Aufwühlend
Mit pochendem Herzen öffnete ich meine Augen. Meine Hände krallten sich an der Decke fest. Wie ein Vogel, welcher gerade seine Beute gefangen hatte. Ich setzte mich aufrecht und blickte mich um. Andy stand am Fenster. Lugte durch die verschlossenen Vorhänge. Ich atmete tief ein und wieder aus. Zu meinem Erstaunen, tat mir bis auf die paar Wunden ausnahmsweise nichts weh. So gut hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Ohne wach zu werden. Obwohl ich wie immer, in meinem Traum gefangen war. Als Andy bemerkte das ich erwacht war, wandte er sich lächelnd zu mir um.
„Du schaust sehr viel besser aus Kat. Ich habe mir die ganze Nacht Gedanken gemacht. Ich habe einen Plan. Zumindest, was die Waffen angeht."
Nickte er und reichte mir ein Glas Wasser.
Allmählich beruhigte sich mein Herzschlag. Die Freude, dass sie uns nicht gefunden hatten war groß. Erneut hatte ich einen weiteren Tag überlebt.
„Danke. Dann lass mal hören."
Nuschelnd blickte ich ihn an und befeuchtete mit dem Wasser meinen ausgedörrten Mund.
„Mein Onkel, James arbeitet bei der Polizei. Zumindest ist er dort angestellt, er ist kein Polizist. Keine sorge. Wenn wir an seine Schlüssel kämen, könnten wir uns dort ausrüsten."
Erklärte Andy aufgeregt. Ich hingegen dachte, er hätte nun völlig den Verstand verloren. Wie sollten wir dort unbemerkt hineinkommen? Sicherlich gab es überall Überwachungssysteme. Außerdem waren immer Polizisten auf dem Revier. Mein Herz schlug umgehend schneller.
„Andy, wie sollen wir da unbemerkt hinein kommen? Selbst wenn wir dies schaffen würden, dort gibt es Kameras. Mal abgesehen von den ganzen Polizisten, die dort sein werden."
Verständnislos blickte ich ihn an. Dies würde unmöglich funktionieren.
„Kat, das mit dem Überwachungssystem lass mal meine Sorge sein. Das bekomme ich hin. Wir müssen zu meinem Onkel. Er ist sehr, wie soll ich es sagen, redselig. Wenn wir etwas bohren, bekommen wir raus, was wir wissen müssen."
Andy war mehr als überzeugt. Ich hingegen hatte Angst. Große Angst. Was wenn sein Onkel einer von ihnen war? Würde er seinen eigenen Neffen töten? Mich eingeschlossen? Dazu kam noch, dass es hell war draußen. Sicherlich waren sie alle bereits auf der Suche nach uns. Wie sollten wir unbemerkt von hier fort kommen. Und wie weit müssten wir gehen? Draußen herrschte das typische London Wetter. Wolkenbehangener Himmel, leichter Wind und Nieselregen. Dies würde die Leute in ihren Wohnungen belassen. Zumindest jene, die nicht zwingend ihr Heim verlassen mussten. Dies war unser Vorteil. So redete ich es mir ein. Alleine der Gedanke daran, gleich da raus zu müssen, entfachte meine Paranoia. Leicht begann ich zu wippen.
„Schön, angenommen wir schaffen es zu deinem Onkel, ohne vorher getötet zu werden. Und er ist uns gegenüber freundlich gesinnt. Wir bekommen die nötigen Informationen, welche wir benötigen. Schaffen es auch noch in das Revier hinein. Wie willst du ungesehen mit den Waffen da wieder heraus kommen? Haben die nicht überall Schleusen? Sind da keine Wachen positioniert?"
Nervös knabberte ich an meinen nicht vorhandenen Nägeln und wartete auf seine Antwort.
„Ich habe nie gesagt, das es einfach wird. Aber wir könnten es tatsächlich schaffen. Kat, ansonsten haben wir nur diese Messer hier. Damit kommen wir nicht wirklich weit."
Er hatte ja recht. Dennoch fand ich diesen Plan äußerst riskant und unsicher. Aber was hatten wir schon für eine Wahl? Außer hier bleiben und darauf warten, dass Sie uns fanden. Damit wäre Mandy und Ilias auch nicht geholfen.
„Na schön. Dann lass uns gehen. Ich hoffe wir überstehen den heutigen Tag."
