seele", sagte sie und blickte mich wieder an. Ihre Sorge machte mich wahnsinnig. Warum sah sie mich immer so an? Warum? Ich mochte das nicht. Das tat weh! Sie sollte... Sie sollte... Ja... Lächeln. Lächeln und fröhlich sein. Das war besser als dieser Blick. Das tat nicht so weh.
Vor allem dann nicht, wenn sie das Lächeln mir schenkte. Meine Hände legten sich ruhig auf ihre Schultern.
„Das gilt wohl für uns alle. Wir benötigen alle erst Ruhe. Schlaf. Morgen wird es besser", hörte ich mich sagen. Was für ein Schwachsinn. Es wurde besser, wenn ich Barnabas vernichtet hatte. Genau das würde ich auch tun. Früher oder später würde ich die Ketten schon sprengen und dann... Mein Gedankengang wurde unterbrochen, als die junge Frau mich ganz plötzlich umarmte.
Milly Valyria
Ich sah zu Kain hoch. Seine warmen Hände an meinen Schultern gaben mir seltsamerweise Kraft. Ich bekam das Bedürfnis, ihm in die Augen zu sehen. Doch er würde mich nur komisch anschauen, wenn ich ihn bitten würde, den Helm abzunehmen. Vielleicht... reichte eine Umarmung, um zu helfen... Klar, wir waren alle verletzt. Besonders seelisch. Aber er... Ich senkte erneut den Kopf. Dann hielt ich mich nicht mehr zurück und schlang die Arme um ihn. Ich spürte seine Anspannung. Er schien nicht recht zu wissen was er tun sollte. Ich hielt mich an ihm fest und hielt die Augen geschlossen. Mit dieser Umarmung wollte ich nicht nur seinem seelischen Leid Ruhe geben, sondern auch meinem inneren Chaos. Was hatte dieser Barnabas eigentlich gemeint? Ich hatte vorher nicht darüber nachgedacht. Zu sehr war ich darauf fixiert gewesen, dass meine Freunde litten. Aber jetzt... Drache? Was für ein Drache sollte in mir erwachen? Was um alles in der Welt war das für eine Kraft, die angeblich in mir schlummern sollte? Was wollte diese Frau? Was nur? Was?! Und warum... Warum mussten meine Freunde darunter leiden? Weil ich zu schwach war? Ich... Ich... Ich hatte kaum bemerkt, dass ich wieder angefangen hatte zu weinen. Das, was mich aus meinem Gedankenchaos herausholte, war das Gefühl, wie starke Arme sich um mich legten.
Kain war aus seiner Starre erwacht und hielt mich fest. Ich heulte in seine Rüstung hinein. Sprechen konnte ich nicht. Ich hatte ihm helfen wollen und jetzt? Jetzt musste er mich beruhigen. Tatsächlich gelang es ihm sogar. Sowohl seine Wärme als auch seine Nähe fühlten sich gut an. Ich konnte sogar seinen Herzschlag hören. Durch die Rüstung hindurch. Kraftvoll und leicht erhöht. Es war so schön, dass er und die anderen noch lebten. Ich hörte eine kurze Weile seinem Herzen zu und meine Tränen versiegten langsam. Endlich schaffte ich es, ihn loszulassen.
„T... Tut mir leid", brachte ich mühsam hervor. Meine Stimme war noch etwas belegt und durch das Heulen hatte ich einen leichten Schluckauf. Kain hielt wieder seine Hände auf meinen Schultern. Ich wusste nicht genau, wieso, aber es gefiel mir, dass er nicht direkt auf Abstand ging. Ich wischte mir über die Augen.
„Das war alles etwas viel. Schaffst du es zu schlafen?", fragte er fast liebevoll. Mein Herz sprang in die Höhe. Ich nickte.
„Was ist mit dir?", wollte ich wissen. Ich wusste ja dass er in letzter Zeit nicht mehr so erholsam schlief. Nach dem heutigen Tag würde das sicher nicht anders sein. „Ich bin so erledigt, dass ich ins Bett fallen werde", gab er einfach nur von sich. Das kam so plötzlich, dass es mich etwas zum Lachen brachte.
„Ich meine es ernst", lachte ich. „Ich auch", erwiderte er lächelnd. Er wich meiner Frage aus, das wusste ich. Sein Lächeln war gequält. Trotz dass ich seine Augen nicht erkennen konnte, war es sehr deutlich. Erneut schlang ich die Arme um ihn.
„Ich bin froh, dass du da bist", sprach ich verborgen meine Freude darüber aus, dass er noch lebte. Ich hatte das Gefühl, dass es seinen Stolz verletzen würde, wenn ich ihm das sonst anders gesagt hätte. Dieses Mal reagierte er schneller mit der Umarmung. „Ich sagte dir doch, dass ich helfen werde", erwiderte er schlicht. Ich lächelte etwas, sog noch einmal seinen Geruch ein und ließ ihn dann wieder los. Ich trat einige Schritte zurück.
„Gute Nacht, Kain", verabschiedete ich mich. Er erwiderte mein Lächeln.
„Gute Nacht, Milly", sagte er dabei. Dann drehte ich mich endlich um und ging langsam den Gang entlang zu meinem Zimmer.
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