11. Der Turm der Toten
Soundtrack: Hans Zimmer - Blood Ritual aus dem PotC: The Curse of the Black Pearl OST. Noch drei Kapitel, dieses eingeschlossen, dann ist Sindrak zweite Reise vorbei. Genießt das Gefühl von Blutspritzern und Gischt auf euren Gesichtern.
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„Ihr seht noch hässlicher aus, als ich euch in Erinnerung hatte." Rotchcaft richtete sich auf dem Fass, auf dem sie gesessen hatte, auf und blickte uns verächtlich entgegen. „Und ihr habt das elende Schwert. Ich habe wirklich gehofft, dass ihr dabei draufgeht."
Zwielichtige Gestalten bevölkerten den Hinterhof der Brauerei, den der Goblin als unseren Treffpunkt auserkoren hatte. Einige hielten Flaschen in den Händen, zwei von ihnen warfen Rotchcaft schlecht verhohlene wütende Blicke zu und ließen drohend die Muskeln spielen. Blutige Wunden verunzierten ihre Gesichter. Doch als wir zu ihr traten, wandten sie sich hastig ab.
„Es gab Komplikationen." Farraday humpelte auf sie zu und ließ sich ermattet auf die Kiste neben ihr fallen.
„Hier auch. Ein paar dieser Ratten", sie wies mit ihren Messer auf die abgerissenen Kitsune, „haben versucht, eure Ausrüstung zu stehlen. Ich habe ihnen klar gemacht, dass man sich mit den Knochensammlern nicht anlegt."
„Du zählst dich immer noch zu ihnen?" Farraday klang enttäuscht.
Rotchcafts gelbe Augen blitzten. „Zu wem sonst? Ich helfe euch aus reiner Freundlichkeit und in der Hoffnung, dass ihr mich zurück nach Hogarth bringt, wo ich mich ihnen wieder anschließen werde."
Farraday sah sie verletzt an.
Sie lachte höhnisch. „Denkst du wirklich, ich folge dir irgendwo hin, solange du auch nur in der Nähe des Schwerts bist? Überlasse es ihm", sie wies auf mich, „und wir suchen uns gemeinsam ein neues Schiff, über das wir herrschen können. Aber dann wirst du nie wieder auch nur an das Schwert des Caligár denken. Solltest du seinen Namen auch nur einmal in dein Schmutzmaul nehmen, hetze ich die Crew gegen dich auf, und ich werde sie dich nicht nur aussetzen lassen."
Farraday biss die Zähne zusammen und schwieg. Er sah weder zu mir, die flüsternde Klinge in der Hand, noch zu seinem ehemaligen Ersten Offizier.
Rotchcaft schnaubte, beinahe klang es enttäuscht, doch der Schimmer verschwand unter ihrer üblichen Rauheit. „Das dachte ich mir. Nehmt eure Sachen, und dann verschwinden wir." Sie stach mit dem Messer nach dem Seesack, in dem mein Hab und Gut lag, und blickte an mir vorbei zu Arcaul. „Oh, du schon wieder. Dachte, ich wäre dich und dein Jammern im Schiffsbauch los. Kannst du jetzt wenigstens sprechen?"
„Aye, das kann ich." Arcaul lächelte schief. „Mein Name ist..."
„Dein Name interessiert niemanden, Schlächter."
Ich schlüpfte in meine Rüstung und zog die Lederriemen fest. „Sie heißt Rotchcaft. Sie war Erster Offizier auf der Banshee's Wrath und davor ein Teil von Farradays Crew."
„Sie sind wohl nicht im Guten auseinander gegangen, was?", raunte Arcaul.
„Nein." Ich schnallte meine Gürtel und meine Schwerter um, klemmte meine Donnerbüchse dahinter und legte meine Armbrust an. Das Schwert des Caligár machte sich hervorragend neben dem elfischen Schwert, dem Schwert mit den zwei Klingen und dem alten Entermesser.
