Allein
Erschrocken fuhr ich hoch. Es war noch dunkel. Erneut wurde ich von meinem schlimmsten Albtraum geplagt.
Die Tatsache zu wissen, dass ich geträumt hatte, beruhigte mich ein wenig. Doch irgendetwas stimmte hier nicht. Paranoid wandte ich mich kriechend um die eigene Achse. Dies war der Platz unter der großen Trauerweide. Da war ich mir zu einhundert Prozent sicher. Doch weder Ilias noch Mandy waren irgendwo zu sehen. Mein Herz geriet ins Stocken. Warum war ich allein? Die Angst in mir schwoll wie eine riesige Gewitterwolke an. Ließ meine Glieder unkontrolliert zittern. Schnürte mir die Kehle zu und verhinderte mir so das Atmen. Keinen klaren Gedanken konnte ich fassen. Ich war alleine.
Sie hatten mich alleine gelassen.
Voller Angst krallte ich mich in das feuchte Laub unter meinen Händen fest.
Hatten sie uns gefunden? Wurden sie verschleppt. Adrenalin schoss durch meine Adern. Keuchend begann ich zu wippen. Vor und zurück. Immer und immer wieder.
Steigerte mich hinein in meine Angst. Wimmernd riss ich meine Augen auf. Der Platz and dem Mandy gesessen hatte, erregte meine Aufmerksamkeit. Mit Erde verschmutzten Händen griff ich mir entsetzt an den Mund. Mein Magen rebellierte. Bittere Galle Stoß mir auf.
Blut. Dort war Blut.
Zittrig streckte ich meinen Finger danach aus. Als sei es nur ein Gespinst meiner paranoiden Gedanken. Doch als ich es berührte, fühlte ich seine klebrige Struktur. In einem Schwall erbrach ich mich. Das zittern nahm zu. Sie sind hier. Sie sind hier.
Immer wieder sagte ich diese drei kleinen Worte. Beschwor sie. Wie einen Zauberspruch.
Tränen liefen über meine Wangen hinab. Ich hatte Mandy in Gefahr gebracht. Ich.
Ich hatte ihren Tod besiegelt. Oh Gott. Passend zu meiner Stimmung öffnete der Himmel über mir seine Pforten. Strömender Regen prasselte durch das Blätterdach der Trauerweide hindurch. Ich sah mit an, wie er den Beweis hinfort spülte. Wie er das Blut verdünnte und es mit dem Wasser im Erdreich verschwand.
Was sollte ich nun tun? Ich war schwach.
Und müde. Lebensmüde. Wie lange war ich auf der Flucht gewesen? Wog mich zum Ende hin in Sicherheit. Nur um letztendlich dort zu landen, wo das Elend seinen Lauf nahm. Ich war so töricht. So sollte es nun also enden? Mutlos ließ ich meine zitternden Hände sinken und blickte mich um. Suchte nach einem Hinweis. Kroch näher an die Weide heran. Dort wo Ilias gesessen hatte.
Mein Herz hämmerte immer noch viel zu stark. Und es beschleunigte seinen Takt erneut. Da stand etwas. In der Rinde des Baumes. Feinsäuberlich eingeritzt. Ein knacken hinter mir, ließ mich zusammenzucken. Keuchend wandte ich mich in dessen Richtung. Ruhelos wanderte mein Blick umher. Doch dort war niemand. Schwerschluckend widmete ich mir wieder der Rinde zu. Behielt jedoch das Gebüsch weiterhin im Auge.
Traue niemandem Kitty Kat
Sprangen die Worte mir entgegen. Zitternd stützte ich mich auf dem Laub ab. Riss jedoch augenblicklich meine Hand zurück. Dort lag etwas. Etwas hartes. Etwas hartes und kaltes.
Mein Atem ging immer schneller. Ich drohte zu kollabieren. Vorsichtig und auf das schlimmste gefasst, wusch ich die Blätter bei Seite.
Ungläubig und kopfschüttelnd blickte ich hinab.
Nein. Nein nein nein!
Dort lag in einem Verschlussbeutel säuberlich verpackt, mein Handy.
Ich nahm es mit beiden Händen hoch. Zu stark war das zucken meiner Gliedmaße. Ohne es weiter zu beachten, leß ich es in die Tasche meines Parkers gleiten. Ich war dazu nicht bereit. Ich wollte kein weiteres Bild von einem toten Freund sehen. Dies würde ich nicht verkraften. Schon garnicht wenn es Mandy war.
