Leseprobe Kapitel 2
Sophia
Durst überstrahlte all meine Gefühle, so etwas wie Schmerz empfand ich nicht einmal. Dabei müsste ich welchen spüren. Schließlich war ich aus einem Fenster gefallen – daran konnte ich mich erinnern, an den Aufprall nicht mehr.
Etwas passierte mit meinen Zähnen, Speichel sammelte sich in meinem Mund. Ich rang den Ekel nieder, den ich bei dem Gedanken verspürte, gleich das Blut eines fremden Menschen zu trinken. Der Geruch von Plastik drang in meine Nase, dann biss ich in den Beutel hinein. Ich schloss die Augen, saugte vorsichtig. Kühle Flüssigkeit benetzte meine Zunge. Eine Geschmacksexplosion ließ mich innehalten. Das Blut schmeckte fantastisch, eine Spur nach Schokolade, aber auch herb wie Kaffee. Ein leicht metallischer Geschmack überlagerte alles, war dabei nicht unangenehm. Ein Brennen kitzelte meine Kehle und zwang mich dazu, heftiger zu saugen. Der Beutel zwischen meinen Fingern leerte sich nach und nach, wurde immer flacher, bis nichts mehr herauskam. Ich öffnete die Augen und starrte auf meine Hände. Das Plastik schimmerte im Schein des Mondes, der Beutel war bis auf den letzten Tropfen leer. Zwei Einstichstellen zeugten von meinen spitzen Zähnen – Vampirzähnen.
Erschrocken warf ich den Blutbeutel von mir. Er fiel auf den Tisch, rutschte bis zu Damian hinüber. Der Vampir, der mich damals im verlassenen Einkaufszentrum mit seinem Biss gerettet hatte. Hatte er es erneut getan? Mich gerettet? Dieses Mal jedoch mehr als unfreiwillig.
»Jetzt, da du satt bist, sollten wir vielleicht noch einmal sprechen.«
Ich hob den Kopf, um ihn anzusehen. Er stand im Schatten, sodass ich nur seine Silhouette erkennen konnte. »Ich wüsste nicht, worüber.« Ich reckte das Kinn, wollte ihm nicht zeigen, wie es in meinem Inneren aussah.
Ein Kichern drang zu mir herüber. Damian beugte sich vor, stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab. Ein Mondstrahl traf sein Gesicht und ich konnte seine glühend roten Augen erkennen. Der Anblick schickte einen Schauer über meinen Rücken, erinnerte mich an den Tag im Einkaufszentrum, wie er einfach drei Menschen vor meinen Augen ermordet hatte.
»Warum traut ihr euch hierher? Sind es wirklich die Tagebücher oder sucht ihr etwas anderes?« Er verengte die Augen.
Ein unangenehmer Druck entstand in meiner Brust. Ich wollte ihm an den Kopf werfen, dass ihm das nichts anging, aber ich konnte nicht. Die Wahrheit drohte mir, über die Lippen zu schlüpfen, weshalb ich sie verzweifelt zusammenpresste.
Ein schiefes Grinsen teilte seinen Mund und ließ die weißen Zähne hervorblitzen. In seinen Augen funkelte es. »Sprich!«
Der innere Druck wurde schlimmer und ich konnte nicht länger stumm bleiben. Ich setzte zum Sprechen an, hatte schon die Wahrheit auf der Zunge, dann lenkte ich schnell um. »Und was sollte das sein?« Die Worte platzten aus mir heraus, während ich heftig den Atem ausstieß. Was war los mit mir? Sonst war ich doch auch immer tough und konnte mich gegen solche Arschlöcher wie Damian durchsetzen. Stattdessen bedrängte mich das Verlangen, jedem seiner Worte Folge zu leisten.
»Vielleicht eine Möglichkeit, euch an mir oder Quinton zu rächen? Schließlich hat er nicht nur die Vampirjäger auf euch gehetzt, sondern auch mich.« Seine rechte Augenbraue wanderte nach oben, berührte beinahe seine blonden Haarspitzen, die in die Stirn fielen.
