Kapitel 1 - Kali
Manchmal frage ich mich, ob Leute tief fallen müssen. Niederlagen erleben müssen. Erleben müssen, um mit ihnen umgehen zu können, um das Leben wert zu schätzen. Erleben müssen, um zu lernen, dass es okay ist. Dass es okay ist, Fehler zu machen. Dass es okay ist, nicht perfekt zu sein. Dass es menschlich ist. Ist das Unperfekte nicht das, was uns perfekt macht, weil es uns menschlich macht und das menschliche uns perfekt? Ist es nicht wichtig im Leben Fehler zu machen? Sind Fehler nicht dafür da, um aus ihnen zu lernen?
Meiner Meinung nach, sind Fehler menschlich und wichtig.
Sport. Tennis. Genau. Welcher Mensch spielt in der Schule schon Tennis? Nicht einfach nur Tischtennis auf Tischtennisplatten, wie es sie gefühlt an jeder Schule gibt. Nein, richtiges Tennis. Tennis mit Netzen und Schlägern. Und Tennisbällen. Draußen. Nicht auf irgendeinem Platz, der extra dafür ausgelegt ist. Nein, mitten auf dem blauen Tartanfeld der Schule. Ja, blau. Als sei es nicht schlimm genug, dass das Tartanfeld blau und nicht rot ist. Aber blau passt doch perfekt zu dem Rot des Schulgebäudes und dem Grün des Grases. Wobei das Gras manchmal auch eher gelbbraun als grün ist. Ein Tartanfeld, das von weiter weg so aussieht wie ein Schwimmbecken. Wer hat sich das nur ausgedacht?
Nun stehe ich hier und schlage mit dem Tennisschläger die Bälle über das Netz. Es ist nicht hoch, das ist ja auch nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr, beim Aufschlag die Bälle zu treffen. Entweder werfe ich sie zu weit von mir weg oder koordiniere nicht gut genug. Auch wenn ich ein paar Bälle sogar tatsächlich treffe.
So schlau wie ich war, fragte ich meinen Sportlehrer, als er bei meiner Vierergruppe war, wie es denn richtig gehe. Ein Fuß vor. Bei Rechtshändern der linke. Er ist Linkshänder. Den Schläger von hinten nach vorne, über den Kopf ziehen. So ungefähr. Und bei all dem Trara auch noch den Ball treffen. Mit dem Schläger. Sodass er über das Netz auf die andere Seite trifft.
Nun muss ich die ganze Kiste voller Bälle, die neben mir steht, auf die andere Seite befördern. Also die Tennisbälle, nicht die Kiste. Die schönen gelben Tennisbälle mit ihren weißen Streifen. Das Einzige wofür ich Tennisbälle wirklich in meinen Leben benutzt habe, beziehungsweise das Einzige wovon ich weiß, dass sie nutzbar sind, ist die Waschmaschine. Dasmag komisch klingen, aber zumindest früher taten wir einen Tennisball in dieWaschmaschine. Weswegen weiß ich nicht mehr so genau.
Ein paar Bälle gehen daneben. Wenn ich sie nicht auf den Boden werfen will, kann ich sie auch in die Luft werfen. Und dann schlagen. Ich versuche es ein paarmal. Aber sie in die Luft zu werfen, auf den Boden landen zu lassen und dann, wenn sie wieder in die Luft kommen, durch den Aufprall, sie abzuschlagen funktioniert nicht ganz so gut. Also werfe ich sie ein paarmal in die Luft. Schlage sie dann, ehe sie auf den Boden landen können. So schaffe ich es zumindest ansatzweise, sie auf die andere Netzseite zu befördern. Nicht nur einzelne Ausnahmen, sondern durchaus mehrere.
Also atme ich tief ein und aus und halte Ausschau nach meinen Sportlehrer. Er ist immer noch neben mir. Spielt als Ersatz in dem Viererteam, in dem ich vorher war. Ich will ihn fragen, ob der Ball den Boden berühren muss, ehe man ihn abschlägt. Also gehe ich zu ihm und frage ihn eben genau dies.
„Nein", lautet seine schlichte Antwort und dies ist mir Antwort genug. Wenn ich den Ball nicht den Boden berühren lassen muss, um ihn auf die andere Seite zu befördern, dann kann ich ihn einfach so schlagen. Ohne große Umstände.
„Okay."
Ich gehe zurück zu meinem Netz und nehme mir den nächsten Tennisball aus der Kiste. Ich schließe die Augen, werfe ihn hoch und hole mit dem Schläger aus. Ich treffe den Ball. Er fliegt einen hohen Bogen und landet auf der anderen Seite. Zufrieden lächle ich. Wenigstens klappt es so. Wenn ich es schon nicht anders kann.
Es dauert eine ganze Weile, bis sich der Karton leert und in der Zeit übe ich. Ich schlage den Ball ab, hole ihn wieder zu mir, wenn er nicht auf der anderen Seite landet und versuche es erneut. Atme. Die Sonne brennt auf meiner Haut. Die anderen machen irgendwann eine Trinkpause, aber noch habe ich nicht alle Bälle abgeschlagen. Außerdem sind auch noch nicht alle im angenehmen Schatten. Mein Ehrgeiz verlangt von mir, die ganzen Bälle, die sich noch in der Kiste befinden auf die andere Netzseite zu befördern, ehe ich ebenfalls eine Trinkpause einlege.
