여섯
Iseul stolpert einige Schritte durch die Innenstadt, den Blick stur geradeaus gerichtet.
Sie wirft ein paar Münzen in den Hut vor dem Bettler von vorhin und verbeugt sich lächelnd, als sie das Strahlen auf seinem Gesicht wahrnimmt, das ehrlicher nicht hätte sein können.
Die Mimik anderer Menschen verrät ihr so viel und fasziniert sie.
Iseul schlendert weiter und wirft ab und zu immer wieder einen Blick in die großen Schaufenster.
Die Leute, die an ihr vorbeihetzen, ignorieren alles und jeden und scheinen es so eilig zu haben, dass sie nicht einmal einen Blick nach rechts oder links riskieren.
Sie blenden ihre Umwelt komplett aus, sind gefangen in ihrer Gedankenwelt, die vermutlich größtenteils von ihrer Arbeit beschlagnahmt wird.
Ihre Schritte werden langsamer, bis sie plötzlich vor einem der riesigen Schaufenstern zum Stehen kommt.
Ihr Blick wandert über die vielen verschiedenen Schaufensterpuppen mit bunten Klamotten und sie kann nicht anders, als an sich selbst hinunterzuschauen.
Iseul trägt schwarz und grau. Nur wenige ihrer Klamotten sind wirklich farbenfroh und wenn sie mal etwas Farbiges anzieht, kombiniert sie es fast immer mit einer schwarzen Jeans oder einer dunklen Lederjacke.
Würde sie mehr auffallen, wenn sie wie die anderen etwas Farbigeres anziehen würde?
Möchte sie überhaupt auffallen, die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen?
Unschlüssig betritt sie das kleine Geschäft und lässt ihren Blick über die vielen verschiedenen Klamotten wandern, die feinsäuberlich gefaltet auf den Regalen liegen und nur darauf warten, anprobiert zu werden.
@ ma-seokjin
Hast du schon etwas
gefunden?
@ morgentau-
Nein, ich schaue
mich nur um.
@ ma-seokjin
Und das nennst du
Shoppen?
@ morgentau-
Vielleicht kaufe ich
ja noch was, wer
weiß.
Iseul steckt ihr Handy wieder weg, als sie eine hochgewachsene Frau vor sich erkennt, die auf sie einredet und dabei wild mit den Armen gestikuliert.
Auf dem Gesicht der Frau macht sich ein genervter Gesichtsausdruck breit und Iseul muss unwillkürlich schlucken.
Ihr ist klar, dass die Frau vielleicht ihre Hilfe angeboten hatte, denn sie trägt ein Schildchen, dass zeigt, dass sie Angestellte in dem Geschäft ist.
Mit zittrigen Händen zeigt sie auf ihre Ohren und formt dann mit ihren Händen ein Kreuz, während sie immer wieder heftig den Kopf schüttelt.
Sie hasst es anderen Menschen von ihrer Beeinträchtigung zu erzählen, aber manchmal ist es eben notwendig, so wie gerade eben.
Die Frau scheint sie nicht zu verstehen, oder nicht verstehen zu wollen.
Sie dreht sich ruckartig um und stolziert in ihren hohen Schuhen an ihr vorbei, um einem neuen Kunden behilflich zu sein, der wenige anstrengend, als sie selbst ist.
Iseul ist sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen oder ob sie eher niedergeschlagen sein sollte.
Plötzlich nicht mehr ganz so gut gelaunt, verlässt sie den Laden eilig und stürmt durch die Innenstadt zurück zur Bushaltestelle.
Heute war wohl nicht ihr Tag.
@ ma-seokjin
Zeig mal her, was
du dir Schönes
gekauft hast!
@ morgentau-
Ich habe mir nichts
gekauft.
@ ma-seokjin
Du hast das ernst
gemeint?
@ morgentau-
Natürlich.
Iseul fühlt sich wie gelähmt. Ihre Beine sind schwer und es fühlt sich an, als würde sie durch tiefes Wasser waten.
Es dauert gefühlte Ewigkeiten, bis sie die großen Betonbauten mit ihren riesigen Werbewänden hinter sich lässt und endlich wieder an der Bushaltestelle ankommt.
Erschöpft lässt sie sich in den hintersten Sitzreihe des Busses nieder und lehnt ihren Kopf gegen die kühle Scheibe.
