18. Besuch
Die Klingel der Tür ließ mich aufschrecken. Schnell schnappte ich meinen Wäschestapel und warf ihn in eine Zimmerecke. Den würde ich nachher wegräumen. Ein paar Handgriffe später lag die Unordnung so, dass sie etwas ordentlicher aussah und ich zog meine Schranktür zu, um das Chaos darin zu verbergen. Ich hasste aufräumen. Keine Minute später wurden wir auch tatsächlich gerufen und ich versuchte, Tims aufmunterndes Lächeln zu erwidern, bevor wir zusammen ins Wohnzimmer gingen. Am Tisch saß bereits unser Besuch und mein Omega-Papa, mein Vater trat gerade hinter uns ins Zimmer. Die beiden Männer, die heute zum Abendessen eingeladen waren, waren Arbeitskollegen und Freunde meines Vaters und der Inbegriff eines klassischen Alpha-Omega-Paares. Beide stellten sich vor und auch Tim begrüßte sie höflich, bis mein Vater ihm zielgerichtet anwies, doch neben mir Platz zu nehmen. Auf sein auffällig unauffälliges Augenzwinkern zu mir hätte ich am liebsten im Boden versinken können. Auch Tim schien es bemerkt zu haben, denn er grinste frech zu mir rüber. Ich trat unter dem Tisch in seine Richtung, woraufhin er erschrocken sein Bein zurückzog und über die Stelle rieb, die ich getroffen hatte. Vorwurfsvoll sah er zu mir, konnte sich aber auch dabei ein Grinsen nicht verkneifen. Während wir alle aßen, beobachtete ich die ganze Zeit über unsere Gäste. Immer wieder fand ich diese klassische Rollenverteilung in einer Alpha-Omega-Beziehung, wie ich sie hier sehen konnte, faszinierend und abschreckend zugleich. Während der Alpha den ganzen Tag arbeiten war, hatte der Omega eigentlich nichts anderes zu tun als von seinem nicht sonderlich spannenden Leben Zuhause zu erzählen. Wobei er eigentlich nicht ziemlich viel zu erzählen hatte, denn sobald er den Mund aufmachte, trafen ihn die bösen Blicke seines Alphas. Also hielt er die Klappe und blieb still. Ich schauderte schon bei dem Gedanken daran, mich so abhängig von einem Alpha zu machen, wie er es war. Würde er irgendwann verlassen werden, stände er da, ohne Ausbildung und mit keinerlei Fähigkeiten, die über das Instandhalten des Haushalts hinausgingen. Und wieder wunderte ich mich, dass jemand so dumm war, sich auf so etwas einzulassen, sich so abhängig zu machen. Ich war so in meine Gedanken vertieft gewesen, dass ich kaum merkte, als ich angesprochen wurde.
»Seit wann seid ihr beiden denn zusammen?«, wandte der Alpha, dessen Namen ich mir schon seit Jahren nicht merken konnte oder wollte, sich an mich und versuchte, seine abschätzige Miene unter einem falschen Lächeln zu verbergen. Natürlich, ich war ein Omega und deswegen weniger wert und das hatte er schon immer so gesehen. Dass er mich überhaupt ansprach glich schon einem Wunder und hing mit ziemlicher Sicherheit auch nur damit zusammen, dass er dachte, dass Tim mein Freund sei. Ein Omega in einer Beziehung war doch gleich viel angesehener als ein alleinstehender Omega. Aber was er konnte, konnte ich auch, ich war ein Meister im Masken tragen.
»Oh, nein, wir sind nicht zusammen«, grinste ich mindestens genauso falsch wie er. Sofort erstarrte seine Grimasse und ich konnte sehen, wie er, wie schon den ganzen Abend über, wieder einmal auf meine rechte Gesichtshälfte starrte. Auch wenn ich selbst wusste, wie schwer es war, bei so etwas nicht zu starren, nahm ich es ihm übel. Der Alpha schien erst einmal daran zu schlucken zu haben.
»Das gehört sich nicht«, merkte er pikiert an, während er mich nun offen abschätzig musterte.
»Ein Omega sollte sich einem einzigen Alpha vorbehalten und sich nicht auf andere Alpha außerhalb dieser Beziehung einlassen.«, belehrte er mich spitz. Ich musste mir ein Schnauben unterdrücken, eine Bemerkung zu der Untreue vieler Alpha ihren Omega gegenüber, zurückhalten, und auch Tim schien nicht sehr begeistert zu sein von dieser Einstellung. Zu meinem Glück und bevor ich sonst irgendwann angefangen hätte, zu zeigen, wie sauer ich gerade war, ging das Gespräch nun aber auch ohne uns weiter und sie begannen davon zu schwärmen, dass sie ja in meinem Alter schon zusammen gewesen und ansonsten sowieso auch viel besser als ich wären. Natürlich. Tim und ich warfen uns mehrere Blicke zu und auch ihm schien unser Besuch nicht sonderlich sympathisch zu sein. Gerade dachte ich, ich hätte es überstanden, als erneut das Thema auf mich kam. Dieses Mal sprach der Alpha mich nicht einmal selbst an sondern tat so, als wäre ich gar nicht im Raum, während er sich bei meinen Eltern erkundigte, wie es denn bitte passiert sei, dass mein Gesicht so hässlich geworden sei. Ich schnaubte hörbar und wollte ihn gerade anfahren, dass daran eingebildete Alpha wie er schuld seien, als mein Dad mir das Wort abschnitt.
