Donnerstag - 9.3 - im Jugendstilzentrum
Don't forget - it's fiction!
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Während unser Taxi über die Autobahn in die Stadt reinrollt, erzähle ich Tae ein bisschen was über das Jugendstilzentrum auf der Mathildenhöhe. Der letzte Großherzog von Hessen-Nassau hatte ein Fable für Jugendstil und hat sich darum ein paar Künstler „gehalten", die seine Stadt bereichern und verschönern sollten - den Bahnhof zum Beispiel. Er hat Ihnen Ateliers zur Verfügung gestellt, hat sie zeittypische Häuser bauen lassen und hat sie nach Kräften gefördert. So ist ein Ensemble von Gebäuden wie ein kleines architektonisches Juwel am Rande der Stadt entstanden. Am Museum ist auch ein eigenartiger Turm. Er heißt Hochzeitsturm, und viele Paare warten geduldig (und zahlen ziemlich drauf), um dort standesamtlich heiraten zu können. Der Turm wurde anlässlich der Hochzeit des Großherzogs gebaut. Von weitem sieht man das markante Dach, das aus fünf runden Bögen besteht. Deshalb wird der Turm auch 'Fünffingerturm' genannt.
Im Museum bekommen wir Einblick in die künstlerische Arbeit von damals, sehen Keramiken, Plastiken und Bilder, Schmuck, Möbel und Hausrat vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Tae kann sich gar nicht satt sehen an den verspielten, träumerischen Formen und leuchtenden Farben. Schließlich steuert er den Museumsshop an, in dem es neben Postkarten, größeren Kunstdrucken und Ausstellungskatalogen auch jede Menge Repliken der Kunst zu kaufen gibt. Von Literatur über Keramiken bis zu Schmuck ist alles da. Da Tae sehr gerne Schmuck trägt, landen wir bald vor der entsprechenden Vitrine und bestaunen die ausgestellten Kleinodien. Manches aus der Zeit ist mir zu groß oder auffällig. Aber ich verliebe mich sofort in ein zierliches, goldenes Ensemble aus Kette, Ring und Ohrringen, in das winzige, verschrumpelte Naturperlen und leuchtend grüne, kleine Smaragde eingelassen sind. Einfach, weil ich grün so liebe. Es ist so sündhaft teuer, dass ich mir das nie werde leisten können und darum hemmungslos drauflos schwärmen kann. Tae hingegen fällt schnell ein Ring ins Auge, der aus Roségold gefertigt ist und einen tropfenförmigen Opal trägt. Und den er sich im Gegensatz zu mir auch leisten kann.
Er bittet mich, ihm ein paar ortstypische Postkarten aus dem Ständer zu suchen und fordert die Kassiererin auf, den Ring aus der Vitrine zu holen. Sein schönes Stück wird sorgfältig und umständlich verpackt, und dann reiche ich ihm ein paar Postkarten von Sachen, auf die er im Museum besonders reagiert hat und ein paar Ansichten von der Stadt. Ein Piep von der Kreditkarte, und schon können wir gehen.
So einfach ist das, wenn man ein Weltstar ist.
Aber erstaunlicherweise fühle ich keinen Neid. Ich hatte Freude daran, die Kette zu bewundern. Aber ich hätte überhaupt keine Gelegenheit, das Ensemble zu tragen. Stattdessen trage ich ein viel größeres Geschenk in mir: die Anwesenheit, die Zuneigung und die Einzigartigkeit meiner liebenswerten Gäste.
Vom Museum aus schlendern wir an den Künstlerhäusern entlang. Tae bestaunt die Russische Kapelle, die so gar nicht zum restlichen Ensemble passen will. Auch dazu kann ich eine Geschichte erzählen. Der letzte Zar von Russland war mit einer hessischen Prinzesssin verheiratet. Und damit er bei Besuchen in ihrer Heimat nicht auf orthodoxe Gottesdienste verzichten musste, hat er einen Haufen russischer Erde her transportieren und darauf diese kleine, orthodoxe Kirche erbauen lassen - sozusagen auf heimischem Boden. Und bezahlt hat er das auch noch alles.
Wir wenden uns der Stadt zu und laufen über die von der warmen Frühlingssonne beschienene Wiese des anschließenden Parks. Wenn man seinen Blick schweifen lässt, sieht man etwas weiter nördlich am Rande der Innenstadt eine riesige goldene Kugel auf einem Gebäude.
„Und was ist das?"
