1 ~ Kapitel 1
Die durch die Dunkelheit schattenhafte, dünne Figur und dank der Nacht unheimlich wirkende Gestalt schien sich meinen Blicken entziehen zu wollen. Doch ich spürte ihn.
Zwischen uns gab es eine Verbindung, der weder er noch ich entkommen konnten. Ich fühlte es wie ein Beben in meinem Leib, das ich nicht unterdrücken konnte zu frösteln. Ich wusste, der Gestalt ging es in diesem Moment nicht anders. Die Nähe fühlte sich gut an. Es war so, als wären wir zusammen stärker. Voller Macht. Auch wenn noch vierzehn Mächte fehlten. Fünfzehn. Für unsere Herkunft war das eine sehr ungewöhnliche Zahl. Fünfzehn.
Meine Hände umklammerten den Dolch so fest, dass meine Knochen schmerzten, der nur für mich gemacht worden war.
Dieses Wohlgefühl alarmierte mich. Ich wusste was es bedeutete und das hieß nichts Gutes.
Die Laterne flackerte leicht, in der Abenddämmerung und ließ noch mehr tanzende Schatten fallen. Mehr unheimliche Umrisse, die sich vor meinem Blick entziehen wollten. Ich war angespannt bis in den letzten Muskel.
Fünfzehn. Wir waren zu fünfzehnt, doch hier war nur ich und noch einer. Ein einziger.
Nur dieser einer ließ mich meine Unsterblichkeit von der kleinsten Zehe, bis hin zu jedem meiner Härchen spüren. Es war ein viel zu sicheres Gefühl. Doch es war nie gut, wenn einer von ihnen hier war. Sie wussten genau, dass sie mich in Ruhe lassen sollten, dass es mich nicht interessierte. Sie wussten, dass ich mit dem ganzen Scheiß abgeschlossen hatte.
Ich hatte das Gefühl, dass der Schatten sprang, doch das war ein Trugbild. Ich kannte die Stärken meines Gegners. Auch wenn ich nicht wusste wer es war, ich wusste, dass der jene ebenso wie ich einen Dolch besaß, der mich töten konnte, und ich wusste, dass egal wer von den fünfzehn es war, die Gefühle anderer beeinflussen konnte, dass er jemanden nur durch eine Berührung das Leben nehmen konnte und unglaublich geschickt im Umgang von Waffen jeglicher Art war.
Die enge Gasse raubte mir den Verstand. Nie hatte ich verstanden, wie man nur so einen Hang zum Dramatischen haben konnte, dass man sich in so einer kleinen, abgelegenen Gasse traf.
Die Gestalt bewegte sich nun auf mich zu. Langsam geschmeidig. Nicht angespannt. Ich konnte schon förmlich riechen, wie ruhig der jene war, doch ich wusste, sie waren alle sehr gut darin, ihre Gefühle zu überspielen... was dachte ich da bloß von Gefühlen? Sie hatten alle keine, doch ich war nicht viel besser.
„Xenya.", hörte ich eine ruhige, angenehme, aber tiefe, unumstritten männliche Stimme. Doch ich hatte durch die Schatten schon festgestellt, dass eine weibliche Person nicht hier war. Außerdem konnte ich an der Körperhaltung feststellen, dass er ein Einzelgänger war.
Und die Stimme. Natürlich kannte ich sie.
„Azael, mein kleiner Bastardbruder.", ich knurrte leicht, musste aber dennoch gefasst wirken.
Vorsichtig machte ich eine Geste: „Was suchst du hier? Tritt ins Licht, und sei kein Feigling."
Ein dumpfes Lachen drang in mein Gehör und dann tat er einen Schritt hervor: „Ich bin froh, dich gefunden zu haben."
Es wäre mir durchaus neu, dass mich irgendjemand in dieser Familie suchte, ohne mich unserem Vater ausliefern zu wollen. Das war ein Grund, weshalb ich auf der Hut sein musste. Doch gegen Azael kam ich leicht an.