»Pf, du denkst kleinlich. So eine große Rolle nehmt ihr nicht mehr in unserem Leben ein«, erwiderte ich schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich freute mich, wieder die Kontrolle über meine Zunge zu haben.
»Nicht mehr?« Erneut lächelte er breit, sah dabei verdammt gefährlich aus. Dann wurde sein Ausdruck wieder dunkel, das Grinsen verschwand. »Was ist es dann? Was steht in diesen Tagebüchern?«
Ich biss mir auf die Unterlippe, kämpfte gegen den Drang an, sofort drauf loszureden. Zu meinem Glück hatte ich selbst keine Ahnung, was für Informationen in diesen Büchern standen. Brünhild hatte vor ihrem Tod bloß erwähnt, dass es mehr gebe und sich darin ein Hinweis auf die Prophezeiung verberge. Die Prophezeiung, die Asrath zum ersten Vampir gemacht und die Brünhild ein so langes Leben geschenkt hatte.
»Also?« So schnell, dass er vor meinen Augen verschwamm, umrundete er den Tisch und trat an meine Seite. Ich wich zurück, doch er stellte sich vor mich, legte beide Hände auf die Tischplatte und hielt mich so an Ort und Stelle. Sein Gesicht kam meinem unangenehm nah und ich wich automatisch zurück, sodass sich die Tischplatte in meinen Rücken bohrte. »Was steht in den Büchern? Sag es mir!«, knurrte er.
Ich schluckte. Er wirkte in diesem Moment so gefährlich wie ein wildes Tier. Erneut schnürte der Druck meine Brust ab, zwang mich dazu, die Wahrheit zu sagen. Bevor ich den Mund öffnen konnte, um zu antworten, legte sich eine Hand um meinen Hals und er drückte zu. Obwohl ich nicht zu atmen brauchte, schmerzte es. Ich hatte keinen Zweifel, dass er mir mit einem Handgriff das Genick brechen konnte. Zwar waren Vampire zäher als Menschen, doch ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er seinen Begleiter mit bloßen Händen getötet hatte. Er packte noch fester zu, sodass bloß ein Krächzen aus meinem Mund kam. Als er bemerkte, dass ich ihm antworten wollte, lockerte sich sein Griff. Endlich konnte ich Luft holen, um zu sprechen. »Es geht um die Prophezeiung«, flüsterte ich rau. Wütend über mich, dass ich so einfach mit der Wahrheit rausgerückt war, zog ich die Brauen zusammen.
Damian verengte die Augen, musterte mich. »Das hat Loan schon behauptet, bevor er Oswin aus dem Fenster geworfen hat. Noch etwas?«
Ich überlegte fieberhaft, rollte einen Gedanken in meinem Kopf hin und her. Mir war schon länger aufgefallen, dass sich die Prophezeiung nicht wie eine verhielt. Normalerweise warnten sie vor etwas oder verbargen die Rettung in ihren verschlungenen Worten. Aber diese Prophezeiung war anders.
»Es ist ein Fluch«, wisperte ich, sprach das erste Mal meine Vermutung aus.
Damian lachte auf. »Also so schlimm kann meine Anwesenheit für dich nicht sein. Ich bin seit Kurzem ein Ältester, und viele Vampire würden dafür töten, dass ich ihre Nähe suche.«
Ich schüttelte den Kopf, er hatte mich falsch verstanden. »Nein, der Vampirismus ist ein Fluch.«
Die Hand verschwand von meinem Hals und der ehemalige Hüter trat einen Schritt zurück. Auch wenn es nicht nötig war, holte ich tief Luft. Die Erleichterung, die ich sonst bei jedem Zug verspürt hatte, blieb aus. Es war faszinierend und erschreckend zugleich, dass ich nun ohne Sauerstoff überleben konnte.
Stumm starrte mich Damian an, seine Augen ruhten auf meinem Gesicht, schienen durch mich durchzusehen.
Ich rieb mir den Hals und fragte mich, ob ich einen Bluterguss zurückbehalten würde. Aus einem Instinkt heraus legte ich Zeige- und Mittelfinger an mein linkes Handgelenk. Das Ergebnis sollte mich nicht erschrecken, tat es aber doch: Ich hatte keinen Puls. Ich war sprichwörtlich ... oder doch eher wortwörtlich tot?
