Sonntag - 5.6 - Philosophische Nachtgedanken
In diesem Falle muss ich ein paar Worte vorweg schicken. Namjoon ist für mich ein ganz besonderer Mensch. Wenn ich ihn logisch darstellen will, wie ich ihn wahrnehme, muss ich einfach ein bisschen mit ihm philosophieren. Wer keine Lust auf reine Gedankenspiele und Glaubensfragen hat, kann das Kapitel problemlos weglassen. Es fehlt der Geschichte nichts Wesentliches. - Uuuups - da fällt mir auf, dass da Suizidgedanken erwähnt werden. Das muss ich ja dann auch erwähnen ...
Don't forget - it's fiction!
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Aber Namjoon ist noch nicht fertig.
„Duuu – ich muss sehr viel nachdenken. Wir haben uns ja gestern schon darüber unterhalten. Wir singen mit dir christliche Lieder..."
Ich hole Luft, um einzuhaken.
Neinnein, kein Problem, wir wollen das ja so, du zwingst uns zu nichts! Aber allmählich habe ich doch das Bedürfnis, mal nachzufragen. Wir sehen dich an deiner Gebetsecke, du sprichst auch davon, ..."
„Na, dann schieß los! Was willst du wissen? Was ist für dich so unlogisch oder mysteriös, dass ich es erklären soll?"
Er starrt mich an.
„Was???"
Ich bin irritiert von seinem Gesichtsausdruck. Er muss grinsen.
„Woher weißt du, dass für mich da was 'unlogisch' ist? Manchmal bist du mir unheimlich!"
„Das musst DU grade sagen ... Ich wusste das nicht, ich habe geraten. Offensichtlich gut geraten. Es ist einfach so, dass Du bei den Fans als Atheist läufst, und dass Du Nietzsche gelesen hast. Auch bei meiner Erwähnung von Schleiermacher hast du nicht irritiert gekuckt, den kennst du also auch. Und ich kann mir bei dir einfach nicht vorstellen, dass du das christliche Gedankengut einfach so ablehnst, ohne dich damit genauer auseinander gesetzt zu haben. Dazu bist du zu intelligent und gründlich und neugierig. Ich vermute, du hast dir selbst ein Bild gemacht, in der Bibel gelesen und beschlossen, dass dir das alles zu unlogisch ist. Wenn man das wörtlich nimmt oder naturwissenschaftlich betrachtet, sind da ja auch jede Menge Widersprüche drin."
Breiteres Grinsen.
„Stimmt genau."
„Weißt du, mit der Bibel ist das so. Manche glauben, dass sie von Gott diktiert ist und alles wortwörtlich wahr und richtig, was darinnen steht. Dann hätte auch ich massive Schwierigkeiten. Denn: ja, in der Bibel scheint ganz vieles unlogisch zu sein. Es fängt ja gleich mit zwei völlig unterschiedlichen Schöpfungsberichten an. Vieles beißt sich miteinander oder mit den Theorien und Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften. Da kann man schon ins Zweifeln kommen. Aber das ist für mich gar nicht der Punkt. Erstens folge ich den Theologen, die sagen, dass über 1000 Jahre hinweg Menschen – Priester, Propheten, einfache Gläubige – aufgeschrieben haben, was sie glaubend erlebt haben, und zwar aus ihrer damaligen Sicht und Erkenntnis heraus. - Stoppe mich, wenn du nicht weißt, wovon ich rede. -
Die zehn Plagen in Ägypten zum Beispiel, als der Pharao die Israeliten nicht ziehen lassen wollte – die lassen sich heute alle naturwissenschaftlich erklären. Die Auferstehung Jesu Christi dagegen nicht. Entweder war er nicht wirklich tot, oder er war nicht wirklich wieder lebendig. Oder er ist tatsächlich auferstanden, weil Gott es so wollte. Punkt. Ich werde das nie her- oder wegbeweisen können. Das kann ich nur glauben.
