Armes Mädchen
Als ich das klicken des Schlosses vernahm, sprang ich vor Schreck auf. Das Küchenmesser, dass ich vorher auf dem Tisch platziert hatte, hielt ich plötzlich zitternd in meinen Händen. Die erlösende Stimme von Mandy ließ das Adrenalin jedoch augenblicklich wieder sinken. Schnell schob ich es zurück in den Messerblock. Wenn sie mich damit nun noch erwischte, würde ich wirklich zum Psychiater müssen. Ich stellte den Wasserkocher an und entnahm zwei Tassen aus dem Schrank. Sie war am Telefonieren. Ihr Schrei verursachte mir beinahe einen Herzinfarkt. Ich war drum und dran das Messer erneut aus dem Block zu ziehen, als sie erleichtert Luft einsog.
„Kat! Du hast mich erschreckt! Du, du, du warst beim Frisör?! Wow! Du siehst richtig gut aus, so anders. Du warst draußen?! Wirklich?!"
„Danke, du hast mich grade auch erschreckt!
Ich dachte schon es wäre jemand bei uns in der Wohnung! Ich, ja, ich habe mich getraut. Es war nicht leicht aber ich habe es geschafft. Mandy, ich habe mein Handy eingeschaltet. Torben, ist Tod! Sie, sie haben mir ein Foto gesendet und ich habe meiner Mutter geschrieben und danach habe ich die neue Karte eingesetzt."
Mandy sah mich an als hätte ich ihr grade offenbart das die Welt untergeht. Ungläubig schüttelte sie sich ganz sanft, so als wolle sie Mücken vertreiben.
„Du hast was?! Kathlynn, hast du den Verstand verloren?! Was wenn sie dich finden? Oh man, was soll ich mit dir bloß machen?"
Scheiße, sie hatte sowas von recht. Ich war dumm! Warum habe ich nicht einfach die neue Karte benutzt um meinen Eltern zu schreiben? Warum habe ich mir Torben's Foto angesehen? Mein Herz schlug schneller, die Angst war präsent. Aber ich hatte ihnen nicht geschrieben. Dennoch würden sie sehen, das ich die Nachricht gelesen hatte. Verdammt daran habe ich nicht gedacht.
„Mandy, sie werden sehen das ich die Nachricht gelesen habe! Soweit habe ich nicht überlegt. Aber sie können mich nicht finden, oder!?
Ich kannte die Stimme, die aus meinem Mund zukommen schien nicht. Sie hörte sich so garnicht nach mir an. Viel zu schrill, voller Angst und Panik war sie gewesen. Warum nur habe ich so überstürzt gehandelt? Mandy rieb sich ihre Augen, sie sah nachdenklich aus. Nachdenklich und viel zu blass.
„Beruhige dich erst mal, es wird schon nichts geschehen. Wenn sie dein Handy orten könnten, wären sie schon längst hier. Aber, du musst vorsichtiger sein! Wenn dir etwas geschieht..."
Sie sprach nicht weiter, ihre Augen sprachen Bände. In so kurzer Zeit, sind aus Fremden, Freunde geworden. Nein, sie war mehr, sie war meine Familie. Schweigend nahm sie mich in den Arm. Dann sah sie mir in die Augen.
„Ich bin stolz auf dich, auf das was du heute geschafft hast. Du darfst nur nicht unüberlegt handeln. Das war schon ein großer Schritt zurück in ein normales Leben.
Eigentlich wäre ich heute ja ausgegangen. Aber Linda ist mal wieder knapp bei Kasse. Deshalb kommen sie zu uns. Aber wenn dir nicht danach zumute ist, dann sage ich Ihnen ab. Du musst es mir nur sagen, Kat."
Ich haderte mit mir selbst. Eigentlich war mir ganz und garnicht danach. Aber ich wollte auch nicht, dass Mandy wegen mir immer zurück stecken musste. Ich versuchte verkrampf ein Lächeln zustande zu bringen und wusste das sie mir das nicht abkaufen würde.
„Nein, schon gut. Lass sie ruhig kommen. Vielleicht lenkt es mich etwas ab, das hoffe ich zumindest. Ist okay, wirklich."