Mein Bruder betrachtete fasziniert meine Waffen. „Wie bist du an solche Klingen gekommen?"
„Gestohlen, gefunden, erbeutet. Ich habe mich zeitweise als Schatzjäger versucht." Ich warf mich stolz in die Brust.
„Ein lukratives Geschäft, oder?"
„Was glaubst du, was ich tun werde, wenn ich das Schiff habe? Ich werde nach noch größeren, noch gefährlicheren Schätzen suchen." Allein die Vorstellung machte mir Angst, doch die Jagd nach Reichtümern machte mir viel zu viel Spaß, als dass ich sie unterlassen könnte. Ich straffte die Schultern und blickte meine Mitstreiter an. „Gehen wir."
Farraday ließ sich von Arcaul auf die Beine helfen. „Hast du die Dragon's Pride erkundet, Rotchcaft?"
Rotchcaft sprang von ihrem Fass und übernahm die Führung. „Ich fand es besser, die ganze Zeit neben diesem Abschaum", sie wies auf die Kitsune, „herumzulungern und zu warten, bis ihr zurückkommt. Nein, ich bin zu den Drei Schwestern gegangen, habe mich durch den Turm geschlichen und mich auf das Schiff geschmuggelt. Die Dragon's Pride wird schwer bewacht, von beiden Seiten. Viele Soldaten, sowohl Noxer als auch Kitsune."
„Sollten keine Hindernisse darstellen." Arcaul ließ sein Schwert wirbeln.
„Das glaube ich dir. Die Leichtigkeit, mit der du den Botschafter in Botreiga zerlegt hast, ist legendär." Spott und Bewunderung mischte sich in ihrer Stimme. „Dort drüben sind die Schwestern."
Die Drei Schwestern entpuppten sich als die drei hohen Türme, die ich bereits bei meiner Ankunft in Bikoyo gesehen hatte. Luftschiffe lagen an in die Luft ragende Stege, der Wind ließ die Takelagen summen. Wachen lungerten vor den Eingängen herum, Feuerkörbe warfen flackerndes Licht über den Vorplatz.
Ich blickte nach oben. Dort, am höchsten Kai, erkannte ich im ersten Morgengrauen den wuchtigen Bauch der Dragon's Pride. Das Schuppenmuster der Planken war nicht zu erkennen, doch ich sah es vor mir. Zuletzt hatte ich es in Gnomdon gesehen, doch danach hatte sich meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zugewandt, und schließlich war sie wieder abgesegelt, ohne dass ich sie hätte stehlen können. Ebenso hätte ich eine Crew gebraucht.
Das Schwert des Caligár raunte, ein flüsterndes Vibrieren in meinem Rücken. Es schien zu spüren, dass das Meer nicht fern war. Meine Hände zitterten ebenfalls, ob vor Angst oder vor Aufregung, konnte ich nicht sagen.
Arcaul musterte den Turm von oben bis unten. „Er wird voller Wachen sein. Die übernehmen wir."
„Sindrak, gib uns deine Granaten." Farraday streckte die Hand aus. „Wir sorgen für Ablenkung."
„Ich sorge für Ablenkung", knurrte Rotchcaft. „Du kannst dir höchstens dein Bein ganz abhacken, dann reicht dein Geschrei, um ganz Bikoyo auf den Plan zu rufen."
Ich drückte Farraday einen Beutel Brandgranaten in die Hand. „Viel Glück."
Rotchcaft nickte zu den Wachen. „Dann zeig, was du kannst, Schlächter."
Arcaul lächelte grimmig. „Kommst du, Kleiner?"
Kurz fragte ich mich, ob es etwas brachte, mich zu drücken, doch Arcaul hatte meine Feigheit nie geduldet. Sobald ich versuchte, der Gefahr aus dem Weg zu gehen, schickte er mich in die Gegend, in der es am schlimmsten wurde, sei es bei den Machtkämpfen der Unterweltfürsten von Tarensvault oder den Luftschlachten von Nox, zu geheimen Missionen und waghalsigen Manövern.
