3. Die Königin des Hungrigen Meeres
Dieses Buch hat dringend etwas Soundtrack verdient. Wie Banshee. Und eigentlich auch mehr Bilder. Deswegen nun - Soundtrack.
Hans Zimmer - Tia Dalma aus dem POTC: Dead Man's Chest OST (siehe oben)
https://youtu.be/Bdwjfw0a-QQ
und Geoff Zanelli - Shansa aus dem POTC: Dead Men Tell No Tales OST.
https://youtu.be/UKdi3IFaIy8
Abspielen, sobald sie auf Erraxas Gefängnis zuschwimmen.
~
„Farraday."
Der ehemalige Captain neigte den Kopf zu mir. „Aye."
Ich sah mich verstohlen um, doch kein Pirat war in Hörweite. Das Rauschen des Meeres und das Singen des Windes in den grünen Segeln übertönte meinen gesenkten Tonfall. Die Mannschaft war vollauf damit beschäftigt, uns durch die Untiefen des Atolls zu lenken, die sie Erraxas Zähne nannten, Marres Bootsmann brüllte Befehle. Am Horizont konnte ich ein weiteres Schiff erkennen. Marre, die neben dem Steuerruder, nur wenige Schritte von uns entfernt stand, beobachtete es leise fluchend durch ihr Fernrohr. Vailorne blickte eisig zu uns herüber.
Nervös lehnte ich mich an die Reling und versuchte, so unschuldig wie möglich auszusehen. „Was planst du?", raunte ich.
Farraday lächelte dünn. „Ich habe eine Menge Pläne. Für jede Gelegenheit mindestens einen. Welchen genau meinst du?"
Ich trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. Farraday hatte zuweilen die Angewohnheit, sich jeden Satz aus der Nase ziehen zu lassen, und das zerrte entsetzlich an meinen ohnehin schon strapazierten Nerven. „Du hast Marre verschwiegen, dass ich das Schwert suche", zischte ich. „Warum?"
„Die Leute in Triport haben schon gesagt, dass du bisweilen nicht der Hellste bist", spottete er milde amüsiert.
Ich konnte es nicht abstreiten. Zumeist lasse ich andere für mich denken. Wenn das nicht möglich ist, improvisiere ich.
„Ich kann nicht behaupten, dass ich das Schwert nicht suche. Dafür bin ich zu bekannt", erklärte er. „Dich dagegen kennt niemand, und wenn, dann wissen sie nicht, dass du hinter dem Schwert her bist. Marre lässt dich eher am Leben, wenn sie denkt, dass du kein Hindernis für sie bist. Sie weiß nicht, wie loyal du mir gegenüber bist, oder ob sie dich vielleicht sogar auf ihre Seite ziehen kann."
Ein schiefes Lächeln huschte über seine Züge. Wenn es einen Grund gäbe, Farraday zu betrügen, und mich stattdessen Marre anzuschließen, würde ich es tun.
Amüsiert erwiderte er mein Lächeln, als ahne er meine Gedanken. „Wir sind keine Freunde. Wir sind zweckmäßige Verbündete, und das weißt du."
„Warum schützt du mich dann?", stellte ich die nächste Frage, selbst, wenn ich die Antwort ein wenig fürchtete.
„Ich habe nicht gelogen, als ich bei Marre sagte, dass die Leute in Triport auch eine Menge Gutes über dich erzählen. Du bist feige und versteckst dich lieber, als offen zu kämpfen, aber sie behaupten genauso, dass du ein fähiger Schatzsucher und Dieb bist. Du hast die Alte Welt gesehen, heißt es. Gegen Dämonen gekämpft. Eine hochrangige Vampirin besiegt. Das sind Fähigkeiten, die ich gerne auf meiner Seite wissen würde, sollte es zu Zerwürfnissen mit Marre kommen. Denn Marre traue ich noch weniger als dir." Er lächelte beinahe freundlich.
Ich schnaubte und wandte den Blick ab. Meine letzte Frage, was er mit mir und Marre tun würde, wenn das Schwert nahe genug war, dass er es sich nehmen konnte, wagte ich nicht zu stellen. Auf Caligárs Insel würde ein Wettstreit zwischen uns dreien ausbrechen, Marre mit der geballten Macht ihres Elfencaptains und ihrer Crew gegen mich, einen Karr, magisch verstärkt durch Hex-Cores, und Farraday, dessen einzige Macht in seinem Wissen bestand. Er würde nicht als erstes sterben, dessen war ich mir sicher. „Was werden wir also tun?"
„Wir werden mit Erraxa sprechen. Sie um Hilfe gegen Siarthys bitten."
„Und auf der Insel? Wenn wir dort sind?"
„Wir versuchen, das Schwert zu erreichen, bevor Marre es tut. Und dann fliehen wir mit diesem Schiff."
Ich hielt diesen Satz für zumindest ein wenig gelogen. Farraday würde mich loswerden, sobald er das Schwert sicher in seinen bleichen Händen hielt. Doch ich ihn ebenfalls. Dennoch sorgte die stillschweigende Übereinkunft, dass wir nicht über die Besitzverhältnisse des Schwerts sprechen würden, wenn wir es denn einmal besitzen würden, bei mir für ein eigenartiges flatterndes Gefühl in der Magengrube. Und zu dem dringenden Verlangen, nach meinen Waffen zu greifen. „Und was wird dann geschehen?", fragte ich herausfordernd, selbst wenn ich mein Herz bis in die Kehle hämmern spürte.
„Wir finden die Dragon's Pride, segeln mit ihr nach Noxus und befreien deinen Bruder", antwortete Farraday ruhig.
Ich musterte ihn skeptisch. „Dabei wirst du mir helfen?"
„Gegen eine angemessene Bezahlung, sicher doch."
Oh, ich begriff. Doch ich brauchte das Schwert. Die Dragon's Pride war kein Schiff, das ich ohne die magische Klinge allein steuern konnte. Ich würde es ihm nicht freiwillig überlassen.
Farraday bemerkte meinen Blick. „Doch zuerst einmal müssen wir besagtes Schwert stehlen, ohne, dass Marre es vor uns bekommt."
Diese vertagten Diskussionen waren mir zutiefst unangenehm, doch die Gespräche darüber gingen mir noch mehr gegen den Strich. Sollte es soweit kommen, würde sich hoffentlich alles von selbst regeln. Doch wirklich daran glauben tat ich auch nicht.
Raguza Marre trat mit großen Schritten auf uns zu, die hohen Absätze ihrer Stiefel knallten auf den Planken. „Farraday. Dort drüben sind die Zähne." Sie wies auf einige niedrige Felsen, deren Spitzen kaum einen halben Meter aus dem Wasser ragten. „Wo finde ich Erraxa?", fragte sie ungeduldig.
„Sie ist in einem Gefängnis in dem Riff. Wenn wir mit ihr sprechen wollen, müssen wir dorthin tauchen."
Marre maß ihn mit Blicken. „Wird es lange dauern?"
„Ich weiß es nicht. Wir werden mit ihr verhandeln müssen. Auch sie tut nichts ohne Gegenleistung."
„Ich bete, dass diese elende Seehexe mit uns einig wird." Sie blickte zu dem Schiff in der Ferne. Seine Segel glühten orangefarben im Licht der bereits tief stehenden Sonne. Es war näher gekommen. „Das sind die Knochensammler. Mit denen habe ich noch einige Rechnungen offen. Und du auch."
„Noch ist die Sonne nicht untergegangen."
„Aber es dauert nicht mehr lange." Abrupt wandte sie sich wieder an Farraday. „Ich, Vailorne und zwei unserer Männer werden zu ihrem Gefängnis schwimmen. Du und dein Schoßhund", sie bedachte mich mit einem verächtlichen Blick, „werdet uns begleiten. Rüstet euch aus."
Das gesunkene Schiff lag zwischen Korallen und Felsen, umschwärmt von bunten Fischen. Algen wiegten sich mit der Meeresströmung. Das Holz schien schwarz, selbst im Licht der Sonnenstrahlen, die durch das türkisblaue Meer schnitten. Das Gefühl von schwerer, dickflüssiger Gefahr umgab es, so finster, dass es auf meine Lunge drückte und mich zu ertränken drohte, selbst, wenn ich durch Vailornes Atemzauber nicht ertrinken konnte. Es sei denn, der Elf legte es darauf an, mich unauffällig, weit fort von der Zivilisation, im Riff des Atolls verschwinden zu lassen.