Neugierig fragt er nach und deutet in diese Richtung
.„Hat sich da auch der Zar ausgetobt?"
Ich muss grinsen, denn weiter entfernt von der Wahrheit hätte er kaum zielen können.
„Nein. Das ist das Dach der 'Waldspirale' von Friedensreich Hundertwasser."
Tae versucht, diesen Namen zu wiederholen, kommt aber keine zwei Silben weit, und es klingt urkomisch. DeepL.com ist auch nur bedingt hilfreich, weil dieser Name erstens künstlich und zweitens eigentlich nicht sinnvoll zu übersetzen ist, wenn man nicht mit europäischer Kultur vertraut ist. Aber während wir den Hang hinunterspazieren, erzähle ich ihm - soweit ich das selbst weiß - von dem eigenwilligen österreichischen Künstler, der überall in Mitteleuropa fröhlich bunte, krumme und zusammengewürfelte Gebäude hinterlassen hat, die anzusehen einfach nur Spaß macht. Drin wohnen möchte ich allerdings nicht. Es gibt keine einzige grade Wand, an die man ein Regal stellen könnte, und die Fenster haben so lustig bunte Rahmen und Simse, dass 'leider' für die Scheiben nicht viel Platz bleibt. Es muss da drinnen stockdunkel sein.
Wir schlendern zu einem nahen Bioladen, in dem ich die Gemüsebrühe und einen Himalajasalz-Kristall für Jin und Nachschub für meine geschrumpften Vorräte erstehe. Auf den ersten Blick sieht der Verkehr wieder aus wie immer. Aber es sind Schul- und Semesterferien, viele Leute sind immer noch damit beschäftigt, sich an die Normalität zu gewöhnen. Und so können wir unbeachtet in den Bus zur Innenstadt steigen.
Jetzt erkläre ich Taehyung auch, dass und wobei ich seine Hilfe brauche.
„Ich brauche gleich mal deinen Rat, Tae. Ich möchte jedem von euch eine Kleinigkeit schenken, die euch an uns und mich erinnern soll."
Seinen Protest würge ich sofort ab.
„Bei Hobi habe ich an eine Mütze, Kappe oder Hut gedacht. Ich finde, dass ihm Hüte echt super stehen. Ich möchte, dass er etwas hat, dass ihn moralisch beschützt und 'behütet'. Kannst du mir helfen, etwas zu finden, dass er auch wirklich gerne tragen mag?"
„Klar mache ich das. Aber du sollst doch ..."
Stumm, streng und gespielt böse schaue ich ihm tief in die Augen. Dafür ernte ich sein Kastengrinsen.
„Ist ja gut. Ich bin schon still. Und du hast recht - er mag wirklich gerne Hüte und Mützen."
„Ich finde, dass er einen echten 'Hutkopf' hat, bei Hobi sehen Hüte eigentlich immer toll aus. Aber ein Hut muss stilistisch einfach passen, sonst trägt man ihn nicht."
Tae bestätigt mir das.
„Er kann fast alles tragen. Du hast Glück. Seine Kopfform ist zwar anders als meine. Aber wir haben die gleiche Größe. Seine Kappen kann ich immer einfach so aufsetzen, ohne sie verstellen zu müssen. Na, dann los!"
Ich kenne kein reines Hutgeschäft, aber bei dieser offenen Vorgabe finde ich eine gemischte Abteilung sowieso besser. Wir steuern also ein gehobenes Bekleidungsgeschäft in der Fußgängerzone an, und Tae probiert sich mit wachsendem Vergnügen durch die Accessoires in der Herrenabteilung.
Wild durcheinander setzt er Hüte, Mützen und Kappen auf, schlüpft in irgendwelche Jackets, wirft sich auffällige Schals um den Hals und posiert gekonnt vor den großen Spiegeln.
Da kommt doch tatsächlich der Gucci-Mann zum Vorschein!
Bei allem "klebt" ihm dieses feine zufriedene Grinsen in den Mundwinkeln, das mich ja schon am Anfang von "Singularity" so fasziniert hat. Ich lasse ihn einfach machen, denn ich habe ein riesiges Vergnügen, ihm bei der kleinen improvisierten Modenschau zuzusehen, und schieße ab und zu ein Foto.
Ihm selbst stehen Hüte eigentlich auch ziemlich gut ...
Und wieder erweist sich, wie sehr Tae doch Brillen mag.
