56. Reden
Als es zum Pausenende läutete, hielt ich Tim meine Hand entgegen, um mich von ihm auf die Beine ziehen zu lassen. Als wir dann jedoch beide standen ließ er mich keinesfalls wieder los, sondern verschränkte seine Finger lächelnd mit meinen. Unsicher sah er mich dabei an, wie um sicher zu gehen, ob es in Ordnung für mich wäre. Und es war in Ordnung für mich. Als wir in Richtung unserer Unterrichtsräume gingen, die für diese Stunde zum Glück im gleichen Gang lagen, schien erst alles wie immer, doch schon nach einigen Metern bemerkten die ersten unserer Mitschüler, die ich ich meistens nur vom Sehen kannte, unsere ineinander liegenden Hände. Ich sah, wie jemand die Gruppe um sich mit dem Ellenbogen anstieß und, nicht ganz so unauffällig, wie er wohl dachte, in unsere Richtung nickte. Ich versuchte, nicht in ihre Richtung zu sehen doch auch von allen anderen Seiten sah ich immer wieder bekannte Gesichter, die sich über Tims und meine nun mehr oder weniger öffentlich gemachte Beziehung zu unterhalten schienen. Der Gedanke, dass jeder über uns sprach und Vermutungen aufstellte, doch keiner sich traute, uns anzusprechen und einfach zu fragen, war merkwürdig. Auch Tim schien so zu denken oder meine leichte Nervosität zu fühlen, denn er erwiderte beruhigend den Druck meiner Hand in der seinen.
»Lass sie reden«, riet mir auch Tobi, der neben uns herging und ich nickte nur.
»Ihr werdet jetzt wohl erst einmal Gesprächsthema Nummer eins sein. Es wird ja eh immer über alle neuen Beziehungen geschwätzt. Und erst recht bei Stegi.«, erklärte auch Mik.
»Stimmt schon.«, gab ich zu.
»Keiner hätte halt je gedacht, dass du es einmal zulassen wirst, dass dich jemand an sich bindet.«, lächelte Tim und hauchte mir einen sanften Kuss auf den Scheitel. Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Bewegung in die Gruppe neben uns kam. Sie schienen zu tuscheln und ich konnte es mir nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen. Lästermäuler allesamt. Auch wenn ich wusste, dass es keinen Grund dazu gab, war diese Situation mir noch unangenehmer als die Gespräche, die über mich geführt wurden, als ich mir das Gesicht aufgeschnitten hatte.
»Ist es dir peinlich?«, wollte Tim wissen und machte Anstalten, meine Hand loszulassen, doch sofort umklammerte ich seine Finger.
»Nein!«, beteuerte ich und das entsprach der Wahrheit. Es war mir nicht peinlich, mit Tim zusammen zu sein und es war mir auch nicht peinlich, es zu zeigen. Was ich nicht mochte war das Wissen, dass hinter unserem Rücken Gespräche über uns geführt wurden, sich gewundert wurde und wir beurteilt wurden. Vorsichtig streckte ich mich zu Tim hoch, um ihn auf die Wange zu küssen. Ich genoss das Gefühl seiner weichen Haut, der Wärme, die er ausstrahlte, seines Geruchs und seiner bloßen Anwesenheit mehr als ich mir je hatte vorstellen können. Es kam mir suspekt vor. Gestern noch war ich mir keinerlei Gefühle für ihn bewusst gewesen, hatte Tim nur als Freund gesehen. Und jetzt suchte ich von mir aus seine Nähe, was ich früher nie für möglich gehalten hatte. Ich wusste, dass das alles durch meine Läufigkeit und Tims Brunft verstärkt, beschleunigt wurde. Der Wunsch, ihn anzufassen, ihm nahe zu sein, mich an ihn zu schmiegen und nie wieder loszulassen, war enorm. Und so schien es mir schon als das Normalste der Welt, Tim, meinen Freund, zu umarmen, zu berühren, zu küssen.
Doch jetzt war es an der Zeit, mich von Tim zu trennen, er versprach mir, nach der Stunde wieder zu meiner Klassenzimmertür zu kommen und ich versicherte ihm dafür, wie auch bevor wir zusammengekommen waren schon jeden Tag, dass weder Tobi, noch ich alleine irgendwo hingehen würden. Doch anders als all die Tage zuvor zog Tim mich zum Abschied noch einmal fest an sich, bevor er in Richtung seines Klassenzimmers drei Türen weiter ging. Veni folgte ihm sofort.
»Stegi!«, hörte ich eine Stimme hinter mir und drehte mich fragend um, bis ich Felix sah. Ich konnte sehen, wie auch Tim stehen geblieben war und einen besorgten Blick zurück warf. Als er erkannte, dass es Felix war, der mich hier gerufen hatte, setzte er seinen Weg, wenn auch sichtlich widerwillig, fort.
»Alles klar?«, versuchte ich ein freundliches Lächeln und auch Tobi begrüßte den anderen Omega.
»Bei mir immer. Aber was geht bei dir denn ab? Man hört, du wärest gebunden?«, wollte Felix gerade heraus wissen und ich grinste leicht. Diese direkte Art, auch wenn sie leicht unhöflich wirken konnte, war mir um einiges lieber als dieses Hinter-dem-Rücken-über-einen-Sprechen, was jeder andere tat.
»Ja«, gab ich zu und spürte sofort, wie ich rot wurde.
»Ha! Also stimmt es doch!«, triumphierte Felix und schob sogleich die Erklärung für sein Verhalten hinterher: »Basti meinte, das wäre bloß ein Gerücht und da sei nichts dran, du hättest dich ja immer gegen jeden Hauch eines Alpha gewehrt. Aber ich habe ihm gesagt, dass da schon bei der Jahrgangsstufenfahrt etwas gelaufen ist zwischen euch. Seit wann seit ihr zusammen?«
»Seit gestern oder heute irgendwann. Darüber gesprochen haben wir erst heute, aber gestern war es irgendwie schon ... Ach, du weißt schon. Es hat sich halt so ergeben.«, erzählte ich und Felix nickte.
»Alles klar. Okay, alles Gute euch beiden. Ich freu mich für dich. Ich wollte bloß kurz fragen, ob da was dran ist an den Gerüchten, ich muss jetzt. Mein Lehrer ist schon im Klassenzimmer. Man sieht sich.«
Ich konnte gerade noch zustimmend nicken, dann war der Omega auch schon verschwunden.
Ja, Felix war schon in Ordnung.
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