Doch ich wollte mich nicht einmal herauswinden. Die Dragon's Pride wartete. „Aye."
„Erinnerst du dich an diesen Magier in Galvane?"
„Der Turm mit den Leichen?" Ich hatte noch immer Alpträume von den präparierten, auseinander genommenen Wesen, die der wahnsinnige Zauberer dort erforscht hatte. Alles hatte nach Blut und Tod gestunken. Nicht die noxische Regierung hatte uns dorthin geschickt, sondern sein Konkurrent, der ihn zu Fall bringen wollte.
„Aye."
Ich erinnerte mich an unsere Taktik. Damals hatte jeder von uns einen Trupp Soldaten mit sich gehabt, doch wir hatten auch keinen Zugang zu finsterer Magie besessen. Ich blickte den Turm entlang, bis hinauf zu seiner Spitze, mehr als hundert Schritte über uns. „Ich gehe von unten."
„Andersherum wäre es kaum gerecht gewesen." Arcaul zog seine Schwerter und ließ die Schultern kreisen. Die Runen auf seiner Haut glühten heller. „Lass dich nicht erwischen."
Ich zog meinen Umhang um mich. „Niemals."
„Aber die da vorne gehören mir."
Mein Bruder löste sich in Fetzen aus Dunkelheit auf und materialisierte sich einen Wimpernschlag später zwischen den Wachen. Speere aus Schatten und Glut barsten aus ihm hervor und durchbohrten die Kitsune. Sie hatten nicht einmal einen Moment zum Schreien. Arcaul rollte sich ab, sprang und verschwand in der Finsternis.
Hinter mir hörte ich, wie Rotchcaft ein milde beeindrucktes Geräusch von sich gab. „Ich verstehe, was die Noxer vorhatten. Dass er es mit der Kaiserin aufnehmen sollte."
„Wartet, bis ich euch ein Zeichen gebe. Dann kommt nach. Beeilt euch", wies ich sie und Farraday an.
Dann rannte ich vor, stemmte einen der Männer in den Feuerkorb, um die Flammen zu ersticken, und machte mich daran, das Schloss zu knacken. Es gab nach, ich schlüpfte in die Dunkelheit des Turms und schloss leise die schwere Metalltür hinter mir.
Dumpfe Stille umfing mich, und ich setzte meine Fliegerbrille auf. Ich ahnte, dass Arcaul bereits mit dem Töten begonnen hatte, doch hören konnte ich ihn nicht. Vor mir lagen nun ein Schreibtisch, an dem tagsüber wohl ein Sekretär sitzen musste, eine Tür, deren Aufschrift ich nicht lesen konnte, und die Treppe nach oben. Bei den Gedanken, dass Farraday mit seinem verletzten Bein dort hinauf musste, musste ich grinsen, doch zugleich tat er mir ein wenig leid. Ich öffnete die Tür einen Spalt, winkte zu dem Stapel, hinter dem sich Farraday und Rotchcaft verbargen, und machte mich an den Aufstieg.
Die erste Wache entdeckte ich auf der Höhe der ersten Schiffe. Gelangweilt betrachtete er sein Spiegelbild in seinem Katana. Mein Schwert mit den zwei Klingen riss ihn entzwei. Sein Kamerad fiel nur wenige Augenblicke später unter meinem vergifteten Armbrustbolzen, der ihn in der Kehle traf. Weitere Soldaten saßen zusammen mit einigen Matrosen der Schiffe, vertieft in ein Kartenspiel um ein Fass.
Ich aktivierte das Hex und schnellte vor. Meine Rauchgranate flog, dichter Qualm breitete sich aus und ich erstickte ihre überraschten Rufe mit meinen Klingen. Das Schwert des Caligár sang gierig. Ich war wie Arcaul, flog es mir durch den Kopf. Nur, dass ich seine dämonischen Fähigkeiten mit magischen Gegenständen ausglich.