»Ein Unfall«, erklärte er, es sei ein Überfall gewesen, bei dem ich verletzt worden sei. Ein tragischer Schicksalsschlag. Empört sprang ich auf und funkelte meine Eltern mehr als wütend an, bevor ich endgültig den Raum verließ und meine Zimmertür hinter mir zuknallte. Innerlich kochte ich. Nicht nur, dass mir anscheinend kein arroganter Alpha auf dieser Welt erspart bleiben würde, sogar meine Väter schämen sich für die Wahrheit. Sie schämen sich dafür, dass ihr Sohn einen eigenen Willen hatte und sich nicht jedem Alpha unterwarf und sie schämen sich für meine Geschichte, für das was ich war. Voller Wut trat ich gegen mein Bett und fing kurz darauf an, zu fluchen. Jetzt tat auch noch mein Zeh weh. Es gab Tage, an denen lief einfach nichts und heute war ganz klar einer davon. Aggressiv wirbelte ich herum, als meine Zimmertür aufging und wollte gerade anfangen, loszuschreien, als ich Tim reinkommen sah. Stimmt, den hatte ich fast vergessen. Ich atmete tief durch. Er hatte mir geholfen, er hatte es nicht verdient, jetzt angefahren zu werden.
»Tut mir leid, dass du das miterleben musstest. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich halte so etwas einfach nicht lange aus.«, entschuldigte ich mich zerknirscht, doch zu meiner Überraschung widersprach er mir sofort:
»Ganz im Ernst? Ich wäre an deiner Stelle schon längst ausgeflippt. Mich wundert es eigentlich fast schon, dass du nicht angefangen hast, rumzuschreien. Ich weiß nicht, ob ich mich so hätte beherrschen können. Das ist wirklich unmöglich, dieses Verhalten.«
Ich brummte bloß zustimmend und begann, wütend in meinem Zimmer auf und ab zu gehen.
»Ich hasse das. Ich hasse das so sehr. Für euch Alpha sind wir nichts wert, nur weil wir eben Omega sind. Wir sind doch auch Menschen! Wieso reicht allein die Tatsache, dass wir Omega sind, damit jeder mit uns anstellen darf, was er will? Das ist so unfair! Ich will nie, nie, niemals gebunden werden. Man wird als Omega doch eh nur ausgenutzt.«
»Hey, Stegi, ich kann verstehen, wenn du sauer bist. Und fair ist das alles wirklich nicht. Aber was du sagst stimmt nicht. Nicht ganz. Nicht jeder Alpha ist so, wie du sagst. Nicht jeder will euch nur ausnutzen. Schau dir Rafi an oder so. Er will etwas von Tobi, das sieht jeder, aber er will ihn wirklich nicht nur für sich ausnutzen. Rafi schwebt gerade auf Wolke sieben allein nur deswegen, weil Tobi mit ihm spricht und ihn nicht abweist. Du glaubst gar nicht, wie lange es gedauert hat, bis er sich einmal getraut hat, ihn anzusprechen, aus Angst, dass Tobi ihn sofort zurückweisen könnte. Glaub mir, dieser Junge will ihn nicht nur ausnutzen. Der ist bis hinter beide Ohren verliebt.«
Ich schluckte und ließ mir Tims Worte durch den Kopf gehen.
»Ja, du hast recht. Es ist nicht jeder so. Veni mag anders sein und du auch. Tut mir leid.«
Tim lachte auf.
»Nicht schlimm. Ich an deiner Stelle würde mich noch viel mehr aufregen. Ich kann nicht einmal im Geringsten nachvollziehen, was du schon mitmachen musstest. Aber mein Versprechen gilt immer noch: Max und so werden dir nichts mehr tun. Ich pass auf dich auf.«
Ich sah verlegen zu Boden. Das Blut stieg mir merkbar in die Wangen und trotz der Schmerzen in meinem Gesicht musste ich unwillkürlich lächeln. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich so gut an, versprochen zu bekommen, dass jemand auf einen aufpassen würde. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass es jemanden gab, der sich wirklich um einen sorgte. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass man nicht mehr nur auf sich gestellt war. Dass man nicht mehr alleine war.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
An Stegi:
Was hast du vor, an deinem 18. Geburtstag zu machen?
Keine Ahnung. Dann bin ich aufgeschmissen.
Schreckt dich das Aussehen Tims nicht etwas ab, da Max und er sich ja doch ziemlich vom Äußeren gleichen?
Doch, ein bisschen gruselig war es grad am Anfang schon. Aber ich finde, so lange er lächelt ähnelt er Max kaum.
An die Evolution:
Wie können Männer von Männern und Frauen von Frauen Kinder bekommen? Und wer von den beiden bekommt dann das Kind? Und wie ist das mit den Organen und so? Ich meine... Was ist denn bei dir falsch gelaufen?
Äääääähhhh... Tut mir leid, ich habe keine Zeit! Der Löwenzahn kreuzt sich gerade mit den Schweinen. Das kann nicht gut enden.
An Tim:
Könntest du dir eine glückliche Beziehung mit Stegi vorstellen oder wünschst du dir eine?
Stegi würde sich nicht auf eine Beziehung einlassen.
Wie kann man den Geruch der Omega beschreiben?
Ganz unterschiedlich. Relativ süßlich meistens. Aber sehr intensiv. Man kann ihn teilweise über mehrere Meter hinweg riechen und im Frühling riecht die ganze Schule danach.
An Max:
Warst du schonmal in jemanden verliebt?
Nee?
An Tobi:
Wer sind deine Eltern und wissen sie, dass du missbraucht wirst/wurdest?
Nein, zum Glück nicht! Sie würden mich wohl sofort von der Schule nehmen und privat unterrichten lassen! Schließlich soll ich für den Alpha aufbewahrt werden, den sie für mich aussuchen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro