1
Lachend rannte Nina über die saftig grüne Wiese. Ihr hellbraunes welliges Haar wehte ihr ins Gesicht, während sie mit der Sonne um die Wette strahlte.
"Nina!", rief ihr eine Frau mit grauen kurzen Haaren hinterher, doch das Mädchen wollte nicht hören. "Schau mal, Omi! Hier wachsen deine Lieblingsblumen!", schrie sie lächelnd und zeigte auf eine Sonnenblume neben sich.
Die Lippen der alten Frau formten sich zu einem breiten Lächeln, ehe sie zu ihrer Enkelin lief. "Du benimmst dich wie die zehnjährige Nina, obwohl du doch schon 23 Jahre alt bist.", stellte sie amüsiert fest, bevor sie sich bei der jungen Frau einhakte.
"Ach, Omi.", erwiderte Nina zögerlich, drückte den Arm ihrer Oma fest und lehnte sich zu ihr. "Ich werde das hier vermissen." Die Freude in ihrem Gesicht, war einem traurigen fast nostalgischen Blick gewichen. Ihre großen blauen Augen waren auf die Sonnenblume gerichtet, welche bereits ihren Kopf hängen ließ und Blätter verlor.
"Hör doch auf!", entsetzt löste sich die alte Frau von dem Griff ihrer Enkelin und schaute ihr tief in die Augen. "Du benimmst dich ja so, als würden wir uns nie wieder sehen! So alt bin ich jetzt auch wieder nicht!" Nina lächelte verlegen, strich sich die Haare aus dem Gesicht und zeigte auf einen Zitronenfalter, der auf der Sonnenblume gelandet war. "Wenn ich mich so gut um dich kümmere, wie der Schmetterling um die Sonnenblume, dann werden meine Kinder dich auch noch kennenlernen."
"Willst du mir etwas sagen, Nina?", fragte die grauhaarige Frau lachend, während sich ihre Enkelin fest an sie drückte. "Sag bloß, du hast einen hübschen Koreaner kennengelernt!"
Grundlos verfärbten sich Ninas Wangen rosa. "Als ob ich einen Mann kennenlernen würde.", sagte sie und blickte zur Seite. "Ich gebe aber mein Bestes!"
Die Großmutter der jungen Frau lächelte gütig und strich Nina sanft über die weichen Haare. "Lass dir ruhig Zeit. Du wirst schon den Richtigen finden. Und wenn es soweit ist, dann möchte ich noch meine Großenkel kennenlernen!"
Nina warf den Kopf in den Nacken und lachte befreiend los.
In weniger als 24 Stunden würde sie wieder in dem Flugzeug nach Korea sitzen. Seit beinahe zwei Jahren lebte sie nun schon in Seoul. Sie hatte Grafikdesign studiert und die letzten zwei Semester in der Hauptstadt von Südkorea verbracht. Nun arbeitete sie in einer koreanischen Firma für Hautpfelge und entwarf Produktdesigns.
"Natürlich.", entgegnete Nina und zog ihre Oma in eine feste Umarmung.
Erschrocken schnappte Nina nach Luft, während Tränen über ihre Wangen rannten. Schluchzend wischte sie diese mit ihrem Handrücken weg. Schon wieder hatte sie von ihrer Oma geträumt. Als sie in dem Flieger gesessen hatte, hatte ihre Großmutter einen Herzinfarkt bekommen und die junge Frau war nicht erreichbar gewesen. Erst als sie nach fast 13 Stunden Flug gelandet war, hatte sie die vielen Nachrichten ihrer Familie gesehen. Ab diesem Moment hatte sich ihr Leben um 180 Grad gedreht.
"Hey, alles gut bei dir?", ertönte eine tiefe Stimme, welche sie zusammenzucken ließ. Ihr Blick fiel auf den Mann, der neben ihr lag und sie irritiert ansah.