Ebene für Ebene tötete ich mich voran. Nie verursachte ich ein anderes Geräusch als das Surren meiner Armbrust und die dumpfen Schläge meiner Klingen. Das Hex zischte leise, das Raunen des Schwerts des Caligár schien mit ihm Beleidigungen auszutauschen.
Ein weiterer Raum öffnete sich vor mir, mit den üblichen gelangweilten Soldaten der Kitsune und wenigen Männern der Luftschiffe, die auf ihren Schiffen Wache halten mussten und sich nun ihre Zeit vertreiben wollten. Nun, ich würde ihnen eine großartige Erlösung von ihrer Langeweile bringen.
Ich schlich auf den ersten Mann zu, mein Schwert schien ihm den Kopf geradezu abzubeißen. Ein zweiter bemerkte mich, ich schoss, und er taumelte rückwärts. Mit einem Sprung war ich bei ihm, das Schwert des Caligár durchtrennte seine Kehle und ich schnellte auf den nächsten zu. Er landete einen tiefen Schnitt auf meinem Oberarm. Ich rammte ihm als Ausgleich von unten das Schwert in den Kopf.
Im gleichen Moment explodierten ohne jedes Geräusch Schatten vor mir. Pfeile aus Dunkelheit flogen in alle Richtungen. Ich packte einen Wachmann und duckte mich hastig hinter ihn. Er keuchte in meinem Griff, als die Klingen tiefe Wunden in ihn schlugen. Zeit, sein Leiden zu beenden. Ich stieß ihm das Schwert in die Nieren.
Arcaul erschien in einer Wolke aus Schatten hinter zwei Männern. Simultan schossen seine Schwerter vor, die Spitzen ragten zwischen ihren Rippen hervor. Die restlichen Wachen wandten sich zwischen ihm und mir hin und her, und gingen zum Angriff über. Einer versuchte, zu türmen. Ich schoss ihm einen Pfeil in den Nacken.
Ich sah mich zu meinem Bruder um und deaktivierte das Hex, bevor es überhitzte. „Wie weit noch?", fragte ich schwer atmend.
„Nicht mehr weit. Kämpfen müssen wir nur noch auf der obersten Ebene, der, auf der die Dragon's Pride liegt." Er wandte sich um und betrat die Treppe, ich schleppte mich hinter ihm her. „Weißt du, wie du dieses Schwert benutzen musst?"
„Nein", gab ich kleinlaut zu."
Arcaul seufzte gereizt. „Wer weiß es?"
„Farraday."
Wir betraten die nächste Ebene, Leichen mit verkohlten Wundrändern bedeckten den Boden. Schwarze Streifen verunzierten die Wände. Arcaul ließ sich hinter ein paar Kisten fallen. „Dann warten wir, bis er hier ist. Ohne ihn müssen wir uns der Dragon's Pride nicht einmal nähern."
Farraday ließ nicht lange auf sich warten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht erklomm er die Treppen. Rotchcaft war nicht zu sehen. Leise fluchend lehnte er sich gegen die Fässer. „Ein schönes Werk habt ihr hinterlassen", murmelte er.
„Niemand wird uns bemerken, wenn es niemanden mehr gibt, der uns bemerken kann", sagte Arcaul trocken und betrachtete seine mit Blut und Ruß verschmierten Schwertklingen. „Die Dragon's Pride ist zwei Ebenen über uns. Wenn wir die Wachen besiegt haben, werden wir an Bord gehen, und du musst mit dem Schwert des Caligár das Schiff unter Kontrolle bringen. Wo ist dein Goblin?"
„Eine Ebene unter uns. Sie bringt Granaten an den Heizkesseln eines Luftschiffes an."
Arcaul lachte anerkennend. „Wenn es das aus Gauterlem ist, gibt es einen Feuerball, den man noch beim Palast sehen kann. Ein Feuerelementar, der sich aus seinem Gefängnis befreit, wird äußerst wütend." Er erhob sich und zog mich auf die Beine. „Dann kommt."