Mit einem Mal erwachte der Älteste wieder zum Leben und trat mit erhobenem Finger auf mich zu. »Das soll heißen, es gibt nicht nur ein Heilmittel, das jeden Vampir in einen unsterblichen Menschen verwandelt und seine Geliebte gleich mit, sondern auch den gesamten Vampirismus beendet?« Ich konnte die Tonlage in seiner Stimme nicht deuten. Sie war eine Mischung aus Wut, Argwohn und ... Furcht?
»Genau kann ich es nicht sagen. Wir haben die Tagebücher ja noch nicht gefunden.«
Erneut verfiel er ins Grübeln, senkte den Kopf.
Während er abgelenkt war, blickte ich mich um. Die Küche sah genauso aus, wie Loan und ich sie vor wenigen Stunden betreten hatten. Der Ausgang lag direkt vor mir, wenn ich schnell genug war, könnte ich ...
»Und ihr wollt den Fluch brechen?« Damians Stimme riss mich aus meinen Fluchtplänen.
Mein Kopf ruckte zu ihm und ich starrte ihn aus großen Augen an. »Das ... kann ich gar nicht genau sagen. Aber wir haben Brünhild versprochen, die Tagebücher zu suchen und Quinton zu entmachten. Er ist es, der die Vampire davon abhält, wieder ein glückliches menschliches Leben zu führen.«
In Damian arbeitete es, das konnte ich daran sehen, dass sein Kiefer mahlte. »Okay, wo sollen diese Bücher sein?«
»In der Bibliothek«, schoss es aus meinem Mund wie aus einer Pistole. Perplex schlug ich meine Hände vors Gesicht. Warum war ich zu so einem Plappermaul verkommen? Konnte ich denn nichts für mich behalten? Damian musste bloß eine Frage stellen und die Antwort sprudelte nur so aus mir heraus.
»Gut, dann lass uns direkt anfangen.«
Ich hätte nicht gedacht, dass mich heute noch etwas überraschen konnte, aber Damian hatte es gerade getan. Mir fiel die Kinnlade hinunter. »Du willst mir helfen?«
Ein falsches Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Wenn ihr Quinton aus dem Weg räumen wollt, bin ich dabei.«
Skeptisch kniff ich die Augen zusammen. Dass er eigene Pläne hatte, las ich ihm an der Nasenspitze ab. Aber vielleicht war eine vorübergehende Zusammenarbeit keine schlechte Idee. So lange, bis ich Loan wiedergefunden hatte. Loan! Wo war er bloß?
»Ich bin unter einer Bedingung damit einverstanden.« Ich reckte das Kinn. Schweigend sah mich Damian an, sein Gesicht eine ausdruckslose Maske. »Ich möchte wissen, was du mit Loan gemacht hast. Ist er noch hier?«
Wieder zupfte ein Lächeln an seinem Mundwinkel. »Ich sagte doch, dass er in den Wald geflohen ist.«
»Das glaube ich dir nicht! Was hast du mit ihm gemacht?«
Ein dunkles Lachen drang aus seiner Kehle. »Wenn du mir das schon nicht glaubst, wirst du die Wahrheit erst recht nicht ertragen.«
»Wieso?«
»Weil du es mir ebenfalls nicht glauben würdest.« Er lächelte mich schief an.
