03. Der Prinz
♪ 5th Symphony – Ludwig van Beethoven
Blankes Entsetzen breitete sich in mir aus.
In jenem Moment erkannte ich die Ausweglosigkeit der Situation, in der ich mich befand. Was sollte ich der Prinzessin antworten? Ihr Blick ruhte auf mir, freundlich, zuvorkommend, neugierig und mit jeder Sekunde nahm mich dieser mehr gefangen.
Ich wollte sie unbedingt näher kennenlernen, aber wie sollte ich das bewerkstelligen?
In meiner Kaufmannskluft sicher nicht und erst recht nicht, wenn ich ihr das Piano verkaufte und keinen Grund mehr besaß, erneut den Zutritt in das Schloss erhalten.
Gedanklich raufte ich mir die Locken, während ein Räuspern meiner Kehle entwich.
Plötzlich spürte ich, wie jemand mir in den Bauch zwickte. Louis, dieser Idiot, wagte es tatsächlich, sich bemerkbar zu machen. Der Zeitpunkt war denkbar unpassend, aber vielleicht hatte er eine Idee, mich aus dieser Misere herauszubringen.
„Ähm, also ich muss kurz überlegen, was ich für das Instrument haben möchte. Lasst mich ein wenig nachdenken, verehrte Prinzessin", erwiderte ich geistesgegenwärtig.
Die blonde Schönheit, deren Namen ich noch gar nicht kannte, nickte wohlwollend.
„Ich gewähre Euch diesen Moment. Sicher ist es nicht leicht, sich von solch einem schönen Piano zu trennen."
Spürte sie etwa die Verbindung zwischen mir und dem Musikinstrument? Ahnte sie vielleicht, dass ich dieses gar nicht wirklich zu verkaufen gedachte?
Bevor ich weiter darüber nachzudenken vermochte, zwickte der Elf mich erneut in den Bauch. Dieses kleine Biest! Wegen ihm würde ich noch blaue Flecken bekommen.
„Edle Prinzessin, gestattet mir, dass ich mich ein wenig frisch mache", sprach ich und spürte, wie der Schweiß aus allen meinen Poren hervorbrach. „Meine Reise war lang und anstrengend."
Wieder lächelte sie mich an. „Natürlich. Mein Diener wird Euch zu dem entsprechenden Raum geleiten. Ich warte derweil hier und betrachte das Piano."
Hoffentlich versuchte sie nicht darauf zu spielen, dann war ich am Arsch und würde am Ende noch als Betrüger im tiefsten Kerker landen. Im schlimmsten Fall würde man mir sogar den Kopf abschlagen.
Leicht schauderte ich bei diesem Gedanken und während ich hinter dem Diener herlief, spürte ich, wie Louis sich an meinem Gürtel festklammerte. Neugierig schaute ich mir den Raum an, in welchem der Diener mich zurückließ. Ein edles Badezimmer, mit einer großen, weißen Wanne, die auf vier Füßen stand. Es gab auch ein Waschbecken mit goldenen Armaturen, das ich sogleich benutzte. Schnell drehte ich den Hahn auf und ließ das Wasser über meine Hände fließen. Anschließend benetzte ich meine Stirn sowie den Nacken mit dem erfrischenden Nass.
„Das tut gut", seufzte ich.
Inzwischen war Louis unter meinem Umhang hervorgekrochen. Er saß auf dem Waschbeckenrand, seine Beine baumelten in der Luft und er rieb sich mit angestrengtem Gesichtsausdruck die Nase. Bevor ich jedoch meinen Unmut an ihm auslassen konnte, begann er zu sprechen: „Wir brauchen den Kobold, nur der kann uns helfen."
„Den Kobold?" Entgeistert starrte ich Louis an.
„Ja, er ist mein Freund. Wir haben auch schon einen zusammen gehoben."
Dies entsetzte mich noch mehr: „Du trinkst Alkohol?"
Der Elf zuckte nur mit den Schultern: „Klar, oder dachtest du, wir leben hier wie die Mönche?"
Tief atmete ich ein. „Und wie kriegen wir den Kobold hierher?"
„Wie wohl." Louis sprang vom Waschbecken auf den Boden, wobei er einen Salto vollzog. „Du musst das passende Lied spielen."
„Oh nein, nicht schon wieder!", entfuhr es mir.
„Reg dich ab, ich kenne die Melodie. Bin ja nicht so blöd wie die einfältigen Rotjacken." Er klatschte in seine kleinen Hände, ergriff dann einen Zipfel meines Umhangs und zog sich daran nach oben. Louis wies ein erstaunliches Geschick beim Klettern auf, das musste ich zugeben.
Als er auf meiner Schulter ankam, flüsterte er mir etwas in Ohr und ich begann zu grinsen. „Danke, Louis. Dieses Stück spiele ich sehr gerne."
Mit dem Elf unter meinem Umhang trat ich aus dem Badezimmer und wurde durch den Diener in Empfang genommen, der mich sofort zurück zur Prinzessin brachte.
„Edle Prinzessin", begann ich meine kurze Rede, „ich würde Euch sehr gerne etwas auf diesem Piano vorspielen, Dann könnt Ihr entscheiden, was Ihr bereit seid, für das Instrument auszugeben. Klingt das fair?"