Aber es ist mir einfach egal. Denn mit allem, was ich glaube, gehe ich von einer Grundannahme aus: Es gibt etwas außerhalb von mir, das älter, größer, stärker, weiser und mächtiger ist als ich. Etwas, das die Naturgesetze und dieses Universum geschaffen und alles Leben angeschubst hat. Manche nennen das Zufall. ICH kann mir so viele Zufälle einfach nicht vorstellen. Die Existenz eines höheren Wesens ist für mich tatsächlich das am wenigsten Unwahrscheinliche. Und das nenne ich Gott. Den Gott der Bibel."
„Aber warum ist dann so vieles so unlogisch? Da komme ich nicht von ab!"
„Es ist unlogisch, weil normale Menschen in ihrer Zeit die historischen Ereignisse glaubend zu erklären versucht haben. Und da kommen schnell bei drei Leuten vier Meinungen zusammen. Ich kann nicht jeden Widerspruch erklären, ich will das aber auch gar nicht. Denn nachdem ich einmal festgestellt habe, dass es dieses höhere Wesen für mich gibt, habe ich mich auf eine andere Ebene begeben. Ich will nicht mehr erklären, ich will erleben. Und ich erlebe. Ich habe mehrere Punkte in meinem Leben gehabt, wo ich mir sicher bin, dass „etwas" von außen eingegriffen hat, weil das einfach nicht aus mir herausgekommen sein kann. Zwei Momente sind da besonders wichtig: mein Vater hat in meiner Kindheit einiges an Mist gebaut, ich hatte immer Angst vor ihm. Aber als ich 25 war, habe ich ihm vergeben können. Und das kam ganz bestimmt nicht aus mir heraus, das kam von Gott, ich wäre von alleine gar nicht auf die Idee gekommen, hatte mich mit dem "Konzept" von Vergebung noch nie auseinandergesetzt. Ich hatte tatsächlich hinterher einen 'Huch, wie ist das denn gekommen?'-Moment. Ich meine damit: Es war nicht meine bewusste Entscheidung 'Ich vergeb dem jetzt mal'. Ich habe einfach – nach einem langen Gespräch und Gebet mit einer Freundin - begonnen, meinen Vater trotz und mit alledem zu lieben. Diese Liebe zu ihm war auf einmal einfach da. Wir haben darüber nie gesprochen, er weiß das nicht. Aber er hat es gespürt, und wir haben ein so inniges und liebevolles Verhältnis zueinander entwickelt, dass ich mein Glück darüber nicht beschreiben kann. Er ist jetzt 84 Jahre alt, und wenn er gehen wird, werde ich unendlich trauern. Diese Liebe, die uns neu verbindet, gehört zu dem wertvollsten in meinem Leben! Aber ich werde ihn gehen lassen können, weil ich mit ihm im Reinen bin.
Und dann hat es einen Punkt in meinem Leben gegeben, an dem ich über Monate hinweg immer wieder kurz davor war, mein Leben zu beenden, zeitweilig mehrmals am Tag. Ich konnte mich kaum noch rühren, weil überall Möglichkeiten lauerten – Autofahren, Gemüse schnibbeln, über Brücken laufen. Aber da war eine Kraft in mir, die mir in jedem dieser Momente wieder gezeigt hat: Du willst leben! Du willst doch leben! Und du sollst leben! Das ging so lange, bis ich tatsächlich wieder leben WOLLTE! Ich spüre selbst heute noch bei riesigen Betonbrücken die Schwingungen, die durch das Auto am anderen Ende der Brücke entstehen. Aber heute sagen diese Schwingungen nicht mehr 'spring!' zu mir, sondern 'lebe!' Und ich glaube fest daran, dass in dieser Zeit Gott mich in seiner Hand gehalten hat, damit mir nichts geschieht. Das ist Glauben, nicht Wissen. Das hat absolut nichts mit Logik zu tun sondern nur mit meinem inneren Erleben. Und dieses innere Erleben kann mir kein Nietzsche nehmen. Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube: Gott existiert und ist für mich und mit mir und in mir. Er schlägt täglich Brücken zwischen mir und mir, mir und den Menschen, mir und dem Leben."