Farraday schwamm voran, dicht gefolgt von Marre, Vailorne und mir. Die zwei anderen Männer schwammen hinter uns, ebenso wie wir bewaffnet mit Speeren und Messern. Rüstungen und schwere Kleidungsstücke wie Mäntel und Stiefel hatten wir zurückgelassen. Still hoffte ich, dass ich Dandelos Schmiedekunst vertrauen konnte und das Hex durch das Wasser nicht zerstört wurde.
Je näher ich dem gesunkenen Schiff kam, desto mehr nahm mir seine Aura den Atem. Ich kannte dieses Gefühl. Die Alte Welt hatte ebenso nach Tod gerochen.
Haie durchkreuzten das Wasser und beobachteten uns scharf. Unwohl packte ich meine Waffen fester. Der Hex-Core an meinem Handrücken verströmte ein unheimliches, grünes Licht. Etwas streifte meinen Fuß, und ich hob hastig das Messer, doch der Hammerhai schmiegte nur ein letztes Mal seine Schwanzflosse an mein Bein und setzte seinen Weg fort. Sicherlich konnte er meinen donnernden Herzschlag spüren.
Farraday ließ sich von den Raubfischen ebenso wenig beirren wie von dem schlangenartigen, mit an Algen erinnernden Rückenflossen und Giftstacheln übersäten Seedrachen, der seinen blaugrünen Leib um das Wrack geschlungen hatte. Seine gestreifte Haut, changierend wie bei einem Tintenfisch, ließ ihn mit dem Riff verschmelzen.
Ich hielt meinen Speer bereit, doch der Drache griff nicht an. Mehr und mehr Haie, Große Weiße mit vernarbter Haut, gestreifte Tigerhaie, Hammerhaie und kleinere mit weißen und schwarzen Flossenspitzen umschwärmten uns, nicht drohend, doch wachsam, eine wortlose Warnung. Die Sonne verschwand, abgeblockt von hunderten geschmeidigen Körpern. Das Wasser wurde kälter. Ich schwamm unauffällig schneller, näher zu Farraday und Marre.
Zuerst glaubte ich, die Haie würden uns zerreißen, sobald wir uns dem Schiff näherten. Doch sie taten nichts dergleichen. Es war, als wären sie rein zufällig da, als würden sie uns nur beobachten. Unbehelligt stießen wir uns an dem pulsierenden Drachenkörper vorbei ins Innere des Schiffs.
Bläuliches Licht, die letzten Strahlen der Sonne, fiel durch in die Planken geschossene Löcher in den Schiffsbauch. Rostige Kanonen, wie erstickt unter grünlichem Moos, besetzt von Muscheln und Anemonen, wiesen durch längst verfaulte Luken hinaus ins dunkelblaue Meer. Fässer und Kisten, noch immer fest verschlossen, lagen zwischen Kanonenkugeln, Knochen und Schwertern auf den morschen Planken. Durch Spalten zwischen dem verzogenen Holz sah ich ein verheißungsvolles goldenes Schimmern, das einen Hunger weckte, stärker als meine Angst. Ich war nicht umsonst ein Schatzjäger. Und dieses verkommene Wrack versprach unermessliche Reichtümer.
Vailorne sah sich um, Verachtung in seinen hellen Augen, doch ich spürte seine Angst darunter. „Hier soll sie sein?" Seine Stimme klang dumpf durch das Wasser. „Diese vermoderten Planken können unmöglich eine Göttin gefangen halten." Heftig trat er gegen die Bordwand, offensichtlich in der Erwartung, sie würde splittern. Doch das Holz gab nicht nach.
Farraday lächelte dünn. „Sie wird dort unten sein." Er nickte zu einem Loch im Boden, groß genug, dass wir hindurch schwimmen konnten. Darunter lag ungewisse Finsternis, durchsetzt von goldenem Glitzern, wie Sterne im Nachthimmel. Sie strahlte meereskalte Bosheit aus, der Ursprung der Aura, die ich draußen gespürt hatte. Ich meinte, ein leises Lachen zu hören, doch als ich angestrengt lauschte, erhaschte ich nichts, außer das Rauschen der Wellen gegen die Steine.
Vailornes Lippen zuckten. „Nach Euch, Farraday."
Anstandslos zog Farraday sich auf das Loch zu, wohl eine herausgebrochene Luke, und verschwand darunter. Marre folgte ihm ohne zu zögern, Vailorne nach einem kurzen, stummen Duell mit mir, wer sich zuerst hinein wagte. Mit einem Wink befahl der Elf den beiden Männern, oben zu bleiben.