Bei den letzten paar bin ich richtig gut. Zumindest von der Übung. Ich kriege es sogar hin, den Schläger nach dem Berühren des Balles über meinen Kopf zu ziehen. Ich kriege es so hin, wie es unser Sportlehrer mir sagte.
Als ich den letzten Ball geschlagen habe, lege ich eine Pause ein. Eine Trinkpause. Ich geselle mich zu den anderen, die noch immer im Schatten stehen, nehme mir meine Flasche und setze mich hin. Erst als ich nach dem Aufschrauben zum Trinken ansetze, merke ich, wie ich zittere. Dass ich überhaupt zittere, war mir vorher gar nicht bewusst. Meine Hand zittert, während ich versuche die Trinkflasche zu meinen Mund zu führen. Es ist umständlich und schwierig, aber es gelingt mir ein paar Schlucke zu trinken.
„Alles okay?", fragt mich eine meiner Klassenkameradinnen.
Ich nicke. „Ja, ich zittere nur etwas." Mit dem Blick auf meine Flasche und Hände füge ich hinzu: „Warum sind meine Hände so schwarz?"
„Das kommt vom Schläger. Du kannst ja reingehen und dir deine Hände waschen."
Ich nicke. Ja, könnte ich. Aber aus welchem Grund auch immer mache ich es nicht. Stattdessen trinke ich noch etwas und schraube schließlich den Deckel meiner Flasche wieder zu. Was nicht allzu leicht ist, ohne die weiße FFP2 Maske zu berühren. Die Flasche ist ebenfalls leicht schwarz.
Wir spielen draußen. Auchbei Regen machen wir draußen Sport. Zwar dürften wir mittlerweile auch wieder reingehen, in der Sporthalle, Unterricht machen, allerdings scheint unser Sportlehrer keine Lust darauf zu haben. Sonst hätten wir wohl kaum letztens im Regen Völkerball gespielt. Schon krank, wenn man eigentlich überlegt, was für Spiele wir hier lernen.
Als unser Sportlehrer die Trinkpause beendet, warte ich noch einen Moment. Bleibe noch im kühlen Schatten. Mein Zittern ist nicht gerade besser geworden. Ich will hier sitzen bleiben. Er bekommt mich nicht aufs Spielfeld. Wenn er fragt, warum ich hier sitze, werde ich antworten, dass ich zittere. Warum sollte ich denn auch noch weiterspielen, wenn ich zittere. Nicht, dass mir kalt ist. Nein. Es ist warm. Es ist mehr ein Zittern vor Anstrengung. Vielleicht liegt es daran, dass wir über dreißig Grad Celsius und Sonne haben. Und keinen Sonnenschutz. Außer vielleicht Sonnencreme. Aber doch keine Kappen. „Dafür braucht ihr ein Attest", hatte unser Sportlehrer damals gesagt. Damals war zu Beginn des Schuljahres. Als eine aus meiner Klasse fragte, ob sie ihre Kappe auflassen dürfe. Wegen der Sonne.
Mein Blick fällt auf diejenigen, mit denen ich zuerst gespielt habe. Zweites Netz geradeaus. Seufzend stehe ich auf. Ich muss meine Praxis jetzt doch auch irgendwo anwenden können. Also stehe ich auf. Deswegen gehe ich zu ihnen. Ich kann sie doch jetzt nicht im Stich lassen. Doch als ich bei ihnen ankomme, sehe ich, wie jemand anderes aus meiner Klasse an meiner Stelle dort steht und mit ihnen spielt. Ich seufze. Ich schaue wieder zu dem Schattenplatz. Aber jetzt wieder zurückgehen kann ich auch nicht. Es würde blöd ankommen. Also gehe ich wieder zu meinem Netz.
Die Bälle, die bei mir in der Nähe liegen, sammle ich ein. Was soll ich jetzt bloß machen? Weiter übers Netz spielen? Ich versuche es von der anderen Seite, die Lust dazu verlässt mich aber irgendwann. Zu beiden Seiten des Netzes, besser gesagt auf beiden Seiten des Netzes, steht am Ende des Tartanfeldes je ein Basketballkorb. Als ich den Aufschlag geübt habe, ist eine Gruppe von Jungs, die unter meiner Jahrgangsstufe sind, zu dem einen Korb gegangen. Haben dort mit einen Ball gespielt. Auf den Korb. In den Korb.
Das ist das Stichwort. Korb. Wieso nicht mal versuchen mit dem Aufschlag beim Tennis einen der Basketballkörbe zu treffen? In einen der Basketballkörbe zu zielen? Ich habe sowieso nichts vor. Nichts Besseres zumindest.
Also nehme ich Haltung ein. Stellung. Versuche den Korb zu treffen. Mit dem Ball. Den Tennisball durch den Korb zu kriegen. Stelle mich ans Netz und schlage ab. Ein paar Bälle gehen daneben. Oder die meisten. Aber ich kriege es auch hin, die Platte, die sich hinter oder an dem Korb befindet zu berühren. Als alle Bälle auf meiner Seite verspielt sind, gehe ich zur anderen Seite. Sammle dort die Bälle ein. Stelle mich von da aus hin und versuche das gleiche. Immer noch auf denselben Korb. Der Ehrgeiz in mir ist geweckt. Nun verhindert mich nichts mehr, es zumindest zu versuchen. Zu versuchen, den Tennisball mit einen Tennisaufschlag eines Tennisschlägers in den Basketballkorb zu bekommen. Wer weiß, vielleicht wird das ja mal eine Sportart. Auch wenn ich dies eher bezweifle.
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