Lächelnd verschwand sie ins Bad und ich stellte die Tassen zurück in den Schrank. Nervös trommelte ich mit den Fingern auf dem Tisch herum. Meine Gedanken formten sich zu einem Knäuel. Unüberlegt zu handeln, hatte mich in diese Situation gebracht. Ich musste vorsichtiger sein. Ich musste Mandy unbedingt von der Schlagzeile erzählen. Nur nicht jetzt, bevor die Mädchen kommen. Ich ging in mein Zimmer und zog mich um. Der Blick in den Spiegel verhieß nichts gutes. Ich sah schrecklich aus, bis auf meine Haare. Meine Wangen waren eingefallen, so dünn war ich doch garnicht. Die schwarzen Ringe unter meinen Rot umsäumten Augen waren größer geworden. Meine Haut wirkte fahl. So konnte ich mich unmöglich zu den Mädchen setzten. Rasch trug ich etwas Make-up auf, wirklich viel half es nicht. Aber ich sah nicht mehr ganz so beschissen aus. Ein ungutes Gefühl beschlich mich, ich trat ans Fenster und sah hinaus. Die Straße war nach wie vor belebt. Kein Wunder, es war Freitag Abend. Ich sah niemand,der für mich auffällig wirkte. Dennoch schwoll das ungute Gefühl zu einem riesigen Klumpen an, der mich zu ersticken drohte. Lag es vielleicht daran, das ich heute wieder gute Miene zum bösen Spiel machen musste? Oder war das zuvor erlebte einfach Zuviel für mich gewesen. Ich bin heute über meinen Schatten gesprungen und habe die inneren Dämonen besiegt. Doch genau jetzt in diesem Moment schienen sie wieder aus Ihren Höhlen zu kriechen und sich auf mich zu stürzen. Ich schritt vom Fenster zurück und ging zu Mandy, die in der Küche zugange war. Mandy liebte das kochen, ich hingegen ließ sogar das Wasser anbrennen. Mandy schob grade die Lasagne in den Ofen als sie mir die nächste Hiobsbotschaft übermittelte.
„Hör mal Kat, ich weiß du magst fremde nicht. Aber Linda hat einen neuen Freund und sie bringt ihn mit hier her zu uns. Sie möchte ihn uns vorstellen."
Na super, sie wusste ich hasse es wenn fremde in unsere Wohnung kommen. Niemand kennt ihn und wer weiß in welchen Kreisen er verkehret. Der Knäuel wurde immer größer. Aber mir blieb ja keine andere Wahl.
„Und das sagst du mir erst jetzt? Du kennst mich, ich weiß nicht ob ich das schon schaffe! Sieh mich doch nur an Mandy!"
Mein ganzer Körper bebte, ich spürte mein Herz deutlich schlagen. Mandy sah mich entschuldigend an und kam zu mir.
„Es tut mir leid Kat, grade weil ich dich kenne, habe ich es dir erst jetzt gesagt. Sei einfach du selbst, so wie du bist wenn wir zusammen sind. Du musst ja nicht seine beste Freundin werden. Wenn du dich immer in deinem Zimmer verkriechst, werden die Mädchen irgendwann fragen stellen. Du schaffst das, außerdem habe ich Bier und Prosecco besorgt. Du magst doch Bier und Prosecco?!"
Ich hasste es wenn sie recht behielt. Ich durfte nicht Zuviel Aufmerksamkeit erregen. Und wenn ich immer wie ein Mauerblümchen in meinem Zimmer hocke, beginnen sie fragen zu stellen. Ich schritt zum Kühlschrank und sah sie dabei an, während ich mir eine Flasche Bier nahm und sie öffnete. Ich musste mir etwas Mut antrinken. Ich hoffe das dies helfen würde.
Mandy lächelte mich erleichtert und aufmunternd an.
„Na komm hilf mir den Tisch zu decken, sie werden jeden Moment da sein."
Ich nahm zitternd das Besteck und deckte den Tisch. Das Läuten unsere Klingel ließ mich zusammen zucken. Ich atmete tief ein und gab Augenrollen Mandy das okay, die Tür zu öffnen. Sue fiel Mandy um den Hals und bedeckte ihre Wangen mit küsse.
Dann trat Linda ein und tat es ihr gleich.
„Hey Mandy, darf ich vorstellen, das ist Torben, mein neuer Freund. Wir haben uns im Restaurant kennengelernt. Ich hoffe es ist okay für dich, wir haben seinen Bruder mitgebracht."
Mir blieb das Herz stehen. Beinahe hätte ich mich an meinem Bier verschluckt. Ihr Freund heißt Torben. Augenblicklich sah ich das Bild vor Augen und wusste nicht ob ich diesen Abend überleben werde. Gleich zwei fremde in unserer Wohnung.
„Freut mich dich kennenzulernen Torben, kommt doch rein. Nein ist schon okay Linda, ich habe Lasagne gemacht. Dann decken wir für eine Person mehr."
Als ich seine Stimme hörte lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Sie klang unglaublich gut, rau und dunkel. War das die Stimme von Torben oder die Stimme seines Bruders?
Dennoch konnte ich keinen von beiden sehen. Sue kam auf mich zugestürmt und fiel mir um den Hals.
„Hey Lynn, schön das du auch dabei bist! Du siehst fantastisch aus, warst du beim Frisör?"
Ich hasste es wenn Leute so auf mich zukamen. Das ließ mein Herz augenblicklich schneller schlagen und die Angst wuchs. Ist sie etwa blind? Ich sehe beschissen aus. Ich setzte mein falsches Lächeln auf.
„Sue schön das ihr alle da seit, es war längst mal wieder fällig. Danke, ja ich hab mir mal eine neue Frisur gegönnt."
Sie ließ von mir ab und setzte sich an den Tisch. Dann war der Blick frei. Ich sah die beiden Männer, die sich so überhaupt nicht ähnlich sahen. Linda hielt einen an der Hand und der andere ging mit gesenktem Blick hinter ihnen her. Er sah überhaupt nicht erfreut aus, hier zu sein. Irgendwie erkannte ich mich in ihm wieder. Seine verschlossene Haltung und seine nervösen Blicke spiegelten mich eins zu eins wieder. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Am liebsten wäre ich zurück in meinen Kokon gekrochen. Um ehrlich zu sein war ich wirklich am kämpfen, setzen oder gehen? Schnell setzte ich meine Flasche an und zog einen kräftigen Schluck daraus. Viel zu zittrig ließ ich mich auf meinem Platz nieder.
Linda, die mich grade entdeckt hatte, stürmte los. Augenblicklich versteifte sich jeder Muskel in meinem Körper.
„Kat! Wie schön das du Zeit gefunden hast! Die letzen paar Male warst du nie zuhause. Geht es dir gut? Sag, warst du feiern gestern? Du siehst ja völlig maloch aus!"
Alle Blicke waren auf meine Wenigkeit gerichtet. Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Der Knoten in meinem Bauch wuchs von Sekunde zu Sekunde an. Ich zog noch einmal an meinem Bier und versuchte zu lächeln.
„Ich freue mich auch total euch endlich wiederzusehen. Nein, feiern war ich nicht, ich hab gelesen und dabei die Zeit vergessen."
Linda unterbrach mich, sowie sie es immer tat.
Sie stand nämlich gern im Mittelpunkt.
„Ja, ach so, okay. Jedenfalls das ist Torben, Torben das ist Kathlynn. Sie ist Mandy's Mitbewohnerin und das ist Ilias , Torben's Bruder."
Alle begannen sofort miteinander zu reden. Wo Torben herkam und was er arbeitete. Ich hielt mich jedoch zurück, mir war das alles Zuviel. Auch Ilias schien hier völlig fehl am Platze. Er hatte noch kein Sterbenswörtchen von sich gegeben. Ich brauche dringend noch mehr Alkohol um diesen Abend zu überstehen. Also erhob ich mich von meinem Stuhl und ging zum Kühlschrank. Mandy sah mich kurz an, ich wusste, dass sie dachte ich würde zurück in mein Zimmer laufen. Mit zittrigen Händen nahm ich mehrere Bierflaschen heraus und reichte Mandy eine und eine hielt ich Ilias hin. Zum ersten Mal hob er den Kopf und sah mich an. Er hatte wunderschöne grünblaue Augen. Jedoch lag soviel Schmerz und Leid in seinem Blick. Dann sah er auf meine Hand, in der ich die Flasche hielt. Nur ganz kurz, sein Blick blieb für einen Moment an meiner Narbe hängen. Dann nahm er die Flasche zaghaft entgegen und sah mich an.
„Danke Kathlynn."
Bei seiner rauen stimme entstand eine Gänsehaut, die Die feinen Härchen auf meinen Armen zu Berge stehen ließen. Seine Stimme klang unglaublich gut.
„Gerne, einfach nur Kat oder Lynn."
War alles was ich fiepend zustande brachte.
Schnell zog ich meine Hand zurück und knetete wie wild meine Finger. Ich fühlte mich Unbehagen. Mandy nahm die Lasagne aus dem Ofen und wir begannen zu essen. Sie schmeckte Fantastisch, wie immer. Sue war heute verdammt ruhig. Vielleicht lag es aber auch einfach an ihrem niedrigen Alkoholkonsum heute. Ich räumte die Teller ab während Linda mal wieder alle zu textete.
„Jedenfalls sind wir im Moment auf der Suche nach einer Wohnung. Meine ist viel zu klein für uns und Torben wohnt mit seinem Bruder zusammen. Ah, habt ihr eigentlich schon von dem neuen Online Spiel gehört? Das muss super genial sein."
Meine Alarmglocken schrillen laut auf, bei ihrem letzten Satz. Verstohlen sah ich zu ihr während ich die Gläser abräumte.
„Na dieses Spiel eben. Du schreibst einer Nummer und dann bekommt man eine Nachricht zurück. Soll alles per Zufall geschehen. Die Antworten werden von einem Computer erstellt und gesendet. Ich habe es heute ausprobiert, aber bis jetzt noch keine Antwort bekommen."
Vor Schreck ließ ich eines der Gläser fallen. Alle sahen mich an. Mandy mahnend, Ilias entsetzt und die anderen desinteressiert.
Mit zittrigen schweißnassen Händen begann ich die Scherben aufzuheben. Als seine Hand plötzlich die meine berührte.
„Ist schon gut, ich mach das schon. Nicht das du dich verletzt."
Er versuchte mich anzulächeln aber es war kein echtes Lächeln. Eher ein gequältes. Er wollte seine Hände beschäftigen, denn er war plötzlich sehr nervös geworden. Mir gefiel das alles ganz und garnicht. Ich musste dringend mit Mandy sprechen, wir mussten von hier verschwinden. Je schneller desto besser. Linda, du armes Mädchen. Du hast ja keine Ahnung in was du da reingetan bist. Sue hörte Linda aufgeregt zu.
„Ja aber was soll so toll daran sein?"
„Naja, da geht es um Mutproben und Zusammenarbeit. Ich habe gehört das man sich dort sogar treffen kann. Man kommt irgendwann in eine Gruppe und muss gemeinsam agieren. Soll ich dir die Nummer mal geben Sue?"
„Hört sich interessant an. Also ansehen würde ich mir das schon mal gerne. Wie ist denn die Nummer?"
1366613...1366613...1366613 Alles was noch in meinem Kopf war, waren diese Zahlen. Jene Zahlen die mich gebrochen hatten. Sie hatten mich zerstört und jetzt fing alles nochmal von vorne an. Ich stand mit Scherben in meinen Händen da und sah hinab auf Ilias. Er hielt die Scherben fest in seiner zitternden Hand.
Ein süßer Schmerz durchzog meinen Körper.
„Die Nummer lautet, 1366613. Ich glaube das Spiel ist nicht länger aktiv. Wie gesagt, ich habe noch keine Nachricht bekommen."
Mandy sah panisch zu mir. Mein ganzer Körper vibrierte. Wie angewurzelt stand ich neben Ilias. Die letzten vier Monate meines Lebens zogen an meinem inneren Auge vorbei. Von dem Tag an, als ich die erste Nachricht schrieb, bis heute. Kälte überzog meine Haut, die Paranoia hatte mich erneut fest im Griff. Erst als ich ein Tropfen vernahm, ein Geräusch das ich nur zugut kannte, kam ich wieder zu Sinnen. Voller Entsetzen sah ich auf Ilias hinab. Blut lief an seinem Finger hinab und tropfte zu Boden. Er hatte sich geschnitten. Behutsam fuhr ich ihm an seine Schulter. Unter meiner Berührung zuckte er arg zusammen und sah mich irritiert an, bevor er bemerke was geschehen war.
Er öffnete seine Hand und die Scherben glitten zu Boden. Blut, Blut ängstigte mich seit jener Nacht. Zittrig reichte ich ihm ein Papiertuch und genauso zittrig nahm er es entgegen.
Mandy stand schon längst an meiner Seite, ihr starker Griff beruhigte mich ein wenig.
„Setz dich Kat, ich mach das schon."
An dem Ton ihrer Stimme, wusste ich das auch sie Angst hatte. Ich nahm mir noch ein Bier, das ich jetzt wirklich dringend benötige und setzte mich zu den Todgeweihten an den Tisch.
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