1 ~ Kapitel 6
„Muss man als Schüler echt immer so früh aufstehen?", meckerte ich und griff mir genervt auf den Kopf, als Azael uns bereits putzmunter, wie er war, mit dem Wagen in die Schule fuhr. Ich hatte eigentlich absolut keine Lust mich mit diesem Ding von einem Wesen anzufreunden.
Diese Gefühlsduselei tat mir nicht gut. Außerdem war ich so dumm gewesen und hatte meinen uralten Skizzenblog mitgenommen, der mir vielleicht weiterhelfen konnte bei ihr. Ich hatte schon seit zwei Jahrhunderten Angst ihn zu öffnen, aber wenn es einer guten Sache diente warum nicht...
So weit das Entführen eines Unschuldsengels eine gute Sache war.
„Du beginnst heute mit der Observation von dem kleinen Lichtchen?", fragte ich noch einmal nach, um sicher zu gehen, dass ich mich am Abend nicht anstrengen musste und mein dummer Bruder das für mich übernahm.
Er nickte: „Und ich werde versuchen, ihr hübsche Augen zu machen.", er zwinkerte mir zu: „Mit welchem Klischee sollen wir denn beginnen. Sie verschüttet ihren Kaffee über mein Hemd? Oder willst du lieber ein: Ich remple sie am Gang an und helfe ihr die Bücher vom Boden auf zu sammeln Szenario sehen?"
Was redete er da nur für einen Schwachsinn?
Ich verdrehte die Augen: „Das ist widerwertig."
„Nein. So lernen sich heutzutage alle Filmfiguren kennen. Oh, oh warte ich könnte auch eine Wette abschließen, dass ich sie nie um den kleinen Finger wickeln kann und sie gewinnen, sie verliebt sich unsterblich. Ich breche ihr mindestens vier Mal das Herz und trotzdem liebt sie mich immer noch abgöttisch."
„Wie hast du bloß so viel Zeit dir Filme reinzuziehen?", fragte ich interessiert, obwohl es eher so klang, als hätte ich weniger Interesse als an einem Stück vergammeltem Apfelpudding.
Mein Bruder grinste: „Noch ist After nicht in den Kinos."
„Was?", ich schüttelte etwas irritiert den Kopf. Wie auch immer. Es interessierte mich eigentlich nicht.
Wir kamen wieder auf dem Schulparkplatz an und stiegen aus: „Ich könnte auch noch Mal in den Wagen steigen, sie fast niederfahren und mich dann bei ihr entschuldigen und sie auf einen Entschuldigungskaffee einladen. Wie findest du das? Das ist mein Liebling. Gleich nach der ihr vier Mal das Herz brechen Geschichte."
Ich blieb während dem Gehen stehen und hielt ihn auf: „Halt die Klappe. Wie wäre es, wenn du sie grüßt und ihr dabei zulächelst. Du sollst sie nicht bedrängen."
„Ich schaff das schon. Vertrau mir.", er grinste und deutete auf Amanda, die bereits mit ein paar Mädchen in Richtung Schulgebäude ging: „Ich versuche es bei ihr und über sie komme ich an Loominah ran. Du wirst schon noch sehen."
Dann folgte er dem Mädchen schnell.
Ich war mir beinahe sicher, dass er so nicht an sein Ziel kam.
Ich sah mich um, denn ich hoffte, Loominah irgendwo in der Nähe zu erblicken. Doch ich brauchte ein wenig um sie etwas abseits von der Menge zu entdecken. Ich stand dafür mitten zwischen den Schülern ganz alleine da und versuchte ihre Aufmerksamkeit einfach durch ein freundliches Winken zu erreichen. Vielleicht konnte sie mir ja erklären wo ich diese verfluchten Bücher herbekommen sollte, die man in der Schule angeblich brauchte.
Doch sie schien mich nicht zu sehen, denn sie marschierte ohne weiteres in Richtung Schule, so tat ich dies ebenso und folgte dem Strom. Wie konnte man bloß freiwillig zur Schule gehen?