Eine Weile sagt Namjoon nichts. Ich kann an seinem Gesicht auch nicht ablesen, ob ihn das schockt, was ich grade erzählt habe, oder wundert, oder abschreckt, oder ... Aber er geht gar nicht drauf ein, bleibt ganz bei seiner Frage.
„Machst du es dir damit nicht ein bisschen zu einfach? 'Ich frage nicht, dann stört es mich nicht?' "
„Kann sein? Aber wie gesagt – ich bin auf einer anderen Ebene, wo Beweise nicht relevant sind. Weltanschauung kann aus den unterschiedlichsten 'Quellen' erwachsen. Mythos, Religion, Glauben sind nicht beweisbar, das liegt in der Natur der Sache. Auf dieser Ebene bin ich auch jetzt, hier mit euch. Ich bin grade wie ein Kleiderbügel, der sich im Schrank Gottes an die Stange hängt und sich von seiner Kraft und Weisheit tragen lässt. Ich lasse ihn machen, weil mich das alles hier OHNE ihn restlos überfordern würde. Dass ich Tag für Tag gelassen weitermachen kann, kommt nicht aus mir heraus. Ich wäre längst zusammengebrochen, wenn ich versuchen würde, das hier alleine zu stemmen. Und das ist keine falsche Bescheidenheit, das ist pure realistische Selbsteinschätzung aus Erfahrung. Gott nutzt mich als einen Blitzableiter seines guten Willens, um für uns alle das Beste zu erreichen. Und nochmal: das ist reine Glaubenssache! Es hat nichts mit Logik oder Beweisen zu tun. Immer wieder sind Menschen im Laufe der Geschichte daran gescheitert, Gott beweisen zu wollen, weil sie versucht haben, sich ihm ausschließlich mit dem Verstand zu nähern. Aber das ist schlicht der falsche Ansatz, wenn man ihm begegnen will. Gott lässt sich weder beweisen noch verstehen. Gott lässt sich nur erfahren und erspüren - wenn man es zulässt."
Schweigen, gerunzelte Stirn, Nicken.
„Und weißt du was? Ich glaube, es reicht. Versuche bitte nicht, jetzt sofort eine schlaue Antwort zu geben. Du gehst jetzt ins Bett, und vielleicht ergibt sich in den nächsten Tagen noch einmal eine Gelegenheit zum Gespräch. Ich weiche dir nicht aus. Frag, soviel du willst. Aber da dürfte jetzt so viel Neues dabei gewesen sein, dass du das erstmal verdauen musst."
Zögernd nickt er, schaut mich lange an. Wieder legt er Stirn an Stirn, als wollte er das Ich und den Sinn hinter meinen Gedanken so in sich aufnehmen. Dann sagen wir gute Nacht, und er geht ins Bett.
Ich gehe derweil an meinen Gebetsteller.
Gott, du hast mich bis hierher geführt. Ich habe eben versucht, deine Gedanken und Worte durch mich sprechen zu lassen. Segne du meine Worte. Ich will Namjoon nicht bekehren. Aber ich will diesem großen Geist gegenüber absolut wahrhaftig sein. Und das ist grade echt nicht leicht. Er stellt mich und meinen Glauben an dich ganz schön auf die Probe! Halte du deine segnende Hand über uns!
Da macht es mal wieder PLING.
„Der größte Ruhm im Leben liegt nicht darin, nie zu fallen, sondern darin, jedes Mal wieder aufzustehen. - Nelson Mandela"
Ach, Namjoon. Wie konnte ich glauben, dass du die ganz persönliche Last, die in meiner Antwort enthalten war, überhört haben könntest.
Ich antworte.
PLING:"Starke Menschen haben nie eine einfache Vergangenheit."
Und ich weiß, dass er weiß, dass damit wir beide gemeint sind.
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12.11.2018 - 21.4.2019 - 29.10.2019
27.3.2020
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