Plötzlich manifestierte sich ein Gedanke.
Adrenalin wurde freigesetzt. Ich erstarrte.
Denn sie hatten mich gefunden. Und sie hatten mich am Leben gelassen. Sie spielten mit mir ihr abscheuliches, widerwärtiges Spiel.
Wie gelähmt kniete ich unter der Trauerweide. Bewegungsunfähig. Die Paranoia hatte mich fest im Griff.
Ich musste von hier verschwinden. Untertauchen. Kat du musst weitermachen!
Schrie ich in mich hinein. Es waren Mandy's Worte. Worte, welche sie mir Tag für Tag gepredigt hatte.
Wie von Sinnen durchbrach ich meine Mauer und hievte mich am Stamm der Weide aufrecht. Meine Beine gaben nach. Doch ich versuchte es erneut. Ich zog meine Kapuze tief in mein Gesicht. Doch was nun? Einen der Ausgänge des Parks zu nutzen, war keine Option. Die Wachen würden mich umgehend verhaften. Einer der Schleichwege musste es sein. Doch welcher? Was wenn sie dort auf mich warteten? Was wenn sie mir nur den Anschein gaben, sicher zu sein. Mich leben zu lassen, nur um mich an einem der Ausgänge abzufangen? Erneut schoss mein Puls in die höhe. Unentschlossen stand ich da. Sei nicht so feige! Ich atmete tief durch und ging los.
Erst langsam und wacklig. Blickte mich um. Steuerte auf ein Gebüsch zu, dort wo einer der Wege war. Ich hoffte inständig, dass der Zaun noch nicht repariert worden war. Lauf! Das loch lud mich zur Flucht ein.
Ich begann zu laufen. Schneller und schneller. Planlos fand ich mich auf einer der viel belebten Straßen Londons wieder. Dies war nicht gut. Garnicht gut.
Paranoid senkte ich meinen Blick und versuchte so unauffällig wie möglich zu wirken. Doch ich spürte förmlich ihre Blicke auf mir ruhen. Zu viele Menschen waren unterwegs. Fieberhaft überlegte ich, wohin ich gehen sollte. Ich musste hier weg. Umgehend. Mir fiel der kleine Hinterhof nahe der Abbey Road ein. Dort war immer abgeschlossen. Doch von dem Baum aus, gelangte man hinein. Vor mich hinnickend beschleunigte ich meinen Schritt. Und bog, sobald es mir möglich war, in eine der ruhigeren Straßen ein. Nicht das ich mich hier sicher fühlte, nur etwas wohler.
Mandy war allgegenwärtig. Ich hatte sie mit ins Verderben gezogen. Ein winziger Funken Hoffnung keimte in mir auf. Denn ich lebte noch. Und vielleicht taten es die beiden auch. Wie versteinert blieb ich stehen. Warum war dort im Park nur Mandy's Blut gewesen? Oder war es garnicht ihr Blut? War es von Ilias? Verwirrt keuchte ich und setzte mich erneut in Bewegung. Vertraue niemanden. Was wollten sie mir damit sagen? War es von Elias? Nein. Unmöglich. Wie hätte er dazu noch Zeit gehabt. Immer wieder blickte ich mich um. Ich fühlte mich beobachtet. Verfolgt. Als die Abbey Road und der Baum endlich in meinem Sichtfeld erschienen, atmete ich erleichtert auf. Da das Adrenalin sich in meinem Körper verflüchtigt hatte, spürte ich die stechenden Schmerzen in meinem Arm. Viel zu lange schon hatte ich keine Tablette mehr eingenommen.
Mit meiner letzten Kraft kletterte ich auf den Baum und war gerade dabei auf dem Ast zu balancieren. Als das Licht im Hinterhof erleuchtete. Erschrocken hielt ich inne. Mein Herz begann zu Rasen. Ein in die Jahre gekommener Herr mit grauen Haaren, hinkte zu einer der vielen Mülltonnen um seinen Hausmüll zu entsorgen. Genau diese Mülltonnen waren mein Ziel. Dort hinter ihnen, würde ich mich verstecken. Kaum war der man im Haus verschwunden, ging ich weiter und sprang in den Hinterhof hinein. Schnell lief ich zu den Tonnen und zwängte mich dahinter. Es war eng. Doch genau das benötigte ich. Ein enger Kokon. Die enge beruhigte mich ungemein. Ich atmete durch.