Im Schiffsbauch herrschte Dunkelheit. Magische Steine schimmerten wie die Laternen von Tiefseefischen zwischen dem Gold und den Juwelen, die wie ein dicker, klirrender Teppich den Boden bedeckten. Das Wasser dämpfte jedes Geräusch, jede Bewegung.
Ich spürte, dass etwas, jemand, dort in der Dunkelheit war, doch ich sah es nicht. Dort, in den finstersten Schatten, hinter Gold und Spanten, rührte sich etwas, beobachtete uns, mit der Macht, Vailornes kümmerlichen Zauber mit einem spöttischen Blick platzen zu lassen wie einen Traum und uns mit der puren Macht des Meeres hier, in einem Wrack inmitten eines Riffs, zu ertränken wie ungeliebte Kätzchen. Jemand mit der Macht, unsere Adern mit einem Gedanken aufzuschlitzen und die vom Blutdurst wahnsinnigen Haie auf uns zu hetzen.
Ich wechselte einen hektischen Blick mit Farraday, doch er schien unbeeindruckt. Vailorne umklammerte den Griff seines Schwerts, Marre blickte fasziniert in die Finsternis. Sie war hier, die Königin des Hungrigen Meeres. Wir mussten sie nur rufen. Doch wie rief man eine böse Meeresgöttin?
Der ehemalige noxische Kapitän straffte die Schultern. „Erraxa."
Stille war die Antwort. Sie musste nur wenige Augenblicke gedauert haben, doch mir war, als zöge sie sich über Jahre hin. Dann vernahm ich das Klirren von Münzen, das Scharren von Haut auf Holz. Das Gold unter meinen Füßen geriet ins Rutschen.
Etwas schälte sich aus der Finsternis, als nähme die Schwärze langsam die Gestalt einer Kreatur mit langem Haischwanz an. Es war, als wechsele ihre Haut die Farbe, wie die des Seedrachen, von tiefster, mit der Dunkelheit verschmelzenden Schwärze zu einem Dunkelgrau, wie die Haut eines Hammerhais, und schließlich zu dem Blaugrün des Meeres. Dunkelorangefarbene Muster, beinahe zart, wie Marres goldene Ornamente, doch weit archaischer, ringelten sich auf ihrer Haut, flackerten kurz auf und verschwanden wieder. Kiemen flatterten über den Rippenbögen der Seehexe, entblößten für Augenblicke rotes Fleisch. Die Haiflosse zuckte, und Erraxa brach aus der Dunkelheit wie eine Springflut.
Sie schnellte vor, die scharfen Zähne gebleckt. Haare wie Tentakeln ringelten sich um ihren Hals. Die Aura des Bösen schlug zu wie eine Faust, klammerte sich um mein Herz und schnürte mir die Kehle zu, als habe sie Vailornes Zauber tatsächlich außer Kraft gesetzt. Ich stieß mich vom Boden ab, Münzen klingelten unter meinen Füßen. Ich wäre wohl gestürzt, doch so, gehalten vom Wasser, fiel ich langsam einem weiteren Haufen Gold entgegen. Erneut stieß ich mich ab und verschwand in den Schatten der Spanten, zwischen metallbeschlagenen Kisten, deren Schlösser längst mit dem Holz verschmolzen waren.
Ein dunkles Knirschen erklang. Ein Ruck ging durch Erraxas Körper, und ich erkannte die schweren Ketten aus Eisen, die ihre Handgelenke und den schweren, widerhakenbesetzten Angelhaken in ihrem Hals, lang wie ein Arm und dick wie zwei Finger, mit der Bordwand verbanden. Sie lehnte sich schwer in die Ketten, ein flüsterndes Rauschen legte sich unter das Geräusch von Metall und stöhnendem Holz. Sie fauchte tief wie ein Seedrache, betrachtete den Menschen, den Karr, den Tiefling und den Elfen, die sich in ihr Reich gewagt hatten.
Vailorne stand in Fechthaltung zwischen Juwelen und Münzen, das silberne Schwert richtete er auf Erraxa. Farraday stand neben ihm, der Säbel in der Hand. Es schien, als hätte er sich nicht von der Stelle bewegt. Marre hielt zwei kurze Messer in den Händen. Ich wagte es kaum, nach Luft zu schnappen, selbst wenn mein Körper nach Sauerstoff verlangte.
