19
Ninas Augen flogen zu der tickenden Uhr an ihrem Handgelenk. Drei Stunden. Drei Stunden wartete sie nun schon auf ihn. Sie hasste es. Sie wusste nicht wohin sie gehen sollte, wo sie ihn finden konnte. Sie wusste nicht, wie sie ihn erreichen konnte. Sie wusste rein gar nichts. Nachdem er am vorigen Abend einfach verschwunden war, hatte sie nicht schlafen können, so sehr hatte sie sich über sein unhöfliches Verhalten aufgeregt. Sie hatte den ganzen Tag gewartet, dass er sie aufsuchen würde, doch er hatte sich nicht blicken lassen.
Und nun saß sie auf der Bank in dem Park, in dem sie sich das erste Mal begegnet waren. Sie hatte sich dick eingepackt; dieser Wintertag war frostiger und windiger als die vergangenen Tage. Sie hatte zwei heiße Cappuccini gekauft und während ihrer schon längst ausgetrunken war, war der andere mittlerweile eiskalt. Sie konnte ihre Finger nicht mehr an dem warmen Becher wärmen, weshalb ihre Fingerspitzen jeden Moment abzufrieren drohten.
"Willst du mich hier erfrieren lassen?", murmelte Nina frustriert, ehe ihre Augen wieder zu der Uhr ihres Smartphones wanderten. Es war bereits dunkel. Was machte sie hier eigentlich? Warum wartete sie wie eine Verrückte auf den Teufel? Hatte sie nichts Besseres zu tun? Gefühllos lachte die junge Frau auf. Nein, nein, das hatte sie nicht. Sie war schließlich arbeitslos.
Eine ältere Dame in einer pinkenen Daunenjacke, die bereits zweimal an ihr vorbei gegangen war, blieb zögerlich vor Nina stehen. "Kann ich etwas für Sie tun, Schätzchen?", wollte sie einfühlsam wissen, während sie ihre Brille zurecht rückte, um Nina besser sehen zu können.
Hastig sprang Nina auf, schenkte der Dame ein umwerfendes Lächeln und verbeugte sich leicht. "Ich danke Ihnen, aber mir geht es bestens. Ich schätze, man hat mich nur versetzt." Die Alte lächelte zaghaft. "Ich verstehe. Wenn sich die Person nicht gemeldet hat, sollten Sie sie wohl am besten aus Ihrem Leben streichen. Niemand ist es wert, mehrere Stunden in dieser abartigen Kälte zu warten."
Ninas Lächeln verschwand bei jedem ihrer Worte. Die Frau hatte Recht. Niemand, insbesondere nicht der Teufel, war es wert, so lange zu warten. "Ich werde gleich nach Hause gehen, danke." Die ältere Dame nickte und setzte ihren Weg fort. Das Geräusch des knirschenden Kies unter ihren Schuhen verschwand nach wenigen Minuten und Nina war wieder alleine. "Hast du das gehört? Selbst die alte Lady findet dein Verhalten unverschämt.", sagte sie ins Nichts und sah zu, wie heißer Dampf aus ihrem Mund kam.
"Ich wollte nur sehen, wie lange du durchhälst.", ertönte plötzlich eine tiefe Stimme, woraufhin Nina zusammenzuckte. Ihr Blick flog zu ihrer Rechten, wo es sich der Teufel bequem gemacht hatte. Erinnerungen an ihre erste Begegnung kamen hoch, doch es war nicht die Zeit, um sentimental zu werden. "Ich hasse dich.", meinte Nina knapp, bevor sie ruckartig aufsprang und in die Richtung ihrer Wohnung lief.
Sie hörte ein amüsiertes Glucksen hinter sich, ehe er mit großen Schritten hinterher gelaufen kam. "Vielleicht muntert es dich ja auf, dass ich deinen Peiniger gefunden habe." Mit geradeaus gerichteten Blick spazierte Taehyung neben der eben noch fröstelnden, nun vor Zorn schwitzenden, jungen Frau her. Abrupt blieb Nina stehen. Taehyung drehte sich mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen zu der Kleinen, die ihn bereits abwartend ansah.
"Du kennst ihn. Dein Kollege Park Yim.", erklärte Taehyung und bemerkte wie Ninas Augenbrauen überrascht nach oben schossen. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. Der Teufel verfluchte ein weiteres Mal seine Entscheidung, ihr das Perlenarmband gegeben zu haben - zu gerne, hätte er ihre Gedanken hören wollen.
"Warum sollte er das tun? Ich hatte immer das Gefühl, wir verstehen uns ganz gut.", sagte Nina fassungslos. "Bist du sicher, dass du dich nicht irrst." Taehyung verzog gekränkt das Gesicht. "Ich bin der Teufel, ich irre mich nicht."
Nina nickte langsam, ehe sie begann langsam weiter zu laufen. Taehyung folgte ihr verwirrt. "Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Er zeigt deinen Kollegen das versaute Video, blamiert dich vor versammelter Mannschaft, sorgt dafür, dass du gefeuert wirst und das ist deine Reaktion?!" Schweigend zuckte die junge Frau mit den Schultern, während sie angestrengt über etwas nachzudenken schien. "Willst du dich nicht rächen?!"
Ninas eisblaue Augen wanderten zu Taehyung. "Was soll ich deiner Meinung nach denn machen?" Der Teufel schüttelte aufgebracht den Kopf. Das war doch wohl nicht ihr Ernst.
"Ihm Sprengstoff in die Tasche stecken? Ihn betäuben und in Blausäure auflösen?!" "Ich bringe doch niemanden um!", erwiderte Nina fassungslos. "Ich werde ihn zur Rede stellen und dann schauen, was passiert." Der Teufel musterte sie schweigend, bevor er stehen blieb die Hände in die Taschen steckte und die verwunderte junge Frau mit funkelten Augen ansah. "Was ist los? Ich friere mir hier deinetwegen seit Stunden den Arsch ab. Ich habe weder die Zeit noch die Nerven für dein beleidigtes, pubertäres Verhalten."
Taehyungs Mundwinkel zuckten, jedoch war es nicht wie so oft ein freudiges, amüsiertes Lachen, sondern ein grausames, dunkles Grinsen. Ninas genervter Gesichtsausdruck verschwand augenblicklich. "Taehyung, was ist los?", wollte sie zögerlich wissen, während sie langsam auf den Teufel zuging. Kaum stand sie in seiner Reichweite packte er nach ihrem Arm und im nächsten Moment standen sie nicht länger auf dem Kiesweg, sondern vor einer Wohnungstür.
Wütend boxte Nina den Teufel in die Seite. "Ich habe dir doch gesagt, dass du-" Die Haustüre öffnete sich und vor ihnen stand niemand geringeres als Park Yim. Die Augen der jungen Frau weiteten sich und drohten jede Sekunde herauszukullern. Park Yim schien es nicht anders zu gehen, denn er sah Nina erst überrascht, dann ängstlich und dann unsicher an. "Nina, was machst du denn hier?" Ja, was machte sie hier?! Ihre Augen flogen nach rechts - dorthin, wo gerade eben noch der Teufel stand -, aber es war niemand mehr da. "I-Ich weiß nicht-", begann sie stockend.
Yim musterte sie einen Moment ehe er die Tür weiter öffnete und ihr mit einer Geste zu verstehen gab, dass sie eintreten solle. "Wollen wir drinnen weiter reden? Du siehst aus, als würdest du frieren." Lamgsam nickte Nina. Sie hatte ohnehin nicht zwischen Tür und Angel ein solch sensibles Thema ansprechen wollen.
Park Yims Wohnung war klein aber fein. Er schien viel Wert auf die Inneneinrichtung zu legen, denn jedes Zimmer wirkte wie aus einem Möbelhauskatalog entsprungen - mehr aber auch nicht. Nina konnte keine Bilder oder Gegenstände erkennen, die aus der Wohnung ein Zuhause machen würden. Es wirkte kühl und herzlos. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, doch zwang sie sich diesen zu ignorieren.
"Ich wollte gerade zu Abend essen.", erklärte Yim und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Leider kann ich dir nichts anbieten." "Das ist kein Problem, ich habe bereits gegessen.", sagte Nina hastig. Zwar war das Gegenteil der Fall und Nina hatte ein riesiges Loch im Bauch, aber dies würde sie ihn nicht wissen lassen. "Was führt dich denn zu mir?", wollte Herr Park lächelnd wissen. "Wenn es länger dauert, würde ich mir mein Essen holen." "Es dauert nicht lange.", entgegnete Nina und setzte ein gezwungenes Lächeln auf, während sie sich beide auf die äußerst bequeme Ledercouch niederließen.
"Was liegt dir auf dem Herzen?", begann Yim und lächelte die junge Frau freundlich an. Er hatte sich direkt neben sie gesetzt, sodass sie schon seinen heißen Atem spüren konnte. Zu blöd, dass sie sich an das Ende des Sofas gesetzt hatte und daher nicht ausweichen konnte, ohne aufzustehen und unhöflich zu wirken. Ihr wurde schlecht.
"I-Ich habe gehört-", Nina stockte und holte tief Luft. "Ich habe gehört, dass du das gewesen bist." Es war nicht nötig zu sagen, wovon sie sprach. Anhand Park Yims Mimik erkannte sie, dass er genau wusste, um was es ging. Und noch bevor er den Mund aufmachte, hatte Nina die Bestätigung - der Teufel hatte Recht gehabt. In Parks Augen spiegelte sich zunächst Schock wieder, der jedoch schnell einem selbstsicheren Grinsen wich.
"Welches Vögelchen hat dir denn das gezwitschert?" Fassungslos klappte Ninas Kinnlade herunter. Er versuchte es nicht einmal zu leugnen. Sie sprang auf und ehe sie sich versah, hatte sie ihm eine saftige Ohrfeige verpasst. Der Kopf des Mannes flog zur Seite und Nina sah, wie sich ein roter Abdruck auf seiner Wange abzeichnete. "Warum hast du das getan?! Ich dachte, wir wären Freunde!" Das stimmte. Nachdem Nina neu in der Firma angefangen hatte, hatte Park Yim ihr als einer der Ersten das 'Du' angeboten - in Korea, wo Formalitäten streng genommen wurden, eine äußerste Seltenheit.
"Freunde?", Yim lachte herzlos auf. "FREUNDE?!" Seine Stimme wurde immer lauter. "Du hast mir mehrmals einen Korb gegeben? Machen das etwa Freunde?" Er war ebenfalls aufgesprungen, stand nun direkt vor ihr und ballte die Hände zu Fäusten. Park Yims Augen funkelten wütend und Nina spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Ihr war plötzlich klar, was er meinte. Sie hatte seine Essenseinladungen abgelehnt - nicht weil sie ihn hatte zurückweisen wollen, sondern weil sie keine Kraft gehabt hatte, mit jemandem Essen zu gehen. Sie hatte nach einem anstrengenden Tag im Büro doch einfach nur nach Hause gewollt.
"D-Das wollte ich nicht.", presste Nina zögerlich hervor, während sie versuchte, etwas Platz zwischen ihnen zu gewinnen. Doch Yim hatte andere Pläne, denn er packte sie am Handgelenk und schubste sie grob auf die Couch. "Du kannst es wieder gut machen."
Nina schüttelte wild den Kopf, wollte aufspringen, jedoch war der dünne Mann überraschend stark und drückte sie zurück auf das Sofa. Nein. In den Augen der jungen Frau sammelten sich Tränen. Sie wollte das nicht. Nicht schon wieder. Wo war Taehyung, wenn sie ihn brauchte?!
Blitzschnell und wie in Trance schnellte Ninas Hand zu der auf dem Sofatisch stehenden dunkelblauen Vase. Ehe sie sich versah, zersprang das dicke Porzellan in tausend Scherben und Park Yims Körper sackte auf ihren.
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