Nickend reichte er mir meinen Parker und das Messer. Welches er gesäubert hatte. Kein einziger Tropfen Blut klebte mehr daran. Ich ließ es in meinem Ärmel verschwinden und Andy schloss die Tür auf. Mein Herz pumpte stark, als ich einen Fuß über die Schwelle tat. Und ich wusste es würde sich so schnell nicht beruhigen. Andy war äußerst achtsam. Wofür ich ihm sehr dankbar war. Immer wieder blickte auch ich mich um. Sah zu den Leuten rüber, welche den Gehweg gegenüber benutzten. Die Straßen lagen ruhig vor uns. Es war die Ruhe vor dem Sturm. So zumindest Empfang ich es. Er führte uns durch etliche kleinen Gassen hindurch. Mied die Hauptstraßen. Ich hatte ganz vergessen, wie schön es hier war. Wie sehr ich diese Stadt vermisst hatte. Ich sah spielende Kinder in einem Hinterhof. Ihre Welt war noch in Ordnung. Und ich hoffte das dies für sie immer so bleiben würde. Als wir um die nächste Ecke bogen, waren wir sehr nah an meinem Zuhause. Ein stechen in meiner Brust, zerbrach mein Herz. Wie gerne würde ich meine Eltern sehen. Sie in meine Arme schließen und mein Leben weiterführen, wie es früher war. Doch nicht heute. Vielleicht würde ich irgendwann die Gelegenheit dazu bekommen. Vorausgesetzt ich überlebte diesen Horror. Diese Straße kannte ich nur zu gut. Hier hatte Jenna gelebt. In dieser Straße hatte ich viele schöne Dinge erlebt. Welche beinahe schon in Vergessenheit geraten waren. Gerade in diesem Moment, kam alles wieder hoch.
Ich war den Tränen nahe. Hatte völlig vergessen, wie sehr ich sie alle vermisste. Ich sah uns durch die Straßen laufen. Lachend und glücklich. Unbeschwert. So würde es nie wieder sein. Ich würde nie wieder ihr Lachen hören können. Nie wieder mit ihnen reden. Sie waren fort. Einfach aus meinem Leben verschwunden. Hatten mich mit diesem Horror alleine gelassen. Trauer und Wut nahmen den Platz in meinem Herzen ein. Denn nun schien sich dies ein weiteres Mal zu wiederholen. Als wollte mir wer mit allen Mitteln mein Leben zur Hölle machen. Andy zog mich weiter. Nahm mir die Sicht auf jede Straße. Ein weiterer Gedanke fiel mir in den Sinn. Was mit mich Andy's Onkel kannte? Wenn er meine Eltern kannte? Wenn er von meinem verschwinden wusste? Dieser Gedanke setzte einen weiteren Adrenalin Schub frei. Erneut schlug mein Herz viel zu schnell.
„Andy warte. Was wenn dein Onkel mich kennt? Wenn er meinen Eltern Bescheid gibt? Das war doch keine so gute Idee."
Hielt ich inne und erkannte meine eigene Stimme kaum wieder. Auch Andy schien dies vorher nicht bedacht zu haben. Erneut legte sich eine leichte Blässe auf sein Gesicht.
„Du hast recht. Verdammt. Daran hatte ich nicht gedacht. Dann werde ich allein zu ihm gehen. Du wirst dich hier irgendwo verstecken müssen."
Gab er entschuldigend von sich. Was mich nur noch mehr beunruhigte. Erneut sollte ich allein sein? Uns zu trennen war ebenfalls keine gute Idee. Zumal wir so angreifbarer waren. Doch was blieb uns nun anderes über? Den ganzen Weg umsonst gegangen zu sein, wäre verrückt.
Die feinen Härchen an meinen Armen stellten sich aufrecht. Gerade hier sollte ich mich verstecken. Ein Platz schoss mir umgehend in den Kopf. Das alte verlassene Manson Haus. Es stand noch, das hatte ich vorhin gesehen. Dort waren wir ein einziges Mal gewesen. Mitten in der Nacht. Angeblich spukte es dort. Damals waren wir keine fünf Minuten dort geblieben. Aber was, wenn sich dort schon diese Monster eingenistet hatten? Dies war gut möglich. Es lag nahe an meinem Zuhause. Die Gegend, in der ich mich besser auskannte, als sonst irgendwo. Ob der alte Baum noch stand? Ich erinnerte mich, dass dort vor Jahren ein Blitz in einer der uralten Bäume eingeschlagen war. Damals entstand ein riesiger Spalt. So groß, das Jenna und ich dort gemeinsam Platz fanden. Er war zur Straße gerichtet. Von dort aus hätte ich die Straße im Blick. Jedoch das Haus und seine Monster in meinem Nacken. Vorausgesetzt, jemand wartete dort auf mich. Das zittern übernahm erneut die Kontrolle über mich. Ich wünschte mich zurück in Andy's Wohnung. Den schützenden Kokon. Doch nun war es zu spät. Ich musste über meine Ängste hinweg sehen. Meine Angst überwinden.
