Aufbruch
Das war eine ganz dumme Idee Kat! Vertraue niemandem.
Hallten die Worte in meinem Kopf. Als ich realisierte, dass ich wirklich den Knopf der Klingel betätigt hatte, wurde mir speiübel.
Ich war erneut drum und dran die Flucht zu ergreifen. Ging bereits zwei Schritte rückwärts. Dann ging das Licht an und ein Schatten zeichnete sich im verspiegeln Glas ab.
Mir ging ordentlich die Pumpe. Umso erleichterter war ich, dass es tatsächlich Andy war. Ich zitterte am ganzen Leib.
Ungläubig und mit riesigen Augen, blickte er mir entgegen. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht.
„Kathlynn?! Kat... bist du es wirklich? Aber... wie..."
Wankend griff er nach der Tür und hielt sich fest. Ich konnte seine Reaktion nachvollziehen.
Schließlich waren alle anderen Tod, während ich nun quicklebendig vor ihm stand.
„Andy... darf ich rein kommen?"
Krächzend und mit einem vibrieren in der Stimme, drangen die Worte aus meinem Mund. Das Gefühl beobachtet zu werden, nahm mich erneut ein. Paranoid wie ich war, blickte ich mich um. Doch die Straße war leer. Alles schien ruhig zu sein.
Andy nickte mir noch immer ungläubig zu. Kaum dass die Tür geschlossen war, fiel er mir um den Hals. Ich erschrak und zuckte unter seiner Umarmung zusammen. Doch es tat unglaublich gut. Meine Dämme brachen. Ich weiß nicht wie lange wir einfach nur da standen. In seinem schwach beleuchteten Flur und uns weinend in den Armen lagen.
Es war, als würde sich ein tonnenschwerer Felsbrocken einfach in Luft auflösen.
Zitternd löste ich mich von ihm und blickte ihn an.
Andy war noch immer viel zu blass. Er nahm meine Hand und führte mich in sein Wohnzimmer. Als ich das Chaos sah, blieb mir der Atem aus. Ich erkannte das Zimmer kaum wieder. Überall lagen Klamotten und alte Zeitungen. Alte Zeitungen, welche über verschwundene und tot aufgefundene Personen berichteten. Der Boden war kaum noch zu sehen. Auf seinem Tisch lag ein ausgebreiteter Stadtplan.
London.
Dort waren überall Punkte verzeichnet. Ungläubig blickte ich auf dieses Gebilde hinab.
An allen Punkten standen Namen.
Namen die ich kannte. Henry's Name.
Auch mein Name las ich, hinter dem ein Fragezeichen geschrieben war.
Mein Herz begann zu Rasen.
„Kat. Du musst es mir erklären. Wo zum Teufel warst du? Weißt du was geschehen ist? Das alle tot sind? Das Henry tot ist?"
Gedämpft drangen seine Worte zu mir hindurch. Panik. Panik stieg in mir auf. Wie das Wasser in einem sinkenden Boot. Sie nahm mir erneut die Luft zum Atmen. Andy hatte recherchiert. Doch warum? Zu welchem Zweck?
„Kat? Rede mit mir. Bitte. Ich muss es wissen."
Meine Beine wollten mich nicht länger tragen. Sie gaben unter mir nach. Ich war schwach. Viel zu schwach. Erst als der Raum sich zu drehen begann, setzte ich mich auf sein Sofa. Andy verschwand in der Küche und kam mit einem Glas Wasser zu mir zurück. Wortlos reichte er es mir und ich trank es gierig aus. Es tat unglaublich gut. Dann blickte ich kraftlos zu ihm auf.
„Was ist das alles? Warum Andy? Warum tust du das?"
Er folgte meinem Blick und nahm neben mir Platz. Andy sah unglaublich dürr aus. Ihm ging es nicht gut. Das konnte sogar ein blinder sehen.
„Ich möchte einfach nur wissen was hier geschehen ist."