Wir schlichen die verbliebenen Treppen hinauf, ich voran, bis wir vor der obersten Ebene standen. Kitsune und Männer in noxischen Uniformen blieben, wie von unsichtbaren Mauern getrennt, auf ihren Seiten des Raums. Scheinbar ruhig schlenderten sie durch den Raum, doch ich konnte die dünne Anspannung, die zwischen ihnen stand, spüren. Hände schwebten über Waffen. Misstrauische Blicke kreuzten sich. Niemand sprach ein Wort.
Ich sah mich zu Arcaul und Farraday um und hob beide Hände mit ausgestreckten Fingern. Danach noch einmal die linke. Arcaul riss kurz die Augen auf, dann ließ er die Schultern kreisen und hob sein linkes Schwert. Ich verstand. Die linke Seite gehörte ihm. Gut. Ich wollte mich nicht mit den Noxern prügeln.
Arcaul löste sich in Rauch auf, sein Schatten huschte an mir vorbei in den Raum und landete geduckt zwischen Noxern und Kitsune. Seine Aschespeere lösten sich aus seinen Fingern, schlitzten Körper auf und nagelten einen an die Wand, bevor sich der Pfeil auflöste und eine Leiche mit einem verkohlten Loch in der Brust auf dem Boden zurückließ. Seine Schwerter zuckten vor und weitere Noxer taumelten getroffen nach hinten.
Ich nutzte das Chaos, aktivierte das Hex und sprang auf die ersten beiden Kitsune zu. Beide fielen unter meinen Klingen, einem dritten riss ich die Kehle heraus. Blut füllte mein Maul, salzig und schwer. Ein Kitsune trat auf mich zu, ich spuckte ihm ins Gesicht und mein Schwert zerriss seinen Arm. Heulend ging er zu Boden. Mit aller Kraft rammte ich ihm das Schwert des Caligár in den Rücken, die Blitze meines Hex, geleitet vom Stahl, ließen ihn zucken.
Ich konnte meine Gegner kaum auseinander halten. Einer nach dem anderen fiel unter unseren Klingen, ging von Blitzen gebeutelt zu Boden oder wurde von sich auftürmenden Steinen von den Beinen gehoben. Pfeile und Schwerter setzten fatale Wunden.
Das markante Klicken einer Pistole erklang. Ich stürzte auf den Mann zu, duckte mich unter der Waffe weg, packte seinen Arm und riss ihn vor, sodass er in mein Schwert fiel. Zwei Wachen hieben nach mir, ich trat einen Schritt rückwärts und parierte fahrig, und bemerkte zugleich, wie sich ein weiterer Mann von hinten anschlich. Ich ließ mich zu Boden fallen, die Männer stolperten beinahe ineinander. Dem ersten jagte ich die Blitze des Hex in den Körper, dann rollte ich mich ab und wollte mich auf die anderen beiden stürzen.
Arcaul brach hinter ihnen aus den Schatten und führte beide Schwerter, rotglühend und dunkel vor Ruß, schräg nach unten. Zwei Fuchsköpfe kamen dumpf neben ihren Körpern auf dem Boden auf. Ich sah mich nach weiteren Kitsune um, doch entdeckte keine.
Erneut hörte ich eine Pistole klicken, dann folgte der Knall. Ich gleichen Moment heulte Arcaul auf, wirbelte in einem Sturm aus Schatten herum und köpfte den Schützen mit einem einzigen Schlag. Weitere Noxer, kurz außer Gefahr, zogen ihre Pistolen und schossen. Die meisten Kugeln verfehlten uns, eine streifte meinen Hals, und ich verbarg mich hinter Fässern.
Wenn sie Schusswaffen wollten, würden sie sie bekommen. Ich zog meine Donnerbüchse, sprang aus der Deckung und feuerte sie zusammen mit meiner Armbrust ab. Mehrere Noxer gingen zu Boden, einige taumelten, wie durchsiebt von den Splittern, die die Büchse verschoss.
