Kapitel 12/Ende
Und zum ersten Mal spreche ich es laut aus: „Mama ist tot." Erst diese Worte bringen mich in die Wirklichkeit zurück. Jetzt erst fühlt es sich echt an. Jetzt erst kann ich es akzeptieren. Mit zitternden Fingern ziehe ich ein weißes Stück Papier aus dem Umschlag und beginne zu lesen.
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Geliebte Nelli,
Wenn du das liest, bin ich bereits verstorben. Vielleicht schon seit längerem, oder erst vor kurzem. Ich denke, du bist jetzt entweder in tiefer Trauer oder brauchst einen Rat, oder aber du hast Fragen an mich, die du mir nie mehr stellen kannst. Ich weiß, es ist hart, alles ist unvorstellbar schwer für dich. Und es tut mir leid. Das alles was passiert ist, was du mitbekamst, wie du dich jetzt fühlen musst. Aber ich werde mein Möglichstes tun, um zumindest noch deine offenen Fragen über das Familiengeschehen zu beantworten.
Oh ja, es gibt ein paar Dinge, von denen du es verdient hast, diese zu erfahren:
Als ich deinen Vater kennenlernte, war ich noch sehr jung und als es hieß, dass ich mit dir schwanger geworden war, konnte ich mein Glück kaum fassen. Dein Vater blieb jedoch bei seiner Skepsis. Er fand, das es einfach nicht zu uns passen würde ein Kind großzuziehen. So begann das ganze. Manchmal stritten wir uns darüber. Davor gab es keinen einzigen Punkt, der uns unser Leben schwer machte. Und eine kurze Zeit später stritten wir uns regelmäßig, da wir von unserem Arzt eine weitere Mitteilung bekamen... Ab diesem Punkt bekam auch ich leichte Zweifel und machte mir Sorgen, ob wir das gemeinsam schaffen könnten. Du musst wissen, wir konnten nicht von uns behaupten, dass wir gerade reich waren, geschweige denn immer genügend Geld aufzuweisen hatten. Wir steckten eh schon fest in unseren Schulden die sich mit der Zeit angehäuft hatten. Und jetzt kommt das Unfassbare:
Unser Arzt teilte uns mit, dass ich nicht nur mit dir schwanger geworden war, sondern ebenfalls noch einen Jungen gebären sollte. Das Geld würde knapp werden, das wussten wir. Doch trotz gewissen Ängsten, die uns plagten, nicht in der Lage zu sein, für euch sorgen zu können, nahmen wir die Herausforderung schließlich an. Ja, du hast richtig gelesen. Du solltest einen Zwillingsbruder bekommen! Dich tauften wir Nelli und deinen Bruder Simon. Ihr wart beide extrem süß und wir bemühten uns, gut für euch zu sorgen. Doch mit eurem Älterwerden wurde es immer schwieriger. Ihr wurdet immer größer und brauchtet immer wieder neue Kleidung und Sonstiges. Doch wir hatten wenig Geld und konnten uns nicht alles leisten. Glaube mir, wir taten unser Bestes, um alles für euch so wirken zu lassen, als wäre alles in bester Ordnung, doch das war es nunmal nicht. Oft gingen wir mit euch auf eine große Wiese und legten uns unter eine Eiche. Ihr wart ganz fasziniert von diesen großen Bäumen, besonders Simon. Als ihr drei Jahre alt wurdet, waren wir mehr als pleite. Wir konnten uns nicht beide und euch versorgen. Unsere Streite wurden noch häufiger und letztendlich entschieden wir, uns zu trennen. So tragisch das jetzt auch klingen mag. Für mich war es jedoch unklar, wer welches Kind nahm. Ich liebte euch beide gleich sehr und sich dann für jemanden zu entscheiden, der weg musste, war unmöglich.
