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Nina fühlte sich wie damals, als sie mit ihrer Oma auf der Blumenwiese gestanden hatte. Sie kannte Taehyung erst seit wenigen Tagen, doch es kam ihr so vor, als wäre er schon ewig an ihrer Seite. Ihr war bewusst, dass er böse, manipulativ und hinterlistig war, aber er war der Einzige, der in den letzten Tagen bei ihr gewesen war. Sie würde nicht so weit gehen und sagen, dass sie ihn so wie ihre Omi mochte, oder gar liebte. Nein, er war mehr ein Mittel zum Zweck. Und dennoch strahlte sie wie damals auf dem Feld, nur dass sie nun von Menschen anstatt Blumen umgeben war.
Sie rannte lächelnd voraus, warf einen Blick über die Schulter und sah, wie sein belustigtes Grinsen plötzlich verschwand. Bevor sie sich über seine erschrockene Miene, den anbahnenden Zorn in seinen Augen, Gedanken machen konnte, wurde sie von einem maskierten Mann zur Seite gestoßen und schlug hart auf dem Boden auf.
Stöhnend wollte sich Nina aufrappeln, als ein lauter Knall ertönte. Ängstlich zuckte die junge Frau zusammen und hielt instinktiv ihre Hände über den Kopf. Ein Schuss. Am Rande bekam sie mit, wie die Leute um sie anfingen panisch zu kreischen, wie die alte Dame neben ihr hysterisch um Hilfe schrie und sich jeder nur um sich selbst sorgte. Es brach absolutes Chaos aus.
Eine Massenpanik.
Die Angst vor der Waffe, war in den Hintergrund gerückt, als Nina von allen Seiten angrempelt wurde und zurück auf den Boden fiel. Wenn ich nicht aufstehe, dann trampeln die mich zu Tode.
Obwohl die junge Frau jegliche Energie und Kraft in das Aufstehen hineinsteckte, war es schier unmöglich. Niemand beachtete sie, alle sahen über sie hinweg und liefen über ihren kleinen Körper. Schmerz durchzuckte sie, als ein Junge über sie trampelte und seinen Schuh auf ihren Oberkörper stellte, sodass ein ungesundes Knacken ertönte. Die Luft wurde knapp, sie hatte das Gefühl zu ersticken, ehe sie direkt in die schwarzen Augen des Teufels blickte.
Er schaute auf sie herab und streckte seine Hand aus. Stöhnend und ohne zu zögern, griff Nina nach der Hand, welche sie schon so oft berührt hatte. Als sich ihre schwitzigen Finger an seine klammerten, schien alles um sie herum zu erstarren. Es wurde unheimlich still.
"Was passiert hier?", fragte Nina ängstlich, nachdem Taehyung sie mit Leichtigkeit auf beide Beine gezogen hatte. Die vielen Leute um sie herum bewegten sich keinen Zentimeter. Ihre Augen waren weit aufgerissen, man konnte auf ein paar Gesichtern Schweißperlen erkennen und allen war die Angst von weitem anzusehen.
"Was meinst du?", entgegnete Taehyung teilnahmslos, bevor er zuerst über ihren rechten Rippenbogen und anschließend über ihre linke Schulter strich. Die starken Schmerzen verschwanden augenblicklich. "Warum sind alle um uns herum wie erstarrt?"
Der gutaussehende Mann zuckte mit den Schultern, während er den ausgestreckten Arm einer Frau herunterdrückte und sich einen Weg aus der Menge bahnte. "Ich habe die Zeit angehalten." "Sowas kannst du?!", wollte Nina perplex wissen und folgte ihm vorsichtig. Taehyung warf einen raschen Blick über die Schulter und zwinkerte ihr frech zu. "Wenn du wüsstest, was ich alles kann."
Eine Weile lang folgte sie ihm durch die versteinerte Menschenmenge, als Nina Taehyung unerwartet am Ärmel packte. Überrascht blieb er stehen. Niemand fasste ihn an, ohne dass die Berühung von ihm ausging. Die junge Frau schien die Verwirrung zu spüren, denn sie ließ ihn so schnell los wie sie ihn angefasst hatte.
"Warum finden wir nicht einfach den Amokläufer oder was auch immer der Typ ist?", wollte sie wissen, obwohl sie eigentlich so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden wollte. Sie wollte nicht den Helden spielen, aber sie konnte auch nicht die vielen unschuldigen Menschen mit einem bewaffneten Mann alleine lassen. Die haben auch nicht an dich gedacht, als du am Boden lagst, warum sollte ich an sie denken?, dachte Nina zerknirscht, aber verwarf den Gedanken sogleich schon wieder. Der Teufel hatte wohl einen schlechten Einfluss auf sie.
"Es ist nicht meine Aufgabe deine Mitmenschen zu retten.", erwiderte Taehyung kühl, wollte seinen Weg fortsetzten, aber Nina hielt ihn zurück. "Der Typ führt eine Waffe mit sich. Ich glaube nicht, dass er sie nur zum Spaß trägt." Der junge Mann seufzte, drehte sich zu Nina um und verschränkte seine Arme. "Das glaube ich allerdings auch. Wahrscheinlich wird er den einen oder anderen Menschen töten, aber ich kann dir versichern, dass mir nichts weniger wichtig sein könnte."
Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Das konnte nicht sein Ernst sein. Und bevor sie nachdenken konnte, platzten Worte aus ihrem Mund, die sie lieber nicht hätte sagen sollen. "Wie kannst du nur so kalt sein? Wie kann dir das Leben eines Lebewesen egal sein? Du bist ein verdammtes Monster!"
Taehyung sah sie an, seine Miene so ausdruckslos wie eh und je. Diesesmal umspielte nicht das amüsierte Lächeln seine Lippen, welches sein Gesicht so viel attraktiver machte. "Ich bin der Teufel, Nina. Was erwartest du von mir? Was soll ich deiner Meinung nach tun? Die Menschen hier retten? Warum glaubst du, passiert ausgerechnet jetzt ein Amoklauf?!" Die junge Frau schluckte. "Das war keine rhetorische Frage!", fügte Taehyung ungeduldig hinzu. Überfordert zuckte Nina mit den Schultern, ehe sie eingeschüchtert auf den Boden starrte. Sie bereute ihre harten Worte.
"Unglücklicher Zufall?" "Es gibt keine Zufälle. Der Mann unter der Maske spielt schon länger mit dem Gedanken seine Mitmenschen zu töten, was ich ihm nebenbei gesagt, nicht verübel, aber darum geht es nicht. Er hat erst den nötigen Mut aufgebracht, als ich einen Fuß in dieses Kaufhaus gesetzt habe."
Nina starrte ihren Gegenüber nun mit riesigen Augen an. "Immer und zwar wirklich immer, wenn ich an Orte mit vielen Menschen gehe, passiert so etwas. Nicht jeder Mensch ist so zerstörerisch wie der Amokläufer veranlagt, aber ich bringe nunmal das Böse in euch Menschen hervor."
Alles, was er sagte, ergab Sinn. Immer wenn sie mit ihm zusammen gewesen war, war etwas unmoralisches und furchtbares geschehen. Der alte perverse Mann, der Unfall des Mistkerls und nun das.
"Also? Folgst du mir jetzt und rettest dein Leben? Oder willst du lieber in der Massenpanik untergehen und dich in den Tod stürzen?" Nun begannen die Augen des Teufels zu funkeln. Doch es war kein spielerisches, belustigtes oder gar freudiges Glitzern. Nein, er forderte sie heraus, testete sie und wollte ihre Grenzen kennenlernen.
"Du hast das geplant, nicht wahr?", zischte Nina und als sich ein zufriedenes Grinsen auf sein Gesicht schlich, wurde jede Antwort überflüssig. "Ich wollte an einen ruhigen Ort, Schätzchen. Das hier war ganz allein deine Entscheidung."
Sie hasste ihn. Nicht so, wie sie die Männer in ihrem Bett gehasst hatte, sondern eine andere, stärkere Art von Hass. Sie hatte ihm vertraut, Spaß mit ihm gehabt, die gemeinsame Zeit irgendwie genossen. Und nun stand er grinsend vor ihr, nachdem er ihr gesagt hatte, dass sie an dem Tod vieler Menschen Schuld sein würde.
Es wäre ihre Schuld, wenn der Familienvater abends nicht nach Hause kommen würde und seinen Kindern keine Gute-Nacht Geschichte vorlesen konnte. Es wäre ihre Schuld, wenn stattdessen die Polizei vor der Haustür stehen würde und die traurige Nachricht des verstorbenen Mannes überbringen würde.
"Du bist schrecklich.", presste sie hervor, bevor sie sich an ihm vorbeidrängte und den Ausgang des Kaufhauses anpeilte.
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