Die ersten Stunden waren durch und durch normal. Ich versuchte unauffällig und weniger aufdringlich zu wirken, um nichts falsch zu machen. Bald hatten wir wieder Geschichte und die Lehrerin. mit der roten Brille auf der Nase, dem strengen aber irgendwie netten Blick, verkündete: „Schreibt mir ein fünfseitiges Portfolio mit folgenden Aufgaben...", sie deutete auf die Tafel, auf der das Thema bereits groß stand: „Und fügt eine kreative Arbeit hinzu, die zu dem Thema „Inquisition und Hexenverfolgung in Europa, Anfang des 16. Jahrhunderts" passt. Zum Beispiel eine selbstgebaute Miniaturansicht einer brennenden Frau. Was auch immer. Lasst euch was einfallen. Und jetzt die Teams.", sie begann mit einer Winnie Pooh Schüssel durch zu gehen. Aus dieser zog jeder einen Zettel. Auch Azael, Loominah und ich bekamen die Ehre ein Kärtchen zu ziehen.
„Es sollte ein paar zweier und ein paar dreier Teams geben.", erklärte sie hinzufügend.
Etwas genervt von der ganzen Maskerade faltete ich meinen Zettel auf und staunte nicht schlecht, als ich die Zahl erblickte. Was für ein Klischee. Eine Sechs. Eine wunderschöne Sechs.
Vater wäre stolz auf mich, wenn man dem menschlichen Aberglauben einen Wert schenken konnte.
Jeder begann emsig einen Partner zu suchen. Auch ich blickte mich einen Moment nachdenklich um, doch dann wandte ich mich einfach an Loominah, da sie mir am nächsten war: „Was hast du gezogen?"
Mit einem entschuldigenden Blick musterte sie mich: „Dasselbe wie du."
Eigentlich sollte ich ihr diese Geste schenken und nicht sie mir. Auch wenn es mir nicht wirklich leid tat, so war doch ich die jene, die ihr nichts Gutes wollte.
Fragend legte ich meinen Kopf schief: „Wieso siehst du mich so entschuldigend an?", doch dann stupste ich sie versucht aufmunternd und freundlich an: „Hey kannst du mir zeigen, wo ich diese Bücher her bekomme, die so heiß begehrt sind, obwohl sie nur Schwachsinn erzählen?"
Ich hatte irgendwann gelernt, dass Menschen sich gut fühlten, wenn sie anderen helfen konnten. Zumindest jene, die viele Gefühle hatten.
Doch die Angesprochene war ein schwerer Fall menschlichen Daseins, denn sie wirkte etwas verwirrt: „Vielleicht haben sie im Sekretariat noch welche über."
Loominah ließ ihren Blick zu Amanda schweifen, die die Nummer meines Bruders gezogen hatte und unglaublich glücklich wirkte. Sie viel ihm schon richtig um den Hals, so enthusiastisch war sie.
„Okay. Ja ich werde einmal nachfragen.", ich setzte ab und lenkte das Thema also wieder auf unsere gemeinsame Arbeit: „Wann treffen wir uns um das Projekt zu machen? Ich habe Zeit. Wir könnten es ja verbinden und so auch was machen... Wenn du willst?", ich versuchte vorsichtig zu fragen, doch ich war kein Mensch der Geduldig war, auch wenn dies eine meiner längsten Lektionen gewesen war.
Ich konnte mich noch gut an die Stunden der Selbstfindung und Geduld erinnern, an denen ich einfach nur dagesessen und Kaligraphisch geschrieben hatte. Diese Zeit war allerdings die Einzige gewesen, in der ich zur „Schule" gehen wirklich als sinnvoll erachtet hatte.
Die geschwungenen Buchstaben einer schon längst vergessenen Sprache, wurden mit jeder Stunde schöner. Sie füllten das Blatt mit einer Eleganz, die niemand so recht zu beschreiben vermochte. Nicht einmal wenn ich weitere Stunden darüber nachdachte.
Der Raum war mit Stille gefüllt, die ich mich nie getraut hätte zu durchbrechen. Auch respektierte ich meinen Lehrer zu sehr.
Dennoch erschien es mir immer sinnloser einfach hier zu sitzen und Buchstaben zu schreiben, die ich nicht einmal lesen konnte. Für mich war das reine Zeitverschwendung. Meine Unterrichtseinheiten wären bestimmt besser genutzt, wenn ich mich wieder über die Bücher hing und wirklich lernte. Doch auch das hier gehörte zum Unterricht.