„Ich gehe zum Manson Haus. Der alte Baum. Dort werde ich auf dich warten. Andy, beeile dich und bitte, pass auf dich auf."
Antwortete ich zögerlich und erntete sein Nicken. Er wandte mir den Rücken zu und lief los. Ich atmete durch. Dann setzte auch ich mich in Bewegung. Ich lief immer schneller. Hatte erneut das Gefühl, beobachtet zu werden. Der Regen nahm kontinuierlich zu. Erschwerte mir die Sicht. Paranoid wandte ich mich um die eigene Achse. Niemand war zu sehen. Doch dieses ungute Gefühl schwoll weiter an. Als ich endlich das Haus erreicht hatte, rannte ich noch schneller als zuvor. Ich sah den Baum mit seiner riesigen Spalte. Mein Blick huschte auf die Fensterfront des Manson Hauses. Es lag ruhig vor mir. Kein Licht. Keine Schemen zu sehen. Keine einzige Gardine wackelte. Alles war wie es immer war. Verlassen. Mit wild pochendem Herzen zwängte euch mich in den Spalt und drängte mich in eine Ecke hinein. Mein Messer ließ ich hinab gleiten. Sodass ich nun seinen Griff fest in meiner zittrigen Hand hielt. Mein Blick war auf die Straße gerichtet. Die enge des alten Stammes um mich herum, beruhigte mich leicht. Angespannt behielt ich die Straße im Auge. Ein paar Passanten gingen über die kleine Kreuzung. Der Regen nahm ab. Doch die Zeit schien still zu stehen. Andy war noch immer nicht zurückgekehrt. Allmählich kamen mir etliche furchtbare Gedanken in den Sinn. Was wenn sie ihn bekommen hatten? Hatte er es überhaupt zu seinem Onkel geschafft? War er einer von ihnen? Nervös schüttelte ich meinen Kopf. Ich musste ruhig bleiben. Atmete tief ein und aus. Ein bellen erschrak mich so stark, dass mir beinahe ein Schrei entwichen wäre. Doch als ich den Ursprung dieses Belles erblickte, wog mein Herz Tonnen. Tequila. Mein Tequila. Geführt von meinem Dad. Augenblicklich schossen mir Tränen in die Augen. Ich krallte meine Hand in die abgestorbene Rinde des Baumes. Aus lauter Angst, ich würde einfach los laufen. Ich presste mich tiefer in die Ecke hinein. Tequila blickte in meine Richtung. Er hob seine Nase in die Luft. Wedelte und bellte erfreut. Mein Dad versuchte ihn zu beruhigen. Zog ihn weg. Weg von mir und diesem alten verlassenen Grundstück. Kraftlos sank ich in mich zusammen. Schluchze vor mich hin. Dies alles kostete mich so unendlich viel Kraft. Es war bereits dunkel geworden. Und ich saß noch immer hier fest. Wartete Kraftlos auf Andy. Nach einer gefühlten Ewigkeit sah ich endlich einen Schatten. Doch ob dies Andy war, das wusste ich nicht. Erst als er leise nach mir rief, war ich mir sicher. Zittrig verließ ich meinen schützenden Kokon und lief auf ihn zu. Erneut schossen mir Tränen in die Augen. Den dicken Klos schluckte ich schwer hinab.
„Alles in Ordnung Kat?"
„Ja. Können wir bitte von hier weg?"
Gab ich flüsternd von mir und blickte in sein entsetztes Gesicht. Er nickte jedoch und fragte nicht weiter. Dafür war ich ihm sehr dankbar. So schnell wir konnten gingen wir zurück in den Schutz seiner Wohnung. Wir blieben ungesehen. Erst als er die Tür verriegelte, fühlte ich mich wohler. Erleichtert blies ich die Luft aus. Es war als würden Abertausende Steine von mir abfallen. Dann hielt Andy eine Schlüsselkarte hoch und lächelte mir nickend entgegen.
Er hatte es tatsächlich geschafft.
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