Ich sah, wie weitere Männer in noxischen Uniformen von der Dragon's Pride zu uns rannten, Musketen in den Händen. Einer von ihnen, wohl ein Offizier, lief mit erhobenem Schwert voraus. Sie bildeten zwei Reihen, die vordere ging auf die Knie. Selbst von weitem hörte ich die Befehle.
„Legt an!"
„Arcaul!", schrie ich.
„Feuer!"
Ich hastete hinter die Fässer und hörte, wie die Kugeln in das Holz einschlugen. Still dankte ich allen Unheiligen, dass sie kein Schießpulver enthielten.
Arcaul brüllte wütend, mehr Dämon als Karr. Schatten sammelten sich um seine Klauen. „Macht das Schiff klar", zischte er mir zu und stürzte sich auf die Soldaten. Ich stellte keine Fragen. Mein Bruder hatte das Kommando übernommen, und seine Befehle hatte ich weder in der Unterwelt von Tarensvault noch auf den noxischen Schiffen je infrage gestellt. Er wusste, was er tat.
Ich sprang hinter meiner Deckung hervor und rannte zum Eingang. „Farraday", keuchte ich, die Stimme verzerrt vom Hex. „Komm mit. Wir müssen ein Schiff kapern."
Gemeinsam hasteten wir an dem tobenden Arcaul vorbei zur Dragon's Pride. Soldaten verstellten uns den Weg, doch ich wischte sie beiseite und duckte mich hinter einen Ballen. Vor uns ragten die hinteren Aufbauten des Schiffes auf.
„Kannst du klettern?", fragte ich Farraday. Das Hex fauchte, doch ich wagte es nicht, es zu deaktivieren. Nur ein unsicherer Schritt, und ich könnte in die Tiefe stürzen.
„Ich würde die Gangway vorziehen", antwortete Farraday angespannt.
Ich sah zu der kleinen Brücke zwischen Steg und Schiff, während ich meine Armbrust und meine Donnerbüchse nachlud. Soldaten mit Gewehren und Schwertern strömten auf den Steg, dorthin, wo Arcaul mit Katanas und Magie sein grausiges Werk verrichtete. „Ich weiß nicht, ob das möglich ist."
„Nun denn." Farraday atmete tief durch. „Du kletterst vor und wirfst mir ein Seil herunter. Beeil dich."
Ich schritt über den Abgrund hinweg an die Bordwand und krallte mich an den Verzierungen fest. Stück für Stück zog ich mich hinauf, immer wieder mit schnellen Blicken zu Farraday, der noch immer neben dem Ballen kauerte und auf meine Hilfe wartete.
Ein Wachmann hob mit einem Triumphschrei sein Schwert, als ich mich über die Reling zog, und ich schoss ihm ins Gesicht. Hektisch nahm ich eins der sorgfältig aufgeschossenen Seile, befestigte es an der Bordwand und warf es Farraday zu.
Weitere Wachen stürzten sich auf mich, und ich hob meine Schwerter. Durch das Klirren des Stahls hinweg bemerkte ich, wie das Schiff klar zum Ablegen gemacht wurde, und auch die sich nähernden Luftschiffe der Kitsune, kaum sichtbar im Morgenlicht, waren mir nicht entgangen.
Ein Soldat stürzte auf mich zu, nur um kurz vor mir gurgelnd zu Boden zu gehen. Rotchcaft riss das Messer aus seinem Nacken und sprang auf den nächsten zu, durchtrennte Kniesehnen und Schlagadern und setzte mit einem Schuss einen weiteren Mann außer Gefecht.
„Sindrak!"
Ich wirbelte zu Farraday herum, lief zur Reling und schoss den Männern, die auf ihn gefeuert hatten, meine Pfeile in die Stirnen. Er ergriff meine ausgestreckte Hand und ließ sich von mir an Bord ziehen.