Verwirrt blinzelte ich. »Was meinst du damit?«
Er lachte auf, nahm sich den Hut vom Kopf und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Damit meine ich, dass die Prophezeiung wohl mehr beinhaltet als ein Happy End.«
Mir gefiel nicht, dass er in Rätseln sprach. Daher machte ich einen Schritt auf ihn zu und pikste ihm mit meinem Zeigefinger in die Brust. »Sag schon!«
Damian sah auf mich herab. Es wurde mucksmäuschenstill zwischen uns. Nur das Ticken der Küchenuhr, die ich erstaunlich laut wahrnahm, störte die Ruhe. Langsam neigte er den Kopf, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. »Na schön, du wolltest es so. Dein Freund hat sich verwandelt. In einen Werwolf.«
»In einen Werwolf?« Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Wollte er mich verarschen? Schlussendlich platzte Gelächter aus mir heraus, das mir die Tränen in die Augen trieb. Ich konnte mich nicht mehr halten. »Sind wir hier bei Twilight, oder was?«, keuchte ich zwischen zwei Lachanfällen. Ich verlor immer mehr die Beherrschung, da Damian nicht so wirkte, als hätte er einen Scherz gemacht. Das Lachen schlug in Hysterie um, nach kurzer Zeit verstummte es. Ich räusperte mich und setzte neu an: »Du willst mich doch verarschen?« Die Frage war nur halbherzig gestellt.
»Ich wünschte, es wäre so. Dein Freund hat sich einfach die Haut vom Körper gerissen und den guten Oswin – Asrath hab ihn selig – hinter dir aus dem Fenster geworfen. Am Ende war er nackt, hatte am ganzen Körper Fell und eine Schnauze wie ein Hund. Wie ein hässlicher Hund.«
Perplex blinzelte ich. Den Schock musste ich erst einmal verdauen. »Ein Werwolf? Aber er ist doch gar nicht gebissen oder gekratzt worden«, murmelte ich. »Äh, gibt es Werwölfe überhaupt?« Fragend sah ich den Experten für Übernatürliches an. Schließlich zog ich mein bisheriges Wissen bloß aus Hollywoodfilmen.
Ein Grunzen drang aus Damians Brust. »Bis gestern hätte ich über diese Frage gelacht und mich über dich lustig gemacht.« Dann wurde er ernst. »Seit heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
»Wir müssen die Tagebücher suchen, vielleicht steht in ihnen etwas, das uns helfen kann.« Ich nickte energisch, als müsste ich mich selbst von diesem Plan überzeugen. Und so war es irgendwie auch. In der letzten Stunde hatte sich mein Leben um hundertachtzig Grad gewendet. Na gut, eigentlich hatte es schon viel früher angefangen, bergabzulaufen. Schon vor der Entführung durch die Vampirjäger. Vielleicht an dem Tag, als ich Loan das erste Mal begegnet war, in dieser Bar.
»Und was erhoffst du dir?« Damian hob nun beide Augenbrauen.
»Einen Hinweis, die Prophezeiung oder einen Zauber. Keine Ahnung, einfach irgendwas«, stammelte ich. »Also, hilfst du mir jetzt oder nicht?« Meine Entschlossenheit brachte mich dazu, Damian erneut in die Brust zu piksen. Vielleicht lag es daran, dass ich bereits einmal gestorben war und mich nun unbesiegbar fühlte.
Dieses Mal fing er meine Hand ab, packte sie und zog mich an sich heran. Sein Duft nach Rauch und Tannennadeln drang in meine Nase. Mir war bisher nie aufgefallen, wie gut er roch. Augenblicklich versank ich in dem Geruch und starrte zu seinen roten Augen hinauf. Was tat ich da? Ich schüttelte den Kopf, klärte meine Gedanken.
»Wir scheinen ab jetzt Partner zu sein, zumindest für kurze Zeit. Dir sollte jedoch klar sein, dass dir das noch lange nicht die Erlaubnis gibt, mich zu berühren.«
»Dasselbe gilt für dich«, flüsterte ich. Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen, aber irgendetwas brodelte in mir und wollte raus. War es das untote Leben, der Vampir in mir oder das Blut?
Damians Mundwinkel hob sich leicht und er ließ mich los. »Ich mag die neue Sophia, sie hat Biss.« Ich musste ein Lächeln unterdrücken, ich wollte nicht, dass er sah, wie viel mir dieses Kompliment bedeutete. »Na dann komm mit, Kleine.«
»Kleine?« Wütend stemmte ich die Hände in die Hüften, was er nicht mehr sehen konnte, da er mir bereits den Rücken zugekehrt hatte. Über diesen Spitznamen mussten wir unbedingt noch reden!
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