Auch die assistierende Verkäuferin genießt diesen Moment sichtlich. Tae versprüht seinen umwerfenden Charme und wickelt die Frau problemlos um den Finger. Schließlich schafft er es, sich auf seine ursprüngliche Aufgabe zu konzentrieren, und landet am Ende bei zwei Hüten, zwischen denen wir uns nicht entscheiden können. Also schnappe ich mir sein Handy und google einfach Bilder von Hoseok (ich selbst hab kein Smartphone...). Ich finde einige Bilder, auf denen seine charakteristische Kopfform mit und ohne Kopfbedeckungen gut zu sehen ist. Die halte ich der Verkäuferin hin, die uns daraufhin zu dem schlichten schwarzen Hut mit breiter Krempe rät. Die einzige Auffälligkeit ist ein schmales grünes Band um das Kopfteil des Hutes. Hei, das passt! Hobi liebt grün. Zufrieden ziehen wir weiter, nachdem ich den Hut erstanden habe.
„Tae, es hat grade unheimlich viel Spaß gemacht, dir zuzusehen. Du warst echt in deinem Element."
Er seufzt zufrieden auf.
„Stimmt! Das ist genau die Art von Quatsch, die ich jetzt so lang unterdrücken musste, weil wir alle den Kopf voll mit anderem hatten. Es hat so richtig gut getan! Hast du noch so eine wundervolle Aufgabe für mich?"
Ich schüttele den Kopf.
„Leider nicht. Das einzige andere Geschenk, das ich noch brauche, ist ziemlich profan und doch ungeheuer wichtig. Du wirst sofort wissen, was ich meine."
Und mit diesen Worten steuere ich die Wäsche- und Stoffabteilung des nächsten Kaufhauses an. Mit geübtem Blick filtere ich von der Rolltreppe her die Auslagen nach dem Gesuchten durch und strebe dann zielsicher auf einen großen Tisch mit Plaids, Überwürfen und Decken zu. In dem Moment, in dem ich ich mich durch einen Haufen mit Fleecedecken wühle und an etwas Gelbem ziehe, fängt Tae an zu kichern.
„Das hätte ich mir wirklich schon vorher denken können, nachdem wir grade neun Tage lang mit einem kleinen, gelben Geist zusammen gelebt haben. Manchmal war Jimin ja gar nicht rauszukriegen aus der Decke. Ich glaube, er wird sich halb totfreuen darüber. Ich habe mir gestern Abend erst vorgestellt, wie er ruhelos durch die Hotels irrt auf der Suche nach was Gelbem."
„Ganz genau! Selbst, wenn ich für sonst niemanden von euch etwas hätte - DAS muss einfach sein! Ich kann ihn nicht gehen lassen ohne. Und meine eigene ist mir jetzt viel zu wertvoll. Die gebe ich nie mehr her!"
„Darf ich ihm das verraten?"
„Wenn sich die Gelegenheit ergibt? Ja! Vielleicht braucht er irgendwann mal, das zu hören."
Als nächstes gilt es, ein Mittagessen zu finden. Ich steuere das Kartoffelhaus an der Stadtkirche an. Das ist typisch deutsch, und für mich wird sicher was dabei sein. Taehyung staunt über die vielseitige Speisenkarte mit lauter Gerichten aus Kartoffeln. Beim Übersetzen komme ich manchmal ins Schleudern, aber schließlich findet er etwas, das ihn anlacht. Ich kriege einfach Rosmarinkartoffeln ohne Zwiebeln und ähnliche, für meinen Darm ungesunde Fremdkörper. Ab und zu blickt Tae auf sein Handy und steckt es dann wieder weg. Nach dem Essen treten wir wieder raus in die Sonne.
„Und jetzt?"
Ich habe ja kein Zeitgefühl und weiß nicht, wieviel Zeit wir noch totschlagen müssen.
„Ich überlege grade. Du hast doch bestimmt eine Kirche, in die Du immer zum Gottesdienst gehst, oder? Ist die in eurem Ort?"
„Ne, ich hab mal in der Stadt gewohnt und bin in der Gemeinde geblieben. Warum?"
„Ich hätte Lust, die zu sehen. Ist die in der Nähe und offen?"
„Ja, und das weiß ich nicht. Aber die Pfarrerin wohnt direkt nebenan. Wenn die da ist, gibt sie mir bestimmt ihren Schlüssel. Vielleicht sind auch Leute drin und mit Vorbereitungen für die Ostergottesdienste beschäftigt."
Immerhin ist heute Gründonnerstag und in drei Tagen Ostern - was mir in den letzten Tagen etwas durch die Lappen gegangen ist.