„Würde ich sagen, das Vergnügen ist ganz meinerseits, wäre das eine dreiste Lüge.", stellte ich ehrlich fest und musterte den Mann. Er sah so aus, wie zu dem Zeitpunkt, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Seine Haare waren hellbraun durchgefegt, als wäre er ein kurzhaariger Besen. Aber der Besenlook stand ihm ausgezeichnet. Seine Augen waren durch und durch dunkelblau, als würde man in ein wildes Meer sehen.
Diese konnte ich, durch das Licht nicht sehen, doch an seine Augen konnte ich mich gut erinnern. Im Gegensatz zu den Meinen waren sie ungestüm und voller Wille. Meine klaren hellblauen Augen, gaben zwar einen wundervollen Kontrast zu meinen glatten, nur leicht gewellten schwarzen Haaren, doch sie mussten wirken, wie die eines Henkers. Tot. Grausam. Traurig.
Er trug einen schicken, aber nicht aufdringlich wirkenden Anzug, der ihm ungemein gut stand. Und wären wir nicht Geschwister, hätte ich ihn als äußerst attraktiv empfunden.
„Du schmachtest mich an, Schwesterchen.", riss er mich sanft, aber belustig aus meinen Gedanken. Auch er hielt seinen Dolch bereit, und wirkte angespannt. Wir trauten uns nicht über den Weg, trotz des guten Gefühls von Macht. Es war gut, angenehm, so als wäre seine Anwesenheit ein Zuhause. Eine Sicherheit.
Alles was ich in Menschen nicht mehr sehen konnte. Früher war uns immer erklärt worden, dass wir zusammen gehörten, eine Einheit waren, doch jeder von uns war seinen eigenen Weg gegangen. Doch nur ich hatte mich von Vater abgewandt.
„Ich gaffe nicht.", regte ich mich auf und hob meinen Dolch an, um mit der Spitze auf den jungen Mann zu zeigen. Die Klinge war gewellt und sah aus wie normaler Stahl, doch sie war härter. Es war mein Blut, das in diesem Stahl zirkulierte. Mein Blut, das mich mit meiner Waffe verband. Der Griff war filigran mit Mustern verarbeitet.
Der Mann gab ein dumpfes Lächeln von sich, das mich erschaudern ließ. Sie... Wir waren alle so. Jeder einzelne von uns. Es lag uns in den Genen.
Dann verstummte sein Lachen in der Dunkelheit und er funkelte mich an: „Gib das Messerchen weg.", Messerchen? Das konnte auch nur von einem meiner Geschwister kommen. Wirklich. Das 'Messerchen', wie er es nannte, hatte eine aus gewelltem Stahl, rasiermesserscharfe Klinge und einen unglaublich elegant verzierten Griff, außerdem war es eine der wenigen Waffen die ihm etwas anhaben konnten.
Ich schnaubte nur auf und verdrehte die Augen: „Ich traue dir genauso wenig über den Weg, wie du mir, Azael."
Er grinste mich spitzbübisch an, machte dann aber eine höhnische Schnute und schmunzelte arrogant: „Ich lege sogar mein Messerchen weg, meine kleine Verräterin."
Abermals kam mir ein ungläubiges Geräusch über die Lippen: „Was willst du von mir, du verdammter Mistkerl?"
„Lass uns etwas essen gehen.", schlug er brüderlich vor, auch wenn mir sein Ausdruck zeigte, dass er einen Hintergedanken hatte: „Ich kenne hier in der Nähe einen tollen Diner."
In einem Diner essen gehen? Ich war oft in Diners aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein lieber Bruder gerne in einen solchen ging. Sein gutes Auftreten und diese Arroganz sprachen einfach dagegen.
Dennoch machte mich genau dieser Fakt neugierig. Was zu meiner Heimat wollte er in einem Diner?
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