Ich rang mit mir. Vertraue niemandem. Schossen mir die kleinen, doch so bedeutsamen Worte in meinen Kopf. Ich kämpfte einen Inneren Kampf. Stillschweigend. All die schlimmen Bilder prasselten erneut auf mich ein. Aber es ist Andy. Andy, den ich schon mein Leben lang kannte. Andy, der mir immer ein guter Freund gewesen ist. Doch konnte ich ihm diese Bürde auflegen? Konnte ich ihm von diesem einen Abend erzählen? Erneut begann ich nervös zu wippen. Mein Nervenkleid war einfach viel zu dünn geworden. Würde er mir überhaupt glauben schenken? Hielt er mich gar für verrückt? Dennoch, ich benötige seine Hilfe. Mandy. Mandy lebte noch. Da war ich mir so sicher, wie das Amen in der Kirche. Ich musste über meinen eigenen Schatten springen. Und dieser war sehr viel größer und stärker, als ich selbst. Ich hatte eine sehr hohe Mauer um mich gezogen. Diese Fassade nun zu durchbrechen, war unglaublich schwer.
„Etwas schreckliches. Etwas sehr sehr schreckliches ist geschehen."
Mein Flüstern erfüllte den Raum. Unheimlich, wie laut mir meine eigenen Worte vor kamen. Sie dröhnten mir in den Ohren. Verneinend wankte ich mit meinem Kopf.
„Kat, ich kann dir nicht helfen, wenn du mich nicht einweihst. Bitte."
Andy's Stimme vibrierte. Ich sah, wie die Tränen seine Augen füllten. Behutsam griff er erneut nach meiner Hand. Unangenehm. Doch ich ließ es zu. Wenn es auch nur die geringste Chance gab, Mandy zu retten, dann musste ich diese ergreifen. Andy war meine einzige und letzte Möglichkeit. Auch wenn alles in mir schrie, Lauf Kat. Dieses Mal würde ich nicht davon laufen. Nicht mehr.
„Zuerst musst du etwas für mich tun. Kannst du die Ortung meines Handy's abschalten? Ohne es einzuschalten?"
Ich zog es auch meiner Tasche und hielt es ihm zitternd entgegen. Denn ich wollte nicht auch noch sein Leben auf's spiel setzten. Es gab schon genügend Tote in meinem Leben.
„Natürlich kann ich das."
Argwöhnisch sah er mich an, nahm seinen Laptop unter dem Sofa hervor und schaltete ihn an. Andy verband mein Handy mit seinem Laptop. Nuschelnde laute, gab er von sich. Schüttelte den Kopf. Gab irgendwelche Formeln ein.
„Du hast vier Vieren darauf. Zwei davon dienen zu Ortung. Sogar in ausgeschaltetem Zustand. Die anderen zwei sind ab hör Programme. Kat? Was hat das alles zu bedeuten?"
Ängstlich sah er mich an. Während in mir erneut die Angst auf kam. Paranoid blickte ich zum Fenster. Nun wussten sie auch, wo Andy wohnt. Unbewusst und ohne Absicht, hatte ich ihn mit hineingezogen. Wir mussten hier weg. Umgehend.
„Kannst du sie entfernen? So schnell wie möglich?!"
Ich wurde immer panischer. Begann nervös mit den Beinen zu wippen. Knabberte an meinen nicht vorhandenen Fingernägeln. Andy sah mich verwirrt an, nickte aber. Nach einer gefühlten Ewigkeit, überreichte er mir mein Handy und schloss seinen Laptop.
„Wir können hier nicht bleiben. Du musst mich begleiten."
Meine Stimme zitterte. Alles an mir zitterte. Während Andy mich fragend ansah. Ich stand auf und war zum gehen bereit.
„Kat? Ich verstehe das alles nicht. Was ist geschehen? Warum bist du so nervös."
„Ich werde dir alles erklären, versprochen. Aber zuerst müssen wir hier weg. Nimm nur das wichtigste mit. Auf jeden Fall deinen Laptop. Hast du große Küchenmesser?"
Drängte ich ihn. Bei meinem letzten Satz, erschauderte ich. Doch ich wusste, dass ich mich damit viel sicherer fühlen würde. Andy nickte kreidebleich und wies in Richtung Küche. Schnellen Schrittes lief ich hinein und begann die Schubladen zu durchwühlen. Ich fand sogar ein kleines Schlachtbeil. Dieses packte ich in meine Tasche. Das große Küchenmesser verschwand in meinem Ärmel. Wie damals. Das andere überreichte ich Andy. Welcher mich noch immer fragend und kopfschüttelnd ansah.
„Wo sollen wir denn nun hin?"
