Hänsel und Gretel
„Jan!" zischt Till.
Der Angesprochene öffnet seine Augen, springt auf und wirft dabei die arme Paula runter.
„Mann, Till. Was willst du? Geh dich amüsieren, wir..." murmelt er irritiert.
Till unterbricht ihn ruhig:
„Hier läuft ein Killer herum, wir müssen hier raus! Schnapp dir das Mädchen und folge uns."
Paula guckt verwirrt. Ich laufe einfach hinter Till her, bin zu keinerlei Emotion fähig. Meine liebste Lisa liegt irgendwo hier in diesem Labyrinth und ist tot. Ich wische mir die Tränen weg. Paula, die hinter uns her stolpert, mault:
„Mann, du willst uns bloss verarschen. Was'n das für ein krankes Spiel?"
Jan pflichtet ihr bei:
„Ja. Und wer soll das bitte sein, der meint, sinnlos morden zu müssen?"
„Seid leise!" zischt Till.
Ich spüre seine warme Hand und habe den Impuls, mich in seine Arme zu werfen und mich trösten zu lassen. Wie eben. Nur da kam überhaupt nichts bei mir an, er hätte genauso gut eine Puppe halten können. Ich beisse mir fest auf die Unterlippe, atme tief durch, um zu mir zu kommen. Ich muss klarer werden!
Ein gellender Schrei ertönt hinter uns. Till bleibt stehen und dreht sich um. So wie ich. Jan und Paula sind hinter einer Abbiegung verschwunden. Till legt einen Finger auf seine Lippen. Ich nicke. Dann schleicht er langsam vorwärts und guckt in die Richtung, in die das Pärchen abgebogen ist. Er zieht mich hinterher und ich sehe, das Paula über ein lebloses Mädchen, dessen Namen ich vergessen habe, gebeugt ist. Jan steht fassungslos da.
„Sie ist tot! Jemand hat ihr den Bauch aufgeschlitzt!" weint Paula und guckt mich vorwurfsvoll an.
Mich! Als wäre ich der Killer! Hallo?
Plötzlich zuckt sie zusammen, ihre Augen weiten sich. Ich spüre einen Luftzug, höre Till aufschreien und drehe mich um. Ich handle im Affekt, bevor der Maskierte sein Messer wieder auf Till hinabsausen lassen kann, knalle ich ihm die Gerte heftig ins Gesicht. Ein Schmerzensschrei, ich greife nach Till und ziehe ihn dieses Mal hinter mir her. Ich spüre etwas Nasses an meiner Hand, Till blutet. Doch ich habe keine Zeit, nach zu schauen. Nur weg hier! Wie es in einem Irrgarten nun mal so ist, laufen wir im Kreis und nach einer Weile stolpere ich fast über Daniels Leiche. Till hält mich fest. Ich betrachte seinen Arm, es ist tatsächlich eine Schnittwunde zu sehen. Mein Ex- Feind und nun einziger Verbündeter zieht sein T-Shirt aus, und ich helfe ihm, es um den Arm zu wickeln und fest zu knoten. Er zieht scharf die Luft ein, ich schaue ihn besorgt an. Till lächelt tapfer und nimmt meine Hand.
„Lass uns weiter." flüstert er.
Jan und Paula haben wir schon längst wieder verloren. Lisa, das Mädchen, vielleicht hieß sie Tanja, und Daniel sind tot. Und irgendwo müssen noch die Anderen sein, Honey, Sandy und die dritte Unbekannte. Jasmin, glaube ich. Ich würde Till gerne fragen, ob er ne Ahnung hat, wer der Killer sein könnte, doch ich traue mich nicht, noch mehr Geräusche zu machen, als das leise Knirschen unserer Füße über den Boden. Und außerdem kriege ich kaum noch Luft und habe Seitenstechen. Also halte ich an, lasse Till los.
„Was ist? Komm, wir müssen weiter..." raunt er besorgt.
„Ich kann nicht mehr. Es hat doch eh keinen Zweck. Wir finden hier nie raus." flüstere ich resigniert.
Till seufzt.
„Gib nicht auf, ja? Komm, wir gehen langsamer."
Er hält mir seine Hand hin. Ich nehme sie wieder und eine Weile schlendern wir dahin, als wir plötzlich ein leises Rufen hören. Ich halte meine Gerte bereit, doch es ist Sandy, die am Boden liegt. Ein Blutfaden läuft aus ihrem Mund. Till hockt sich vor sie und untersucht sie.
„Er hat wohl ihre Lunge verletzt..." murmelt er schließlich professionell und versucht, Sandy mit dem Tischtuch einen Verband zu machen. Mein unerwarteter Held redet beruhigend auf den Pornostar ein, während ich Wache halte. Plötzlich höre ich schwere Schritte und eine dunkle Gestalt kommt um die Ecke. Ich hebe die Gerte, doch dann erkenne ich Enrico. Ich stürze auf ihn zu und falle erleichtert um seinen Hals.
„Verdammt, Leute, was geht hier bloß ab? Ich bin sofort los gelaufen, als die Headsets ausfielen. Dann bin ich über die tote Honey und ihren Lover gestolpert!" japst er.
„Bring uns hier sofort raus, Enrico!" flehe ich.
Er stöhnt.
„Sorry, ich hab leider auch völlig den Faden verloren."
„Leute, wir sollten unsere Klappe halten und hier verschwinden. Vielleicht hat sie hier noch eine Chance." knurrt Till leise und Enrico schaut ihn wütend an. Oh, nein, jetzt bitte keinen Gockelkampf! Doch dann hebt Enrico Sandy hoch, die dabei leise aufstöhnt. Till will wieder meine Hand nehmen, aber ich sage:
„Lass uns doch die Beiden in die Mitte nehmen. Du gehst vor und ich bilde die Nachhut."
Er nickt.
„Keine schlechte Idee. Was willst du damit?" fragt er dann, als er sieht, wie ich ein Meterbrot vom Tisch nehme.
„Ich bin es satt, immer im Kreis zu laufen." antworte ich leise.
„Aber du legst dem Killer ne Spur!"
„Besser, als wenn wir weiter keinen Plan haben. Soll er nur kommen, Enrico beherrscht Kampfsport, nicht wahr?"
Der Angesprochene nickt. Seufzend marschiert Till vor und ich folge Enrico. Sandy atmet schwer und ich bete, dass wir endlich den Ausgang finden, damit wir sie vielleicht retten können. Die hellen Brotkrümel leuchten im Mondlicht und als wir nach einer Weile wieder auf sie treffen, gehen wir in die andere Richtung.
Ich spüre etwas Kühles und Feuchtes an meiner Wange und streiche darüber. Blut! Wahrscheinlich von Tills Arm. Doch dann wäre es doch schon getrocknet, oder? Und ich hätte es schon eher bemerkt. Ich blicke hoch zu Enricos breiten Kreuz, seinem ausrasiertem Nacken.
Und erstarre.
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