Erneut bleckte die Hexe die Zähne, ein tiefes Knurren ließ die Planken erbeben. Es klang, als singe ein Wal vom Tod. Grobes Segeltuch spannte sich über scharfe, kantige Gesichtszüge, verbarg alles oberhalb ihres von einem Ohr zum anderen reichenden Mundes, ein makabres, grausiges Grinsen. Hässliche dunkle Flecken zeigten sich dort, wo ihre Augen liegen mussten. Ihre Tentakelhaare strichen über die Ketten, die sie mit der Bordwand verbanden, tasteten nach den Seilen und Tauen, die sich um ihren Körper wickelten wie um einen in einem Fischernetz gefangenen Hai. Goldene Ringe, in ihre Haut getrieben, hielten die Seile an ihrem Körper. Perlen schimmerten daran, aufgezogen zwischen Muscheln und Korallenteilen. Kämme aus Knochen und dünner, durchscheinender Haut regten sich an ihren Ellenbogen und ihrem Rücken, die Kanten zerfetzt. Narben durchkreuzten die changierende Haut.
„Erraxa", sagte Farraday erneut, diesmal beinahe ehrfürchtig, und verneigte sich tief. „Königin des Hungrigen Meeres."
Erraxa stieß ein Zischen aus, der Haischwanz, verheddert in weitere Netze, zuckte. „Wer seid ihr, dass ihr euch in mein Heim, in mein Gefängnis wagt, so ohne Angst vor dem Tod?" Ihre Stimme klang, als ersticke sie an ihrem eigenen Blut. Als bereite jedes Wort ihr Schmerzen.
Wie nur jemand klingen konnte, der seid Jahrhunderten einen rostigen Angelhaken im Hals stecken hatte, bemerkte ich mit einem Anflug von panischem Humor. Nervös schlich ich näher an Farraday und die anderen heran, die Waffen bereit.
Erraxa wandte den Kopf zu mir und schien mich zu mustern, doch sie wandte sich sofort wieder Farraday zu. „Sprecht", befahl sie, ihr Grinsen rutschte von ihrem Gesicht und ließ schmale Lippen zurück, kaum zu unterscheiden von denen einer gewöhnlichen Frau.
„Mein Name ist Marius Farraday. Meine Begleiter sind Raguza Marre, Beánn Vailorne und Sindrak Herrera", stellte Farraday uns vor. Mir war nicht wohl dabei, dass die Hexe nun meinen Namen kannte.
Erraxa öffnete und schloss die Hände. Unter ihrer Haut tanzten Muskelstränge, dunkle Streifen flackerten im Takt über ihre Arme. „Hat meine Schwester euch geschickt?", flüsterte sie heiser und voller Hass. Doch ich hörte ihre Stimme deutlicher als unsere vom Wasser gedämpften. Es fühlte sich an, als ritze jemand die Worte in die Innenseite meines Schädels.
„Nein. Wir sind aus freien Stücken hier. Wir sind auf dem Weg zu dem Schwert, das Euren Vater gefangen hält", ließ Farraday die Katze aus dem Sack.
Erraxa lachte leise wie eisiges Wasser. „Weißt du, was mit jenen geschieht, die mit der Macht des Rha'Ytun spielen wollen? Die mit ihr kämpfen wollen? Die sie nutzen wollen, statt auf dieser Insel verkommen zu lassen, wo meine Schwester sie eifersüchtig hütet wie ein Drache seine Schätze?"
Marre trat vor. „Erraxa." Sie verneigte sich nachlässig. „Ihr spracht von der Macht des Rha'Ytun, gebunden an das Schwert. Gebunden mit Caligárs eigenem Blut, als er ihn tötete. Was vermag das Schwert nun?", fragte sie ungeduldig.
Erraxas Bewegungen erinnerten mich an einen hungrigen Raubfisch. „Früher, als mein Vater noch lebte, ebenso wie dieser Mann, der ihn einsperrte, so wie meine Schwester es mit mir tat, besaß das Schwert nur die Macht, ein Schiff zu beherrschen. Die Dämonen, die an es gefesselt waren, arbeiteten wie eine Crew für den Träger des Schwerts. Sie töteten mit Klauen aus Höllenstahl und Feuer, mit Klingen aus Wind und Schatten. Doch nun, nun trägt das Schwert die Macht des Rha'Ytun."
„Was bedeutet das?", hakte Marre nach.
Erraxa zog sich zurück, die Ketten klirrten. „Es kann Stürme erheben und sie wieder versiegen lassen." Ihre Hände formten schemenhafte Wasserströmungen, bildeten Wellen, Schiffe und Ertrinkende. „Es kann die Strömungen des Meeres lenken. Es kann die Bestien der See aufhetzen und sie besänftigen. Es kann das Meer zu einer Bestie formen und sie Tod und Verderben bringen lassen. So, wie Rha'Ytun es vermochte."
„So, wie Ihr es vermögt", mischte Vailorne sich ein. „Warum habt Ihr das Schwert begehrt?"
Erneut peitschte die Aura des Dunklen auf, schwarze Schemen flossen über Erraxas Haut. „Ich vermag es nicht", zischte sie. „Als wir entstanden, aus der Angst und Verzweiflung der Seemänner, gab Rha'Ytun einen Teil seiner Macht mir und einen anderen meiner Schwester. Wir sind die Verführung der See. Das Locken, das die Männer aufs Meer zieht. Das Verlangen, hinter den Horizont zu blicken. Die Lust, das Meer zu bezwingen, der Hunger nach dem Lob der See, die sich unterordnet und die Schiffe über ihre Haut streifen lässt."
Ich spürte jedes ihrer Worte. Ich kannte jedes einzelne davon. Der Grund, warum ich mich wieder und wieder auf Schatzjagd begeben hatte, obwohl meine Angst mir jedes Mal die Kehle durchschneiden wollte. Warum ich wieder und wieder versuchte, sie zu besiegen, und sie dennoch zu mir zurückkehrte wie eine eifersüchtige Geliebte. Der Hunger nach Abenteuer, das Gefühl von schwarzem Wind im Fell, von Gefahr und Tod, die Sucht, dem Verderben wieder und wieder zu entkommen. Ich schauderte und meinte, fernen Donner zu hören, das Echo von Erraxas Worten.
Doch Vailorne und Marre ging es nicht anders. Der Elf umklammerte noch immer das Schwert und sah kämpferisch zu der Göttin auf, Marre blickte indes beinahe verklärt zur Seite, ein grimmiges Lächeln auf den schwarzen Lippen. Selbst Farraday biss die Zähne zusammen, den Blick fest auf Erraxas verhülltes Gesicht gerichtet.
„Und unser Vater gab uns die Macht, ihnen dieses Verlangen zu geben. Er gab uns die Stürme, die Macht, das Meer zu Bergen und tiefen Schluchten zu verzerren, mit dem Grollen des Meeres und dem Rauschen des Donners Angst in die Herzen der Männer zu pflanzen und mit meinem Zorn ganze Schiffe zu Splittern zu zerschlagen. Doch während ich es aus purem Vergnügen tat, aus Zorn oder Hunger oder Lust, so tat Siarthys es, um jene zu strafen, die das Meer nicht ehrten. Die behaupteten, es gehöre ihnen. Sie zügelte Gier und wies die Respektlosen in ihre Grenzen." Verachtung färbte Erraxas Stimme. „Sie tötete nur zur Warnung, während ich mich mit den Toten auf mein Lager legte und in ihren Seelen, in ihren leichenkalten Träumen badete. Wir rufen nach ihnen allen, und sie gehorchen. Wir leben von Träumen und Tränen, von Angst und von Hass und von dem Willen, uns zu bezwingen. Manche lassen wir gewähren. Andere sterben. Über manche führen wir Krieg, Siarthys und ich, und der Sieg kann das Leben bedeuten. Oder Splitter, sinkendes Eisen und Luftblasen, die an die Oberfläche steigen."
Ich verzog angewidert das Gesicht. Ihre Worte fraßen sich in meinen Kopf, flossen durch meine Adern, und ich wusste, wenn sie mir etwas befahl, würde es meinen ganzen Willen erfordern, um ihm nicht nachzukommen. „Wenn Siarthys nur zur Warnung tötet, warum sterben alle, die sich dem Schwert nähern?", fragte ich zaghaft.
Erraxa wiegte den Kopf von einer Seite auf die andere. „Siarthys sieht die unstillbare Gier in ihren Herzen, so, wie ich die eure sehe. Sie weiß, dass niemand dem Ruf des Rha'Ytun widerstehen kann. Es ist eine Warnung, eine Warnung an jene, die hoffen, das Schwert dereinst in den Händen zu halten."
Vailorne nickte. „Die Seefahrer beten zu Siarthys, sie zu beschützen vor Eurer Macht. Sie beten zu Euch, Euren Zorn und Eure Lust zu zügeln und sie zu verschonen. Zumindest taten sie es früher."
„Bis Rha'Ytun besiegt wurde, und die Schwestern sich an das Schwert banden. Seitdem herrschten sie nur noch über die Gewässer der Insel, auf der der letzte Kampf stattfand", ergänzte Farraday nüchtern und doch milde fasziniert. „Bis Siarthys Euch, Erraxa, hier einsperrte."
Ihr Zorn wallte durch den Schiffsbauch und drohte, mich zu ertränken. „Sie fürchtet sich vor seiner Macht", fauchte sie. „Sie fürchtet meinen Vater, und hält mich davon ab, ihm ebenbürtig zu werden! Ich wollte die Macht des Schwerts mit ihr teilen, doch sie ängstigt sich vor seiner Grausamkeit, seinen Kräften, sie behauptet, es sei besser, wenn er eingesperrt bliebe! Sie behauptet, ich sei den Dämonen und Geistern nicht gewachsen, die in dem Schwert um die Vorherrschaft über ihren Träger kämpfen. Ich sei meinem Vater nicht gewachsen." Ihr hasserfülltes Fauchen verklang zu einem finsteren Zischen. „Sie raubte meine Kraft und sperrte mich in diesen verhexten Kerker."
Farraday lächelte bedrohlich. „Was würdet Ihr tun, um Siarthys zu überlisten? Um ihr zu schaden?"
„Alles." Sie zögerte keinen Augenblick. Ihre Gier verschlug mir den Atem.
„Würdet Ihr uns einen Weg zeigen, wie wir Siarthys' Stürme überleben können, um ihr das Schwert zu entreißen?"
Erraxas Lächeln wurde breiter. Tiefer, bedrohlicher. „Ihr wollt nehmen, was mein Erbe ist?"
„Aye", sagte Farraday. „Wir werden es Euch nicht überlassen. Doch wir können Euch Siarthys geben. Wir können Euch helfen, die Macht Eurer Schwester zu übernehmen, so, wie sie es mit Eurer tat. Ihr werdet so mächtig sein wie Euer Vater."
Erraxa zischte. Es klang wie das Rauschen von Wellen gegen scharfkantige Felsen.
„Ihr könnt Siarthys nicht töten. Es ist Euch verboten, durch einen Schwur und einen Fluch, den Euer Vater euch auferlegte. Doch wir können es." Farraday wies auf uns, auf Vailorne, der noch immer sein Elfenschwert in der Hand hielt und misstrauisch beobachtete, wie der Noxer mit der Seehexe sprach. Auf Marre, die ungeduldig mit ihren Messern spielte. Auf mich, der mit dem Gold hinter ihm zu verschmelzen versuchte, und zugleich dem Locken der Reichtümer zu widerstehen versuchte. „Wenn Ihr uns einen Weg zeigt, wie wir Siarthys besiegen können, dann bringen wir Euch ihre Macht."
„Warum denkt Ihr, ihr seid ihr gewachsen? Ihr seid nur Staub und Schatten, unwürdiger Abschaum, der das Meer durchkreuzt, ohne die Angst, die Eure Vorväter kannten, als wir die Meere regierten", fauchte Erraxa.
„Ich überlebte einen Sturm, den Eure Schwester schickte. Es scheint, als wäre ich nicht wie all die anderen Narren, die versuchten, sich der Insel zu nähern. Zwar spürte sie, dass ich das Schwert suchte und schlug mein Schiff auf den Meeresgrund, doch ich und einige meiner Männer überlebten."
Die Hexe legte den Kopf schief. „Siarthys lässt keine Überlebenden." Sie schien ehrlich irritiert. „Warum also dich?"
„Ich weiß es nicht. Deswegen frage ich Euch."
Erneut flackerten schwarze Streifen über ihre Arme. Ihre Finger krümmten sich um etwas Unsichtbares. Plötzlich hielt sie inne. Ihr makabres Grinsen teilte ihr Gesicht. „Du bist keiner der anderen Narren", flüsterte sie. „Du trägst etwas in dir, etwas, was über die Gier nach Macht weit hinaus geht. Etwas, das Siarthys zur Gnade überzeugte. Den Tod. Doch bringst du ihn nicht, sondern versuchst zu vergessen, dass es ihn gibt. Du willst ihn besiegen. Doch du weißt, dass du das nicht kannst."
Farradays Blick wurde kalt. „Vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück", sagte er metallisch. Ich bedachte ihn mit einem scheelen Blick von der Seite, doch er beachtete mich nicht.
Erraxa lachte, rau und dunkel wie die Haut der Haie. „Siarthys wird kein zweites Mal glauben, dass du reinen Herzens bist. Du bist erneut auf dem Weg zu dem Schwert. Dein Überleben war eine Chance, zur Besinnung zu kommen. Doch das bist du nicht."
„Deswegen bin ich nun hier." Farraday sah ihr ins leere Gesicht. „Wenn Ihr uns einen Weg zeigt, Siarthys zu besiegen, werden wir sie für Euch töten. Dies ist unser Angebot."
Erraxa riss schweigend an ihren Ketten. Goldmünzen fielen über meine Füße. Obwohl sie keine Augen hatte, schien sie uns zu beobachten. Ich spürte eine kalte Strömung am Arm, wie eisige Finger. Der Gedanke, sie würde nach mir tasten, ohne mich tatsächlich zu berühren, ließ mich schaudern. Langsam kam sie näher, bis die Ketten sich strafften, bis der Haken in ihrem Hals sie aufhielt. „Ich nehme Euer Angebot an", flüsterte sie heiser. „Bringt mir Siarthys' Herz. Tötet sie und ruft mich zu euch. Ich werde frei sein, in dem Moment, in dem sie tot ist, und ich werde zu euch kommen."
„Wie werden wir Siarthys' Reich betreten können?", hakte Farraday nach.
„Gibt es eine geheime Passage?", fragte Marre.
Erraxa zog sich ein wenig in die Dunkelheit zurück. „Tritt näher, Marius Farraday", raunte sie.
Der ehemalige Marinecaptain zögerte nicht. Er stieß sich vom goldübersäten Boden ab und schwamm auf die Meerhexe zu.
„Reiche mir deinen Arm", befahl Erraxa klingend, und er befolgte ihre Anweisung. Ihre Finger, lang und schmal, besetzt mit Dornen und messerscharfen Krallen, strichen über die weiße Innenseite seines Handgelenks. Sie knurrte leise. Ihr Kopf schnellte vor und sie versenkte beinahe genüsslich die Zähne in seinem Unterarm.
Farraday keuchte auf und ballte die Hand zur Faust. Blut stieg in dünnen Schwaden von den Wunden auf, die die Zähne der Hexe hinterlassen hatten. Ich dachte mit Unbehagen an die Haie draußen.
Entsetzt blickte Farraday sie an, doch sie lächelte nur grimmig. „Meine Macht wird euch beschützen, Marius Farraday", schnurrte sie. „Siarthys wird die See um euch toben lassen, doch euch und eurem Schiff wird kein Leid geschehen."
Farraday trat zurück und rieb sich den Arm. Noch immer perlte das Blut hervor. Dunkelblaue Adern breiteten sich unter seiner Haut aus. „Ich danke Euch", sagte er mit einer Verbeugung.
Erraxa lachte, kalt und dunkel wie die Tiefsee. „Geht nun. Bringt mir Siarthys." Mit einem letzten Zucken ihres Haischwanzes verschwand sie in der Dunkelheit, erneut verschmolz sie mit den Schatten, als wäre sie niemals dort gewesen.
Die Haie würdigten uns keines Blickes, als wir das Wrack verließen. Noch immer waren sie ein Wirbel aus hunderten Leibern, kreisend über dem Riff, doch weder sie noch der Seedrache behelligten uns. Dennoch schien das Meer nach dem Untergang der Sonne so dunkel und böse wie nie zuvor. Schweigend zogen wir uns durch das Wasser, auf den Schatten von Marres Schiff zu.
Plötzlich stieß Marre ein ersticktes Fluchen aus. Zwei Schiffe lagen nebeneinander im Wasser, nur getrennt durch einen schmalen Streifen Dämmerung. Weitere dunkle Flecken umringten sie, orangefarbenes Flackern durchdrang das nun beinahe nachtblaue Wasser. „Bei allen Göttern", murmelte sie. „Sie haben uns gefunden. Wir waren zu langsam."
„Wer?", fragte ich.
„Die Knochensammler."
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