Andy flüsterte so leise, dass ich ihn kaum verstand. Vielleicht lag es aber auch an der Lautstärke meines Herzschlages. Sein Einwand war gerechtfertigt. Ich hatte keine Ahnung wohin. Doch eines wusste ich, hier konnten wir nicht bleiben. Denn schon bald würden sie hier auftauchen. Wenn sie nicht schon hier waren und uns beobachteten. Bei diesem Gedanken lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.
„Wir laufen so schnell es geht zur Hauptstraße. Dort nehmen wir eines der vielen Taxis. Bis dahin, wird mir schon ein Platz eingefallen sein."
Meine Stimme überschlug sich. Mein Herz hämmerte wild und es wurde noch wilder, als wir die Haustür erreicht hatten. Es waren nur 1000 Meter. Tausend Meter, die uns von der Hauptstraße trennten. Tausend Meter, auf deren weg so viel geschehen konnte. Tausend Meter, auf denen wir sterben konnten. Die Straße lag verlassen vor uns. Ruhig, viel zu ruhig.
„Lauf und bleibe nicht stehen. Blick dich nicht um."
Flüsterte ich zu Andy. Und ohne seine Antwort abzuwarten, lief ich los. Voller Angst. Das brennen in meinen Beinen setzte nach wenigen Minuten ein. Mein Körper war ausgelaugt. Mir fehlten Vitamine. Die Nahrung generell. Ich ignorierte die Schmerzen, die Paranoia trieb mich voran. Andy blieb gleichauf. Auch er sah aus, als würde er jeden Moment zusammenklappen. Ich hörte Schritte. Vielleicht war es auch nur ein Gespinst meiner verkorksten Gedanken. Doch diese Schritte ließen das Adrenalin in mir frei. Ich sah bereits die vielen Lichter der Leuchtreklamen. Hörte den Motorenlärm der Autos. Wir hatten es geschafft. Niemand war auf diesem Weg gestorben.
Ehe ich diesen Gedanken zu Ende denken konnte, wurde ich unsanft zu Boden gerissen. Schockstarre übernahm Besitz von meinem Körper ein. Mir entfuhr ein spitzer Schrei. Es waren nur noch ein paar Meter.
Die Panik in mir zerbarst den Kokon und ich begann wie wild um mich zu schlagen. Ich schlug und tritt wie von Sinnen nach meinem Angreifer. Schmerz explodierte an sämtlichen Stellen meines eh schon geschundenen Körpers. Andy's Schreie drangen nur gedämpft zu mir durch. Er riss den Angreifer von mir weg. Verschwommen blickte ich mich um. Ich sah das reflektieren der Klinge. Mein Küchenmesser. Erneut hatte ich es fallen lassen. In mich kehrten die Lebensgeister zurück. Wie blöd robbte ich über den nassen Asphalt, hin zu dem Messer. Andy wehrte sich. Schlug auf den Koloss ein. Doch ich wusste, er würde keine Chance haben. Neues Adrenalin wurde frei gesetzt. Ich griff nach dem Messer und rappelte mich zitternd auf. Heute würde nicht noch ein Freund von mir sterben. Wie eine Furie lief ich los. Ignoriere den Schmerz in meinem Bein. Ich war zum Angriff bereit. Ohne groß darüber nachzudenken, rammte ich dem Riesen mein Messer in die Rippen. Trieb seine Klinge in sein Fleisch. Schmatzend verschwand es darin. Er schrie auf. Es ging mir durch Mark und Bein. Zittrig drehte ich die Klinge. Bohrte regelrecht in ihm herum. Dann zog ich es heraus und er ging in die Knie. Das war unsere Chance. Andy sah mich voller Entsetzen an. Ich lief los. Und er folgte mir. Die Blutverschmierte Klinge ließ ich erneut in meinem Ärmel verschwinden. Mein Körper zitterte derweil unkontrolliert. Endlich erreichten wir die Straße und das Glück war auf unserer Seite. Ich stürmte auf das Taxi zu und riss seine Tür auf. Stieg hinten ein. Andy nahm keuchend vorne Platz. Mit weit aufgerissenen Augen wandte er sich zu mir um. Pure Angst. Mein Spiegelbild.
„Baker's street 43 Bitte."
Keuchte er und wir fuhren los.
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