Die Nadel an meiner Anzeige näherte sich dem roten Bereich, und ich deaktivierte das Hex. Schwankend rang ich um Gleichgewicht, als plötzlich ein Mann auf mich zusprang. Mein Pfeil traf ihn im gleichen Moment, in dem Rotchcafts Messer bis zum Heft in seinem Hals steckte.
Milde entsetzt sah Farraday sich um. „Zeit, den Takt dieser Musik etwas zu ändern. Gib mir das Schwert."
Ich reichte ihm das Schwert des Caligár. Bevor er es mir abnehmen konnte, packte ich ihn an der Schulter. „Keine faulen Tricks", ermahnte ich ihn.
Er sah mir fest in die Augen. „Ich verspreche es. Halte die Wachen von mir fern."
Ich zog das Opalschwert und lief zur Reling. „Arcaul!"
Mein Bruder entfesselte seine Schattenklingen, wirbelte herum und löste sich in Rauch aus. Einen Augenblick später stand er neben mir, die Runen auf seinem Fell glühten. Er warf mir einen schnellen, aufmunternden Blick zu, dann stürzten wir uns in den Kampf. Immer mehr Soldaten strömten auf uns zu, doch Rotchcaft, Arcaul und ich metzelten sie einen nach dem anderen nieder.
Farraday stand mit dem Schwert des Caligár in der Hand neben dem Steuerrad. Er schnitt ein Stück Segel von einem Ballen ab, knotete es an das Schwert und zog die Klinge einmal durch seine Beinwunde. „Geister des Caligár!", rief er, laut genug, dass ich es selbst durch den Schlachtenlärm hörte, und hob das Schwert. „Hört mich und seid gebunden an meine Befehle."
Mir war, als lösten sich Wesen aus der Dunkelheit, die noch böser waren als Arcaul. Gepeinigte Seelen, getrieben vom Blutdurst und dem Hunger nach Vergeltung für Verbrechen, die vor langer Zeit geschehen waren. Sie waren nicht zu sehen, und doch waren sie da. Mein Nackenfell sträubte sich, als ich glaubte, einer von ihnen hätte meinen Arm gestreift.
Lautlos fielen sie über die Noxer her. Die Taue wanden sich wie Schlangen um die Soldaten und warfen sie über Bord. Die Seile, mit denen das Schiff mit dem Kai verbunden war, lösten sich. Wind, der noch einen Wimpernschlag zuvor nicht dort gewesen war, fuhr in die Segel und ließ die fallende Takelage singen. Es klang nach dem Lied der Verdammten, das Erraxas Crew gesungen hatte. Ein Soldat nach dem anderen starb, überrascht von den Mächten des Schwerts des Caligár. Manche starben wie durch unsichtbare Klingen, andere wanden sich in Schmerzen, während sich dunkle Male über ihre Haut ausbreiteten.
Donnernd brach plötzlich Feuer aus der Dunkelheit unter dem Schiff. Flammen stiegen auf. Hitze legte sich auf mein Gesicht, Asche, hoch in den Himmel geschleudert regnete auf uns hinab.
Farraday schlug das Schwert abwärts. Die Dragon's Pride machte einen Satz nach vorn, so sehr, dass ich beinahe gestolpert wäre. In einem Feuerball schoss das Schiff in den morgengrauen Himmel hinaus.
Arcaul ließ die Waffen sinken und betrachtete die in sich zusammensackenden Noxer. „Du hast dir wirklich ein großartiges neues Spielzeug gestohlen, Kleiner."
Rotchcaft steckte das Schwert in den Gürtel. „Dann Kurs auf Hogarth", knurrte sie schroff und trat die Treppen zum Hauptdeck hinab, ohne einen von uns eines Blickes zu würdigen.
Ich trat auf Farraday zu und streckte die Hand aus. „Wenn ich bitten darf."
Er zögerte. „Es gibt noch etwas, was wir tun müssen."
Ich bleckte die Zähne und ließ mein Schwert mit den zwei Klingen drohend klirren. „Ach ja? Du musst noch etwas tun. Mir das Schwert des Caligár geben."