Am Morgen, zwei Tage, nachdem wir uns entschieden hatten, uns zu trennen, war ich plötzlich mit dir allein in der Wohnung. Und das war der Augenblick, in dem mir klar wurde, was für einen großen Fehler ich gemacht hatte. Ich war völlig am Ende. Dein Vater war einfach so mit Simon abgehauen! Alles stellte ich auf den Kopf, um sie wieder zu finden. Doch Simon und Leonard waren wie vom Erdboden verschluckt. Ich glaube, er konnte deinen Bruder irgendwann nicht mehr versorgen und gab ihn dann in einem Waisenhaus ab. Über Jahre hinweg suchte ich Simon, doch ich fand ihn nicht. Mit der Zeit verblassten deine Erinnerungen an ihn und um dich nicht zu verwirrren, nahm ich die Bilder, die uns alle vier als Familie zeigten und versteckte sie. Eines habe ich dir jedoch in den Umschlag gelegt. Was mir auch auffiel war, dass eines dieser Fotos fehlte, nachdem dein Vater fort war. Vermutlich hat er es als Erinnerung behalten. Ab jetzt kennst du unsere Geschichte und weißt, wie sie weiter geht. Bitte versteh, dass ich alles tat, um dein Leben so schön wie nur irgend möglich zu gestalten. Bitte traure mir nicht nach. Ich verbleibe immer bei dir. So lange wie du lebst und auch danach. Die, die dich immer liebt
Mama xxx❤
Die Tränen kullern mir die Wangen hinab. So lange habe ich auf diese Worte gewartet. So lange... Jetzt bin ich zwölf Jahre, als Mama starb, war ich acht. Erst jetzt können sich alle Puzzleteile zusammenfügen. Ist Simon, mein Simon vielleicht mein Bruder? Ich nehme das Bild, das unsere einstige Familie zeigt aus dem Umschlag. Links im Foto steht ein lachender, groß gewachsener Mann mittleren Alters, der einen kleinen Jungen auf den Armen hält. Mein Vater und mein Bruder. Ein Stück weiter rechts lehnt meine Mutter an Simon und meinem Vater. Ich bin auf ihren Armen. Im Hintergrund kann man eine Wiese ausmachen und einen großen Baum, wahrscheinlich die im Brief beschriebene Eiche. Jeder sieht glücklich aus und strahlt in die Kamera. Keiner, der dieses Bild zu Gesicht bekäme, würde auch nur vermuten, dass diese Familie schwerwiegende Geldprobleme hatte oder sich ein Spalt zwischen den beiden Elternteilen aufgetan hatte, der zur späteren Trennung führen würde. Ich sehe mir das Gesicht meines Bruders genauer an. Karamellbraune Haare hatte er, genau wie ich und der Simon, mit dem ich seit Jahren befreundet bin... Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich langsam aber sicher die Gesichtszüge meines Freundes ausmachen, oder? Immer sicherer werde ich mir, so länger ich das Bild betrachte. Langsam setzen sich die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen. Mein Simon hat immerzu verstrubbelte Haare, wie die meines Vaters. Meine Haare. Wir sind gleich alt. Sogar am exakt gleichen Tag geboren, wie wir an unseren Geburtstagen feststellten haben wir Geburtstag. Dann noch der Traum.... Das fremde Lachen hatte von Simon gestammt! Außerdem mag mein Simon noch immer große Bäume. „Es ist eine Art Erinnerung von ihm von früher, verstehst du?" Das waren Vivianas Worte gewesen, damals, in den ersten Tagen im Waisenhaus, als sie von Simon und seinem Lieblingsplatz unter der Eiche sprach. Eine Art Erinnerung von ihm. Wenn er mein Bruder ist, hat er sicher die gleiche Erinnerung wie ich. Die Gedanken überschlagen sich und prasseln wie Hagel auf mich ein. Sein Gesicht taucht vor mir auf. Wir hätten eine richtige Familie sein können! Es ist unfassbar traurig, aber es ist die Wahrheit. Ich muss sie akzeptieren. Es ist, als würde sich der Himmel aufklaren und ich sehe meine Familie ganz klar. Meine Geschichte. „Ich verbleibe immer bei dir", hatte meine Mutter geschrieben. Ich weiß, sie sagt die Wahrheit und ich glaube ihr.
Eine Krankenschwester taucht im Raum auf. „Du hast Besuch." Sie lächelt und ihr Lächeln erinnert mich an das meiner Mutter und das von Simon. Die Frau öffnet die Tür ein Stück weiter und er tritt ein. „Hey.", sagt er nur. Während wir uns in die Augen blicken, breitet sich ein Lächeln auf unser beider Gesichter aus. Ich bin mir nun sicher und jetzt, da ich weiß , dass ich immer jemanden haben werde, eine Familie und gleichzeitig unersetzliche Freunde, kann mein Leben neu beginnen.
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Okay schätze, das war dann das Ende.
Aber seien wir mal ehrlich, ihr habt sicher ein paar etwas unrealistische Stellen beim Lesen gefunden xD
Mochtet ihr die Geschichte?
Oder hättet ihr euch ein anderes Ende mehr gewünscht?
Soll ich die Geschichte so enden lassen, oder vielleicht sogar einen 2. Teil schreiben?
Auf allen Fall danke für's Lesen meiner Story!❤
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