Ohne ihm zu antworten, legte sie sich wieder hin und drehte dem Mann neben sich den Rücken zu. Sie wusste nicht, wer er war, was er machte oder warum er trotz Ehering neben ihr lag. Sie hasste ihn dafür, dass er seine Frau oder seinen Mann betrog und dass er so tat, als würde er sich Sorgen um sie machen. Aber noch mehr hasste sie sich selbst.
"Vielleicht sollte ich dich etwas aufmuntern.", flüsterte er und Nina spürte, wie er seinen Körper an ihren Rücken presste.
"Hör bitte auf.", meinte sie müde, doch sie klang alles andere als überzeugend. "Ach, komm schon. Du willst es doch auch."
Ja, genau, dachte die junge Frau erschöpft. Sie schlief mit fremden Männern, weil sie es wollte.
"Ich bin müde.", versuchte sie es erneut, doch er hatte bereits seine Hände an ihre Brust gelegt und küsste ihren nackten Hals.
Nina schloss ihre Augen, als sie spürte wie Tränen aus ihnen hervorquollen. Sie hasste es sich zu prostituieren, aber nach dem Tod ihrer Oma, war eine Welt für sie zusammen gebrochen. Sie war in ein Loch von Dunkelheit und Trauer gefallen. Das Verhältnis zwischen Oma und Enkelin war ein ganz besonderes gewesen, welches sich nicht in Worte fassen ließ. Irgendwie musste sie nun diese innere Leere füllen. Doch was Nina nicht begriff, war, dass sie Nächte wie diese nur noch weiter in die Dunkelheit zogen.
"Hör verdammt nochmal auf!", schrie sie, nachdem seine Hände immer tiefer gerutscht waren. "Ich habe gesagt, dass ich nicht will!"
Der Mann setzte sich auf und starrte sie wütend an. "Wie, du willst nicht?!", zischte er gereizt. "Als ob du irgendwas zu sagen hast, du kleine Schlampe! Ich setzte hier meine Ehe aufs Spiel, damit ich es dir ordentlich besorgen kann und du stellst dich so an!"
Fassungslos schaute sie zu ihm hinauf. Jetzt machte er sie auch noch dafür verantwortlich, dass er seinen Partner betrog?! "Raus.", befahl sie ruhig, doch der Mann machte keine Anstalten zu gehen. "Vergiss es! Ich bekomme schon das, was ich will!" Und mit diesen Worten legte er sich über sie und begann sie zu küssen. Nina versuchte sich zu wehren, tritt und schlug um sich, doch der Mann war nicht nur kräftiger, sondern auch willensstärker. Denn nach wenigen Minuten hatte die junge Frau aufgegeben und ließ alles über sich ergehen.
Ihr ganzer Körper schmerzte und dennoch wollte sie nicht in ihrer Wohnung bleiben - nicht solange er noch dort war. Wenn dieser Mistkerl nicht gehen wollte, würde sie halt gehen. Ohne Jacke und ohne Tasche lief sie durch die Millionenstadt. Seoul war nachts genauso lebendig wie tagsüber, weshalb Nina nicht besonders ausffiel.
Mit gesenktem Kopf trugen sie ihre Füße in einen kleinen Park. Er war leer und nur spärlich beleuchtet. Erschöpft ließ sich die junge Frau auf einer Parkbank nieder und schloss die Augen. Wie tief konnte man sinken? Wie lange würde sie noch wie der letzte Dreck leben?
"Entweder bist du dumm oder komplett besoffen, dass du dich hier alleine hintraust.", ertönte plötzlich eine tiefe Stimme, welche Nina zusammenzucken ließ. Sie öffnete ihre hübschen, großen Augen und sah den ganz in schwarz gekleideten Mann neben sich an.
Sie kniff die Lider zusammen, doch es war zu dunkel, um mehr als seine Umrisse erkennen zu kennen. "Weder noch.", antwortete sie, obwohl sie genau wusste, dass man solchen Gesprächen lieber aus dem Weg gehen sollte. Aber was hatte sie noch zu verlieren? Was sollte er schon mit ihr machen? Sie vergewaltigen? Das war für die junge Frau nichts neues. Sie umbringen? Nun, sie würde sich nicht groß wehren. "Ich bin einfach nur verzweifelt."
Der Mann stieß ein tiefes, raues Lachen aus. "Stimmt, so siehst du aus.", gluckste er amüsiert, bevor er sich näher zu ihr lehnte. Überrascht wich Nina zurück und starrte ihn irritiert an. Sein Gesicht war vielleicht dreißig Zentimeter von ihrem entfernt, sodass sie ihn nun einigermaßen gut erkennen konnte. Und verdammt, er sah gut aus. Er hatte markante und dennoch weiche Gesichtszüge, seine Lippen waren perfekt geschwungen und seine Augen waren so schwarz wie die Nacht.
Eingeschüchtert drehte sie sich von ihm weg. "Komm mir nicht zu nah.", meinte sie bestimmt, doch die Unsicherheit in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
"Keine Sorge, Kleine.", erwiderte der mysteriöse Mann amüsiert. "Du bist nicht mein Typ."
Für eine Sekunde weiteten sich Ninas Augen, ehe sie verachtend die Luft ausstieß. Warum sonst hatte er sich neben sie gesetzt?!
"Ich bin seit Stunden auf den Beinen, du glaubst nicht wie ermüdend der heutige Tag war.", sagte der Mann, so als hätte er ihre Gedanken lesen können. Stöhnend legte er den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit den Händen durch das dichte, schwarze Haar. Nina schluckte und sah schnell weg.
"Dann solltest du in deinem Bett liegen und nicht auf einer Parkbank sitzen.", entgegnete Nina sachlich, bevor sie aufstand und nach Hause gehen wollte. "Und sprich nachts nicht einfach so Frauen an. Da fühlt man sich nicht unbedingt sicherer." Ohne seine Antwort abzuwarten lief sie los. Doch nach wenigen Metern, hörte sie wie er aufsprang und der Kies unter seinen Schuhen knirschte.
"Du wirkst nicht so, als hättest du vor mir Angst.", stellte er nüchtern fest, während er neben ihr her lief. Nina schnaubte sarkastisch auf und blieb stehen. "Natürlich habe ich Angst vor dir. Aber wenn du wüsstest, was für ein Leben ich lebe, wäre es dir ebenfalls egal."
Der Mann sah sie einen Moment schweigend an, ehe er einen Schritt auf sie zuging. "Du wirkst so kaputt, Kleine. Ich bin zwar sonst nicht so großzügig, aber ich möchte dir ein Geschenk machen."
Nina blickte abwertend zu dem Fremden hinauf. Es gab eindeutig zu viele seltsame Menschen.
"Nein, danke." Sie wollte sich von ihm abwenden, doch er griff nach ihrem Handgelenk. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Ihr Blick war auf seine große Hand gerichtet, woraufhin sie hätte anfangen können zu heulen. Nicht schon wieder.
Allerdings hatte der Mann keine verwerflichen Absichten mit ihr vor und ließ sie sofort los, nachdem er ihren Gesichtsausdruck gesehen hatte. "Es verletzt mich, dass du so etwas von mir denkst.", durchbrach er die spannungsgeladene Stille mit einem Grinsen auf den Lippen. "Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht mein Typ bist."
Schnell atmend wandte sich Nina zu dem verboten gut aussehenden Mann. "Was willst du dann von mir? Warum folgst du mir?!", rief sie, während Tränen über ihr hübsches Gesicht flossen. Jeder hätte bei ihrem Anblick, wenn auch nur den Anflug eines schlechten Gewissens bekommen. Doch nicht der mysteriöse Mann. Seine Augen waren so kalt und unberührt wie Eis.
"Ich möchte dir nur einen Wunsch erfüllen, Kleine."
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