„Aye, das auch. Doch zuerst müssen wir Erraxa besiegen."
„Wie bitte?", fauchte ich. Überdeutlich spürte ich plötzlich meine Müdigkeit und lehnte mich schwer gegen die Reling. Unzählige kleine Wunden brannten in meinem Fell, die ich im Rausch des Hex nicht bemerkte hatte. „Wir werden uns nicht mit ihr anlegen! Wir sind so weit im Himmel, dass sie uns niemals etwas antun kann!"
„Sie wird von Tag zu Tag mächtiger werden. Und solange du das Schwert des Caligár hast, wird das Meer dir und allen anderen Seefahrern feindlich gesonnen sein. Wir müssen sie aufhalten." Er sah von mir zu meinem Bruder. „Nach allem, was ich gesehen habe, werdet ihr sie besiegen können. Ich werde euch helfen und zugleich das Schiff steuern."
Ich sah zu Arcaul, der seine Katanas in einen gestohlenen Gürtel gesteckt hatte und sich nun mit Pistolen und Kugeln ausstattete. Seine Runen waren erloschen. Er schien beinahe gewöhnlich. „Wen sollen wir töten?", wollte er wissen.
„Erraxa. Die Schwestern des Meeres, im Körper einer Piratenfürstin", erklärte ich resigniert.
Er nahm einen Revolver vom Gürtel eines Offiziers, warf eine Steinschlosspistole über Bord und lud ihn. Klickend rastete die Trommel ein. „Vielleicht endlich jemand, der es mit mir aufnehmen kann."
„Mit der Kaiserin konntest du es auch nicht aufnehmen, und Erraxa ist mindestens genauso stark wie der König Schellen", hielt ich dagegen.
„Gegen sie hast du mir nicht geholfen. Und auch nicht das Schwert des Caligár." Arcaul steckte den Revolver in den Gürtel.
Ich seufzte. Ich wollte nicht gegen Erraxa kämpfen. Doch Farraday hatte recht. Und nun, mit Arcaul und dem Schwert des Caligár und der Dragon's Pride, konnte sie mir kaum etwas anhaben. Schicksalsergeben nickte ihn ihnen zu.
Farraday schloss kurz die Augen. Die aufgehende Sonne verdunkelte sich, die Strahlen wie erstickt unter Massen aus grauen und schwarzen Wolken. Der Wind frischte auf und ließ die Takelage singen, ein erster Regentropfen traf mich auf der Stirn. Blitze zuckten und erhellte die Wand aus Wasser beinahe lilafarben. Unter uns peitschte das Meer, weiße Schaumkronen tanzten auf schwarzen Wellen.
Ich trat zu einem Toten, nahm das Fernglas von seinem Gürtel und setzte es ans Auge. Weit unter mir, dort, wo der zornige Himmel sich mit der See zu vereinen schien, preschte ein Schiff über die Wellen. Dunkle Segel, wie aus Seetang und Haihaut geflochten, blähten sich in den Sturmböen. Tiefe Löcher zogen sich über die mit Muscheln und Flechten verkrusteten Planken. Verrostete Kanonen blickten aus Luken. Ich erkannte die Gestalten aus der Ferne nicht, doch der Fleck, der regungslos auf dem Achterdeck stand, mit wehendem Mantel, musste Erraxa sein.
Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf meinen Zügen aus. Ich wusste nicht, ob ich mich dazu zwang, um mir Mut zu machen, oder ob ich mich tatsächlich auf den Kampf freute.
Arcaul zumindest tat es bestimmt. Mein Bruder blickte mit verschränkten Armen hinaus auf die tobende See, die Runen glühten. Seine Lefzen zuckten, als müsste er ein Lächeln unterdrücken.
„Nun denn", knurrte ich. „Dann zeigen wir dieser fischköpfigen Schlampe, dass sie uns besser zurückgelassen hätte."
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