Das Umschalten wird mir wohl diesmal etwas schwer fallen ...
Da wir Zeit haben, bummeln wir durch die Höfe vom Schloss und an der Uni vorbei zur Martinskirche. Die Pfarrerin ist da und gibt mir auch ihren Schlüssel.
+„In zwei Stunden bereiten wir den Gründonnerstagsgottesdienst für heute Abend vor. Seid ihr dann noch drin? Wenn nicht, bring mir einfach den Schlüssel wieder rüber."
Ich gehe mit Tae um die Kirche herum, weil ich von vorne her hineingehen möchte. Ich liebe meine Kirche, sie ist wunderschön. Schon das Portal ist besonders: in der Mitte ist nicht die Tür sondern die Rundung der Taufkapelle, und die zwei Türen sind rechts und links davon, überragt von zwei kurzen Türmen. Der große Glockenturm sitzt mittig darüber. Wir gehen langsam durch das Kirchenschiff Richtung Altar und setzen uns in eine der vorderen Bänke. Ich liebe die stille Atmosphäre leerer Kirchen. Es ist wie Ankommen, Füße hochlegen und Durchatmen. Ich fühle mich völlig zu Hause und glaube auch fest, dass Gott nicht will, das wir uns besonders steif und 'anständig' benehmen. Wer zu mir in mein Wohnzimmer kommt, soll ja auch nicht stocksteif auf der Sofakante sitzen. Eine ganze Weile sitzen wir schweigend da. Allmählich siegt jedoch seine Neugierde. Er fängt an, sich umzuschauen und betrachtet viele Gegenstände, die in einer Kirche für uns völlig normal, ihm aber völlig fremd sind. Einiges davon kann ich ihm erklären, manches auch nicht.
Die Gegenstände auf dem Altar, die Fensterbilder, das Taufbecken. Er stellt viele Fragen. Und dann fängt er an, das Magnificat zu summen und dabei durch die Kirche zu laufen. Ich falle ein, und nach einer Weile treffen wir uns singend auf den Stufen zum Altar, wo die Akkustik am schönsten ist. Ich gehe in den Sekundärkanon, wir lassen die Klänge einfach durch uns hindurch laufen und genießen den entspannten Moment. Nach einer Stunde liefern wir den Schlüssel wieder bei der Pfarrerin ab. Da endlich klingelt sein Telefon. Er geht dran, hört zu, nickt und legt auf.
„Wir dürfen wieder antanzen. Komm."
Ich checke schnell, mit welchem Verkehrsmittel wir als Nächstes raus in die Pampa kommen. Wir laufen zum Bus, und ich bin unendlich froh, dass ich diesen Tag mit ihm erleben durfte. Er ist ein angenehmer Gesellschafter, ein interessierter Mensch. Und er hat mich abgelenkt vom Abschied am Abend.
Im Bus sitzen ein paar Mädels. Wir setzen uns ganz nach hinten, in der Hoffnung, nicht erkannt zu werden. Aber in dem Moment, in dem Tae den Mund aufmacht, um etwas zu sagen, fliegen die Köpfe rum. Tja, diese neblig-dunkle, volle Stimme ist eben nicht zu verkennen, und schon gar nicht mit diesem kreativen Konglish. Kugelrunde Augen, ein unterdrücktes Quietschen. Tae grinst sein Kastengrinsen. Zögernd steht die Mutigste auf, und macht ein paar Schritte in unsere Richtung. Tae winkt sie heran, erklärt, dass sie in „freier Wildbahn" grundsätzlich keine Selfies mit Fans machen möchten, bietet aber ein Autogramm an. Sofort kramen alle drei Mädels in ihren Taschen nach etwas, das würdig ist, seine Unterschrift zu tragen, und halten ihm schließlich einen Terminkalender, eine Handyhülle, eine Brillendose und einen Edding entgegen. Wir müssen lachen über das Sammelsurium, und Tae veredelt die drei Dinge mit seiner schwungvollen Unterschrift. Gekonnt fragt er nach ihren Namen und schreibt noch ein „I purple you" daneben. Die drei sind selig und versprechen mir hoch und heilig, diesen Moment mindestens eine Woche lang zu verschweigen und ganz schnell wieder zu vergessen, wo sie waren, wen sie noch gesehen haben und wo wir ausgestiegen sind.
Keine Ahnung, ob DAS klappt ...
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2.12.2018 - 17.6.2019 - 30.10.2019
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