Ihr Lächeln nahm mich gefangen, ließ einen warmen Schauer durch meinen Körper wandern. „Das klingt sehr fair, werter Kaufmann."
Innerlich atmete ich ein wenig auf. Dennoch blieb ich angespannt, hoffend, dass alles gut gehen würde.
Sanft legte ich die Finger auf die Tasten und hatte dabei das Gefühl, dass die Prinzessin mich nicht aus den Augen ließ. Mit geschlossenen Augen begann ich das Meisterwerk von Beethoven zu spielen, die fünfte Symphonie. Ich gab mich dieser völlig hin, kannte weder Zeit noch Raum, versank zwischen den Tönen und blickte erst auf, als ich das Stück beendet hatte.
Mehrmals blinzelte ich, konnte jedoch nirgendwo einen Kobold erkennen. Auch Louis schien verschwunden zu sein, denn ich spürte keine einzige Bewegung mehr unter meinem Umhang. Da ich mich nicht traute, der Prinzessin in die Augen zu schauen, blickte ich hilflos zu Boden.
Und da sah ich ihn.
Einen Kobold, ganz in Grün gekleidet, mit einem riesigen Hut auf seinem Kopf. Hellblaue Augen blitzten mir entgegen und unter der Kopfbedeckung schauten dunkelblonde Haare hervor. Waren die nicht bei Kobolden rot?
Ein wenig irritiert starrte ich den Kleinen an und flüsterte leise: „Hallo, bist du der Kobold, den Louis kennt?"
Er nickte, zwinkerte mir zu und meinte: „Du kannst mich Niall nennen." Beinahe lautlos formte ich mit den Lippen meinen Namen, doch Niall schien auch so zu wissen, wen er vor sich hatte.
„Du kannst lauter sprechen, Harry. Sie können mich nicht sehen und uns auch nicht hören. Ich habe einen Schockzauber angewandt."
Überrascht zog ich die Brauen nach oben. Der war ja gewitzt.
„Also, Harry, wo drückt der Schuh? Brauchst du ein Pint voller Guinness, einen Topf voller Gold oder irgendeinen anderen Gefallen?"
Vorsichtig sah ich mich um. Tatsächlich schien niemand von den Anwesenden zu bemerken, was hier gerade passierte. Hart schluckte ich: „Du könntest mir in der Tat einen Gefallen tun."
Aufmerksam schaute Niall mich, legte den Kopf schief und kreuzte die Arme vor seiner Brust: „Schieß los."
Mit matter Stimme erklärte ich ihm, was vorgefallen war. Und zwar von Anfang an. Niall hörte aufmerksam zu, nickte hin und wieder und als ich meine Erzählung abgeschlossen hatte, rieb er sich das Kinn.
„Mit anderen Worten, ich werde einen Vergessenszauber anwenden."
„Einen Vergessenszauber?"
„Lass mich nur machen", meinte der Kobold, dessen irischer Akzent sich witzig anhörte.
Ich hatte keine Ahnung, was er tat, als er von Mensch zu Mensch sprang, von Schulter zu Schulter und dabei eine goldene Wolke hinter sich herzog. Vielleicht handelte es sich dabei um Koboldstaub, wer wusste das schon?
Und dann geschah etwas Unglaubliches: Meine Kleidung veränderte sich. Sie wirkte wie die eines Prinzen.
Schnell blickte ich mich um, sah, dass die Anwesenden sich vor mir verbeugten und die Prinzessin auf mich zukam.
„Edler Prinz, sagt mir, wo kommt Ihr her und wie ist Euer Name?"
Meine Fresse, Niall hatte echt ganze Arbeit geleistet. Der Kobold saß auf dem Piano und zwinkerte mir zu. So, als ob er mich animieren wollte, nun das Richtige zu tun.
Geistesgegenwärtig flossen die Worte aus meinem Mund: „Ich bin Prinz Harry aus dem Vereinigten Königreich Großbritanniens." Besser hätte ich es wohl nicht formulieren können, denn die Prinzessin schien ganz angetan.
„Oh! Ist das ein großes Königreich? Gehören viele Länder dazu?"
„Wales, Schottland, Nordirland und England." Leicht verbeugte ich mich vor der hübschen Frau. „Ich selbst lebe in London. Das ist die Hauptstadt Englands."
Begeistert sprach die Prinzessin: „Das klingt wundervoll. Bitte, Prinz Harry, beehrt uns doch mit Eurer Gesellschaft. Ihr könntet mir beim Abendessen gerne mehr über Eure Heimat berichten. Und natürlich haben wir ein Gästezimmer, in dem Ihr nächtigen dürft."
Das lief besser als erwartet.
Niemand sprach mehr über das Piano und als ich mich nach dem Musikinstrument umdrehte, stellte ich mit Entsetzen fest, dass es verschwunden war. Automatisch suchten meine Augen nach dem Kobold. Niall saß mittlerweile auf einem goldenen Kronleuchter, der in der großen Halle hing und begann seelenruhig zu schaukeln. Dabei zwinkerte er mir zu. War das etwa Teil seines Plans?
Ehe ich mich versah, tauchte eine goldene Wolke vor mir auf und als diese sich verflüchtigte, hockte Niall auf meiner linken Schulter.
„Das Essen lasse ich mir nicht entgehen", kicherte er. „Und keine Angst, Harry, sie können mich nicht sehen. Nur du kannst das."
Mit zusammengebissenen Zähnen nuschelte ich: „Bleib um Himmels Willen unsichtbar."
„Keine Sorge, kann ich sonst noch etwas für dich tun?"
„Wo ist mein Piano und wie heißt die Prinzessin?", wisperte ich so leise, dass es nur Niall zu verstehen vermochte.
„Dein Piano ist in Sicherheit und was die Prinzessin angeht, frag sie einfach. Du bist ein Prinz, du hast das Recht dazu den Namen deiner Gastgeberin zu erfahren."
Niall klang so selbstsicher, dass ich mich dazu hinreißen ließ, die Frage aller Fragen zu stellen. Lächelnd wandte ich mich der blonden Schönheit zu.
„Ich nehme Euer Angebot gerne an, edle Prinzessin und bleibe über Nacht. Allerdings müsst Ihr mir vorher Euren Namen verraten."
Sofort errötete sie bis unter den Haarwurzeln. „Habe ich mich noch nicht vorgestellt? Wie unhöflich von mir. Verzeiht mir, bitte, Prinz Harry. Mein Name ist Taylor."
„Taylor? Das ist ein wunderschöner Name und er passt zu Euch", säuselte ich ganz angetan.
Anschließend bot ich der Prinzessin den Arm, welchen sie dankend umfasste. Gemeinsam schritten wir durch die große Halle, der Kobold noch immer auf meiner Schulter verweilend.
Im Speisesaal angekommen, empfing uns eine überaus reichlich gedeckte Tafel. Mehrere Fleischplatten, Gemüse in großen Schüsseln, Obst sowie eine puddingähnliche Nachspeise, brachten meinen Magen zum Knurren.
Auch Niall schien Hunger zu haben, denn er sprang urplötzlich von meiner Schulter, rannte über den Tisch und stibitzte hier und da etwas von dem guten Essen. Es fiel nicht auf, da es sich Vergleichsweise um winzige Portionen handelte. Kauend und schmatzend verweilte er wenig später erneut auf meiner Schulter, während ich eine angeregte Unterhaltung mit der Prinzessin führte.
Taylor war einfach umwerfend. Sie war genau die Frau, nach der ich so lange gesucht hatte. Mein Herz quoll vor Freude und Leidenschaft über, wann immer ich in ihre Augen schaute, wann immer ich ihre Stimme und ihr Lachen hörte.
Ich war drauf und dran mich zu verlieben, obwohl dies gänzlich falsch sein musste. Schließlich gehörte ich nicht in dieses Wunderland, sondern besaß ein Leben in London. Ein sehr einsames, um ehrlich zu sein. Mit Taylor an meiner Seite fühlte ich mich vollkommen.
Irgendwann verstummten die Gespräche bei Tisch und Taylors Hofdamen machten Anstalten, die Prinzessin zu ihren Gemächern zu führen.
„Gute Nacht, Prinz Harry, wir sehen uns morgen beim Frühstück", verabschiedete sich die Prinzessin von mir.
„Gute Nacht, Prinzessin Taylor." Leicht verbeugte ich mich und nachdem die Prinzessin meinen Blicken entschwunden war, geleitete mich ein Diener zu meinem Schlafgemach. Er wünschte mir eine gute Nacht und zog sich dann zurück. Ganz allein war ich jedoch nicht, denn Niall leistete mir Gesellschaft.
Allerdings brachten mich seine nächsten Aussagen in ein mächtiges Gefühlschaos.
„Es geht bald auf Mitternacht zu, Harry. Das heißt, ich muss verschwinden. Du hast noch einen Wunsch frei, dann kann ich dir leider nicht mehr behilflich sein."
„Was?! Nein! Ich wusste, dass es einen Haken an der Sache gibt", erklärte ich mit verzweifelter Stimme. „Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen!"
Niall legte seinen Kopf schief, wobei seine blauen Augen aufblitzten. „Du hast die Wahl, Harry. Du kannst im Wunderland bleiben oder zurück nach London kehren. Aber egal, welche Wahl du triffst, du wirst die Welt, für die du dich entscheidest, nicht mehr verlassen können. Also wähle klug."
Jetzt war ich total am Arsch.
_________
Tada, ein neues Kapitel beim Piano.
Der arme Harry hat nun die Qual der Wahl.
Ich denke es war nicht schwer, sich Niall als Kobold vorzustellen, der seinen Koboldstaub verbreitet. :)
Wie mag Harry sich jetzt wohl entscheiden?
Ich habe eine grundsätzliche Frage: wann möchtet ihr das nächste Kapitel haben? Am 23.12, am 25.12. oder am 26.12.?
Ich wünsche euch einen schönen 4. Advent, auch wenn wir diesen im Lockdown verbringen müssen.
LG, Ambi xxx
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