Als ihr Handy vibriert, zuckt sie erschrocken zusammen.
In der Hoffnung, dass es Seokjin ist, beeilt sie sich das Handy zu entsperren, seufzt aber enttäuscht, als sie den Namen des Absenders entziffert.
Hana.
@ h4hana
Du wirst nicht
glauben, wen ich
gerade gesehen habe.
@ morgentau-
Wen?
@ h4hana
BTS !!!11!!!
Iseul muss schmunzeln. Sie weiß, dass Hana sich für die siebenköpfige Boygroup begeistert.
Und sie freut sich für das blonde Mädchen.
@ h4hana
Ich war auf dem Weg
zu einer Freundin und
dann war da diese
riesige Menschenmenge!
@ h4hana
ISEUL!!
@ h4hana
Sie sahen sooo
gut aus!
@ morgentau-
Ich freue mich für
dich.
@ h4hana
Das nächste Mal,
mache ich Fotos!
@ h4hana
Ich war so geschockt.
Ich habe nicht einmal
an Fotos gedacht!!
@ morgentau-
Beim nächsten Mal
klappt es bestimmt.
Fighting!
Schon etwas besser gelaunt, möchte Iseul ihr Handy wieder wegstecken, als es erneut vibriert und ihre eine neue Nachricht verkündet.
@ ma-seokjin
Bist du noch in
der Stadt?
@ morgentau-
Wieso?
@ ma-seokjin
Hm. Vielleicht ist
zufälligerweise eine
gewisse Person auch
gerade in der Stadt. ;)
@ morgentau-
Tut mir Leid. Ich
sitze im Bus, um
nach Hause zu fahren.
@ ma-seokjin
Hm. Schade. :c
Hätte Seokjin sich mit ihr treffen wollen?
Iseul muss bei dem bloßen Gedanken daran schlucken.
Es ist nicht so, dass sie ihn nicht treffen möchte, viel mehr so, dass sie Angst vor seiner Reaktion hat.
Viele kommen mit ihrer Einschränkung überhaupt nicht klar, abgesehen davon, dass Seokjin nicht einmal etwas von ihrer Einschränkung weiß.
Iseul begegnet oft mitleidigen Blicken, wenn andere Menschen von ihrer Einschränkung erfahren.
Die Leute versuchen laut und deutlich zu sprechen, aber sie verstehen nicht, dass Iseul es auch dann nicht hören kann.
Und das ist das allerletzte, was sie sich von Seokjin wünscht.
Iseul möchte einfach nur verstanden werden.
@ morgentau-
Vielleicht ein
anderes Mal.
@ ma-seokjin
Ja, ein anderes
Mal.
Iseuls Hände zittern, als sie die Nachricht liest.
Es wird kein anderes Mal geben.
Sie fühlt sich wohl in der Rolle, die sie in diesem Chat spielt, so ganz ohne irgendwelche Einschränkungen.
Und das möchte sie nicht sofort wieder wegwerfen.
Sie steckt ihr Handy weg, als der Busfahrer an der letzten Haltestelle halt macht und steigt gedankenverloren aus.
Iseul denkt nicht einmal mehr daran, dem Busfahrer ein freundliches Lächeln zu schenken und insgeheim hofft sie, dass er es ihr nicht böse nimmt.
Sie redet sich ein, ein wenig Zeit für sich zu brauchen, dabei besteht ihr ganzes Leben bereits aus Zeit für sich selbst.
Als sie die Türschwelle in ihr Zuhause übertritt, wird ihr mulmig.
Das hier ist ihr Zuhause, es sollte ihr Rückzugsort sein, sie sollte sich wohlfühlen.
Stattdessen hat sie das Gefühl eingeengt zu sein, als würden die Wände immer weiter auf sie zukommen, ihr persönliches, kleines Gefängnis. Das Gefängnis der Einsamkeit und der Lautlosigkeit.
Still, stiller, am stillsten...
•••
[ 1013 Wörter ]
A/N: Hey, Leute. Eigentlich bin ich mit diesem Kapitel ziemlich zufrieden.
Und wisst ihr was das Tollste ist?
Ab Freitag sind Ferien. Dann habe ich mehr Zeit zum Schreiben!
- Annika.
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