Kapitel 3 - Kali
Die Farbe plätschert auf dem Boden. Wie das Wasser vom Springbrunnen. Mein Blick gleitet den Weg entlang. Bedröppelt sehe ich der Farbe zu, wie sie runtertröpfelt, nur um sich neu zu formieren. Wenn die Welt sich bloß auch einfach so neu formieren könnte! Ein neues Muster annehmen...
Eine Stimme durchbricht meinen Kopf und ich sehe auf. Die Farbe verstummt, der Pinsel in meiner Hand erstarrt, so hart wie er ist. Hätte ich bloß einen der weichen genommen, aber manchmal lässt es sich mit den harten besser malen.
Die Wolke am Himmel zerbricht entzwei und gibt den Blick auf gleisenden Sonnenschein frei.
„Ich hasse Regen." Warum muss es regnen? Es ist grausig. Kein einziger Regentropfen erhellt meine Stimmung. Stattdessen ergieß er sich über mich. Umhüllt mich. Während ich versuche, noch etwas zu erkennen.
„So schlimm wird es schon nicht sein." Meine beste Freundin Assia steht neben mir. Sie versucht ihren Regenschirm aufzumachen, sodass sie ihn schützend über uns halten kann. Ihre Hände sind nass vom Regen. Deswegen rutscht sie ein paarmal aus und stöhnt dann auf. Der ein oder andere Fluch verlässt ihre Lippen.
„Wir sind nur in einer Regenhöhle. Aber kein Problem. Wir haben ja einen Regenschirm. Schließlich wohnen wir nicht in der Stadt. Schließlich bekleiden wir uns ja nicht nur mit einer Regenjacke."
„Deinen Zynismus kannst du dir sparen", quetscht sie hervor, während sie noch immer versucht den Regenschirm zu öffnen.
„Das kann man sich ja nicht mitansehen." Mira, ein Mädchen aus unserer Klasse kommt auf uns zu. Sie hilft Assia beim Öffnen des Regenschirms. Ihre Finger sind trocken, da sie bis eben Handschuhe trug.
„Danke", bedankt sich Assia, sobald der Regenschirm schützend über unseren Köpfen schwebt.
„Kein Problem." Mira hängt sich bei Paol ein und gemeinsam schreiten sie davon. Diese Buskindern, die alles als selbstverständlich betrachten.
Noch immer schüttet es aus Eimern, selbst wenn es eine Wolke ist, die den Regen über uns ergießt. Für die Umwelt ist es gut. Für die Umwelt. Für uns ist es nur nervig.
Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinanderher, während sich der Regenschirm schützend über uns erhebt.
„Kal, hab ich dich schon gefragt, was du am Wochenende machst?" Ruckartig hebe ich den Kopf und sehe zu Assia.
„Kali", korrigiere ich sie scharf.
„Du weißt, dass ich Kal mag. Also den Spitznamen", erwidert sie nüchtern und betrachtet mich. Sie weiß, dass sie zu weit gegangen ist. Sie hat mich oft genug so genannt, um das zu wissen. Manchmal frage ich mich, warum sie eigentlich meine beste Freundin ist. Warum sie immer noch meine beste Freundin ist.
„Und du weißt, dass ich ihn nicht mag." Vielleicht liegt es daran, dass sie gefühlt jeden mit Kal abkürzt, der diese drei Buchstaben im Namen trägt. Kalel zum Beispiel.
Wie als hätte er seinen Namen gehört, kommt er ganz lässig auf uns zu gelaufen. Fährt sich durch die Haare. Lächelt. Aber dieses Lächeln gilt nicht mir. Nein, es gilt Assia. Sie strahlt, als sie ihn erblickt und lässt beinah den Regenschirm fallen. Gerade noch kann ich ihn an mich nehmen, ehe er auf den Boden zu fallen droht.
„Hi", begrüßt sie ihn und er lächelt. Der Regen wird weniger. Gefühlt ist er gegen Regen immun. Zumindest scheint es ihm nichts auszumachen, dass er vollkommen durchnässt ist.
„Hallo." Er blickt mich an. „Was macht ihr?"
„Wir wollen im Regen tanzen, weil es toll ist auf einer rutschigen Wiese zu rennen."
„Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage bezweifle ich. Aber euch auch einen schönen Tag."
Wortlos schüttele ich den Kopf. Was wollte er?
„Warte", meint Assia.
„Sehen wir uns nachher?", fragt Kalel. „Ich muss jetzt echt los. War aber schön euch zu sehen."
„Natürlich", erwidert sie und sieht ihm nach.
Kopfschüttelnd laufe ich neben ihr her. Was findet sie bloß an ihm? Klar, er kann ganz nett sein, aber dennoch. Aber was soll ich schon groß sagen?
„Alles okay bei dir?"
„Ja. Ja, was sollte bei mir nicht okay sein?" Fragend sehe ich sie an.
„Du hast nicht auf meine Frage geantwortet. Hast du schon Pläne fürs Wochenende?"
„Nein. Nicht wirklich. Aber du hast ja anscheinend eh schon etwas vor."
„Nein. Es ist nur heute. Aber wenn du noch keine Pläne hast, dann ist es gut. Ich weiß nämlich schon was wir machen."
Neugierig sehe ich sie an. „Was machen wir denn?"
„Mottoparty", erwidert sie fröhlich und ich schüttele meinen Kopf. Alles, bloß das nicht.
„Und was ist das Motto?", erkundige ich mich dennoch. Um höflich zu sein.
„Das wirst du sehen. Kalel hilft beim Planen. Deshalb treffen wir uns. Und ja, er wird vermutlich auch auf der Party sein."
„Warum hast du nicht mich gefragt? Ich hätte dir auch helfen können. Stattdessen muss ich mich überraschen lassen. Weil ich Überraschungen so liebe." Ich schüttele meinen Kopf. „Wirklich."
„Du wirst es spätestens morgen wissen. Ebenso wie die Daten. Jetzt sei nicht böse. Lira hat mich gefragt, ob ich Lust hätte und ich habe ja gesagt."
„Lira?", echoe ich.
„Ja. Du hast doch nichts dagegen?"
„Nein." Ich schüttele den Kopf. „Nein, das habe ich nicht."
„Okay. Ist es okay, wenn ich dich noch ein Stück begleite?"
„Du gehst doch immer mit mir? Du begleitest mich doch immer, was ist denn jetzt anders? Ist es wegen dem Motto? Wegen dem Regen? Es ist dein Schirm."
„Nein. Nein, du hast Recht. Warum habe ich überhaupt gefragt?"
„Ich weiß es nicht", erwidere ich und atme tief durch. Vielleicht, weil sie meine Stimmung spürt. Vielleicht, weil sie weiß, wie sehr ich so etwas hasse. Wobei, von Hass kann keine Rede sein. Einmal und nie wieder. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Sie kann nichts dafür. Ich muss ihr eine Chance geben. Schließlich freut sie sich darauf. Dann sollte ich ihr nicht die Lust verderben.
Den restlichen Nachhauseweg verbringen wir im schweigenden Einklang. In meinen Kopf summe ich eine Melodie. Ja, meine Probleme wirkten so weit weg. Dieser Schatten, der über mir hängt. Alles sehr toll. Vielleicht sollte ich Klavier spielen wirklich mal ausprobieren. Oder ein anderes Instrument. Zeichnen kann ich nicht. Sprachen gehen. In meinen Kopf. Aber ansonsten, welche Richtungen gibt es denn noch? Sport geht so einigermaßen. Einigermaßen. Immerhin bekomme ich es hin, den Ball übers Netz zu fördern. Das war dann aber gefühlt schon alles.
Gedankenversunken laufe ich neben Assia her, während sie den Schirm über uns beide hält. Schließlich kommen wir zu der Kreuzung, an der wir uns wohl oder übel verabschieden müssen. Tief einatmend bleibe ich stehen. Assia ebenso.
„Dann tschüss. Mach's gut. Wir sehen uns. Ich würd zwar mitkommen, muss aber weiter."
„Ja. Tschüss. Bis dann. Mach du es auch gut. Kein Problem."
Sie umarmt mich nochmal kurz und dann lässt sie mich im Regen stehen.
Seufzend gehe ich meinen restlichen Heimweg allein. Eine Mottoparty. Dieses Wochenende. Ohne, dass ich mich darauf vorbereiten kann. Klingt gut. Nicht.
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