Wie sollte es jetzt nur weiter gehen? Irgendwann musste ich dieses Plätzchen wieder verlassen.
Der Tag war abgebrochen. Jämmerlich saß ich hinter diesen Tonnen und ertrank in Selbstmitleid. Gefühle zwanzig mal hatte ich mein Handy aus der Tasche gezogen und es wieder zurück gesteckt. Für kein Geld der Welt, würde ich es einschalten.
Erneut kreisten meine Gedanken um Mandy und Ilias. Irgendetwas passte nicht zusammen. Das Blut. Mein Handy und diese Nachricht, welche in die Rinde eingeritzt worden war.
Erneut meldete sich meine Paranoia zurück.
Was wenn Ilias keiner von den guten war? Was wenn er einen von ihnen war? Mein Herz war kurz vorm Kollaps. Hatte er das alles nur gespielt? Konnte man so etwas überhaupt inszenieren? Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr glaubte ich daran. In mir stieg Wut auf. War das von Anfang an alles geplant? Ein Geräusch schreckte mich auf. Beinahe hätte ich geschrien. Ich machte mich hinter den Tonnen so klein wie möglich. Verhielt mich mucksmäuschenstill. Während ich meinen Herzschlag in meinen Ohren laut und deutlich hörte. Als der Deckel einer der Tonnen herunter krachte, zuckte ich enorm zusammen.
Hier zu sein, in London, war überhaupt nicht gut für mein eh schon zu dünnes Nervenkleid. Ich benötige dringend eine andere bleibe. Und etwas gegen meine wachsenden Schmerzen.
Nachdem sich mein Herzschlag weitgehend beruhigt hatte, durchforstete ich meine Gedanken. Wo könnte ich hingehen? Wo war es einigermaßen sicher? Mir kam Henry's Cousin in den Kopf. Andy. Mit Andy hatte ich mich immer gut verstanden. Er war gebildet und war in der Computerbranche tätig. Und zu meinem Glück wohnte er hier ganz in der Nähe. Zumindest hatte er früher hier gewohnt.
Ich begann einen inneren Monolog. Wägte ab. Sollte ich ihn aufsuchen? War das sicher? Es war ein Kampf mit mir selbst. Zweifel kamen auf. Wie würde er reagieren? Würde mir dies überhaupt etwas bringen? Die Angst in mir, machte es sich gemütlich. Breitete sich aus und nahm jeden Winkel von mir ein.
Es war ein stiller Kampf. Stunde um Stunde verging. Sei nicht so feige! Geh Kat!
Bevor ich es mir anderes überlegen konnte, zwängte ich mich aus meinem schützenden Kokon heraus. Das tor zu diesem Innenhof stand noch offen. Also lief ich los. Auch wenn ich ein äußerst ungutes Gefühl hatte. Vielleicht konnte Andy mir helfen. Zumindest baute ich darauf. So schnell ich konnte lief ich die Schleichwege ab. Einer davon verlief jedoch an jenem Ort vorbei, welcher mich das Grauen lehrte. Welcher mein Leben veränderte. Je näher ich diesem Ort kam, um so schlimmer wurde es. Mein Körper gehorchte mir nicht länger. Es war als würde ich alles ein weiteres Mal erleben. Ich sah, wie Maike dort lag. In ihrem Blut. Ich hörte Jen, wie sie schrie. Und ich sah das Bild von Henry vor mir. Wie mich seine leeren Augen anstarrten. Ich versuchte diese schrecklichen Bilder zu verdrängen, doch es wollte mir einfach nicht gelingen.
Völlig entkräftet und mit wild pochendem Herzen, erreichte ich mein Ziel.
Andy.
Erneut begann ein innerer Kampf.
Ich stand direkt vor seiner Wohnung.
Wie ein Baum.
Festgewurzelt. Bewegungslos.
Innerlich schrie ich. Wehrte mich. Wollte hier weg. Mich verstecken. Doch der Gedanke, das Mandy vielleicht noch leben könnte, ließ mich nicht los. Er war es, der mich voran trieb.
Ich war kurz vorm durchdrehen.
Doch ich zwang mich, weiter zu gehen. Mit zittriger Hand betätigte ich die Klingel.
Ohne nur den Hauch einer Ahnung, was mich erwarten würde.
Doch was hatte ich noch zu verlieren?
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