Der Mann hatte solch ein feines Gefühl, und eine unglaubliche Aufmerksamkeitsgabe, dass er sofort erkannte wie unkonzentriert ich wurde. Ich spürte erst nur seine ruhigen Augen, auf mir ruhen, schließlich legte er den Pinsel zur Seite und faltete die Hände zusammen: „Das verlieren der Konzentration, kommt dem Verlust der Geduld gleich.", er setzte ab, nahm seinen Pinsel und ließ ihn fallen, als würde er es nicht schaffen, ihn zu halten: „Alle Ziele werden nur durch pure Geduld, Ruhe und Konzentration in perfektem Ausmaß erreicht."
Genau das musste ich mir nun zu Herzen nehmen, deshalb riss ich mich zusammen und versuchte mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
„Okay.", nickte sie und wirkte dabei heißer: „Ich habe immer Zeit."
„Ich auch.", ich lächelte sie herzlich an. Da wir gerade ein Gespräch führten, ergriff ich meine Chance um mehr über sie herauszufinden.
Am besten ging das, indem man gemeinsame Interessen ausbaute. Also kramte ich meinen Skizzenblog heraus, um ihn vor mir auf den Tisch zu legen: „Als ich gestern deinen Skizzenblock gesehen habe, habe ich an meinen eigenen gedacht und was er mir bedeutet... Ich war zwar nie gut darin, aber es hat mich von dieser Welt befreit.", ich deutete darauf: „Wenn du willst kannst du es dir ansehen.", ich wollte sie nur nicht mehr sehen.
Dieser Block bedeutete mir mehr als all meine Familienerbstücke. Er war etwas Besonderes für mich. Voller Gefühle und Erinnerungen.
Doch sie schüttelte den Kopf und wehrte schnell ab: „Nein. So etwas ist doch privat."
Dann läutete es mit diesem schrillen Ton, den ich nicht leiden konnte und sie begann zu packen. Ich schob ebenso das Zeug, das ich am Tisch liegen gehabt hatte in meinen Rucksack verschwinden.
Zu meiner Überraschung war es Loominah die nun unser Gespräch weiterführte: „Was tust du noch gerne?"
Sex und Töten. „Reiten.", antwortete ich einfach, auch wenn ich dies schon lang nicht mehr getan hatte: „Sonst habe ich nicht wirklich Hobbys, ich ziehe so oft um. Und du?"
Wenn man es ganz genau nahm, zog ich seit dreihundert Jahren um.
Sie stellte sich mit verschränkten Fingern vor mich: „Wenn ich nicht Zeichne, lese ich Bücher über andere Kulturen. Ich liebe Sprachen. Die Verbindungen faszinieren mich.", sie erzählte weiter: „Ich würde gerne reisen, aber ich bin noch nie aus Georgia rausgekommen."
„Das wirst du bestimmt noch.", zumindest in die Hölle und um dorthin zu gelangen, mussten wir vermutlich sogar Kontinent wechseln. Aber das wusste sie ja noch nicht. Dann grinste ich und stand auf: „On y va.", sagte ich in fließendem Französisch zu ihr.
„Jetzt kann ich nicht weg, aber sobald ich achtzehn bin, will ich reisen. Ich will so viel sehen und tun und... mein Leben besser machen. Einzig allein der Gedanke, dass ich in zwei Jahren frei bin, lässt mich jeden Tag von Neuem aufstehen.", erzählte sie mir.
In ihrer Stimme lag Sehnsucht, Hoffnung und leichte Frustration. Es wäre nicht einmal schwer gewesen ihren sozialen Werdegang zu erraten, wenn ich nicht sowieso schon Grundbausteine gehabt hätte.
Ihre Hoffnung brachte mich sanft zum Lächeln. Vorsichtig und mit gedämpfter Stimme fragte ich nach: „Sie hänseln dich oder?"
„Hänseln...", wiederholte sie in einem derart bitteren Tonfall, dass sich mein Herz in der Brust verkrampfte: „Ein nettes Wort. Sie hassen mich alle. Ich habe Niemanden etwas getan. Ich bin nur nicht... keine Ahnung.", sie setzte ab: „Nicht schön genug, nicht sportlich genug, nicht sonst was und... viele haben Angst vor mir, weil sie denken, ich bin eine Psychotante, die jeden Moment in die Luft geht. Ich habe noch nie dazu gehört, also ist es nicht mehr so schwer für mich. Aber als Kind... ich hatte Niemanden."
***
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